Der Apostel Petrus erinnert die bekehrten Juden, zu denen er schrieb, dass sie nun in der Gnade Gottes stehen. Früher war ihre Beziehung zu Gott auf der Grundlage des Gesetzes gewesen, und auf dieser Grundlage standen sie ganz und gar nicht – sie fielen. Diese Bekehrten waren in die verschiedenen Provinzen Kleinasiens zerstreut, und obwohl Petrus der Apostel der Beschneidung war, waren sie von dem Apostel Paulus missioniert worden. Petrus erfüllte seinen Auftrag ihnen gegenüber mit Tinte und Feder und schrieb ihnen diesen Brief, worin er das Zeugnis, das sie durch den Mund des Paulus erreicht hatte, mit den Worten bekräftigte: „Dies ist die wahre Gnade Gottes, in der ihr steht“ (1. Pet 5,13).

Einige dieser Fremden, denen Petrus schrieb, waren in Galatien ansässig, und wenn wir zum Galaterbrief gehen, finden wir, dass die Galater durch das Evangelium aus dem Mund des Paulus von Gott „in der Gnade Christi berufen“ worden waren (Gal 1,6). Wie die Gläubigen in Rom waren sie durch Glauben gerechtfertigt worden und hatten nun durch Glauben auch Zugang „zu dieser Gnade (o. Gunst), in der wir stehen“ (Röm 5,1). Es ist schon allein eine höchst wunderbare Sache, dass wir in der Gunst Gottes stehen. Es ist eine noch wunderbarere Sache, dass die Gunst, in der wir stehen, die Gunst Christi ist. Wir sind angenehm gemacht in dem Geliebten.

Alles das wird von Petrus bestätigt. Ihr seht, dass er sagt: „Ich habe euch mit wenigem geschrieben, euch ermahnend“,  – und ihr könnt selbst nachsehen, wie viele Ermahnungen der letzte Teil des Briefes enthält – „und bezeugend, dass dies die wahre Gnade Gottes ist, in welcher ihr steht.“ Sein Zeugnis hinsichtlich der Gnade findet sich in dem ersten Teil des Briefes. Wir wollen uns einige Details ansehen, die uns dort vorgestellt werden.

Zuerst wird die auserwählende Barmherzigkeit Gottes erwähnt (1. Pet 1,2), gefolgt von Seiner überströmenden Barmherzigkeit, die „uns wiedergezeugt hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten, zu einem unverweslichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbteil.“ Die Juden hatten ein Erbteil gehabt, das sehr bald verdorben war. Sie hatten Hoffnungen gehabt, aber es kam der Zeitpunkt, an dem alle Hoffnungen starben. Welche herrlichen Hoffnungen brannten in den Herzen der Jünger, als sie ihren Meister bei Seinem triumphalen Einzug in Jerusalem begleiteten. Es sah wirklich so aus, als würde Ihm die ganze Welt folgen. Sicher war jetzt der Moment gekommen, wo Er sich Geltung verschaffen würde, das römische Imperium zerschlagen und Seinen herrlichen Thron errichten würde. Dann kam die dramatische Wende, das Umschlagen der öffentlichen Stimmung. Sein Stern sank und augenscheinlich fiel Er zum Opfer, zermalmt von den beiden Mühlsteinen der religiösen Maschinerie des Judentums und der zivilen und militärischen Macht Roms. In den Herzen der Jünger starb die Hoffnung. 

Das wird uns in Lukas 24 vor Augen gemalt. Kannst du dir die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus vorstellen? Ich male mir aus, wie sie so völlig niedergeschlagen und hoffnungslos ermüdet langsam nach Hause wankten, fast unfähig geradeaus zu gehen. Dann gesellt sich Jesus zu ihnen und ihre Schritte werden lebendiger, und schließlich erreichen sie ihr kleines Heim hinter den Hügeln. Dann tritt Jesus ein und offenbart sich selbst als Auferstandener aus den Toten. Auf der Stelle waren sie wie neugeboren. Eine lebendige Hoffnung, so unsterblich wie der auferstandene Christus nahm von ihren Herzen Besitz, und mit neuem Schwung machten sie sich auf den Weg zurück nach Jerusalem, wobei ihnen die sechzig Stadien wie ein Katzensprung vorkamen. Als sie in jener Nacht in den Obersaal zu ihren Mitjüngern hereinplatzten, mögen sie wohl freudig ausgerufen haben: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der nach seiner großen Barmherzigkeit uns wiedergezeugt hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten.“

Die Barmherzigkeit, die uns auserwählt hat und die Barmherzigkeit, die uns zu einem solchen Erbteil berufen hat, bringen die Gnade Gottes, des Vaters, vor uns. Die Vers 18 bis 20 des Kapitels bringen die Gnade Gottes, des Sohnes, vor uns. Zu Seiner Zeit wurde Er um unsertwillen als das Lamm Gottes offenbart und vergoss Sein teures Blut zu unserer Erlösung. Unsere Erlösung ist die Frucht Seines Werkes für uns. Beachtet, dass die letzten Worte von Vers 20 lauten: „um euretwillen.“

Das Ende des Kapitels bringt die Gnade vor uns, die uns in Verbindung mit dem Geist Gottes verliehen ist. Durch den Geist sind unsere Seelen gereinigt worden, indem wir wiedergeboren sind durch das lebendige und bleibende Wort Gottes. Die neue Geburt ist das Werk, das in uns und nicht für uns gewirkt wurde, wobei der Geist der Wirkende ist und das Wort Gottes das Wirkungsmittel, das Er benutzt; doch alles das ist die Frucht der Gnade Gottes.

Der erste Teil von 1. Petrus 2 zeigt, dass wir, die wir früher „nicht ein Volk“ waren, jetzt Barmherzigkeit erlangt haben, und diese Barmherzigkeit hat aus uns eine heilige und königliche Priesterschaft gemacht. So ist die Gnade, in der wir stehen.

Und in dieser Gnade stehen wir. Wir sind dort durch einen Akt Gottes. Er hat uns unwiderruflich und für immer in diese Gnade gestellt, denn das was Er tut, tut Er für immer. Daher gibt es in dieser Hinsicht kein Fallen aus der Gnade. 

Doch Paulus musste die Galater rügen, weil sie nicht in der Gnade Christi fortgefahren waren; sie werden ermahnt, in der Freiheit festzustehen, für die Christus uns freigemacht hat; und ihnen wird klargemacht, dass sie aus der Gnade gefallen wären, wenn sie den Weg weiter verfolgten, den sie eingeschlagen hatten. Wenn sie auch von Gott fest an dem Platz gehalten wurden, wohin Er sie gesetzt hatte, konnten sie doch in ihren eigenen Gedanken und ihrem inneren Bewusstsein aus diesem Platz herausfallen.

Um zu veranschaulichen, was ich meine, nehmen wir das Gleichnis von dem verlorenen Sohn. Als er mit gebrochenem Herzen und bußfertig zu seinem Vater kam, wurde er mit der ganzen Fülle der Gnade empfangen. Er verdiente gar nichts und wurde doch willkommen geheißen, bekleidet, beschuht und nicht nur wie ein Sohn behandelt, sondern als geehrter Gast mit dem gemästeten Kalb gefeiert. In eine solche Gnade wurde er gestellt. Doch stellt euch vor, ihm wäre am nächsten Morgen plötzlich der Gedanke gekommen, dass er, obwohl er derartig willkommen geheißen worden war, sich doch jetzt an die Arbeit begeben müsste, wenn er in der Gunst seines Vaters bleiben wollte, dem er damit zeigte, dass er es auch verdient hatte. Er wäre wahrscheinlich in die Küche hinabgegangen, um den Pflichten eines Tagelöhners nachzukommen. Und was für ein armer Tagelöhner wäre er, als ein junger Mann, der sein früheres Leben damit verbracht hatte, Geld durch ein ausschweifendes Leben zu vergeuden oder sich um eine Herde dreckiger Schweine zu kümmern.

Aber wie würde sich der Vater in dieser Situation verhalten? Er würde seinen Sohn aus den Bereichen der Bediensteten heraus rufen und  ihm sagen: „Mein Junge, welche unwürdigen Gedanken du auch über mich hegen magst, die dazu führen, dass du, was deine Einschätzung der Dinge angeht, aus der Gnade fällst, in die ich dich gestellt habe, ich werde meine Gedanken nicht ändern. Nicht dein Verständnis der Dinge, sondern mein Verständnis der Dinge ist entscheidend. Ich werde meine hohen Gedanken der Gnade nicht den armseligen niederen Gedanken deines gesetzlichen Geistes anpassen oder angleichen. Komm aus der Küche heraus und nimm den Platz ein, der dir als Sohn in meinem Haus zusteht.“

In der wahren Gnade Gottes stehen wir unabhängig von unserem geistlichen Zustand. Vielleicht erkennen manche von uns das nicht. Wir sind vielleicht schon in die Falle getappt, zu denken, dass das, was Gott ist und für uns tut, davon bestimmt wird, was wir in uns sind oder für Gott getan haben. Das ist ein großer Fehler. Es ist natürlich das Grundprinzip des Gesetzes, dass der Mensch zu gehorchen hat, und dass das, was Gott für ihn tut von seinem Gehorsam abhängig ist. Aber die Gnade wirkt genau umgekehrt. Gott handelt zu unseren Gunsten und daraus ergibt sich, was wir für Ihn sind oder tun. Gott ist, was Er ist, egal, wie wir sind. Lasst uns das festhalten!

Dieses festzuhalten ist unsere größtmögliche Hilfe, denn nichts ist leichter für uns, als in unseren Gedanken davon abzuweichen. Als solche, die wir an Jesus glauben, stehen wir vor Gott in Seiner Annehmlichkeit, unabhängig von unseren Gedanken und Empfindungen. Ein bekannter Diener Christi zitierte einmal die Worte einer christlichen Dichterin: „Wer Ihm völlig traut, erlebt Ihn völlig treu“, und fügte hinzu: „Das ist wunderbar, oder? Doch ich kenne etwas, was noch viel wunderbarer ist als das.“ Er machte eine Pause als die Zuhörer sich aufrichteten und ihn erstaunt ansahen. Dann fuhr er leise fort: „Ich kenne etwas viel wunderbareres als das, nämlich dass die, die Ihm nicht völlig vertrauen, Ihn auch völlig treu erleben.“ 

Ist das ein Plädoyer für einen kleinen und mangelhaften Glauben? Auf keinen Fall; vielmehr wird die Erkenntnis der vollen und unveränderlichen Gnade Gottes unseren Glauben vermehren. Es ist ein Plädoyer für die Fülle der Gnade Gottes. Der Gott aller Gnade hat uns zu Seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesu berufen, und wir stehen in dieser wahren Gnade Gottes, während wir die Erscheinung der Herrlichkeit erwarten. Es ist das Festhalten an genau diesen Dingen, das uns in unseren Seelen vollkommen machen, befestigen, kräftigen und gründen wird, zur Verherrlichung Gottes.

[Übersetzung: Marco Leßmann]