Wenn Kinder Gottes in große Not geraten und sich fragen, warum Gott das zugelassen hat, werden sie in der Christenheit regelmäßig auf Psalm 22,2 verwiesen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern von meiner Rettung, den Worten meines Gestöhns?“ Und dann wird gesagt: „Auch David war von Gott verlassen und hat seine Not hinausgeschrien. So dürfen wir es auch machen ...“

Es ist in der Tat sehr tröstlich, wenn man in seiner Not jemand hat, der „mitleidet“. Und gerade in den Psalmen finden wir reichlich Menschen, die gelitten und Gottes Trost erlebt haben. Hunderte Verse aus den Psalmen passen da sehr gut – aber nicht Psalm 22,2.

Denn David redet in diesem Vers als Prophet. Er spricht nicht von sich selbst, sondern von einem anderen. Dasselbe haben wir auch in Psalm 16, wo er von dem Frommen redet, der die Verwesung nicht sehen würde. Das bezog sich nicht auf David, sondern auf Christus. Das alles zeigt Petrus deutlich in Apostelgeschichte 2,26–31.

Psalm 22,2 weist prophetisch auf Christus am Kreuz hin. Dort hat Christus am Ende der drei Stunden der Finsternis geklagt, warum Gott ihn verlassen habe (Mt 27,46; Mk 15,34). Er war dort der Sündenträger und war darum von Gott verlassen.

Über keinen Menschen auf dieser Erde wurde das Gericht Gottes über die Sünden in vollem Maß ausgegossen. Kein Mensch war je im absoluten Sinn von Gott verlassen. Und wir Gläubigen haben auch die ausdrückliche Zusage, dass Gott uns nicht verlassen wird. „Er hat gesagt: ,Ich will dich nicht versäumen und dich nicht verlassen'; so dass wir kühn sagen können: ,Der Herr ist mein Helfer, und ich will mich nicht fürchten; was wird mir ein Mensch tun?'“ (Heb 13,5.6).

Wir sollten Gläubigen in Not vorstellen, dass sie nicht von Gott verlassen sind. In keiner Situation des Lebens. Und in Ewigkeit nicht.