Vor ungefähr 100 Jahren wurde das „Zungenreden“ in der Christenheit wieder populär. Man sieht darin vielfach die Wiederbelebung der mächtigen Gabe, die zur Zeit der Apostel wirksam war. Aber was ist von diesem heutigen „Zungenreden“ zu halten? Wie ist dieses Phänomen anhand der Heiligen Schrift zu beurteilen?

Als der Tag der Pfingsten erfüllt wurde, kam der Heilige Geist auf die Erde herab. An diesem Tag redeten die Jünger zum ersten Mal in neuen Sprachen: Sie konnten durch Gottes Macht auf einmal in Sprachen reden, die sie nicht gelernt hatten.

Heute versteht man unter dem Reden in Sprachen oft ein ekstatisches Reden in einer unverständlichen Sprache. Dieses „Zungenreden“, was meist ein Lallen und Lärmen ist, soll, wie vielfach gesagt wird, zur eigenen Erbauung wichtig sein und nachhaltig beweisen, dass man den Heiligen Geist besitzt.

Unverständliche Laute?

Man spricht heute gern von einem „Reden in Zungen“ und vermeidet den besseren Ausdruck „Reden in Sprachen“. Dadurch wird verschleiert, dass es beim Sprachenreden eigentlich um echte Sprachen gehen muss. Der Ausdruck, der für das Reden in Sprachen im griechischen Grundtext verwendet wird (glossa), bedeutet nirgends im Neuen Testament ein unverständliches „Gestammel“. Wir finden glossa im Sinn von „Sprachen“ zum Beispiel in Offenbarung 5,9: „Und sie singen ein neues Lied: Du bist würdig, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen; denn du bist geschlachtet worden und hast für Gott erkauft, durch dein Blut, aus jedem Stamm und jeder Sprache [glossa] und jedem Volk und jeder Nation.“ Es geht an dieser Stelle eindeutig um die verschiedenen Sprachen, die auf der Welt gesprochen werden.

Dass es beim Sprachenreden in der Bibel um echte Sprachen geht, macht auch 1. Korinther 14,20–22 klar. Dort zitiert Paulus aus Jesaja 28: „Ich will in anderen Sprachen und durch andere Lippen zu diesem Volk reden, und auch so werden sie nicht auf mich hören, spricht der Herr.“ Das Thema in Jesaja 28 ist, dass die Israeliten aufgrund ihrer Untreue die Sprache eines fremden Volkes zu hören bekämen: die Sprache der Assyrer, die ihr Land erobern würden. Diese Fremdsprache der Assyrer war ein Zeichen des Gerichtes Gottes über sein Volk, das nicht auf die Propheten geachtet hatte.

Um die unverständlichen Laute beim (heutigen) „Sprachenreden“ zu rechtfertigen, wird auch gesagt, dass es sich dabei um eine Sprache der Engel handle, mit denen angeblich auch Paulus kommuniziert habe: „Wenn ich mit den Sprachen der Menschen und der Engel rede, aber nicht Liebe habe, so bin ich ein tönendes Erz ...“ (1. Kor 13,1). Abgesehen davon, dass die Sprache der Engel nicht zu einem Gestammel degradiert werden sollte, besagt der angeführte Vers nicht, dass Paulus tatsächlich in Sprachen der Engel geredet hat. Paulus will vielmehr sagen: „Gesetzt den Fall, ich würde alle Sprachen der Welt sprechen und sogar die Sprachen der Engel, so wäre das ohne Liebe nichts wert.“ Bei allen Beispielen in den ersten drei Versen in 1. Korinther 13 spricht Paulus von Möglichkeiten und nicht von der Wirklichkeit. Paulus besaß eben nicht alle Erkenntnis (vergleiche V. 2 mit V. 9), und er hat auch nicht seinen Leib verbrennen lassen (V. 2). Es sind hypothetische Annahmen, die in eindrucksvoller Weise zeigen sollen, dass auch die größte Gabe oder der hingebungsvollste Dienst ohne Liebe wertlos ist.

Urwalddialekte?

Vor Jahren fragte ich eine Christin aus der charismatischen Bewegung, die vom „Zungenreden“ schwärmte, in welcher Sprache sie denn dabei rede. Sie antwortete: „Schwer zu sagen, das geht so ins Hebräische oder Chinesische hinein.“ Mit einem Wort: Es war ein Kauderwelsch. Aber sie war bemüht, das mit echten Sprachen zu verbinden.

Wird beim „Zungenreden“ in schwer verständlichen oder wenig bekannten Sprachen geredet? Sind es vielleicht irgendwelche Urwalddialekte? Ist das der Grund, warum die Worte nicht verstanden werden? Das ist keine gute Erklärung. Denn wenn es die Gabe des Sprachenredens heute noch gäbe, müsste auch die Gabe der Auslegung der Sprachen vorhanden sein, so dass das „Zungenreden“ in den Gemeindestunden übersetzt und erklärt werden könnte (vgl. 1. Kor 14,27.28). Doch wo geschieht das in einer glaubhaften und nachvollziehbaren Weise? Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn zwei Ausleger unabhängig voneinander aus dem Stammeln des heutigen „Zungenredens“ dasselbe „heraushören“ könnten.

Ein Bruder in Christus, der zehn Jahre das „Zungenreden“ intensiv praktiziert hat, schrieb in einem Buch, dass er in diesen Jahren es nicht erlebt hat, dass er selbst oder jemand anders in einer echten, existierenden Sprache geredet hat. Diese ehrliche Aussage redet eine deutliche „Sprache“!

Die Ankündigung (Markus 16)

Das Reden in Sprachen kommt im Neuen Testament an diesen Stellen vor: Markus 16, Apostelgeschichte 2.10.19 sowie in 1. Korinther 12 bis 14. Wir möchten uns diese Stellen ansehen.

Der Herr, der selbst nicht in Sprachen geredet hat, kündigte dieses Zeichen an: „Diese Zeichen aber werden denen folgen, die glauben: In meinem Namen werden sie Dämonen austreiben; sie werden in neuen Sprachen reden und werden Schlangen aufnehmen, und wenn sie etwas Tödliches trinken, wird es ihnen nicht schaden; Kranken werden sie die Hände auflegen, und sie werden sich wohl befinden“ (Mk 16,17.18). Diese Zeichen, wie das Reden in „neuen Sprachen“, sollten das Evangelium bestätigen, das nun in die ganze Schöpfung getragen wurde (Mk 16,15; vgl. Heb 2,4).

Wenn es diese Zeichen heute noch gäbe, müssten alle fünf Zeichen vorhanden sein, die in Markus 16 genannt werden. Es ist nicht zulässig, das Sprachenreden gesondert zu behandeln, indem man behauptet, dass jeder Christ in Sprachen reden müsse. Wo wird denn zum Beispiel Tödliches getrunken, ohne dass etwas passiert? Oder wo hantiert man heute unbeschadet mit Giftschlangen? In apostolischer Zeit wurden Schlangen tatsächlich „aufgenommen“, ohne dass etwas geschah (Apg 28,3–6) – und es wurde auch in neuen, anderen Sprachen geredet.

Der historische Bericht (Apostelgeschichte 2; 10; 19)

Apostelgeschichte 2,1–36: Der Herr Jesus hatte nach seiner Auferstehung angekündigt, dass der Heilige Geist in wenigen Tagen ausgegossen würde und dass die Jünger in der Kraft dieses Geistes seine Zeugen bis zum Ende der Erde sein sollten (Apg 1,8). Als der Tag der Pfingsten erfüllt wurde, kam der Heilige Geist herab und nahm Wohnung in der Versammlung (Gemeinde) und in jedem Gläubigen (Apg 2,1–4). Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine Christen aus den Nationen. Gott wurde folglich (vorwiegend) in der hebräischen bzw. aramäischen Sprache verehrt. Aber in Kürze sollte Gott in vielen Sprachen gepriesen werden. Von dieser großartigen Wahrheit wurde schon am Pfingsttag Zeugnis gegeben: Die jüdischen Jünger redeten in anderen Sprachen über die großen Taten Gottes, so wie es ihnen der Geist Gottes gab. Die Zuhörer, die ihre eigene Sprache vernahmen, fragten staunend: „Wie hören wir sie, jeder in unserer eigenen Mundart, in der wir geboren sind?“ (V. 8–11). Für andere, die ihre eigene Sprache oder ihnen bekannte Dialekte nicht hörten, waren die Worte der Jünger unverständlich. Sie meinten, die Jünger hätten zu viel Wein konsumiert (V. 13). Petrus stellt daraufhin klar, dass das zu Hörende eine Wirkung des Heiligen Geistes war, der dafür sorgte, dass die Jünger in real existierenden Sprachen sprechen konnten, die sie vorher nicht gelernt hatten.

In Apostelgeschichte 10,44–48 kommt zum zweiten Mal das Reden in Sprachen vor. Nachdem der innere Widerstand des Juden Petrus durch ein göttliches Gesicht überwunden worden war, besuchte er einen Mann aus den Nationen, um ihm das Evangelium zu bringen. Kornelius und andere nahmen die Botschaft im Glauben an. Sie empfingen den Heiligen Geist und begannen, in Sprachen zu reden und Gott zu erheben. Gott hatte das Siegel der Bestätigung auf die Verkündigung des Evangeliums an die Nationen gedrückt! Als Petrus den skeptischen jüdischen Brüdern von diesem Erlebnis berichtete, „verherrlichten sie Gott und sagten: Also hat Gott auch den Nationen die Buße gegeben zum Leben“ (Apg 11,18). Sie konnten durch das Zeichen des Sprachenredens erkennen, dass Gott denen aus den Nationen den Heiligen Geist gegeben hatte – genauso wie ihnen.

In Apostelgeschichte 19,1–7 lesen wir vom Apostel Paulus, dass er in Ephesus auf jüdische Jünger traf, die das Evangelium des Heils von dem gekreuzigten und verherrlichten Herrn nicht kannten und deshalb nicht mit dem Heiligen Geist versiegelt worden waren (vgl. Eph 1,13). Sie wussten nicht einmal, dass der Heilige Geist auf die Erde gekommen war. Diese Jünger waren von neuem geboren – aber noch keine Christen. Als Paulus ihnen das volle Evangelium predigte, nahmen sie es gerne auf. Nachdem sie getauft waren und Paulus ihnen die Hände aufgelegt hatte, kam der Heilige Geist auf sie, und sie redeten in Sprachen und weissagten.

Das Sprachenreden bei diesen drei Gelegenheiten war augenscheinlich etwas Besonderes – es waren Ereignisse von epochaler Bedeutung. In Apostelgeschichte 2 kam der Geist auf die Erde, und das Evangelium wurde sozusagen rechtlich (de jure) für alle Nationen zugänglich gemacht. In Apostelgeschichte 10 gelangte das Evangelium tatsächlich (de facto) zu den Nationen: Kornelius hörte durch den Apostel der Juden, Petrus, das Evangelium (vgl. Apg 15,8.9). In Apostelgeschichte 19 sehen wir, wie der Apostel der Nationen, Paulus, das Evangelium verkündet und solche ihr Vertrauen auf das Werk des Herrn Jesus setzten, die nur die Belehrung von Johannes dem Täufer kannten.

Es fällt auf, dass alle die, die den Geist empfingen und in Sprachen redeten, schon längere Zeit gläubige, fromme und von neuem geborene Menschen waren (die Jünger des Herrn; der fromme Kornelius; die Jünger des Johannes). Das Sprachenreden markiert somit deutlich den Übergang vom Alten Testament zum Neuen Testament, vom Gesetz zur Gnade: Jetzt, in diesem Heilszeitalter, besitzen die Glaubenden, aus welchem Hintergrund sie auch kommen, unterschiedslos den Heiligen Geist, und sie bilden alle den einen Leib Christi. Das war etwas, was besonders die Juden lernen und verstehen mussten, da sie sich auf einen von Gott gegebenen Gottesdienst stützen konnten, den Gott jetzt zur Seite stellte. Gott machte das durch das Zeichen des Sprachenredens klar.

Die lehrmäßige Abhandlung (1. Korintherbrief 12–14)

In der Apostelgeschichte haben wir gesehen, dass bei besonderen Gelegenheiten kollektiv in Sprachen geredet wurde. Im Korintherbrief geht es auch um Reden in Fremdsprachen – aber es geht um Gaben, die Einzelne besitzen und ausüben (1. Kor 12,10.28). Die rhetorische Frage des Apostels in 1. Korinther 12, ob alle in Sprachen reden (V. 30), muss natürlich verneint werden. Die oft gehörte Behauptung, dass alle Christen in Sprachen reden sollten, ist daher nicht haltbar.

Auch in 1. Korinther 13 wird das Sprachenreden erwähnt. Mit der Aussage in Vers 1 haben wir uns schon beschäftigt, so dass wir uns hier auf Vers 8 beschränken können: „Die Liebe vergeht niemals; seien es aber Weissagungen, sie werden weggetan werden; seien es Sprachen, sie werden aufhören; sei es Erkenntnis, sie wird weggetan werden.“ Weissagung und Erkenntnis werden weggetan werden – das geschieht, wenn die Vollkommenheit des Himmels für die Gläubigen Wirklichkeit wird (V. 9.10). Von den Sprachen aber wird gesagt, dass sie aufhören werden. Das Wort im Grundtext, das mit „aufhören“ übersetzt wurde, bedeutet auch „abklingen“. Es ist also etwas, was langsam aufhört und verschwindet. In Apostelgeschichte 20,1 wird dieses Wort im Blick auf einen Tumult gebraucht, der sich auflöste. Und so hörte die Gabe des Sprachenredens langsam auf und verschwand schließlich ganz. Im Gegensatz dazu wissen wir, dass andere Gaben bleiben werden – „bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes“ (Eph 4,11–13).

In 1. Korinther 14 geht Paulus auf das Sprachenreden ausführlich ein und mahnt die fleischlichen Korinther, die Gabe des Sprachenredens in den Zusammenkünften als Versammlung (Gemeinde) richtig zu gebrauchen. Wir wollen uns einige wesentliche Punkte ansehen und feststellen, inwiefern sie heute bei dem (vermeintlichen) Reden in Sprachen beachtet werden:

• Das Weissagen ist wichtiger als das Reden in Sprachen, da es unmittelbar zur Erbauung der Zuhörer dient (V. 1–5). – Dem Reden in Sprachen wird heute zuweilen eine Bedeutung beigemessen, die es nicht einmal zu Beginn des Christentums, als die Gabe gegeben worden war, gehabt hat.
• Das Reden in Sprachen ist nur sinnvoll, wenn es ausgelegt und somit von den Zuhörern verstanden wird (V. 6–19). – Durch ein undefinierbares Lallen, was niemand versteht, kann dieses wichtige Kriterium nicht erfüllt werden.
• Das Sprachenreden ist ein Zeichen für die Ungläubigen, durch das Gott deutlich macht, dass dieses neue Evangelium von Ihm selbst kommt, und auch, dass Gott sich von seinem irdischen Volk ab- und den Nationen zugewandt hat (V. 20–22). – Es ist heute völlig klar, dass Gott den Nationen die Buße zum Leben gegeben hat. Das Zeichen des Sprachenredens ist daher nicht mehr notwendig.
• Eine Botschaft, die niemand versteht, ist sinnlos und verwirrt unkundige Besucher (V. 23–25). – Wie viele, die am christlichen Glauben interessiert waren, mögen durch das Gebrabbel der „Zungenredner“ abgeschreckt worden sein?
• In einer Zusammenkunft sollen höchstens drei nacheinander in Sprachen reden und auch nur dann, wenn es ausgelegt wird (V. 26–33). – Ein Stimmengewirr in einer christlichen Zusammenkunft ist nicht nach den Gedanken Gottes. Die Begründung, dass dies ja ein jeweils persönliches Gebet zu Gott sei, ergibt keinen Sinn, weil das Zusammenkommen als Versammlung gerade nicht für das persönliche, sondern für das gemeinsame Gebet vorgesehen ist.
• Frauen sollen in christlichen Zusammenkünften schweigen (V. 34–36). Es ist ihnen folglich natürlich auch nicht erlaubt, in Sprachen zu reden. – Doch gerade beim „Zungenreden“ spielen Frauen heute eine wichtige Rolle.
• Es soll alles anständig und in Ordnung geschehen (V. 37–40). – Wo Menschen in Ekstase versetzt werden, entsteht jedoch Unruhe und Unordnung.

Sprachenreden heute?

„Aber ist Gott denn nicht mächtig“, so wird gefragt, „auch heute noch Sprachwunder zu bewirken?“ Sicher könnte Gott das tun, aber die Frage ist, ob Er es will. Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass Gott besondere Zeichen für besondere Zeiten reserviert hat. Denken wir an die Wolken- und Feuersäule, die das Volk Israel während der Wüstenwanderung – von Ägypten nach Kanaan – sehen konnte. Als Jahrhunderte später Juden aus der babylonischen Gefangenschaft in ihr Land zurückkehrten, gab es diese sichtbare Wegweisung durch göttliche Macht nicht. Gott wirkte am Anfang der Geschichte seines Volkes dieses tägliche Wunder, später aber, in Tagen der Schmach und Schwachheit, nicht mehr.

Der sog. Kirchenvater Augustinus (354–430 n. Chr.) schrieb im Blick auf die Zeichen und Wunder am Anfang des Christentums: „Es waren ihrer Epoche angepasste Zeichen. Sie dienten dazu, das Kommen des Heiligen Geistes den Menschen aller Sprachen anzukündigen, um zu beweisen, dass Gottes Evangelium allen Sprachen der Welt gepredigt werden musste. Dieses Zeichen ereignete sich, um etwas anzukündigen, danach verschwand es.“

Das „Zungenreden“ heute ist meines Erachtens eine missglückte und irreführende Nachahmung der Gabe Gottes zu Beginn der christlichen Zeitepoche. Die Grundlagen für das moderne „Zungenreden“ mit seinen unverständlichen Lauten sind Gruppendynamik, psychologische Manipulation, Hypnose, Suggestion, Autosuggestion, dämonische Kraft oder erlernte Gewohnheit. Der Wunsch nach besonderen Erlebnissen und der Erfahrung der Kraft Gottes ist sicher verständlich. Doch wir brauchen nicht etwas, was uns in den Ohren kitzelt, sondern die gesunde Lehre des Wortes Gottes und Nüchternheit in allem (2. Tim 4,3–5).