Von all den vielen Vorschriften, die die Seiten des Alten Testamentes füllen, ist keine bedeutender als die letzte – Maleachi 3,22.

Als Maleachi weissagte, lag die Gesetzgebung am Horeb schon viele Jahrhunderte zurück, und das Volk, dem das Gesetz gegeben worden war, hatte schon viele wechselhafte und katastrophale Umstände gesehen. So sehr war das der Fall, dass sicher viele zu der Überlegung neigten, die Gesetzgebung für ein Volk in Wüstenumständen könnte doch kaum in allen Punkten für solche bindend sein, die in ihrem eigenen Land ansässig waren, oder für die später in Assyrien und Babel Zerstreuten oder für den schwachen Überrest, der später noch einmal im Land der Verheißung wohnen durfte. Die wesentlichen Vorschriften mochten noch gelten, aber kaum alle ergänzenden Verordnungen. So mögen sie gedacht haben.

In Kenntnis dieser Neigung wurde diese abschließende Vorschrift gegeben. Der Überrest im Land wurde daran erinnert, dass das Gesetz „ganz Israel“ gegeben worden war, und deshalb galt es auch für sie. Darüber hinaus bestanden nach wie vor alle „Satzungen und Rechte“, die den Hauptgeboten beigefügt waren, vollständig, unwiderrufen und unverändert. Veränderungen in menschlichen Umständen erfordern keine Veränderung der göttlichen Anordnungen.

Es ist nicht schwierig zu erkennen, dass das so sein muss. Das durch Mose gegebene Gesetz behandelte fundamental Böses und Unordnungen, die die Menschen und ihre Herzen und Weg infolge der Sünde kennzeichnen. Eine Veränderung der Umstände mag kleine Wellen an der Oberfläche des dunklen Sündenstroms verursachen, aber sie ändert weder die Richtung noch erhellt sie die Dunkelheit des Stroms. In Seinem heiligen Gesetz mit seinen Satzungen und Rechten hatte Gott grundlegende Dinge im Auge und nicht oberflächliche Veränderungen.

Etwas sehr ähnliches begegnet uns in den abschließenden Worten des Neuen Testaments. Sicher, es ist keine Verteidigung des ursprünglichen Gesetzes Moses, aber es ist eine sehr strenge und ernste Warnung vor jeder Verfälschung der „Worte der Weissagung dieses Buches“. In erster Linie betrifft die Warnung ohne Zweifel die Worte des Buches der Offenbarung, aber da sie ganz am Ende steht, glauben wir, dass sie daneben auch das ganze Neue Testament betrifft, wenn nicht sogar die ganze Bibel. Wir sollen nichts hinzufügen und nichts wegnehmen.

Im Licht dieser Dinge sind wir so kühn, zu behaupten, dass die Anweisungen für die Gläubigen unserer Haushaltung – für die Versammlung – ebenso unverändert fortbestehen, auch wenn ihre Geschichte als bekennender Leib auf der Erde ebenfalls von vielen wechselhaften und katastrophalen Umständen geprägt ist. Wir haben kein Recht, die Gebote und Anweisungen, die uns hinterlassen sind, zu missachten oder zu verändern.

Natürlich müssen wir heilsgeschichtliche Veränderungen berücksichtigen. Das Kommen Christi führte einen neuen Tag ein, denn Er war der „Aufgang aus der Höhe“ (Lk 1,78), der Licht in die Finsternis brachte. Und dann war das Kommen des Heiligen Geistes am Pfingsttag der Beginn einer neuen Haushaltung. In Seiner Abschiedsrede im Obersaal (Joh 13 – 16) sprach der Herr Jesus von neuen Dingen, die der Geist zustande bringen würde, und von den weiteren Offenbarungen, die die Jünger durch Ihn empfangen würden. Doch was damals offenbart wurde, behält auch für uns heute seine volle Autorität.

Wir stehen nicht auf einer gesetzlichen Grundlage vor Gott. Die Schrift ist da ganz klar: „Ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade“ (Röm 6,14). Die Gebote, die mit dem christlichen Glauben verbunden sind, wurden nicht gegeben, damit wir durch das Befolgen dieser Gebote Annahme bei Gott erlangen könnten. Aber Gebote gibt es nun einmal, und es ist bemerkenswert, wie viel über sie im Johannesevangelium, Kapitel 13 bis 16, und in den Briefen des Johannes gesprochen wird.

In Johannes 13 bis 16 finden wir die Abschiedsrede des Herrn an Seine Jünger. Er sprach von einem „neuen Gebot“, das Er ihnen gab, und von „meinen Geboten“ und auch von den „Geboten des Vaters“, die Ihm gegeben worden waren und die Er gehalten hatte. Ihr Gehorsam sollte den Seinen nachahmen. Er sprach auch von Seinen „Worten“, denn in vielen Dingen, die Er gesagt hatte, hatte Er ihnen Seine Gedanken und Seinen Willen mitgeteilt, wenn auch nicht in ausdrücklichen Geboten. Denen, die Ihn wirklich lieben, ist Sein Wille Befehl, egal in welcher Form er ausgedrückt ist.

Im ersten Johannesbrief finden wir den Ausdruck „Gebote” etwa ein Dutzend Mal erwähnt, und die letzte Erwähnung ist sehr bedeutsam: „Seine Gebote sind nicht schwer“ (1. Joh 5,3). Der Brief hatte sehr betont, dass der wahre Gläubige aus Gott geboren ist und daher eine Natur besitzt, die sich in Liebe und Gerechtigkeit äußert und deshalb die Dinge, die geboten werden, nicht als schwere Last empfindet, sondern sich daran erfreut.

Eine andere Tatsache ist noch unserer sorgfältigen Betrachtung wert. Als der Apostel Paulus seinen ersten Brief an die Gläubigen in Korinth schrieb und sie über viele Dinge belehrte, die sowohl im Privatleben vieler von ihnen, als auch in ihren Zusammenkünften sehr ungeordnet waren, forderte er sie auf zu erkennen und anzuerkennen, dass das, was er ihnen geschrieben hatte, „ein Gebot des Herrn“ war (1. Kor 14,37). Das bezog sich ohne Zweifel auf alle Belehrungen dieses Briefes, aber mit besonderem Nachdruck auf das, was er in Kapitel 14 geschrieben hatte.

Dieses Kapitel beschäftigt sich besonders mit der Ordnung, die die Gläubigen in Korinth beachten sollten, wenn sie als Versammlung Gottes in jener Stadt versammelt waren. Wenn sie den gegebenen Anweisungen Folge leisteten, würde alles „anständig und in Ordnung“ geschehen, wie der letzte Vers des Kapitels sagt. Und nicht nur das, sondern die Versammlung würde erbaut und Gott verherrlicht werden; und Letzteres in einer so machtvollen Weise, dass der Ungläubige, der hereinkommen würde, sehr beeindruckt würde und bekennen müsste, dass Gott wirklich unter ihnen ist.

Die Versammlung ist nach Epheser 2,29 eine „Behausung Gottes im Geist”, daher muss der Heilige Geist in den Versammlungen der Gläubigen das Sagen haben und so handeln, wie es Ihm gefällt. Er bringt alle Gaben hervor, die die Versammlung bereichern, wie Kapitel 12 sagt, und Er steuert deren Ausübung, wie es in Kapitel 14 beschrieben wird.

Wir wagen zu sagen, dass die Neigung heute dieselbe ist wie in den Tagen Maleachis. Viele Jahrhunderte sind seit der Abfassung der apostolischen Briefe vergangen, viele Fehler und Katastrophen haben sich in der Geschichte der Versammlung angehäuft. Gelten diese veralteten Belehrungen heute noch? Wir haben einerseits große Fortschritte in den Bereichen der Zivilisation und der wissenschaftlichen Entdeckungen gemacht und sind andererseits in einen sehr zerbrochenen und zerteilten Zustand der Christenheit gefallen. Müssen wir also die Dinge, die der Apostel niedergeschrieben hat, noch beobachten? Können wir die Dinge nicht so anpassen, dass sie mehr zum Geist unserer Zeit passen?

Die Antwort lautet eindeutig: Nein, das können wir nicht. Es ist eine bemerkenswerte Sache, dass Paulus in dem gleichen Brief inspiriert wurde, den Korinthern sein Urteil über bestimmte Fragen mitzuteilen, die sie ihm geschrieben hatten, wie zum Beispiel in 1. Korinther 7. In den Versen 6, 10, 25 und 40 unterscheidet er zwischen den Dingen, die der Herr ausdrücklich geboten hatte, und dem, was er als richtig und dem Herrn wohlgefällig ansah, auch wenn es kein bestimmtes Gebot gab. Nachdem er sein geistliches Urteil abgegeben hat, sagt er bezeichnenderweise: „Ich denke aber, dass auch ich Gottes Geist habe.“ Wenn dem so ist, glaube ich, dass keiner von uns das Urteil des Paulus leichtfertig beiseitetun möchte.

Aber der entscheidende Punkt ist, dass wir ausdrückliche Gebote haben. Doch wie oft werden die Gebote von Kapitel 14 beiseitegesetzt oder zumindest vergessen und ignoriert. Allzu viele behandeln sie als bloße Meinungen von Paulus, die man ungestraft missachten kann. Andere würden das Wort des Herrn nicht in diesem Maße herabwürdigen, doch stattdessen sagen sie, dass die Gebote zwar für die Zeit der Apostel angemessen sind, aber kaum für das zwanzigste Jahrhundert.

Und wenn irgendjemand zu uns sagt: „Ja, aber diese Gebote wurden einer bestimmten Versammlung – Korinth – gegeben und nicht in den Briefen an andere Versammlungen wiederholt“, dann müssen wir antworten, dass 1. Korinther 1,2 zeigt, dass alles in diesem Brief zwar in erster Linie an die Versammlung in Korinth gerichtet war, daneben aber auch an alle, „die an jedem Ort den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen, sowohl ihres als unseres Herrn“. Die Gebote galten ganz allgemein jedem wahren Gläubigen jener Tage, wo immer er sich auch befand. Und genauso allgemein gelten sie auch für jeden wahren Gläubigen heute.

Befolgen wir sie?

[Übersetzung: Marco Leßmann]