Auf Seinem letzten Gang nach Jerusalem zog der Herr Jesus durch Jericho. Am Wegesrand saß der blinde Bettler Bartimäus. Obwohl Bartimäus nie ein Wunder gesehen hatte, war er davon überzeugt, dass Jesus der Messias sei und ihm helfen könne. Deshalb rief er laut, als er von Jesus hörte: „Sohn Davids, Jesus, erbarme dich meiner!“ Bartimäus wurde nicht enttäuscht: Der Herr Jesus öffnete seine Augen. Dankbar und glücklich folgte Bartimäus daraufhin dem Herrn Jesus nach.

Unterschiede in den Evangelien

Wenn wir die Berichte von Matthäus, Markus und Lukas über diese Blindenheilung vergleichen, dann fallen zwei große Unterschiede auf:

  • Matthäus erwähnt zwei Blinde, Markus und Lukas nur einen.

  • Matthäus und Markus schreiben, dass Jesus dem Blinden (bzw. den Blinden) begegnete, als Er aus Jericho hinausging, während Lukas sagt, dass es geschah, als Er sich Jericho näherte.

Der erste Unterschied bereitet wenig Schwierigkeiten, denn Markus und Lukas leugnen nicht, dass es mehrere waren; sie berichten eben nur von einem Blinden, von Bartimäus (auf den wir in diesem Artikel auch unser Augenmerk richten wollen).

Es ist gut zu verstehen, dass gerade Matthäus zwei Blinde erwähnt. Denn Matthäus wendet sich zuerst an Juden, die großen Wert darauf legen, dass jede Sache aus dem Mund von zwei oder drei Zeugen bestätigt wird. Hier nun werden zwei vorgestellt, die erlebt hatten, dass ihnen das Augenlicht geschenkt wurde.

Den zweiten Unterschied mag man damit erklären, dass Jericho eine Art Doppelstadt war. Es gab ein altes und ein neues Jericho, die 1,5 Kilometer voneinander entfernt lagen. Das neue Jericho entstand in der Zeit der Makkabäer. Es wurde später von Herodes dem Großen prächtig ausgebaut und zu seiner Winterresidenz gemacht.

Das Wunder geschah wahrscheinlich, als der Herr aus dem alten Jericho hinausgegangen war (was Matthäus und Markus zeigen) und Er sich dem neuen Jericho näherte (was Lukas vorstellt).

Bartimäus bettelt  

Zwischen den beiden Teilen Jerichos – gewiss ein guter Ort zum Betteln – saß Bartimäus, der von den beeindruckenden Bauten und der Blütenpracht des Frühlings nichts sehen konnte. Sein Name bedeutet „Sohn des Geehrten“. Sein Vater mochte geehrt gewesen sein, Bartimäus war es als Bettler sicher nicht. Er fristete ein trauriges Dasein.

Dieser blinde Bettler Bartimäus in Jericho – der „verfluchten Stadt“ (Jos 6,26) – ist das Bild eines verlorenen und sündigen Menschen:

Der Sünder ist blind. Er erkennt weder sich noch die Herrlichkeit Gottes; er sitzt in Finsternis und Todesschatten.

  • Der Sünder ist arm in Bezug auf Gott. Geistliche Segnungen sind ihm unbekannt.
  • Der Sünder lebt in einer Welt, die von Verderben und Fluch durchzogen ist.
  • Der Sünder hat keine Hoffnung, so wie ein Blinder keine Aussicht hatte, durch einen Arzt geheilt werden zu können.

Täglich begegnen wir Sündern, die blind und arm sind. Empfinden wir noch, wie trostlos und armselig ihr Leben ohne den Herrn Jesus ist?

Bartimäus ruft um Erbarmen  

Ungefähr eine Woche vor dem Passahfest waren viele unterwegs nach Jerusalem und es gab Gedränge in Jericho. Doch Bartimäus hörte – Blinde haben ja oft ein gutes Gehör –, dass etwas Besonderes geschah. Er erkundigte sich, was los sei (Lk 18,36). Die Antwort der Leute war gut, denn ihm wurde gesagt, worauf es ankam: „Jesus von Nazareth geht vorüber!“

Bartimäus muss etwas über Christus gewusst haben, denn sofort rief er Ihn um Hilfe an. Er dachte nicht daran, dass er von den vielen Leuten gut Geld erbetteln konnte. Er wollte mehr. Er wollte durch Jesus sehend werden. Für Bartimäus war es wahrscheinlich die erste Gelegenheit, geheilt zu werden, und es war sicher die letzte. Jetzt oder nie! In diesem Bewusstsein schrie er.

Bemerkenswert ist, dass die Volksmengen von Jesus, dem Nazaräer, sprachen, während er Ihn Sohn Davids nannte. Sie betonten, dass Jesus aus der verachteten Stadt Nazareth in Galiläa kam, was es für einige fragwürdig machte, ob Er der Messias sein könne (vgl. Joh 7,41.42). Bartimäus betonte, dass Er der Sohn Davids war, was seine messianischen Ansprüche zeigt (vgl. Mk 12,35; Lk 1,32).

Wenn Bartimäus an den Sohn Davids dachte, war er nicht (nur) mit einem kommenden Reich beschäftigt. Er glaubte daran, dass Christus ihm hier und heute helfen würde. Er vertraute darauf, das Erbarmen des Herrn zu erfahren.

Wir dürfen den Menschen klarmachen, dass der verachtete Nazaräer der Heiland der Welt ist – und dass Er auch ihr persönlicher Heiland werden möchte. Wenn uns das wirklich ein Anliegen ist, dann werden wir vielleicht bald erleben, dass jemand sich ausstreckt, um Gottes Barmherzigkeit persönlich zu erleben.

Bartimäus wird gerügt

Das laute Rufen des Bartimäus konnten einige schlecht ertragen. Was fiel dieser Randfigur der Gesellschaft ein, die ganze Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen? Und wer gab ihm das Recht, den Nazaräer Jesus lautstark als Sohn Davids zu proklamieren? Ausgerechnet diejenigen, die mit Christus zogen und dem Tross vorangingen, fuhren dem rufenden Bartimäus in die Parade (Lk 18,39).

Auch heute sind religiöse Menschen, die Christus nur äußerlich nah sind, manchmal ein Hindernis für Seelen, die nach dem Heil verlangen. Sie verstehen die Not eines Sünders und den aufkeimenden Glauben nicht und wollen, dass der Schrei nach Rettung ungehört verhallt. Wie ernst ist das! Aber auch Kinder Gottes können durch Worte und Taten ungewollt suchenden Menschen Steine in den Weg legen.

Bartimäus ließ sich durch den kollektiven Tadel nicht einschüchtern und schrie umso mehr: „Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ Er schrie laut, weil ein Zeugnis für den Sohn Davids offenbar sehr nötig war und weil sein Rufen nicht im Gemurmel der Masse untergehen sollte.

Bartimäus wird gerufen  

Jesus blieb stehen. In den Tagen Josuas stand die Sonne still (Jos 10,12–13), aber jetzt stand der still, der die Sonne gebildet hat. Er, der Sein Angesicht festgestellt hatte, nach Jerusalem zu gehen, machte Halt. Warum? Wurde Er durch eine feindliche Macht daran gehindert, den göttlich gewiesenen Weg weiterzugehen? Niemals. Sein Herz voller Liebe trieb Ihn, auf den Schrei eines Hilflosen zu achten.

Der Herr Jesus ordnete an, man solle Bartimäus rufen und ihn zu sich geleiten (Lk 18,40). Seine Boten sagten drei Dinge (Mk 10,49):

  • „Sei guten Mutes.“.Sie machen ihm zuerst Mut, wie es auch der Herr oft getan hat.
  • „Steh auf.“ Sie fordern ihn eindringlich auf, aufzustehen.
  • „Er ruft dich!“ Sie machen klar, dass Jesus selbst ihn gerufen habe. 

So dürfen wir als Boten des Herrn Menschen Mut machen, zu dem Retter zu kommen, und wir bitten sie eindringlich, auf Seinen Ruf zu reagieren, damit sie das Heil nicht verpassen.

Blinde können sich nicht in eine Menschenmenge stürzen. Deshalb musste Bartimäus warten, bis Jesus stehen blieb und ihn rief. Das war jetzt geschehen! Die Reaktion von Bartimäus spricht Bände (Mk 10,50):

  • „Er warf sein Oberkleid ab.“ Er legte sein Oberkleid nicht in Ruhe beiseite und verstaute es sorgfältig, um es wieder gut finden zu können – nein, er warf es entschlossen ab. Er wollte schnellstmöglich zu Christus kommen.

  • „Er sprang auf.“ Er erhob sich nicht langsam, sondern er sprang auf.

  • „Und kam zu Jesus.“ Er stürmte anscheinend los, ohne sich von den bereitstehenden Helfern führen zu lassen.

Das alles zeigt, wie intensiv Bartimäus verlangte, geheilt zu werden. Auch heute, inmitten einer erschreckenden Gleichgültigkeit, gibt es Menschen, die darauf brennen, den Weg des Heils kennenzulernen. Da niemand dieser Wunsch an der Stirn geschrieben steht, müssen wir den Samen des Wortes Gottes weitläufig ausstreuen, damit er auch in die zubereiteten Herzen da und dort fallen kann.

Bartimäus wird geheilt

Als Bartimäus sich Jesus näherte, fragte der Herr ihn: „Was willst du, dass ich dir tun soll?“ Der Herr wusste das natürlich, aber für Bartimäus war es wichtig, die Bitte auszusprechen, um seine Abhängigkeit und Hilflosigkeit noch tiefer zu empfinden. Und die Umstehenden erkannten dadurch, dass der Bettler Bartimäus Glauben hatte, geheilt zu werden, und dass er nicht wegen eines Almosens gekommen war.

Bartimäus zögerte nicht und bat Jesus, wieder sehend werden zu dürfen (Mk 10,51). Er sprach Ihn mit „Rabbuni“ (d.h. „Lehrer“) an und zeigte damit, dass er Seine Worte schätzte, so wie er Seine Werke achtete. Außerdem nannte er Ihn ehrfürchtig „Herr“ (Lk 18,41). Er traute dem Herrn Jesus zu, dass Er das tun konnte, was kein Mensch kann: einen Blinden sehend machen.

Wie reagierte der Herr auf diese Bitte? Die Schrift macht klar, was in Seinem Herzen vorging, was Seine Hände taten und was Sein Mund redete:

Jesus wurde innerlich bewegt (Mt 20,34). Sein Herz war voller Erbarmen. Er unterschied sich damit von der Volksmenge, die mit dem Blinden (bzw. den Blinden) hart umgegangen war.

  • Jesus rührte seine Augen an und sprach: „Werde wieder sehend!“ (Mt 20,34; Mk 10,41). Der Herr zeigte Sein Erbarmen und Seine Macht, indem Er die Augen des Blinden mühelos öffnete.
  • Jesus sagte auch: „Geh hin, dein Glaube hat dich geheilt“ (Mk 10,52; Lk 18,42). Obwohl die Heilung ein großer Machtbeweis war, redete der Herr nicht davon, sondern von dem Glauben, der Seine Macht in Anspruch genommen hatte. Alle erkannten: Der Blinde wurde nicht geheilt, weil er etwas getan, sondern weil er geglaubt hat.

Da stand Bartimäus mit seinen geöffneten Augen. Vorher konnte er nur mit ihnen weinen, jetzt aber konnte er mit ihnen sehen. Und das Erste, was er sah, waren die gütigen Augen seines Retters. Was für eine Freude muss sein Herz durchzogen haben!

Was erwarten die Menschen heute von dem Herrn Jesus? Viele verbinden den Namen Jesus nur mit guten Richtlinien für das Zusammenleben, Wertmaßstäben für die Gesellschaft und dergleichen mehr. Sie denken nicht daran, dass Er Sünder aus der Finsternis in das wunderbare Licht Gottes führen will. Wie tragisch wäre es gewesen, wenn Bartimäus nicht um sein Augenlicht gebeten hätte – und wie viel tragischer ist es, wenn Menschen wählen, für immer in der Finsternis zu bleiben!

Bartimäus folgt Jesus nach

Als das Werk der Heilung vollendet war, ging der vollkommene Diener sofort weiter. Mit einem „Geh hin“ (Mk 10,52) hatte Er es dem Geheilten überlassen, seinen weiteren Weg zu wählen. Doch unaufgefordert trat der ehemals Blinde in Seine Fußstapfen.

Der Herr untersagte das nicht. Er ordnete auch nicht an, über das Wunder zu schweigen, wie Er es bei den zwei geheilten Blinden in Matthäus 9,30 getan hatte. Denn Er war auf dem Weg nach Jerusalem, um dem Volk als König dargestellt zu werden. Dort würden nicht nur zwei Blinde „Sohn Davids!“ rufen, sondern eine große Menge (Mt 21,9.15).

Bartimäus folgte dem Herrn Jesus nach und verherrlichte Gott auf seinem glücklichen Weg. Er wartete nicht, bis er zum Tempel kam, um zu loben, sondern die Dankbarkeit brach aus ihm heraus. Dieses Lob war ansteckend, denn das ganze Volk wurde zum Lob Gottes geführt (Lk 18,43) – auch diejenigen, die ihn vorher angefahren hatten.

Wenn wir aus der Finsternis in das Licht Gottes gekommen sind, dürfen und sollten wir dem Herrn Jesus nachfolgen und Gott mit unserem Mund verherrlichen.  Nachfolge und Lob gehören zusammen!

Zusammenfassung

Der Herr Jesus ist bereit, jedem geistlich Blinden das Licht des Lebens zu schenken. Kein Sünder muss, was seine „Heilung“ betrifft, auf einen besonderen Augenblick warten. Jeder kann und soll heute die Retterhand Gottes im Glauben entschlossen ergreifen. Es ist unsere Aufgabe als Christen, das unseren Mitmenschen vorzustellen.

Und wenn jemand den Schritt zu Christus hin getan hat, dann ist es ganz natürlich, dass er in der Nähe des Herrn Jesus bleiben will und dass sich sein Mund zum Lob Gottes öffnet.