Die Frage ist: Schenken wir den Geboten des Herrn Jesus und Seiner Apostel, von denen wir so viele im ' Neuen Testament finden, genügend Beachtung? Wir fürchten, daß wir diese Frage mit Nein beantworten | müssen. Es gibt sogar Gläubige, die eine tiefverwurzelte Abneigung gegen den Gedanken haben, daß irgendein Gebot auf einen Christen angewendet wird. Sie möchten das Wort „Gebot“ nicht hören. Es ist nach ihrem Gefühl so ausschließlich mit dem mosaischen Gesetz verbunden, daß sie meinen, einem Christen ein Gebot auferlegen bedeute, ihn unter Gesetz zu stellen; und wir Christen seien doch – und sie tun recht, uns daran zu erinnern – nicht „unter Gesetz, sondern unter Gnade“ (Röm 6,14).

Aber ihr Gedankengang ist falsch. Durch die Gnade sind wir in das Reich Gottes eingeführt worden. Damit hat Anerkennung der göttlichen Autorität in unseren Herzen einen festen Platz, wenn wir wirklich bekehrt sind; und obwohl die Liebe die regierende Macht in diesem gesegneten Reich ist, so hat die Liebe nicht weniger ihre Gebote, als das Gesetz sie hatte. Das Gesetz hatte Forderungen erhoben, ohne den Beweggrund oder die Kraft zu geben, ihnen zu gehorchen. Nur die Liebe kann die nötige Kraft dazu hervorrufen. So gibt es tatsächlich Gebote der Liebe. „Dies ist die Liebe Gottes, daß wir seine Gebote halten, und seine Gebote sind nicht schwer“ (1. Joh 5,3). Unter Gesetz waren dem Menschen Gebote gegeben worden, von deren Befolgung sein Leben und seine Stellung vor Gott abhing. Unter Gnade hat das Leben und die Stellung des Gläubigen seine Sicherheit in Christus, und die Gebote sind ihm gegeben, um dieses neue Leben zu bilden und in eine Richtung zu bringen, die Gott wohlgefällt.

Im Neuen Testament haben wir – Gott sei Dank! – viele klare Gebote des Herrn bezüglich aller wichtigen Gebiete des Lebens und des Dienstes. Allerdings gibt es viele Fragen geringerer Bedeutung, zu denen der Herr keine direkten Anweisungen gegeben hat (vgl. 1. Kor 7,6. 25; 1. Kor 14,37; ein Vergleich dieser Stellen mag hilfreich sein). Doch nicht, weil Er es übersehen hätte, hierzu Gebote zu erlassen, handelt Er so. Der Grund ist dies: Er möchte sie der mit Gebet begleiteten Übung Seiner Heiligen überlassen; sie sollten die Schriften erforschen, um zu entdecken, was Ihm gefällt, und aus Seinen Wegen m der Vergangenheit für ihren eigenen Weg lernen. Der damit verfolgte Zweck ist ihr geistliches Wachstum, damit sie „durch Gewohnheit geübte Sinne haben zur Unterscheidung des Guten sowohl als auch des Bösen“ (Heb 5,14). In solchen Fragen muß jeder einzelne von uns Gottes Willen herausfinden und völlig überzeugt sein in seinem Sinne.

Dies geben wir völlig zu. Aber lasst uns deshalb nicht die eindeutigen Gebote des Herrn geringschätzen! Einige Christen, so fürchten wir, sind in dieser Hinsicht geneigt, sich selbst zu täuschen. Sie scheinen über irgendeinen Punkt sehr geübt zu sein und suchen Licht darüber. Sie beten sehr ernstlich. Würden sie stattdessen einmal ihre Bibel aufschlagen, so würde ihnen ein klares Gebot des Herrn in dieser Frage gleichsam sofort in die Augen springen. Aber irgendwie bringen sie es fertig, es zu übersehen. In einem solchen Fall haben all ihre Gebete und Übungen wenig Wert und sind eigentlich nur Heuchelei.

[Übersetzt von Marco Leßmann]