„Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater [unseres Herrn Jesus Christus], von dem jede Familie in den Himmeln und auf der Erde benannt wird, damit er euch gebe, nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit mit Kraft gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inneren Menschen; dass der Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne, indem ihr in Liebe gewurzelt und gegründet seid, damit ihr völlig zu erfassen vermögt mit allen Heiligen, welches die Breite und Länge und Höhe und Tiefe sei, und zu erkennen die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus, damit ihr erfüllt sein mögt zu der ganzen Fülle Gottes“ (Epheser 3,14–19).

Paulus, der Apostel, der insbesondere die Einheit des Leibes von Christus bekannt gemacht hat, liebt es, seine geliebten Geschwister liebevoll zu aller Zeit zu ermahnen. Trefflich sehen wir ihn mit Tränen in den Augen einen abgeirrten Bruder durch eine scheinbar harte Zuchtmaßnahme zu gewinnen (1. Kor 5,3). Dennoch tut er das aus Liebe, „damit der Geist errettet werde am Tag des Herrn Jesus“ (V. 5). Immer wieder hält er den Gläubigen in Christus ihre Stellung als Glieder des Leibes von Christus vor Augen, als Untertanen des Königreichs, als Gesandte um Christus willen (Botschafter), als Himmelsbürger und als Ausführende der Regierung Gottes im 1000-jährigen Reich. Doch sein Blick geht noch weiter, er skizziert eine Position, die wir uns niemals ausdenken würden; er lehrt uns, dass wir die Braut von Christus sind und versucht uns als „eine keusche Jungfrau“ Ihm darzustellen (2. Kor 11,2). Aber dann sehen wir auch, dass er Furcht hat, wenn es um diese Stellung geht. Furcht deshalb, weil er sieht, dass die Gläubigen so leicht ihre hohe Position verlassen und gegen eine niedrigere eintauschen, ja, noch schlimmer, das Fundament der Gnade, das sie in eine so hohe Stellung gebracht hat, gegen das Fundament des Gesetzes eintauschen (Gal 5,4). Er sieht die Folgen, er ist erneut in Geburtswehen, die er bei seiner ersten Arbeit empfunden hat, als Christus unter den Gläubigen Gestalt gewonnen hatte (Gal 4,19). So wie er die Galater verzaubert nannte, so fürchtete er bei den Korinthern die Abweichung von den einfachen Grundsätzen, die er ihnen vorgehalten hatte (2. Kor 11,3).

Und dann kommen wir zu seinem womöglich meist bekannten und am wenigsten begriffenen Thema seiner Briefe (1. Kor 13). Paulus hielt es für möglich, dass Gläubige neben dem Heiligen Geist, den sie bei ihrem Glauben an das Evangelium der Errettung empfangen hatten, einen anderen Geist in ihrem Denken zulassen könnten (2. Kor 11,4). Das einfache Evangelium könnte mit der Lehre von Menschen, die „einen anderen Jesus“ und ein „anderes Evangelium“ predigten, vermischt werden! Es hat zweifellos so ausgesehen, denn sonst hätte er die Verführung nicht mit der List verglichen, mit der Eva konfrontiert wurde. Dort wurde auch die Frage gestellt, ob Gott es nicht anders meinte, als Er gesagt hatte. So wurde die Lehre, die Paulus vorstellte, untergraben!

Immer wieder wurde Paulus mit Leuten konfrontiert, die

  • „ein Gesetz der Werke“ einführen wollten oder
  • mystische Erfahrungen über die geoffenbarten Wahrheiten des geschriebenen Wortes stellen wollten oder
  • Gebrauch machten von der Unachtsamkeit von Gläubigen und Verwirrung bzgl. der Lehre von der Auferstehung stifteten oder
  • die Anwesenheit von Engeln betonten oder
  • sich Exorzismus als besondere Gabe zulegten oder
  • sich aufbliesen, indem sie in Sprachen redeten, die niemand verstehen konnte.

Immer wieder musste der Apostel in die Verteidigung: „Ich bin ein Tor geworden; ihr habt mich dazu gezwungen“, sagt er einmal (2. Kor 12,11).

Doch dann kommt er, inmitten von allerlei lehrmäßigen Ausführungen auf einmal zum Kern allen Bekennens. Er selbst, als gegründet, ja eingetaucht in die Liebe Gottes, die ihn auf so wunderherrliche Weise auf dem Weg nach Damaskus offenbart wurde, weiß, dass nur diese Liebe, die ganz anders ist, als wir sie auf der Erde kannten, den Menschen wieder in die richtige Spur bringen kann. Es war die Liebe, die ihn ja davon abgehalten hatte, der Gemeinde Gottes noch mehr Böses zu tun! War es nicht die Liebe, die ihn in den dritten Himmel hinaufgezogen hatte und er so ernstlich um Genesung von all den Schlägen bat, die Satan ihm immer wieder zugeführt hatte? Ja, der nicht aufhörte, ihn anzugreifen, vor allem, nachdem er nun eine so hohe Berufung erhalten hatte? Schon unmittelbar nach seiner Bekehrung, auf der Flucht spürte er die Leiden als ein Teil der Leiden von dem, der ihn von dem „verkehrten Geschlecht“ gerettet hatte.

Zum Leidwesen hatte er sich die Spaltung innerhalb der Gemeinde in Korinth von denen, die die Hausgenossen der Cloe waren, angehört. Es gab nur eine Lösung: dass sie erneut die Liebe von Christus vorgestellt bekommen würden.

Er hatte Christus als unter ihnen gekreuzigt vorgestellt, so wie er das überall tat (Gal 3,1). Aber er war nicht eher zufrieden, bis die Liebe von Christus in den Gläubigen Wohnung gemacht hatte. Gerade die Gläubigen in Ephesus, die so hohe Wahrheiten und eine so hohe Stellung der Gläubigen in Christus gesehen hatten, hatten es nötig, selbst in der Liebe gewurzelt und gegründet zu werden.

Da befand sich die Lücke der Vielen unter ihnen, sie kannten die Wurzelung und Gründung in der einzigen Quelle der Liebe, der Agape, nicht!

War das der Grund, warum dieser große und doch in seinen eigenen Augen geringste Apostel andauernd wachsam blieb, Nacht und Tag im Gebet wachend für seine geliebten Gläubigen? War das der Grund, warum er sich fürchtete vor Abfall, Streitigkeiten, Ketzereien, Zwietracht, Neid, Eifersucht usw.?

Um die Gläubigen herum befanden sich heidnische Griechen und die jüdischen Hohenpriester und es gab Gläubige aus der Beschneidung unter ihnen, die ihre eigenen Gedanken über gesetzliche Lebensregeln mitgebracht hatten. Andauernd waren die Gläubigen in Gefahr, von der „Einfalt, die in Christus ist“ abgezogen zu werden. Auch unter ihnen gab es solche, die sich, aus welchem Grund auch immer – gottesdienstlich oder politisch, human oder ideologisch – ansteckten, sich aushungern ließen, ständig in fremden Sprachen redeten oder all ihren Besitz unter den Armen verteilten. Das konnte Verwirrung hervorbringen, wenn die Gläubigen nicht selbst in der wahren, aufrichtigen Liebe von Christus gewurzelt waren!

Daher betete der Apostel für die Seinen! Bis tief in die Nacht lastete die Verantwortung schwer auf ihm, wie bei dem Herrn Jesus, der auf den Berg ging, um zu beten.

Haben wir andere Fürbitte nötig? Wir Gläubigen aus dem 20.  bzw. 21 Jahrhundert?

Wenn wir um uns her sehen, können wir dieselben Dinge feststellen, die der Apostel in der Gemeinde sah. Genau wie damals sehen wir jetzt: Streit, Zwietracht, Ketzereien, Lieblosigkeit gepaart mit Gesetzlichkeit, Äußerungen des Seelenlebens ohne den Geist, falsche Propheten, emotionales Sprachenreden usw. usw. Klänge eines „tönenden Erzes“ und einer „schallenden Zimbel“ erfüllen manchmal unsere Evangelisationsdienste und –räume, doch die Liebe von Christus, über die Paulus sprach, ist, vorsichtig ausgedrückt, mit der Lehre von Bileam vermischt (Off 2,14). Oder der Lehre der Nikolaiten, dem Willen des Volkes.

Noch nie hat es so viel Erkenntnis über die verborgene, oft okkulte „Wissenschaft“ gegeben. Noch nie hat es so viel Einsicht in die Geheimnisse der Natur und der Schöpfung gegeben (Röm 1,20; 2. Pet 3,5–6).

Aber sollten der Aufruf und das Gebet von Johannes auf Patmos und von Paulus im Gefängnis in Rom ihre Bedeutung für heute verloren haben?

Wir können als Gläubige in der Lehre rein sein, die Bösen nicht ertragen, alle Güter den Armen gegeben haben und sogar in den Hungerstreik um der Gerechtigkeit und verfolgten Glaubensgenossen willen getreten sein; aber sind wir in der Agape Gottes gegründet? Sind wir für Jesus Christus tätig oder ist Er als Herr Jesus Christus durch seinen Geist durch uns wirksam?

[Aus: Uit het woord der waarheid, 1985]