Ein Königreich – mehrere Gesichtspunkte 

Die große Macht, die ihm gegeben worden ist, übt der König auf verschiedene Weisen den Umständen gemäß aus. Die Zeit der Geheimnisse ist dadurch gekennzeichnet, dass die Macht in Langmut zurückgehalten wird, während andere Ziele ausgeführt werden. Es wird aber die Zeit kommen, in der die Macht im Gericht ausgeübt werden wird. Es sind Gerichte, die schnell und furchtbar sein werden, um sowohl den irdischen als auch den himmlischen Bereich des Königreichs von allen Hindernissen zu reinigen. Danach wird seine Macht in Herrlichkeit offenbar werden und die universale Regierung im Himmel und vom Himmel aus über die ganze Erde stattfinden. Dann wird alles, was das Reich der Himmel umfasst, im Himmel und auf der Erde völlig zur Verwirklichung gelangen.

Es scheint, dass das „Reich der Himmel“ der mehr allgemeine Begriff ist, der für das ganze Regierungssystem steht, das durch die Verherrlichung Christi eingeführt wird, der über jedes Fürstentum und jede Gewalt und Kraft und Herrschaft und jeden Namen, der genannt wird, sowie über die Engel und Autoritäten ist, die ihm unterworfen sind und die seine Vorrangstellung über alle Dinge unterstreichen. Die Geheimnisse des Reiches zeigen dessen Charakter und Verlauf während der Zeit, in der der König auf dem Thron des Vaters sitzt. Sie führen uns aber gleichzeitig zu seinem Wiederkommen auf den Wolken des Himmels, um sein Königreich zu reinigen und um sowohl über die Erde als auch in den Himmeln zu regieren. Was die Erde betrifft ist es der Sohn des Menschen und sein Reich, die zusammengehen. Von den Gerechten wird an dieser Stelle gesagt, dass sie in dem Reich ihres Vaters leuchten werden wie die Sonne. Es ist das Reich, in dem sie von dem Vater gesegnet werden und das nach seiner völligen Offenbarung die Herrlichkeit des Vaters hat und von ihm an den Sohn übergeben worden ist. Es ist der Sohn, dem der Vater alles übergeben hat, vgl. Mt 13,43; 25,34; 16,27; Lk 22,29–30; Mt 11,27.

Wenn das Reich mit dem Kommen des Sohnes des Menschen in Macht und Herrlichkeit verbunden wird, scheint es sich offensichtlich um eine Bezugnahme auf eine bestimmte Entwicklung des Reiches der Himmel zu handeln. In Matthäus 13,41 wird von der Zeit des Endes gesprochen, wenn er sein Königreich reinigen wird. Es ist ein Reich, das bereits existiert und in welchem böse Dinge und Rebellion vorherrschen. Und es scheint deutlich zu sein, dass das Königreich an dieser Stelle mit dem Reich der Himmel identisch ist, von dem der Zusammenhang handelt. Das Kommen des Sohnes des Menschen in dieser Form ist offenkundig das Kommen als der König des Himmels, der mit himmlischer Macht und Herrlichkeit (die des Vaters) angetan ist und von den Engeln des Himmels begleitet wird. Das Kommen des Sohnes des Menschen in seinem Reich (Mt 16,28) spricht nicht etwa von einem anderen Reich als dem, was das „Reich der Himmel“ genannt wird, sondern verleiht einfach der endgültigen Entwicklung Ausdruck, welche die Aufrichtung des Königreichs in seiner absoluten Form (der universalen Regierung des Sohnes des Menschen, welcher der König ist und der, während er hier war, in Johannes 18,36 das Zeugnis ablegte, dass sein Reich nicht von dieser Welt ist) betrifft. Es geht also durchgehend nur um ein Königreich. Allerdings wird der Titel des Sohnes des Menschen mit diesem Reich verbunden, wenn die Offenbarung in Macht und Herrlichkeit auf der Erde im Blickfeld steht. Vergleiche dazu Psalm 8 und Hebräer 2. Wird es in Beziehung zu den Gläubigen in der heutigen Zeit gesetzt, wird von dem „Reich des Sohnes seiner (Gottes) Liebe gesprochen“. Petrus nennt es das „ewige Reich unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus“ (2. Pet 1,11), und verbindet damit den Wunsch, dass wir einen reichlichen Eingang in dieses Reich haben möchten.

Die beiden Ausdrücke „Reich der Himmel“ und „der Sohn des Menschen und sein Königreich“ dürfen also nicht als verschiedene Haushaltungen aufgefasst werden. Der Erstere umfasst die gesamte Zeitspanne von der Himmelfahrt des Königs und reicht bis in die Ewigkeit hinein, wogegen der Zweite für die Ausprägung in Macht und Herrlichkeit steht und die Zeit einschließt, in der er herrschen muss, „bis er alle Feinde unter seine Füße gelegt hat“. Als letzter Feind wird der Tod weggetan. Denn „alles hat er seinen Füßen unterworfen“. Wenn er aber sagt, „dass alles unterworfen sei, so ist es offenbar, dass der ausgenommen ist, der ihm alles unterworfen hat. Wenn ihm aber alles unterworfen sein wird, dann wird auch der Sohn selbst dem unterworfen sein, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem sei“ (1. Kor 15,25–28). Das wird dann das Ende sein, „wenn er das Reich dem Gott und Vater übergibt, wenn er weggetan haben wird alle Herrschaft und alle Gewalt und Macht“ (1. Kor 15,24). Folglich wird auf diese Weise dann der ewige Zustand durch Christus eingeführt, der in Jesaja 9,6 auch der „Vater der Ewigkeit“ genannt wird.

Das Reich der Himmel trägt nicht nur ausschließlich einen christlichen Charakter, wie es von einigen neueren Auslegern vertreten wird, die damit die zukünftige Form des Reiches in Macht und Herrlichkeit leugnen. Tatsächlich ist es so, dass das, was Johannes der Täufer über den Kommenden aussprach, vollständig in Übereinstimmung mit den alttestamentlichen Prophezeiungen ist und an den Tag des Herrn anknüpft, wobei dem Aspekt einer Erfüllung in der gegenwärtigen Zeit Raum gelassen wird. Es ist offensichtlich, dass die Gleichnisse über das Reich bis zur Zeit des Endes gehen und damit eine Zeit einschließen, die eindeutig über die Entrückung der Kirche hinausgeht (Mt 13,39–41). Die Tatsache, dass Abraham, Isaak und Jakob „zu Tisch liegen werden in dem Reich der Himmel“ (Mt 8,11) zeigt, dass es nicht nur um die „gegenwärtige Zeit vom Pfingsttag ... bis zur Entrückung“, von welcher der Schreiber, der hier zitiert wird, denkt, dass sie die Zeitspanne ist, die das Reich der Himmel genannt wird. Werden die Patriarchen etwa heute schon an diesem Platz gesehen? Weiter zeigt Matthäus 8, dass das messianische Reich ein Teil des Reiches der Himmel ist, sozusagen eine Entwicklung, denn wird es nicht genau die Zeit sein, in welcher die Worte des Herrn in Erfüllung gehen werden? Ferner können die Worte des Herrn in Apostelgeschichte 1 nicht richtig aufgefasst werden, wenn angenommen wird, dass das Reich nach den alttestamentlichen Verheißungen kein Teil des Reiches der Himmel bzw. des Reiches Gottes (die Dinge, die der Gegenstand seiner Unterhaltungen mit den Jüngern gewesen waren) ist, aus dem einfachen Grund, weil seine Antwort auf ihre Fragen, die sich zweifellos auf das Reich in Macht und Herrlichkeit bezogen, lautete: „Es ist nicht eure Sache, Zeiten oder Zeitpunkte zu wissen“ (Apg 1,7). Die einzige Sache, die er bestätigt, ist, dass die Wiederherstellung, von der sie sprachen, nicht zu jener Zeit stattfinden würde. Das konnte nicht sein, weil er weggehen würde und das Reich nur für Israel wiederhergestellt werden konnte, wenn er anwesend war. Allerdings würde er aus genau diesem Grund zurückkehren. Das bestätigen die Engel, als die Jünger ihrem auffahrenden König hinterherblicken. Zwischenzeitlich sollten sie in der Kraft des Heiligen Geistes überall auf der Welt seine Zeugen sein. Während er hier war, hatte der Sohn des Menschen als der Sämann des guten Samens damit angefangen, sein Reich in die Herzen der Menschen zu pflanzen. Und seine Botschafter würden dieses Werk fortsetzen, indem sie jeden Anspruch dem verworfenen Jesus zuweisen würden, den Gott auferweckt und zum Herrn und Christus, dem König im Himmel, gemacht hat. Weiter macht die Tatsache, dass er sich selbst als Sohn des Menschen in seinen Ausführungen über das Reich der Himmel darstellt und er als solcher den Samen säte und am Ende genau dasselbe Königreich reinigen wird, klar, dass das Reich des Sohnes des Menschen mit dem Reich der Himmel eng verbunden ist, wobei das Erstere genau genommen der letzten Phase des Zweiten entspricht.

Die Belehrungen des Herrn über das Reich: Die Anwendung auf uns heute 

Die Bergpredigt und viele andere Stellen, an denen der Herr über unser Thema spricht, lehren uns die Grundsätze des Reiches der Himmel sowie die Charakterzüge derer, die ihre Loyalität zu Christus bekennen. Es wird jedoch auch klar, dass die Verwerfung des Königs vorausgesetzt wird ebenso wie die Stellung, in welche seine Nachfolger in einer ihnen feindlich gegenüberstehenden Welt kommen würden. Dabei können wir sowohl an die heutige Zeit, in der die Kirche gebildet wird, denken als auch an die Zeit nach ihrer Entrückung, wenn das Zeugnis an Israel in einem Charakter wieder auftreten wird, der eine Ähnlichkeit mit dem Zeugnis unseres Herrn und seiner Jünger während ihres Aufenthalts auf der Erde tragen wird. Der Dienst Christi in Bezug auf das Königreich fand bereits im Hinblick auf die gesamte Zeitperiode statt, die, wie er wusste, eintreten würde. Das einzige Mittel, durch das alles zustande gebracht werden konnte, war eine vollbrachte Erlösung.

Es ist deutlich, dass ein großer Teil der Belehrungen des Herrn eine Zeit der Leiden, Verwerfung und Verfolgung einschließt, von denen wir in der heutigen Zeit etwas kennen und die nicht zu der Zeit passen, wenn die Herrlichkeit des Reiches die Erde erfüllen wird. Das Reich konnte so lange nicht in Macht und Herrlichkeit kommen, wie es kein Volk gab, das für den Herrn zubereitet war. Die Belehrungen des Herrn gelten in dieser Zeit sowohl für den himmlischen wie auch den irdischen Bereich, je nachdem, ob die gegenwärtigen geistlichen Segnungen oder die zukünftige Offenbarung in Macht und Herrlichkeit betrachtet wird, wobei der moralische Charakter und die heiligen Grundsätze klar werden, welche diejenigen leiten, denen das Reich wahrhaftig angehört.

Wir wissen, dass die Verwerfung unseres Herrn bereits Gegenstand der Prophetie war, zusammen mit seiner Himmelfahrt zur Rechten Gottes und seiner Wiederkunft in Herrlichkeit, was zu der Schlussfolgerung führt, dass ein bestimmtes Intervall zwischen seinem ersten Kommen als gebürtigem König der Juden und der tatsächlichen Aufrichtung des himmlischen Königreichs, von dem insbesondere Daniel gesprochen hatte, verstreichen musste.

Dieses Intervall, dessen Dauer nicht explizit festgelegt worden war, von dem aber durch das Alte Testament Zeugnis gegeben wurde, kommt in den Belehrungen des Herrn klar zum Ausdruck (vgl. Lk 19,12; Mk 13,32–37; Mt 23,38–39; 26,64; 16,27; Joh 6,62; Mt 24 – 25).

Es war deutlich sichtbar, dass der König selbst gekommen war. Seine Wunderwerke legten ein beredtes Zeugnis von ihm ab. Er war der Werkmeister der Schöpfung und damit auch von Satan. Dennoch wurde er verworfen und nahmen in die Seinen nicht an. Hätte diese Tatsache allerdings eine Verschiebung des angekündigten Königreichs notwendig gemacht oder seine Einsetzung als König außer Kraft gesetzt, wenn er anders behandelt worden wäre? Nein, weil die zuvor bestimmten Ratschlüsse Gottes in jedem Fall zur Erfüllung gebracht werden mussten.

Obwohl wir den Fall des Menschen und seine bösen Wege nicht als Bestandteil dieses Ratschlusses ansehen möchten, war Gott in vollkommener Kenntnis, als diese Dinge auftraten, und trug ihnen besonders Rechnung, als es darum ging, seine Ratschlüsse zu verwirklichen. Als Gott daranging seine Pläne auszuführen und sich gleichzeitig mit dem Menschen in dem Zustand beschäftigte, in welchen er durch die Sünde gekommen war, prüfte er den Menschen immer wieder durch Offenbarungen seiner Selbst, die schließlich darin gipfelten, dass er seinen Sohn gab. Dadurch wurde ihr wirklicher Zustand und ihre Haltung gegenüber Gott deutlich. Dennoch verfolgte er die Erfüllung seiner Ratschlüsse in völliger Übereinstimmung mit seiner Weisheit und Barmherzigkeit. Das Thema dieser Ratschlüsse ist dabei zunächst die Herrlichkeit Christi und die Erlösung des Menschen sowie Israel, die Kirche und allgemein die Segnung der ganzen Schöpfung unter dem Sohn des Menschen als Haupt.

Wir sehen also, dass es damals nicht seine Absicht war, das Reich in Herrlichkeit in jener Zeit aufzurichten, weil es nur kommen konnte, wenn der Sohn des Menschen aus dem Himmel zurückkehren wird, wie wir es oben sahen. Die Menschen lagen aufgrund ihres fleischlichen Begehrens und Denkens in ihren Erwartungen völlig falsch. Sie waren den Gedanken Gottes in mindestens einem wichtigen Punkt nicht gefolgt, der ihnen aus dem Alten Testament hätte bekannt sein müssen. Das war ein Grund dafür, dass sie keinen Anreiz fanden, ihn zu begehren, als sie ihn sahen (vgl. Jes 53,2). Entsprechend folgte dann ihr Ruf „hinweg mit diesem“, weil er nach ihren Vorstellungen nicht der war, der über sie regieren sollte.

Es kann deshalb keinen Zweifel darüber geben, dass das, was als „nahe gekommen“ verkündigt wurde, nicht das Königreich in Macht und Herrlichkeit beinhaltete, ganz egal, welche Erwartungen die Juden hatten. Die Ratschlüsse Gottes waren dabei, sich zu erfüllen und es kam an diesem Zeitpunkt besonders für Israel, aber auch für die ganze Welt, zu einem Test. Und die entscheidende Frage dieser Prüfung war nicht so sehr, ob sie das Reich in Herrlichkeit, sondern ob sie den König dieses Reiches annehmen würden. Doch er wurde verworfen. Bedeutete das, dass das angekündigte Reich auf eine unbestimmte, ferne Zukunft verschoben wurde? Nein. Es kam und existiert jetzt. Allerdings nahm es eine andere Form an, die dem Ratschluss Gottes entsprach und so lange andauern wird, bis der Sohn des Menschen mit den Wolken des Himmels wiederkommen wird, um seinen eigenen Thron in Besitz zu nehmen. In seiner gegenwärtigen Form, wie sie die Gleichnisse unseres Herrn völlig zum Ausdruck bringen, füllt es jetzt die erwähnte Zeitspanne aus und wird seinen Lauf in offenbarer Macht und Herrlichkeit fortsetzen, worauf die Schrift mit dem Titel „das Reich des Sohnes des Menschen“ Bezug nimmt.

Wie sieht nun diese gegenwärtige Form des Reiches aus, die diese Zeitspanne ausfüllt? Was die Belehrungen des Herrn hauptsächlich ausmacht, ist die Behandlung seines moralischen Charakters, seiner leitenden Grundsätze und verschiedenartigen Zustände. Dazu gehören die Geheimnisse des Reiches, also die Vergleiche, die wir in den Gleichnissen finden, dem Neuen und Altem. Diese Form des Reiches umfasst alle, die ihre Loyalität Christus gegenüber bekennen. Entsprechend sind sie dafür verantwortlich, dass ihre Lebensführung mit den moralischen Charakterzügen, die der König selbst in seinen Belehrungen über das Reich herausgestellt hat, in Einklang ist. Es ist sicherlich so, dass diese Wahrheit besonders in denen, die sich zu seinem Namen hin versammeln, nämlich seinen Jüngern, seinen Ausdruck finden soll. Matthäus 5 – 7 richtet sich in besonderer Weise an sie.

Als der Herr seinen Dienst auf der Erde versah, war das Reich der Himmel nahe gekommen. Es kam tatsächlich dann, als er nach der Auferstehung verkünden konnte, dass ihm „alle Gewalt im Himmel und auf der Erde gegeben“ worden war (Mt 28,19–20), obwohl das nicht die unmittelbare Wiederherstellung des Reiches für Israel bedeutete (Apg 1,6–7). Es waren andere Ratschlüsse, die sich im Verlauf des Königreichs ereignen sollten. Bis dahin waren sie unbekannt gewesen und wurden auch so lange nicht offenbart, bis Paulus die Aufgabe empfing, das Geheimnis von Christus und der Versammlung bekannt zu machen (Eph 3). Trotzdem gehörten diese Ratschlüsse zu der Zeitspanne, die im Alten Testament vorgebildet wird. Das Reich der Himmel ist nicht die Kirche, welche der Leib Christi ist. Dennoch ist die Kirche im Reich. Das Reich umfasst das Christentum, den Bereich, in welchem das Bekenntnis echt oder nicht echt sein kann. Jeder wahre Jünger im Reich, angefangen vom Pfingsttag bis zur Entrückung (1. Thes 4) ist in dem Leib Christi, der die Kirche ist.

Wie hoch die himmlische Berufung und Stellung der Kirche auch ist, von der wir durch den Dienst des Paulus Kenntnis haben dürfen, bleibt es doch eine Tatsache, dass die Versammlung derjenigen, die zum Namen Christi hin zusammenkommen, ob vor oder nach dem Dienst von Paulus, die Gruppe ist, in der die moralischen und geistlichen Kennzeichen sowie die heiligen Grundsätze des Reiches zum Ausdruck kommen sollen, die der König selbst vorgestellt hat. Daran müssen wir festhalten, egal wie hoch und vertraut die Beziehungen auch sind, die wir durch die Belehrungen über die Versammlung betrachten dürfen. Die praktischen Lektionen der Briefe unterstreichen das und ist im Einklang mit dem, was der Herr selbst in Bezug auf den Charakter und das Verhalten der Jünger im Reich gesagt hat. Es ist möglich, dass dem zu wenig Beachtung geschenkt worden ist, weil es unmittelbar mit dem praktischen Christenleben in Verbindung steht, während die kostbare Wahrheit des Leibes mit Christus als dem Haupt im Himmel vollkommen festgehalten wird. Gerade wir sollten uns deshalb als gute Bürger des Reiches der Himmel darstellen, weil unser Bürgertum in den Himmeln ist (Phil 3,20). Und obwohl der Ausdruck „das Reich der Himmel“ in Bezug auf die Zeit mehr mit den Haushaltungen verbunden werden kann, im Gegensatz zu dem oft synonym benutzten Ausdruck „Reich Gottes“, der eine mehr moralische und geistliche Bedeutung enthält, müssen wir doch festhalten, dass sie nicht grundsätzlich verschieden sind.

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen sehen wir, dass sich bestimmte Teile der Belehrungen unseres Herrn vor allem mit Israel, bzw. den Nationen oder auch der Zeit nach der Entrückung der Kirche, wenn sich ein jüdischer Überrest gebildet haben wird, beschäftigen, während sich andere Teile mit der Kirche auseinandersetzen[1]. Dennoch gibt es überall Züge, die sich in moralischer und geistlicher Hinsicht auf den Weg des Gläubigen heute beziehen. Ein besonders schönes Beispiel dafür können wir in den Seligpreisungen entdecken.

Nehmen wir als Beispiel die fünfte Seligpreisung: „Glückselig die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit zuteilwerden“. Gott ist reich an Barmherzigkeit und diejenigen, die seine Kinder geworden sind, sollen seine Nachahmer sein (Eph 2,4; 5,1). Es kommen große Zweifel auf, wenn wir einen Mann betrachten, der unversöhnlich, unbarmherzig und nachtragend ist und anderen, denen ein Fehler unterlaufen ist, hart nachsetzt und es ablehnte, eine barmherzige und vergebungsbereite Haltung gegenüber denen zu zeigen, die ihn verletzt haben oder sich anderweitig schuldig gemacht haben. Es stellt sich in einem solchen Fall die Frage, ob das Herz dieser durch die Sünde verhärteten Seele jemals durch den segensreichen Einfluss der göttlichen Barmherzigkeit weich geworden ist, indem seiner eigenen großen Not als Gott- und Kraftloser begegnet wurde, egal, wie laut das Bekenntnis seiner Lippen auch sein mag. Es sind die Früchte, an denen wir einen echten, wahren Gläubigen erkennen können. Darin stimmen Paulus und Jakobus überein. Von jedem Gläubigen darf Barmherzigkeit erwartet werden, weil die Kenntnis darüber, auf welche Weise sich der Reichtum der Barmherzigkeit Gottes uns gegenüber gezeigt hat, damit in völliger Übereinstimmung ist. Wenn sie barmherzig sind, verherrlichen sie ihren Vater im Himmel und empfangen selbst Barmherzigkeit entsprechend seiner vollkommenen Liebe und seinem großen Interesse. Auf der anderen Seite sollte das Verhalten der Gläubigen besonders in der heutigen Zeit durch gegenseitige Barmherzigkeit gekennzeichnet sein. Wird keine Barmherzigkeit ausgeübt, handelt es sich um einen Mangel an Gerechtigkeit in der Hinsicht, dass unsere Handlungen in Übereinstimmung mit dem Platz, zu dem wir gebracht worden sind, und der Art und Weise, wie wir zu dieser Stellung gelangt sind, sein sollten (vgl. Mt 18,21–35). Lukas 6,36: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“. Kolosser 3,12: „Zieht nun an, als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Sanftmut, Langmut“.

Selbst wenn der Bezug offensichtlich auf dem Tausendjährigen Reich liegt, bleibt diese Wahrheit bestehen, so wie in unserem Beispiel in Matthäus 5,5, denn ist die Erde etwa kein Bestandteil seines Erbes und sind nicht die, welche glauben, Glieder Christi und somit seine Miterben? Gilt solch eine Aufforderung nicht auch für die Sanftmütigen, die in der heutigen Zeit keinen Anspruch auf ihr Erbe hier erheben, sondern auf die Stunde warten, in welcher der Sohn des Menschen das Erbteil als dem Erben aller Dinge in Besitz nehmen wird (Ps 8; Heb 2)? Ganz sicher dürfen wir davon ausgehen, obwohl ihre Bestimmung als der Leib und die Braut himmlisch ist.

Ich hoffe, dass diese Bemerkungen helfen, den großen Rahmen des Ausdrucks „das Reich der Himmel“ zu zeigen ebenso wie die Gedanken Gottes in Bezug auf die Ankündigung Johannes des Täufers und des Herrn, dass das Reich nahe gekommen war. Wir können es kaum auf ein Angebot an die Juden jener Zeit reduzieren, selbst wenn wir die erste Ankündigung betrachten, das Königreich in Macht und Herrlichkeit entsprechend den alttestamentlichen Verheißungen aufzurichten. Diese Form des Reiches war damals ganz bestimmt nicht nahe gekommen, weil das Alte Testament selbst, wie wir wohl wissen, Zeugnis von einer notwendigen zeitlichen Einschaltung von unbekannter Dauer gab, die der Herr in seinen Ausführungen über das Reich ebenfalls klarmacht. Wenn wir uns diese Punkte vor Augen halten, ist es einfach unangebracht, die erwähnte Ankündigung des Reiches als ein Angebot Gottes aufzufassen, wenn er doch ständig wusste, dass weder die Zeit noch die Errichtung dieses Reiches nahe gekommen war. Vorherrschende Missdeutungen und mehr oder weniger fleischliche Sichtweisen können zu Missverständnissen sowie einer getrübten Einsicht führen, die der Grund für viele Enttäuschungen gewesen sind. Ein Beispiel dafür könnte Johannes sein, als er im Gefängnis saß (vgl. Mt 11,2–6). Ganz sicher können wir bei den beiden Jüngern sein, die auf dem Weg nach Emmaus waren, weil von ihnen gesagt wird, dass sie unverständig und trägen Herzens waren, an alles zu glauben, was die Propheten geredet hatten (Lk 24,25). Die Betonung sollte durchgehend auf die Vorstellung der Person liegen, die gekommen war und mit der die Wirklichkeit aller Aspekte des Reiches unmittelbar verbunden ist, mit anderen Worten: der Segen und die Herrlichkeit Gottes. Der Nachdruck liegt also weniger auf dem Angebot einer bestimmten Form des Königreichs. Indem Gott seinen eigenen Sohn einführte, den wahren König, durch dessen Hand das Reich in Übereinstimmung mit seiner eigenen Ordnung und Absicht aufgerichtet werden würde, testete er den wahren Zustand des Menschen und kam zu einem schlüssigen und überzeugenden Ergebnis. Auf der anderen Seite wirkte er, der Fülle der Zeit Rechnung tragend, auf die Erfüllung seines Willens hin im Hinblick auf all seine Ratschlüsse der Gnade und Herrlichkeit, die mit der Erde und dem Himmel in Verbindung stehen.

Das Reich Gottes 

Dieser Ausdruck wird an einigen Stellen als Synonym für das „Reich der Himmel“ benutzt, ist jedoch etwas allgemeiner. Er bezieht sich nicht nur auf die Haushaltungen, sondern bezieht auch moralische und geistliche Aspekte mit ein: „Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Röm 14,17). Das Reich der Himmel ist das Reich Gottes in seinen dispensationalen Beziehungen seit der Vorstellung des Königs. Diese Beziehungen werden ihr Ende zur angemessenen Zeit finden, wogegen das Reich Gottes ewig ist, alle dispensationalen Änderungen überdauert und seine endgültige Offenbarung in dem neuen Himmel und der neuen Erde, in welchen Gerechtigkeit wohnt (2. Pet 3,13), finden wird.

Weil das Moralische und Geistliche mit dem Begriff „Reich Gottes“ verbunden wird, finden wir die Belehrungen darüber in den Briefen und den Beschreibungen über den Dienst in der Apostelgeschichte. Der Grund dafür liegt darin, dass Merkmale wie Gerechtigkeit, Friede und Freude den Dienst des Heiligen Geistes (besonders seit dem Pfingsttag) kennzeichnen. Damit liegt die Betonung auf den geistlichen Segnungen. Einmal in Bezug auf die Stellung vor und Beziehung zu Gott, andererseits im Hinblick auf die ewige Bestimmung derer, die das Evangelium Gottes über seinen Sohn glauben.

Wir sind vertraut mit der Wahrheit, dass die Gläubigen der gegenwärtigen Zeitepoche durch den Geist zur Versammlung, dem Leib Christi, hinzugefügt werden, wodurch sie einen besonderen Platz und Anteil erhalten, welche durch eine Nähe gekennzeichnet sind, die von keiner anderen Gruppe von Erlösten je gekannt worden ist. Soweit die echten, geistlichen Bestandteile des Reiches, die mit dem Heiligen Geist verbunden werden müssen, betrachtet werden, sind das Reich und die Versammlung gleichbedeutend. Während es für jemanden, der wirklich und wahrhaftig im Reich ist, heute unmöglich ist, ein Teil des Leibes Christi zu sein, bleibt es trotzdem wahr, dass das, was das Reich Gottes in seinem moralischen und geistlichen Charakter ist, nur durch diejenigen gekannt sein wird, die nach der Entrückung der Versammlung von dieser Erde glauben werden. Das wird in den noch zukünftigen Haushaltungen der errettete jüdische Überrest und die gläubige Volksmenge aus den Nationen sein, von denen die Prophetie spricht.

An dieser Stelle mag es gut sein, etwas mehr auf die heutige Form des Reiches Gottes einzugehen, weil Äußerungen gemacht worden sind, die behaupten, dass das Reich Gottes ausschließlich als zukünftig zu betrachten ist und dass es kein Reich Gottes auf der Erde in der heutigen Zeit gäbe, in anderen Worten, dass es heute überhaupt nicht existiert:

Die folgenden Stellen über das Reich können sich dagegen unmöglich ausschließlich auf die Zukunft beziehen: Apg 8,12; 14,22; 19,8; 20,25; 28,23.30.31; Kol 1,13; Off 1,9; Röm 14,17.

Wenn wir an das Reich Gottes in der Zukunft in Verbindung mit dieser Welt denken, dann taucht bei uns schnell der Gedanke an die Offenbarung der Macht und Herrlichkeit unseres Herrn als dem König auf, der über diese Erde regiert. Wir denken an ein wiederhergestelltes und errettetes Israel, das den ersten Platz unter den Nationen eingenommen hat, entsprechend dem reichen Zeugnis des prophetischen Wortes. Weiter wird es kein anderes Königreich geben, wie es auch jetzt der Fall ist, Satan wird gebunden sein und er wird mitsamt seinen Heerscharen aus den himmlischen Örtern geworfen werden, um seiner Herrschaft ein Ende zu setzen und den Einfluss dieser Fürstentümer und Gewalten, der Weltbeherrscher dieser Finsternis und geistlichen Mächten der Bosheit zu beenden (Eph 6,12). Unser Kampf ist gegen diese Mächte und Gewalten gerichtet. Es wird nur am Ende des tausendjährigen Reiches eine kurze Zeitspanne geben, in der Satan gelöst und eine letzte Handlung der Rebellion ausüben wird.

Es ist eine Tatsache, dass das Reich Gottes in dieser Weise heute nicht besteht. Die Schrift führt uns dahin anzunehmen, dass es momentan zwei Königreiche gibt. Das Reich, das im zukünftigen Zeitalter nicht existieren wird, zeigt heute seinen Einfluss. Ebenso ist die gegenwärtige Form des Reiches Gottes genau passend für diese Zeit. Beide tragen einen moralischen und geistlichen Charakter. Das Reich Satans ist Finsternis, das Reich Gottes ist, jetzt und für immer, Licht, weil Gott selbst Licht ist. In der heutigen Zeit gehen Menschen durch das Werk des Heiligen Geistes anhand des Wortes von dem ersten in das letzte über. So werden blinde Augen geöffnet, um zu sehen und die, welche sehen, gehen ins Reich Gottes ein. Sie bekehren sich „von der Finsternis zum Licht und von der Gewalt des Satans zu Gott, damit sie Vergebung der Sünden empfangen und ein Erbe unter denen, die durch den Glauben an mich geheiligt sind“ (Apg 26,18). Indem sie so von der „Macht der Finsternis“ befreit sind, werden sie „in das Reich des Sohnes seiner Liebe“ versetzt, „in dem wir die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden“ (Kol 1,13). Auf diese Weise werden wir zu dem „Anteil der Heiligen in dem Licht“ fähig gemacht. Solche waren einst Finsternis, sind aber jetzt Licht in dem Herrn geworden (Eph 5,8). Diejenigen, die durch den Vater zu dem Anteil der Heiligen in dem Licht fähig gemacht worden sind, sind bereits Heilige, geheiligt in Christus Jesus und beginnen nun, ihr Erbe als Ergebnis dieses gegenwärtigen, göttlichen Einsatzes, in Besitz zu nehmen. Deshalb haben sie sowohl ein gegenwärtiges als auch ein zukünftiges Erbteil in dem Reich Christi und Gottes (Eph 5,5; etc.).

Petrus spricht von einem reichlich dargereichten „Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus“, wenn die Dinge, welche er in den vorangehenden Versen vorstellt, beachtet werden (2. Pet 1,4–11). Das ist sowohl für die Gegenwart als auch für die Zukunft von Bedeutung. Für alle, die seinen Anweisungen Folge leisten, enthält die Zukunft im Hinblick auf das Reich das, was sie jetzt nur durch Hoffnung besitzen. Dennoch gibt es auch etwas, was sie bereits in dem gegenwärtigen Reich besitzen und was deshalb die heutige Existenz des Reiches beweist. Wir können diese Dinge in der Erstlingsfrucht des Geistes erkennen und erhalten davon in Römer 14,17 eine Zusammenfassung.

Die Worte Paulus an die Ältesten von Ephesus sind bedeutsam. Er macht dort Aussagen über die Buße zu Gott und den Glauben an den Herrn Jesus Christus und spricht von dem Dienst, den er durch den Herrn Jesus empfing, um das Evangelium der Gnade Gottes zu bezeugen. Er konnte versichern, dass er nicht zurückgehalten hatte, den ganzen Ratschluss Gottes zu verkündigen. Er hatte es jedoch auch nicht versäumt, das Reich Gottes während seines Aufenthalts zu predigen (Apg 20,21–27). Wir sehen also, dass diese Dinge einen Bezug zum Reich haben, und es gewährt allen, die diesen Dienst der Gnade annehmen, eine gegenwärtige Teilnahme an dem, was das Königreich wirklich ausmacht, wogegen die äußerlichen Umstände auf der Erde eher zu dem Eindruck führen können, dass sie „wie Schlachtschafe“ gerechnet werden (Röm 8,36) und um des Reiches willen heute Leiden zu erdulden haben. In diesem Zusammenhang müssen wir Offenbarung 1,9 verstehen, wo wir als Brüder und Mitgenossen „in der Drangsal und dem Königtum und dem Ausharren in Jesus“ gesehen werden.

Als Paulus in die Synagoge ging und sich mit ihnen „unterredete und sie von den Dingen des Reiches Gottes überzeugte“ (Apg 19,8), ist es unwahrscheinlich, dass es ausschließlich um zukünftige Dinge ging, die damals noch nicht bestanden, weil unmittelbar danach erwähnt wird, dass einige nicht glaubten und von „dem Weg“ schlecht redeten. Unter diesem Weg ist sicherlich der Weg des gegenwärtigen Glaubens an Christus und den damit verbundenen Segnungen gemeint. Wenn wir zu Apostelgeschichte 28 gehen, wird das durch die Worte Paulus vollständig bestätigt. Nachdem sich die Juden in seiner Herberge zusammengefunden hatten, bezeugte er das Reich Gottes und suchte sie von Jesus zu überzeugen, „sowohl aus dem Gesetz Moses als auch den Propheten“. Es ist ziemlich einleuchtend, dass das das Heil Gottes umfasste, an dem die Nationen partizipieren. Im Verlauf der folgenden zwei Jahre nimmt Paulus alle auf, die zu ihm kommen und predigt das Reich Gottes und lehrt „mit aller Freimütigkeit ungehindert die Dinge, die den Herrn Jesus Christus betreffen“ (Apg 28,23.28.30–31).

An einer anderen Stelle spricht der Apostel von seinen „Mitarbeitern am Reich Gottes“ (Kol 4,11). In Galater 5,19–21 zählt er die Werke derer auf, „die das Reich Gottes nicht erben werden“. Sie sind nicht geeignet Teilhaber „am Erbe der Heiligen in dem Licht“ zu sein. Unmittelbar danach spricht er von der Frucht des Geistes. Es gibt solche, in denen diese Frucht gebildet wird. Entsprechend erben sie bereits heute das Reich, weil sie durch den Geist leben und im Geist wandeln. Das kann nicht von der Gerechtigkeit, dem Frieden und der Freude im Heiligen Geist, kurz dem Reich Gottes, getrennt werden. Wenn sich das Reich in Macht und Herrlichkeit auf der Erde manifestieren wird, wird dieser Grundsatz weiter bestehen bleiben. Die Gläubigen, die diese Herrlichkeit jedoch noch nicht erleben, bilden die Frucht des Geistes, freuen sich an der Erstlingsfrucht des Geistes (Röm 8,23) und sind Teilhaber der moralischen und geistlichen Kennzeichen, die zu dem Reich Gottes jetzt in der gegenwärtigen Drangsal und in der zukünftigen Herrlichkeit, gehören. Beide Aspekte dieser Wahrheit haben ihren Platz. Setzen wir einen beiseite, erleiden wir einen geistlichen Verlust.

[Übersetzt von Stephan Keune]