Die Ankündigung der Zerstörung Jerusalems

Mit Kapitel 4 beginnt der Dienst Hesekiels. Gott fordert ihn auf, verschiedene symbolische Handlungen durchzuführen, um seine Botschaft zu verdeutlichen und um Umstände vorzubilden, die das Volk Israel bald erfahren würden. Mit den Zeichen werden zwei Ziele verfolgt:

  • Für die im Exil lebenden Juden, die sich den Worten Gottes widersetzt hatten (Kap. 3,26–27), würden diese Zeichen dazu dienen, ihnen klarzumachen, wie wichtig die nachfolgende Botschaft sein musste, die jetzt an sie gerichtet wurde
  • Für den Propheten würden die Zeichen, die er unter teils großen Anstrengungen auf sich nehmen musste, ein Mittel sein, um sich mit seinem Volk zu demütigen und um mitzuleiden. Ein Knecht Gottes, der selbst einmal durch bestimmte Übungen gehen musste, ist viel besser geeignet, solche zu verstehen und zu ermuntern, die durch ähnliche Umstände gehen müssen.

Die Belagerung Jerusalems: 4,1–3

Das erste Zeichen kündigt die Endbelagerung Jerusalems an, die sich im Jahr 586 v. Chr. ereignen würde, um mit der völligen Zerstörung der Stadt zu Ende zu gehen. Gleichzeitig dürfen wir uns aber auch an Hesekiel 48,35 erinnern, wo Jerusalem die Vorhersagen über die herrliche Zukunft beschließt.

Die eiserne Pfanne in Vers 3 soll nun zwischen den Ziegelstein, der symbolisch für die Stadt Jerusalem steht (vgl. V.1), und den Propheten aufgestellt werden, um die Worte Jesajas zu bestätigen, der aussprechen musste: „Eure Ungerechtigkeiten haben eine Scheidung gemacht zwischen euch und eurem Gott“ (Jes 59,2).

Die Jahre der Ungerechtigkeit: 4,4–8

Bei dem zweiten Zeichen wird Hesekiel noch viel mehr beansprucht. Er muss sich für eine fest bestimmte Zeit hinlegen, um die Ungerechtigkeit seines Volkes zu tragen. Wir müssen uns hier daran erinnern, dass es sich hierbei um einen rein symbolischen Akt handelt, der die Ungerechtigkeit nicht tatsächlich tragen konnte. Dennoch können wir darin ein Vorbild des Opfers unseres Herrn sehen, der durch alle unsere Ungerechtigkeit getroffen wurde (Jes 53,6). Es werden an dieser Stelle zwei aufeinanderfolgende Zeitabschnitte genannt:

  • Der erste betrifft dabei das ganze Volk, das „Haus Israel“ (Hes 4,4). Gott würde einen Schlussstrich unter all die Jahre ziehen, in denen sein Volk seit dem Auszug aus Ägypten im Götzendienst und in der Entfremdung von ihm gelebt hatte. Die 390 Jahre der Ungerechtigkeit verlangten nach einer angemessenen richterlichen Zucht, die sich unter anderem in der Zerstörung Jerusalems im Jahre 586 v. Chr. ausdrücken würde.
  • Der zweite betrifft nur das jüdische Volk, das „Haus Juda“ (Hes 4,6). Die 40 Jahre der Ungerechtigkeit scheinen sich prophetisch auf die Zeit von 30 – 70 n. Chr. zu beziehen, bis zu dem Jahr also, in welchem die Römer Jerusalem völlig zerstörten [siehe Fußnote]. Diese Periode begann, als die Führer des Volkes anfingen, einen Grund zu suchen, um den Herrn Jesus, den verheißenen Messias, zu töten (Mk 3,6), was dann ungefähr im Jahre 32 in Jerusalem geschah. Die Mehrheit des Volkes bereute diese Tat nie und es dauerte ca. 40 Jahre, bis die Stadt geschliffen und das jüdische Volk über die ganze Erde zerstreut wurde.

Es wird im weiteren Verlauf des Buches klar werden, dass eine gewisse Übereinstimmung dieser beiden Zerstörungen Jerusalems im Jahr 586 v. Chr. und 70 n. Chr. gesehen werden kann.

Die unreine Nahrung: 4,9–17

Die dritte Handlung kündigt eine Hungersnot an, die sich im Zug der Belagerung Jerusalems ereignen sollte („der Stab des Brotes“ würde zerbrochen werden, vgl. Hes 4,16.17; 5,16; 14,13). Vor allem der Weizen diente dabei dem Lebensunterhalt. Durch das Fehlen des Weizens würden sie gezwungen werden, auch Zutaten von geringerer Qualität zu verwenden (V. 9). Die Tagesration von 20 Sekeln an Speise (ca. 200 Gramm), ergänzt um ein Sechstel Hin Wasser (vgl. Hes 4,10.11), stellt weit weniger dar, als man für eine Tagesreise im Nahen Osten einkalkuliert. Hesekiel fühlte sich schuldig, Brot zu essen, dass in einer für ihn unreinen Art und Weise zubereitet werden sollte (Hes 4,12). Ebenso erging es den im Exil lebenden Juden in Babylon und würde es all denen ergehen, die ab dem Jahre 70 gezwungen werden würden, Speisen zu essen, die gegen ihre rituellen Gesetze verstießen (Hos 9,3.4). Als frommer Jude (Hes 4,14) lehnt es der Prophet ab, sich auf diese Weise zu ernähren (vgl. Apg 10,14), obwohl es sich um ein göttliches Gebot handelt, weil es gegen alles verstößt, was in der Vergangenheit vorgeschrieben worden war. Der Herr erlaubt ihm an dieser Stelle, die Zubereitung des Essens zu ändern (V. 15). Es berührt uns, wenn wir sehen, wie Gott unser Gewissen achtet und er weiß, dass wir manchmal Zeit brauchen, um unsere Sichtweisen über bestimmte Dinge zu ändern. Diese göttliche „Feinfühligkeit“ darf uns ein Beispiel für den Umgang mit unseren Mitgeschwistern sein (Röm 14,1–23; 15,1–7).


[Fußnote 1] Es sind unterschiedlichste Erklärungen aufgetaucht, um die beiden Perioden der 390, bzw. 40 Jahre zu erklären, doch erscheinen sie weniger überzeugend zu sein. Im Folgenden ein paar Beispiele:

a)      Die 390 und 40 Jahre erinnern zusammen an den 430 jährigen Aufenthalt in Ägypten (2. Mose 12,40–41). Ein Einwand hierauf ist, dass sich die 430 Jahre dort zusammen auf das ganze Volk beziehen, wohingegen Hesekiel eine Unterscheidung zwischen „Israel“ (390 Jahre) und „Juda“ (40 Jahre) trifft.

b)      Die 390 Jahre entsprechend einer Zeitperiode, die mit der Teilung nach dem Tod Salomos begann und bis zur Zerstörung Jerusalems gehen, während die 40 Jahre auf die Regierungszeit Salomos Bezug nehmen. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Zeitabschnitt zwischen dem Tod Salomos bis zur Zerstörung Jerusalems tatsächlich viel kürzer als 390 Jahre ist (von 931 v. Chr. bis 586 v. Chr., d. h. also 345 Jahre). Außerdem stellte der größte Teil der Herrschaft Salomos eine Segensperiode dar. Lediglich sein Ende war durch den Götzendienst des Königs gekennzeichnet.

c)       Die 390 Jahre entsprechen 10x39 Jahre und sind damit eine Anspielung auf die Strafe von 40 Schlägen weniger einen (vgl. 2. Kor 11,22) der 10 Stämme. 1x40 Schläge sprechen dagegen von einer ungeminderten Strafe für den Stamm Juda (5. Mose 25,3), der aufgrund seiner königlichen und messianischen Stellung eine größere Verantwortung trägt als alle anderen. Das Problem dieser Sichtweise liegt darin, dass der Text hier nicht von „Schlägen“, sondern von Tagen und Jahren spricht.

[Übersetzt aus Sondez les Ecritures von Stephan Keune]