Für die Menschen im Mittleren Osten ist die Hirtenfigur auch heute noch sehr vertraut. Im Lauf der Jahrhunderte hat sich daran nicht viel geändert, zumindest nicht so viel, wie in den Ländern West-Europas, wo der Hirte keine tägliche Erscheinung mehr ist. Zum Glück ist es so, dass wir in der Schrift vieles finden, was uns helfen kann, klarzumachen, was genau gemeint ist, wenn da steht: „ Der Herr ist mein Hirte“. Außerbiblische Quellen können hier und da allerlei Facetten beleuchten und erklären, fügen dem Bild jedoch keine neuen Elemente hinzu, das wir uns auf Basis der Schrift von der Person und dem Dienst eines Hirten machen können.

In der Schrift werden uns einige Personen genannt, die Hirten waren und alle einen bestimmten Charakterzug des vollkommenen Hirten zeigen, der der Herr Jesus selbst für die Seinen ist.

Abel

Eigentlich ist Abel ein doppeltes Bild des Herrn Jesus, nämlich durch seine Person und durch das Opfer, das brachte.

„Abel wurde Schafhirte“ (1. Mo 4,2), und als Hirte brachte er Gott sein Opfer. Das weist auf den guten Hirten hin, der sich selbst Gott geopfert hat. Abel wurde durch seinen Bruder gehasst und schließlich aus Missgunst von ihm getötet. Auch der Herr Jesus wurde ohne Ursache von seinen Brüdern nach dem Fleisch gehasst und aus Neid durch sie überliefert, um gekreuzigt zu werden. Gott erklärte, dass das Blut Abels nach Rache von dem Erdboden zu Ihm schrie. Das Blut des Herrn Jesus zeugt von Versöhnung und redet daher besser als das von Abel (Heb 12,24).

Es könnte noch mehr erwähnt werden. Zusammenfassend können wir sagen: In Abel finden wir den Hirten, der sein Leben gibt.

Abel ist zwar der Hirte der stirbt, doch musste er ein Lamm der Herde opfern, denn er war ein Sünder. Auf Golgatha jedoch starb der Hirte selbst für seine Schafe. Auf Golgatha ist das Schwert des Zornes Gottes gegen den Hirten erwacht, gegen den Mann, der Gottes Gefährte war (Sach 13,7).

Jakob

Wenn Jakob über die zwanzig Jahre, die er bei Laban war, berichtet, zeugt er von der Sorge für die Schafe, für die er verantwortlich war. „Das Zerrissene habe ich nicht zu dir gebracht, ich habe es büßen müssen; von meiner Hand hast du es gefordert, mochte es gestohlen sein bei Tag oder gestohlen bei Nacht“ (1. Mo 31,39). Das wird sicher, trotz der Sorge, die Jakob für die Schafe aufbrachte, schon einmal passiert sein. Nur der Herr Jesus konnte sagen: „Sie gehen nicht verloren in Ewigkeit, und niemand wird sie aus meiner Hand rauben“. Er allein konnte sagen: „Die, die du mir gegeben hast habe ich behütet, und keiner von ihnen ist verloren gegangen …“ (Joh 10,28; 17,12).

Jakob ist nur ein schwaches Bild des vollkommenen Hirten.

Die Sorge Jakobs für die Schafe finden wir auch noch in 1. Mose 33,13, wo er von den Schafen sagt: „Wenn man sie nur einen Tag übertriebe, so würde die ganze Herde sterben“. Das lässt uns an den denken, von dem geschrieben steht: „Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte, die Lämmer wird er auf seinen Arm nehmen und in seinem Schoß tragen, die Säugenden wird er sanft leiten“ (Jes 40,11).

In erster Linie ist das natürlich eine Versprechung für den gläubigen Überrest Israels in der Zukunft. Aber das stimmt auch für uns heute. Christus ist der sorgende Hirte, der mit großer Treue und Zärtlichkeit über seine Herde wacht; der auf die Lämmer Rücksicht nimmt und für ihre Schwachheiten Verständnis hat. 

Joseph

Eines der ersten Dinge, die von Joseph berichtet werden, ist, dass er mit seinen Brüdern die Schafe hütete. Der Gedanke, der bei diesem Bild im Vordergrund steht, ist, dass dieser Hirte durch die anderen Hirten gehasst wurde. Als der Herr Jesus auf der Erde war, haben diejenigen, die die Hirten des Volkes Israel hätten sein sollen, Ihn gehasst. Sie waren den Hirten gleich geworden, die in Hesekiel 34 erwähnt werden, die die Herde verwahrlosen ließen. So sehr, dass, als der Herr Jesus als Hirte gekommen war, Er über die Schafe innerlich bewegt war. Er sah das Volk als Schafe, die keinen Hirten haben.

Ebenso wie Joseph wurde der Herr Jesus von seinen Brüdern gehasst. Sie wollten nicht, dass er König über sie sein sollte und haben Ihn aus Neid überliefert. Doch so wie Joseph erhöht und der „Retter der Welt“ wurde, so wurde auch der Herr Jesus erhöht und verherrlicht. Er wurde der wahre „Retter der Welt“.

Mose

Vierzig Jahre hat Mose die Schafe seines Schwiegervaters Jethro als Vorbereitung für die letzten vierzig Jahre seines Lebens gehütet, bis er durch Gott gerufen wurde, das Volk Israel durch die Wüste zu führen.

In 2. Mose 3,1 lesen wir, dass Mose die Herde hinter die Wüste trieb und zum Berg Gottes, dem Horeb kam. Dort bekam er den Auftrag, das unterdrückte Volk aus Ägypten zu führen, damit es danach Gott auf diesem Berg dienen würde (V. 11.12).

Mose, der Hirte, der das Volk durch die Wüste führt. Was für ein herrliches Bild von dem Hirten Jesus Christus, der vor den Seinen in der Wüste hergeht.

David

David sagt von sich in 1. Samuel 17,34, dass er normalerweise die Schafe seines Vaters hütete. Und dann teilt er mit, dass er dem Löwen und dem Bären, die ein Schaf von der Herde rauben wollten, hinterher jagte und erschlug. In demselben Kapitel ist er es, der auszieht, um Goliath zu erschlagen. David ist der Hirte, der gegen die bösen Mächte kämpft, die es auf die Schafe abgesehen haben und sie aus der Macht des Feindes erlöst.

Erneut ein herrliches Bild von dem Herrn Jesus, der den Kampf mit „dem Starken“ aufgenommen hat, um ihn zu binden und ihm seinen Hausrat zu rauben. Aber auch hier bleibt das Bild weit hinter der Wirklichkeit von Christus zurück, denn Christus hat durch den Tod den zunichte gemacht, der die Macht über den Tod hatte, das ist den Teufel, und Er hat alle die erlöst, die durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren (Heb 2,14.15).

Der Antichrist

Wir haben nun fünf Hirten aus dem Alten Testament genannt, die alle auf eine bestimmte Weise Bilder des Herrn Jesus als Hirte seiner Schafe sind. In der Schrift kommt noch ein Hirte vor. Er wird in Sacharja 11,15–17 der „törichte“ und „nichtige“ Hirte genannt. Bevor der wahre Hirte kommt, um sein Reich der Gerechtigkeit und des Friedens aufzurichten, erscheint zunächst der falsche Hirte, von dem der Herr Jesus voraussagt: „Wenn ein anderer in seinem eigenen Namen kommt, den werdet ihr aufnehmen“. Der falsche Hirte, der „törichte“ Hirte ist der Antichrist. Wir müssen dabei bedenken, dass das Wort „töricht“ noch etwas anderes bedeutet, als das, was wir darunter verstehen. Der Törichte ist der Hochmütige, der gegen den Willen Gottes handelt. Seine Torheit erreicht ihren Höhepunkt in der Leugnung der Existenz Gottes. Der „Törichte“ ist der Gottlose, der Gesetzlose. Der Antichrist heißt in der Schrift „der Gesetzlose“, „der Mensch der Sünde“. Er ist ein Wolf in Hirtengestalt, das Gegenbild des wahren Hirten.

Den nichtigen Hirten wird das Gericht erreichen.

Der Herr Jesus

Und so kommen wir zum siebten Hirten, dem Herrn Jesus. Er ist der gute Hirte, der sein Leben für die Schafe gegeben hat. Psalm 22 stellt uns Ihn so vor. Dort sehen wir Ihn, unseren guten Hirte, der sich selbst für uns gegeben hat. Um uns als seine Schafe besitzen zu können, musste Er das Sündopfer für unsere Sünden werden. Dazu musste Er von Gott verlassen werden. Wir waren alle wie irrende Schafe und wandten uns ein jeder auf seinen eigenen Weg. Aber der Herr hat alle unsere Ungerechtigkeit auf Ihn kommen lassen. Er hat sein Leben ausgeschüttet in den Tod. Damit fängt es an: Der gute Hirte legt sein Leben für die Schafe ab. So müssen wir den Hirten kennen: als den Hirten, der gekommen ist, das Verlorene zu suchen und zu retten.

In Psalm 23 finden wir den großen Hirten der Schafe, der aus den Toten wiedergebracht wurde (Heb 13,20). Der heilige Gott ist vollkommen befriedigt und hat durch das Werk von Christus vollkommene Genugtuung empfangen und darum hat Er Ihn aus den Toten auferweckt. Und nun ist Er der große Hirte der Schafe, der seine Herde sicher durch die Wüste dieser Welt in das gelobte Land leitet. Was für ein Vorrecht sagen zu können: „Der Herr ist mein Hirte“.

Als der oberste Hirte wird Er erscheinen, um seine „Unterhirten“ zu belohnen, wenn sie treu gewesen sind. Dann empfangen sie die unverwelkliche Krone der Herrlichkeit (1. Pet 5,4).

Er kommt wieder! Unser Zug durch die Wüste wird enden. Der Hirte bringt uns in sein Haus. Wir werden seine Stimme hören und Ihm in das Vaterhaus mit seinen vielen Wohnungen folgen. Wir werden im Haus des Herrn wohnen auf immerdar. Dort werden wir keinen Hunger und Durst mehr haben und die Sonne wird keineswegs auf uns fallen, noch irgendeine Glut, denn das Lamm, das in der Mitte des Thrones ist, wird sie weiden und sie leiten zu Quellen der Wasser des Lebens (Off 7,16.17).

[Bode des Heils, Jahrgang 127 (1984)]