Die Angst vor Veränderungen, die mit Besorgnis im Blick auf die Zukunft einhergeht, ist für viele Gläubige ein großes Hindernis. Wir begannen unsere Laufbahn als Christen, indem wir der Sündenfrage gegenüber standen, und dafür im Evangelium eine von Gott gegebene Lösung fanden. Danach kam die Frage nach dem Selbst, und vielleicht haben wir auch darauf eine Antwort gefunden, so dass wir schon in gewissem Maße den Sieg über die Sünde kennen gelernt haben. Und doch bleibt die Frage der Umstände, und viele von uns sehen darin die größte Schwierigkeit.

Das Jahr 1915 [oder welches auch immer] liegt hinter uns. Es war geprägt von größeren und weiter reichenden Veränderungen, als irgendein Jahr, das diese Generation erlebt hat. Das Jahr 1916 bricht an und die Aussichten sind trübe. Noch zahlreichere und tiefere Veränderungen deuten sich an. Wie sollen wir ihnen begegnen? Wir wollen uns erinnern, dass Gott uns mit diesen Veränderungen durch eine Schule gehen lassen will, deren Nutzen uns eine Ewigkeit lang begleiten wird.

Veränderungen waren schon immer ein wesentlicher Teil der Schule Gottes. Die Biografien der Bibel geben davon ein klares Zeugnis, doch vielleicht keine von ihnen so bemerkenswert wie die von Daniel. Lasst uns seine Geschichte kurz betrachten.

Er begann sein Leben auf einer Höhe. Er war „sowohl von dem königlichen Samen als auch von den Vornehmen, … an welchen keinerlei Fehl wäre, und schön von Ansehen und unterwiesen in aller Weisheit und kenntnisreich und mit Einsicht begabt“ (Dan 1,3). Kurz gesagt, war er von königlicher Abstammung und sowohl körperlich als auch geistig für seine hohe Stellung geeignet.

Doch schon früh in seinem Leben traf ihn ein Schlag, der ihn in die Tiefe führte. Jerusalem unterlag der militärischen Macht Babylons. Zedekia, der letzte König, das Haupt des Hauses Davids, wurde entthront und Daniel wurde zwar vor dem allgemeinen Gemetzel verschont, kam aber in fremdem Land in Gefangenschaft.

Murrte er? Sagte er sich: „Alles ist aus”, und gab sich einem Leben hin, das nach soviel Bequemlichkeit und Vergnügen verlangte, wie es unter diesen Umständen möglich war? Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Gerade dann nahm er sich in Gottesfurcht unwiderruflich in seinem Herzen vor, „sich nicht … zu verunreinigen”, auch nicht durch die kleinste Verbindung mit dem Götzendienst, womit eben jene Atmosphäre von Babylon durchsetzt war, kostete es, was es wollte. Moralisch und geistlich war er in der Tiefe größer als auf der Höhe.

Doch genau jener Fortschritt, den er während dieser widrigen Zeit gemacht hatte, bahnte den Weg für eine weitere Veränderung. Durch seine tiefgehende Heiligung für Gott und Absonderung von dem Bösen erlangte er ein beachtliches Maß an Kraft Gottes im Gebet, und schon bald kam eine Gelegenheit, die dies unter Beweis stellte. Als der Tyrann Nebukadnezar einen bedeutsamen Traum hatte, ihn dann aber vergaß und dann allen weisen Männer von Babel mit dem Tod drohte, weil sie unfähig waren, sowohl den Traum wiederzugeben, als auch ihn zu deuten, bedrängten Daniel und seine Freunde den Himmel im Gebet, bis dem Daniel die Sache offenbart wurde und er in der Lage war, die Forderungen des zornigen Königs so gründlich zu befriedigen, dass dieser nicht nur vor ihm niederfiel um ihn anzubeten, sondern auch die überragende Herrlichkeit seines Gottes bekannte und Daniel groß machte und ihm viele große Geschenke gab und ihn als Herrscher über die ganze Landschaft Babel und zum Obervorsteher über alle Weisen von Babel einsetzte.

So gelangte Daniel mit einem Satz erneut auf die Höhe der Welt. Diese plötzliche Welle des Erfolgs hat ihn nicht verdorben. Das macht das vierte Kapitel sehr deutlich. Nur ein Mann, der mit Gott wandelte, konnte in der Lage sein, einem König, von dem gesagt wurde: „Wen er wollte tötete er, und wen er wollte ließ er leben; und wen er wollte erhob er, und wen er wollte erniedrigte er“, eine Katastrophe vorherzusagen und ihn sogar zu tadeln. Es ist also klar, dass Daniel, der zu diesem Zeitpunkt zu den „Erhobenen“ gehörte, keine Angst davor hatte, „erniedrigt“ zu werden. Es liegt auch nahe, dass keiner fähig gewesen wäre, wie Daniel, Gerechtigkeit und Gnade anzuraten, außer einem, der diese Eigenschaften selbst auslebte.

Schon bald kam die nächste Veränderung. Es wird uns nicht berichtet, wie sie kam, sondern nur dass sie kam (Dan 5,11–13). Offensichtlich verschwand Daniel über viele Jahre von der Bildfläche. Vielleicht geriet er nach dem Tod Nebukadnezars, der ihn schätzte, in Vergessenheit. Wie dem auch sei, in den Tagen Belsazars lebte er völlig im Verborgenen. In jener Schicksalsnacht bei dem Fest Belsazars erinnerte sich die Königinmutter an ihn und seine von Gott gegebenen Fähigkeiten, doch die Worte, mit denen sie ihn beschreibt, beweisen, dass er dem König und seinen tausend Gewaltigen völlig unbekannt war.

Was für ein gewaltiges Kompliment für Daniel! Er hatte an dem ausschweifenden Lasterleben des verdorbenen Hofes Belsazars nicht teilgenommen. Wir sehen hier – Hochachtung, Daniel! – den gleichen Mann, wie in Daniel 1, entschieden getrennt vom Bösen. Und noch mehr: gerade in den letzten Jahren dieser dunklen Periode empfing er die ersten zwei jender wunderbaren Visionen, die ihm gewährt wurden. Sie sind in Daniel 7 und 8 aufgezeichnet. In dieser Zeit, die er in der Tiefe war, war er offensichtlich in enger Gemeinschaft mit dem Himmel.

In jener letzten Schreckensnacht blitzte Daniel wie ein Meteorit über den chaldäischen Himmel. Trotz des furchtbaren Inhalts seiner Botschaft und trotz seiner geringschätzigen Ablehnung der Geschenke Belsazars, wurde er mit Purpur und mit einer goldenen Kette bekleidet und als dritter Herrscher im Königreich ausgerufen. Er war erneut ganz oben.

Dies sollte jedoch, wie er selbst am besten wusste, nur ein paar Stunden währen. In dieser Nacht fiel Babel vor dem Heer Darius, Belsazar wurde getötet, und das chaldäische Imperium war nicht mehr. Als neu ernanntes Mitglied der chaldäischen Regierung fiel auch Daniel und verschwand damit erneut von der Bildfläche.

Zum dritten Mal wurde die Zeit der Niedrigkeit in der Welt eine Zeit großen Nutzens. Die ersten zwei Verse von Daniel 9 zeigen uns, dass Daniel diese erneute Zurückgezogenheit zum Studium der Schriften nutzte. Als er das Buch Jeremia aufmerksam las, kam er zu der Weissagung in Jeremia 29,10, dass die Trübsal Jerusalems auf siebzig Jahre begrenzt sei. Die Entdeckung dieser unverhofften Gnade brachte ihn auf die Knie und in schmerzliches Bekenntnis und Gebet. War nicht das Gericht über die Macht, die Jerusalem überwältigt hatte, der Anbruch der Hoffnung? War nicht die Zeit des Weinens fast zu Ende? In seinem Gebet schwingen Hoffnung und Buße mit, und nur ein wirklich kaltes Herz kann es ohne innere Bewegung lesen.

Sein Gebet war das eines Gerechten, inbrünstig und wirkungsvoll, und wurde unmittelbar beantwortet. Noch bevor er richtig geendet hatte, erreichten ihn neue Offenbarungen, und so bekam Israel durch ihn die Weissagung über die „siebzig Wochen“, den Zeitplan ihrer Bestimmung, auf dem auch der genaue Zeitpunkt des Todes ihres großen Messias, unseres anbetungswürdigen Heilands, genau markiert war.

Später finden wir Daniel noch einmal erhöht. Der Mann, der beständig in der Not mit Gott lebte, konnte nicht verborgen bleiben. Wir wissen nicht wie, aber irgendwie wurden Darius, dem neuen Herrscher, seine hervorragenden Fähigkeiten bekannt, und in Daniel 6 finden wir ihn auf dem aufsteigenden Ast, bis er als Haupt der drei Vorsteher über die Fürsten der Zweite nach dem König war.

In dieser hohen Stellung finden wir dasselbe furchtlose Vertrauen zu Gott, gepaart mit Gnade und Sanftmut und der Abwesenheit jeder Selbstdarstellung, für die er verdientermaßen berühmt ist. Es gibt keinen größeren Beweis der Stärke, als in Krisenzeiten genauso weiterzumachen wie vorher. Der Schwache richtet seine Fahne nach dem Wind und ändert seine Meinung je nach dem was gerade modern ist, oder er versucht seine Nichtübereinstimmung dadurch zu signalisieren, dass er radikal und extrem und grob wird. Daniel handelte einfach so „wie er vordem getan hatte.“

Wie dramatisch er dann in die Löwengrube hinab geworfen wurde, weiß jedes Sonntagschulkind, und wir müssen es nicht wiederholen. Am nächsten Morgen war er wieder oben, höher denn je, und das zur Herrlichkeit seines Gottes. Diese Zeit der Erhöhung dauerte bis weit in die Regierungszeit Kores, wahrscheinlich bis zum Ende seines Lebens.

Über diese Zeit des Gedeihens können zwei Dinge gesagt werden. Erstens durfte er die Erfüllung der Weissagung Jeremias und den Erlass zum Wiederaufbau des vielgeliebten Hauses Gottes erleben (vgl. Dan 6,29; Esra 1,1). Vielleicht hatte er in seiner hohen Stellung sogar Anteil daran, dass dies geschah. Zweitens war in dieser letzten Periode der Erhöhung in fortgeschrittenem Alter noch genauso in Gemeinschaft mit Gott wie eh und je. Im dritten Jahr Kores, zwei Jahre nach dem Erlass des Befehls, wurde ihm am Fluss Hiddekel die letzte Vision gegeben, und er wurde zweimal „vielgeliebter Mann“ genannt.

Diese Vision schloss, wie Daniel 12 berichtet, mit einer klaren Andeutung, dass er noch einmal in die Tiefe gehen musste, in eine Finsternis, die nach menschlichen Maßstäben dunkler war, als alles, was er bisher kannte. Dennoch, obwohl der Tod ihn lange vor der Ankunft der verheißenen Herrlichkeit von diesem Schauplatz wegnehmen würde – die endgültig letzte Tiefe würde also die Stille des Grabes sein –, wurde doch auch diese düstere Ankündigung mit dem goldenen Gedanken überzogen, dass diese Wartezeit eine Zeit der Ruhe sein würde, und mit dem noch weitaus schöneren Gedanken, dass er nicht fehlen würde, wenn die Herrlichkeit anbrechen und ihr Segen die Erde überfluten würde, denn er sollte „auferstehen zu seinem Lose am Ende der Tage“ (Dan 12,13). Diese Weissagung berechtigte ihn, seine alten Augen auf dieser Erde zu schließen mit einem Herz, das von dem Licht der Auferstehung erleuchtet ist.

In jenen Tagen der friedlichen und unveränderlichen Herrlichkeit des Messias wirst du, Daniel, du vielgeliebter Mann, auf dein wechselvolles Leben voller Höhen und Tiefen zurückblicken und sagen: „Solche Erfahrungen, wenn auch damals notvoll, waren der Mühe wert, denn sie haben mein Herz bis in Ewigkeit erfüllt mit einer Erkenntnis Gottes, die wie Gold siebenmal im Schmelztiegel gereinigt ist.“

Wenn wir das unbekannte Jahr 1916 [oder welches auch immer] mit allen seinen Höhen und Tiefen beginnen, lasst uns etwas von diesem Geist an den Tag legen.

[Übersetzt von Marco Leßmann]