Person und Ort

Vom Propheten Obadja besitzen wir keine Personendaten. Wir kennen lediglich seinen Namen, der „Knecht des Herrn“ bedeutet. Es werden mehrere Obadjas in der Schrift erwähnt, und man hat auch versucht, unseren Propheten mit einer dieser Personen gleichzusetzen. Alle diese Versuche sind aber nicht mehr als Spekulationen. Darüber hinaus kennen wir von diesen Obadjas auch kaum mehr als ihren Namen.

Nur von einer Person mit diesem Namen wissen wir etwas mehr, nämlich von Obadja, der am Hof von Ahab arbeitete. Er war ein gottesfürchtiger Mann, der hundert Propheten verborgen hielt und sie auch unterhielt. Allerdings kann dieser Mann nicht mit unserem Propheten gleichgesetzt werden. Er wohnte nämlich im Zehnstämmereich, während alles darauf hinweist, dass der Prophet Obadja in Judäa lebte. Außerdem werden wir – das versuche ich zu zeigen – Obadja in einer späteren Zeit einordnen müssen. Der Prophet Obadja kann höchstens mit einem der Leviten mit diesem Namen aus der Zeit von Esra oder Nehemia gleichgesetzt werden (Esra 8,9; Neh 19,5; 12,25).

Zeit

Es wird nicht berichtet, in welcher Zeit Obadja auftrat. Wir haben nur einen Hinweis, der etwas Halt gibt. In Vers 11 wird nämlich die Einnahme von Jerusalem erwähnt. Nun wurde Jerusalem mehr als einmal eingenommen, weshalb dies auch nicht alles sagt. So wurde die Stadt einmal durch König Sisak von Ägypten eingenommen. Das geschah während der Zeit des Königs Rehabeam (1. Kön 14,25.26). Ein anderer Überfall fand in der Zeit von Joram statt, dem Sohn von Josaphat. Damals beraubten die Philister mit ihren Bundesgenossen den königlichen Palast (2. Chr 21,16.17). Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass sich die Prophezeiung von Obadja darauf bezieht. In diesen Fällen geht es um eine kurzfristige Besetzung und Beraubung.

Dasselbe gilt für die Eroberung Judas unter König Amazja durch Joas, den König des Zehnstämmereiches, worüber uns 2. Könige 14,13.14 aufklärt. Obadja redet nämlich von einem Untergang, der viel katastrophaler gewesen sein muss. Seine Prophezeiung richtet sich gegen die Edomiter, die sich über den Untergang Jerusalems gefreut und an der Beraubung der Judäer teilgenommen haben. Das Realistischste ist daher, diese Prophezeiung in die Zeit nach dem Fall Jerusalems im Jahr 586 v. Chr. zu platzieren.

Es muss allerdings erwähnt werden, dass die Einordnung in der Reihe der kleinen Propheten eher mit einer früheren Entstehung in Übereinstimmung zu bringen ist. Obadja hat seinen Platz nämlich nicht bei den Schriften erhalten, die mit Sicherheit nach der Verbannung geschrieben wurden. Ob dieser Reihenfolge wirklich ein Wert beigemessen werden muss, ist jedoch fraglich. Ein anderes Argument für eine frühere Entstehung wird der Übereinstimmung dieser Prophezeiung mit der von Jeremia 49,8–10 entlehnt. Diese Übereinstimmung sagt allerdings gar nichts über eine zeitgleiche Entstehung aus. Wir wissen, dass Jeremia vor dem Exil prophezeit hat, und das, was er über Edom sagt, muss sich nicht in seiner Zeit vollzogen haben. Dieser Prophet redet nämlich auch von dem Fall Babels (Jer 50 u. 51) in der Gegenwartsform, obwohl dieser Fall erst viel später stattfand. Obadja könnte also nach dem Fall Jerusalems aus der Prophezeiung Jeremias Elemente übernommen haben, die dieser Prophet vor dem Fall Jerusalems ausgesprochen hat.

Der Kern der Botschaft

Zum Glück ist es für das Verständnis der Botschaft Obadjas nicht erforderlich, dass wir die Besonderheiten hinsichtlich seiner Person und der Zeit seines Auftretens kennen. Mit dieser Botschaft wollen wir uns nun beschäftigen. Ihr Kern ist zwiefältig: Einerseits geht es um eine Gerichtsankündigung über Edom, andererseits handelt es sich um eine Heilsbotschaft für Israel.

Edom befand sich südlich von Israel und wurde von den Edomitern bewohnt, welche Nachkommen Esaus, des Bruders Jakobs, waren. Es ging also um ein Brudervolk. Das Volk hatte sich an dem Fall Jerusalems erfreut. Sie machten sogar mit den Feinden des Volkers Gottes gemeinsame Sache und weckten so den Zorn des Herrn auf. Trotz seiner Sünden blieb Israel ja das auserwählte Volk – für dieses Volk kündigt Gott daher auch eine heilvolle Zukunft an.

[Übersetzt aus „Bode des Heils“, Jahrgang 137]