Der Kolosserbrief behandelt die Vorrechte und Verantwortlichkeiten der Christen hier auf der Erde. Wir sind „mitauferweckt worden durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt hat“ (Kol 2,12). In seiner Auferweckung sieht der Glaube bereits die unsrige in Verbindung mit Ihm. Da wir in seiner Beschneidung beschnitten worden sind (Kol 2,11), haben wir unseren alten Status oder unsere Stellung, die wir einst vor Gott als im Fleisch in Verbindung mit Adam hatten, verloren. Und weil wir mit Christus auferweckt sind, haben wir durch die Gnade einen neuen Status in Verbindung mit Ihm erlangt, der sich ganz und gar von dem alten unterscheidet. Und die Bedeutung und der Charakter dieser neuen Stellung kommen in Ihm als dem Auferstandenen zum Ausdruck.

Vierzig Tage vergingen zwischen der Auferstehung und der Himmelfahrt des Herrn Jesus und während dieser Zeit hatte Er eine sehr bemerkenswerte und besondere Stellung. Er hatte die Erde körperlich noch nicht verlassen, doch gehörte Er war auch genauso wenig zu der Erde, wie Er zu dem großen Weltsystem gehörte, das Ihn gekreuzigt hatte und das damals wie heute die Erde beherrschte und in Knechtschaft hielt. Er war nie von der Welt, und obwohl Er auf der Erde war und sich in irdischen Umgebungen und Beziehungen bewegte, war Er immer ein Himmlischer, und diese irdischen Verbindungen wurden nun abgebrochen. Maria, seine Mutter, wurde der Fürsorge des Johannes anbefohlen (Joh 19,26–27), und Maria Magdalene durfte Ihn nicht anrühren als denjenigen, auf den sich irdische Hoffnungen gründeten (Joh 20,17). Wir kennen Ihn nicht mehr nach dem Fleisch (2. Kor 5,16).

In der Auflistung der Erscheinungen während der 40 Tage, die wir in 1. Korinther 15,5–8 und anderswo finden, wird nicht erwähnt, dass Er jemals von der Welt oder irgendeinem Menschen dieser Welt gesehen worden wäre, sondern nur von den Seinen. Er war ein „Jenseitiger“. Seine Interessen lagen nicht hier sondern dort, und alle seine Unterredungen mit seinen Jüngern betrafen das Reich Gottes (Apg 1,3).

Wir sind „mitauferweckt” mit Ihm, und doch sind wir noch auf der Erde. Wir gehen durch die alten Umgebungen und sind immer noch den gleichen widrigen Umständen unterworfen. Wir sind noch in unserem natürlichen Zustand, mit Körpern, die dem Tod und der Verwesung unterworfen sind, aber unsere Seelen sind lebendig gemacht zu dem Leben des auferstandenen Christus, und wir können im Geist in den neuen Bereich eintreten, wo Christus bereits ist. Der Christ ist streng genommen ein Mensch, dessen Gedanken, Interessen und Zuneigungen sich außerhalb der nichtigen Szenerie dieser Welt liegen und sich über die Ebene irdischer Dinge erheben. Sein Bürgertum ist in den Himmeln (Phil 3,20).

Lasst uns mit dieser Wahrheit vor Augen den aktuellen Zustand der Versammlung Gottes überblicken. Wie beklagenswert erscheint er uns. Solche, die den Platz christlicher Lehrer und Prediger einnehmen, scheinen ihre ganze Energie darauf zu verwenden, die Christenheit auf ein irdisches Niveau herabzuziehen, jeden Zweig abzuhacken, der sich zum Himmel ausstrecken will, die Wahrheit zu beschneiden – wenn nicht sogar zu verfälschen –, um sie unreinen und nicht wiedergeborenen Menschen schmackhaft zu machen. Der Heiland musste zu Recht sagen: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen“ (Joh 3,3). Sie meinen jedoch, ihre Belehrungen so gestalten zu können, dass die Menschen sie „sehen“ können,  ohne so verändert worden zu sein.

Das Ergebnis ist gleichermaßen traurig. Viele leben heutzutage, die, verführt von diesen Lehren, selbstzufrieden in der Welt und in ihren Sündern verharren, mit der vagen Hoffnung und Erwartung, dass alles gut werden wird und dass sich eines Tages ein verbessertes Weltsystem entwickelt hätte, in dem sie ohne Gott und ohne Christus völlig glücklich leben können. Der Mensch (der bei ihnen großgeschrieben wird), die Welt und die Erde sind das Zentrum und der Umfang ihrer Religion.

Und was ist mit den wahren Christen? Ach, der Sauerteig hat sich ausgebreitet. Der unter drei Maß Mehl verborgene Sauerteig hat die ganze Masse durchsäuert (Mt 13,33). Keiner von uns ist davon frei. Wie leicht fallen wir in unseren Gedanken und Wegen von einem himmlischen auf ein irdisches Niveau. Der Gedanke ist selbst unter wahren Christen allzu weit verbreitet, dass es die Aufgabe des Christen ist, die Welt zu verbessern und dadurch, wenn möglich, zu bekehren. Darum stürzen sie sich mit großem Eifer und alle möglichen Weltverbesserungsprogramme und beteiligen sich ernsthaft an politischen Auseinandersetzungen, immer mit dem Bestreben, das voranzubringen, was sie für richtig halten.

Wenn wir solche nur für einen Augenblick von ihrem geschäftigen Bemühen abbringen und sie bitten könnten, sich Zeit zu nehmen, im Glauben auf den Auferstandenen zu blicken, den sie Heiland und Herr nennen, und ihnen die Worte ins Ohr flüstern könnten: „Ihr seid mit Ihm auferweckt“, was würden sie sagen?

Einige würden sagen, vielleicht sogar fast anschreien: „Unmöglich!“ Sie würden sich der Worte aus 1. Mose bedienen: „Siehe, da kommt jener Träumer!“, und uns beschuldigen, sie mit visionären Ideen, die niemand so recht versteht, von ihren guten Werken der Wohltätigkeit und Bürgerpflicht abzulenken.

Andere würden die Wahrheit unserer Worte zugeben, denn es steht ja in der Schrift, und die Schrift erkennen sie an, aber sie würden uns sagen, dass das zwar eine schöne Theorie ist, die wir anschauen und bewundern dürfen, die aber nicht dazu gedacht ist, uns praktisch zu beeinflussen und in den Stoff unseres täglichen Lebens eingewebt zu werden.

Kolosser 3 und 4 geben eine vollständige Antwort auf alles das. In Kolosser 2 sind wir auferweckt, und Kolosser 3 beginnt: „Wenn ihr nun mit dem Christus auferweckt worden seid.“ Dieses „Wenn“ leitet die Konsequenzen und Ergebnisse einer Tatsache ein. Als mit Christus Auferweckten wird uns geboten, zu suchen „was droben ist“ und auf das zu sinnen, „was droben ist, nicht auf das was auf der Erde ist.“

Es ist bemerkenswert, dass sich der Herr Jesus, selbst als Er noch auf der Erde war, nicht in die sozialen Ungerechtigkeiten und politischen Affären des Menschen einmischen wollte (vgl. Lk 12,13–15; Lk 20,20–26). Und als der Auferstandene ist Er völlig getrennt von dem Lauf dieser Welt – „verborgen in Gott.“ Wir sind mit Ihm auferweckt und unser Leben ist „verborgen mit dem Christus in Gott“, und unsere Haltung gegenüber diesen Dingen sollte dieselbe sein wie seine. Niemand soll sagen, dass, wer so spricht, einen Feuerlöscher auf jedes christliche Mitgefühl und Bemühen und auf allen evangelistischen Eifer richtet. Nichts, was von Gott ist, erlischt, wenn das Licht der Wahrheit Gottes darauf fällt. Tatsächlich ist das Erfassen der Gedanken Gottes ein echter Ansporn zum Gutes tun, während es davor bewahrt, unbeauftragt loszulaufen und wertvolle Zeit zu vergeuden.

Lies Kolosser 3 und 4. Beachte, welcher Art das Leben auf der Erde ist, das von einem Gläubigen gelebt wird, der mit Christus auferweckt ist und der auf das sinnt, was droben ist.

1. Ein solcher ist geprägt von intensiver persönlicher Heiligkeit (Kol 3,5–12). Er tötet die Glieder, die auf der Erde sind – einige schwerwiegende Formen des Bösen werden erwähnt; aber weil der auferweckte Mensch, was die Natur angeht, eine Art Mensch ist, legt er auch Dinge ab, die unter Menschen nicht so oft als Sünde gebrandmarkt werden, und er zieht die Wesenszüge und Eigenschaften an, die den Herrn Jesus auszeichneten.

2. Seine Beziehungen zu anderen Gläubigen sind von gnädiger und himmlischer Art (Kol 3,13–17). Die Trennungen, die endlosen Streitigkeiten und das Gezänk in der Christenheit sind ein unmittelbares Produkt der Missachtung dieser Wahrheit in unseren Seelen.

3. In allen Beziehungen des Lebens steht der Herr vor ihm (Kol 3,18 – 4,1). Er ist nicht fanatisch. Er geht ruhig durchs Leben und kommt seinen Verantwortlichkeiten in einer viel besseren Weise nach, als er es sonst tun würde. Familiäre Beziehungen – Frauen, Männer, Kinder, Väter – und berufliche Beziehungen – Knechte und Herren – werden erwähnt. Andere Beziehungen werden nicht genannt. Es werden keine Anweisungen gegeben, wie man sich zu verhalten hat, wenn man versucht, bei den Regierungsgeschäften dieser Welt mitzuhelfen. Das Schweigen der Schrift ist beredt! Es zeigt, dass die Schrift offenbar nicht davon ausgeht, dass der auferweckte Mensch eine solche Beziehung eingeht. Er ist Pilger und Fremdling und mischt sich nicht in das laute Treiben des „Jahrmarkts der Eitelkeiten“ ein, obwohl er hindurch geht.

4. Doch bei alledem arbeitet er ernstlich sowohl im Gebet als auch in der Predigt, um die Wahrheit und Gnade des Evangeliums zu verkünden, damit Menschen einerseits aus der Welt gerettet werden und andererseits in der Wahrheit befestigt werden (Kol 4,2–6). Mindert also die Wahrheit, mit Christus auferweckt zu sein, unseren Eifer im Evangelium? Nein. Es bringt den Menschen, dessen Herz sich bereits außerhalb der Welt befindet, dazu, Menschen aus der Welt heraus zu retten und selbst dem Schlechtesten die Gnade Gottes zu zeigen.

Das sind einige Ergebnisse, die die praktische Verwirklichung dieser großen Wahrheit nach sich zieht. Wer würde es sich nicht wünschen, etwas mehr in der Kraft und Glückseligkeit dieser Wahrheit zu leben? Dazu müssen wir unsere Augen nicht auf uns selbst richten, sondern auf Christus und im Anschauen seiner Person unseren neuen Platz als mit Ihm Auferweckte kennenlernen.

[Übersetzt von Marco Leßmann]