Beide Briefe an die Thessalonicher haben ein großes Thema: das Kommen des Herrn Jesus. Aber beide Briefe behan-deln dieses Thema unter einem deutlich unterschiedlichen Gesichtspunkt. Im 1.Thessalonicher-Brief geht es vornehmlich um das Kommen des Herrn Jesus für die Seinen, um die Entrückung; während der 2.Thessalonicher-Brief vor-nehmlich das Thema hat: das Kommen des Herrn Jesus mit den Seinen, und damit steht der Tag des Herrn in Verbin-dung. Der Ausgangspunkt der Belehrungen ist in beiden Briefen eine Schwierigkeit bei den Thessalonichern. Im 1.Brief war es eine Frage in Bezug auf die Entschlafenen, ob sie verkürzt würden, wenn der Herr zur Aufrichtung Seines Rei-cher wiederkommt. Paulus erklärt ihnen dazu, dass das nicht der Fall ist, sondern dass entschlafene und lebende Heilige zuerst entrückt werden zum Herrn, um dann zusammen mit Ihm zu kommen. Im 2.Brief war der Ausgangspunkt eine Frage in Bezug auf die lebenden Heiligen, denn es waren Verführer nach Thessalonich gekommen, die gesagt hatten, dass ihre Verfolgungen, die sie durchlebten, schon die Drangsale wären, die mit dem Tag des Herrn in Verbindung ste-hen. Aber Paulus gab ihnen dazu sehr deutliche Belehrungen darüber, dass diese Leiden, in denen die Thessalonicher standen, nichts mit den Drangsalen des Tages des Herrn zu tun haben, die dann über diese Erde kommen werden.

Dieser 2.Thessalonicher-Brief kann gut in drei Abschnitte eingeteilt werden:
• Kapitel 1: Ermunterung dieser jungen Gläubigen im Blick auf ihre schwierigen Umstände
• Kapitel 2: Belehrung im Blick auf die Verführer, die sagten, der Tag des Herrn sei schon gekommen
• Kapitel 3: Hilfe und Korrektur im Hinblick auf den unordentlichen Wandel einiger aus Thessalonich

„Im Übrigen, Brüder, betet für uns, dass das Wort des Herrn laufe und verherrlicht werde, wie auch bei euch“ (Vers 1)

Zuerst befiehlt sich Paulus der ganz konkreten Fürbitte der Thessalonicher an , damit das Wort des Herrn laufe und ver-herrlicht werde. Paulus hatte in beiden Briefen für die Thessalonicher gedankt und auch Fürbitte getan; aber jetzt sehen wir, dass er das jetzt umdreht und sich selbst der Fürbitte der Thessalonicher anbefiehlt. Obwohl er ein Apostel und ein auserwähltes Werkzeug war, hatte er doch die Fürbitte der Gläubigen nötig. Und die liebliche und vertraute Anrede Brüder zeigt auch, welch gutes Verhältnis Paulus zu diesen jungen Gläubigen hatte.

In jedem Brief mit Ausnahme der Korinther-Briefe und des Galater-Briefes bittet Paulus um die Gebete der Empfänger seiner Briefe, aber nicht nur für sich selbst, sondern immer in Verbindung mit der Verbreitung des Wortes Gottes durch ihn; in Korinth und in Galatien kann er das wegen des schlechten Zustandes der Gläubigen dort nicht tun. Das fürbit-tende Gebet setzt Gemeinschaft mit Gott voraus (1. Mo 18,22–33). Wir können nur dann wirksam für andere bitten, wenn wir selbst in Gemeinschaft mit dem Herrn sind. Und weil Paulus die Korinther und auch die Galater eben nicht in dieser Gemeinschaft mit Gott wusste, konnte er sie auch nicht um diese Fürbitte bitten.

Interessant ist die Vorgehensweise des Apostels, der die Thessalonicher mit dieser Bitte um Fürbitte wegblicken lässt von sich selbst und von ihren eigenen Schwierigkeiten hin auf das Werk des Herrn und dann auch auf den Herrn selbst als der Quelle von allem. Sie sollten für Paulus bitten im Blick auf den Dienst der Verbreitung des Wortes Gottes. Wenn man sich immer mit sich selbst beschäftigt, führt das nicht zur Befestigung; aber wenn die innere Beschäftigung sich um das Werk des Herrn dreht und wenn die Gebete sich um die Bewahrung derer im Werk des Herrn drehen, dann führt das zu einem festen Stand.

Immer wieder in diesem 2.Thessalonicher-Brief – im Gegensatz zum 1.Thessalonicher-Brief – werden die Dinge auf den Herrn zurückgeführt. Es heißt nicht Wort Gottes, sondern Wort des Herrn; in Kap 2,2 hatte er von dem Tag des Herrn gesprochen; in Kap 2,13 nennt er die Thessalonicher vom Herrn geliebte Brüder und kommt dann in Kap 3,16 nicht auf den Gott des Friedens sondern auf den Herrn des Friedens zu sprechen.

Die Thessalonicher selbst hatten das Wort des Herrn aufgenommen, und durch die Ergebnisse bei ihnen war es auch verherrlicht worden, es war bei ihnen zu seinem Ziel gekommen (1. Thes 1,6–10). Das Wort des Herrn wird verherr-licht durch die Ergebnisse, die es hervorzubringen vermag. Verherrlichen bedeutet, dass das Wort dadurch sich entfal-tet, dass es ausführt, wozu Gott es gegeben hat. Jetzt sollten sie auch dafür beten, dass es weiterläuft, nicht nur bei ihnen sondern sich noch viel weiter ausdehnen würde. Dieses Wort wird hier personifiziert dargestellt, als ob es ein Bote selbst ist. Aber es sollte nicht einfach nur verkündigt werden, sondern auch Ergebnisse zeitigen in den Herzen derer, an die es gelangt. Es soll also durch die Verkündigung des Wortes Früchte im Leben derer geben, an die es gelangt, und dadurch sichtbar werden, was dieses Wort in sich ist. Möchte das auch in unserem Leben so sein! Wir dürfen nie aus dem Auge verlieren, dass das Wort Gottes höchste Autorität besitzt; wir sollten uns davor beugen und alles daran set-zen, dass es in unserem Leben immer mehr Raum gewinnt. Es ist ja nicht nur Evangelium, sondern hat auch Ansprüche an jeden Gläubigen und wirkt an uns (1. Thes 2,13) und soll auch unter uns laufen und seine Wesenszüge offenbaren können. Ist das auch mein ganz persönliches Ziel, wenn ich das Wort aufschlage und lese, dass dieses Wort meinem Herzen größer wird? Gott wird dadurch verherrlicht, dass wir nicht nur Hörer, sondern Täter Seines Wortes sind (Jak 1,22–25; Ps 103,20). Wie traurig und beschämend, dass dieses wunderbare Wort in unseren Tagen zerpflückt und zer-treten wird!

Das Wort Gottes hat in sich selbst Kraft und Wirksamkeit (Jes 55,11). Und doch finden wir, dass wir dafür beten sollen, dass es auch wirklich Eingang in die Herzen findet und verherrlicht wird. Das Wort des Herrn ist nicht gebunden (2. Tim 2,9), es wird laufen – „...sehr schnell läuft sein Wort“ (Ps 147,15) –, auch wenn der Apostel selbst sich in Ban-den befand. Auch heute noch ist das wahr von dem Wort Gottes. Das Wort hat Autorität und es läuft! Selbst der Teufel kann das Wort nicht aufhalten. Es ist lebendig und wirksam (Heb 4,12+13), aber nicht nur in sich selbst lebendig, son-dern es macht auch lebendig. Das lebendige Wort Gottes hat wunderbare Eigenschaften. Es gibt kein Buch in dieser Welt, von dem so etwas gesagt werden könnte. Jede Bekehrung ist von neuem eine Bestätigung der wunderbaren Kraft des Wortes Gottes (1. Pet 1,23). Und durch jede Bekehrung wird das Wort Gottes verherrlicht, weil man dadurch sehen kann, wozu es gegeben worden ist.

„...und dass wir errettet werden von den schlechten und bösen Menschen; denn der Glaube ist nicht aller Teil“ (Vers 2)

Erst nachdem der Apostel Paulus das Werk des Herrn der Fürbitte der Thessalonicher anbefohlen hatte, denkt er an sei-ne persönlichen Bedürfnisse. Wir sollten auch mal unsere persönlichen Gebete und die in den Gebetsstunden im Blick auf diese Reihenfolge prüfen. Man gewinnt doch den Eindruck, dass der zweite Punkt des Paulus sehr oft bei uns den ersten Platz einnimmt und umgekehrt – wenn nicht sogar das erste Anliegen des Apostels bei uns vernachlässigt wird.

Paulus sah ständig die Feindschaft der Menschen vor sich, und gerade auch in Thessalonich selbst hatte er das erleben müssen (Apg 17,5–10). Deshalb war es nötig, dass die Geschwister auch für seine persönliche Bewahrung beteten. An die Geschwister in Rom schreibt er einen ganz ähnlichen Wunsch um ihre Fürbitte (Röm 15,30+31). Hier nennt er dann auch ganz konkret die Gebetsgegenstände (vgl. auch Kol 4,3+4; Eph 6,19). Wir müssen dabei bedenken, dass er sich beim Schreiben dieses Briefes in Korinth befindet, und in Apg 18,9 bekommt er dort in Korinth vom Herrn eine Ermutigung, sich nicht zu fürchten, weil Er mit ihm ist und niemand ihn angreifen würde um ihm Böses zu tun. Er hatte also vom Herrn eine positive Zusage der Bewahrung vor bösen Menschen, aber das schloss die Gebete für ihn nicht aus. Deshalb wollen wir aus dieser Stelle auch für unsere Tage lernen, dass der Herr möchte, dass wir trotzdem beten. Er bewahrt uns, und trotzdem sind die Gebete auch der jüngsten Gläubigen nötig.

Paulus wünschte, von den schlechten und bösen Menschen errettet zu werden. Dabei geht es sowohl um das Betragen als auch um den Charakter dieser feindlichen Menschen. Sie hier waren ihrem Betragen nach schlecht und ihrem Cha-rakter nach böse. Paulus hatte immer wieder erfahren, dass Satan gerade bei der Verkündigung des Evangeliums Wi-derstand entfachte durch schlechte und böse Menschen, manchmal sogar in der besonders perfiden Form durch falsche Brüder (2. Kor 11,26). Der Ausdruck schlecht meint ungeziemend, nicht am Platz. Der Schächer am Kreuz hat im Blick auf den Herrn Jesus genau dieses Wort benutzt und gesagt, dass Er nichts Ungeziemendes getan hat (Lk 23,41). Der Herr Jesus hat nie etwas getan, was nicht am Platz gewesen wäre – das muss unser Herz berühren! Er hat nicht nur nichts Schlechtes getan, sondern es war alles in Seinem Leben an seinem Platz – vor Gott und Menschen.

Der Apostel verbindet dann die Tatsache, dass der Glaube nicht aller Teil ist, mit diesen schlechten und bösen Men-schen. Es handelt sich bei diesen Menschen also eindeutig um Ungläubige, solche, die dem Evangelium nicht gehorcht haben (Röm 10,16). Diese versuchen, mit allen Mitteln zu verhindern, dass das Evangelium läuft und verherrlicht wird. Aber es ist doch eine erschütternde Aussage über diese Menschen! Der Glaube ist nicht aus uns, sondern Gottes Gabe, damit niemand sich rühme (Eph 2,9). Selbst der Glaube ist nicht irgendetwas, was aus uns selbst hervorkommt; es ist Gottes Gabe für jeden, der durch aufrichtige Buße zum Herrn geführt wird. Diese Feststellung, dass der Glaube nicht aller Teil ist, ist gleichbedeutend damit, dass die Glaubenden wenige sind, und das sollte uns immer wieder treffen. Aber es darf uns nicht daran hindern, das Evangelium weiter zu verkündigen. Wir sollten nur nicht enttäuscht sein, wenn nicht alle unserer Botschaft glauben. Der Herr Jesus hatte es selbst schon in der Bergpredigt angedeutet, dass es nur wenige sind, die den Weg, der zum Leben führt, finden werden (Mt 7,13+14). Und in Lk 12,32 sagt Er: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde“ – es ist immer eine kleine Herde.

Praktische Bemerkung: Wir dürfen keinen Rückschluss auf die Richtigkeit einer Verkündigung tun, wenn keiner durch sie zum Glauben kommt. Wir meinen immer, wenn der Herr wirkt, müssen haufenweise Menschen zum Glauben kommen. Dann hätte aber auch dem Herrn selbst bei Seinen Verkündigungen keiner widerstehen können. Andererseits kann man kann auch die Menge der Bekehrten nicht auf die Richtigkeit der Verkündigung zurückführen! Obwohl es der Wille oder ausdrückliche Wunsch Gottes ist, dass alle Menschen errettet werden (1. Tim 2,4), ist doch der Glaube nicht aller Teil, es gibt genug, die das für sich nicht in Anspruch nehmen wollen. Vielleicht sind nicht alle von ihnen aktiv schlechte und böse Menschen sondern verhalten sich neutral und unentschieden. Aber es gibt in Gottes Augen keine Neutralität.

„Der Herr aber ist treu, der euch befestigen und vor dem Bösen bewahren wird“ (Vers 3)

Der letzte Satz von Vers 2 hat im Griechischen nur drei Worte: „Glaube nicht aller“; die Reihenfolge im Griechischen ist dabei folgende: Nicht aller [Teil ist der] Glaube (oder die Treue) – treu aber ist der Herr! Zweimal stehen Glaube o-der Treue nebeneinander, mehr kann die griechische Sprache nicht zeigen, was ein Unterschied ist. Einerseits treulos, andererseits treu.

Hier sehen wir wieder, dass in diesem Brief viele Dinge, die im 1.Thessalonicher-Brief mit Gott in Verbindung ge-bracht werden, jetzt auf den Herrn bezogen werden. Das ist auch bei der Treue so, die im ersten Brief auf Gott bezogen wird (1. Thes 5,24), hier steht sie mit dem Herrn in Verbindung. Dieser Herr, dessen Herrschaftsansprüche an Seinem Tag einmal sichtbar werden, ist treu. Er ist treu im Blick auf das Gericht über die, die Ihn im Glauben ablehnen; aber Er ist treu auch im Blick auf uns, Er ist unveränderlich zu unseren Gunsten.

In Kap 2,17 wird das Befestigen in Form einer Bitte oder eines Gebets ausgedrückt, hier wird es als Tatsache vorge-stellt. Es ist so, dass der Herr uns befestigt, und trotzdem sollen wir auch dafür beten. Es gehört zur Treue des Herrn, dass Er uns befestigt, damit wir nicht umfallen oder unsicher werden. Aber gleichzeitig soll das auch unser Gebet sein.

Wie geschieht das Befestigen der Gläubigen? Natürlich ist es der Herr, der das bewirkt, und Er benutzt heute Sein Wort dazu, aber auch Seine Diener, die es verbreiten. Es war Paulus Wunsch, als er nach Rom kommen wollte, die Gläubigen dort zu befestigen (Röm 1,11). Und in Röm 16,25 nimmt er Bezug auf die drei Lehrbriefe Römer-, Epheser- und Ko-losser-Brief (nach meinem Evangelium = Römer-Brief; die Predigt von Jesus Christus = Kolosser-Brief; die Offenba-rung des Geheimnisses = Epheser-Brief), und sagt, dass sie durch diese Schriften befestigt würden, indem in ihnen die göttliche Wahrheit mitgeteilt wird. Auch heute geschieht die Befestigung entweder durch das Lesen des Wortes Gottes oder durch seine Verkündigung.

Das Ziel jedes Dienstes von uns muss die Befestigung der Gläubigen sein. Es darf uns nicht darum gehen, wenn wir inmitten von Gläubigen tätig sind, ihnen irgendwelche Spezialitäten vorzustellen, sondern sie sollen im Glauben befes-tigt werden, damit die Wahrheit in ihren Herzen fest ist und sie ein sicheres Fundament unter den Füßen haben. Paulus hatte gerade deshalb auch den Timotheus zu den Thessalonichern gesandt (1. Thes 3,2).

Man könnte sich fragen, ob mit dem Bösen das Böse der Menschen aus Vers 2 gemeint ist, oder der Böse selbst, Satan. Fest steht, dass das Böse immer nur von einer Person, dem Bösen, kommt. Hier gehen wir nicht fehl, wenn wir Satan selbst in diesem Ausdruck sehen. Was ist Bewahrung vor dem Bösen? Was meinte Paulus, als er mit dem Tod vor Au-gen sagte, dass der Herr ihn retten würde von jedem bösen Werk (2. Tim 4,18)? Es meint damit, dass er – und auch hier die Thessalonicher und damit auch wir – nicht durch die Einflüsse des Bösen im Glauben einknicken und auf falsche Wege kommen würden, dass die Seele bewahrt bleiben möchte vor den teuflischen Einflüssen. Ein solches Gebet ist viel wichtiger als ein Gebet um Genesung von Krankheiten. Die Thessalonicher damals und auch wir heute brauchen diese Bewahrung vor den bösen und schlechten Menschen, aber auch Bewahrung vor dem, was sie bringen, nämlich falsche Lehre, und auch Bewahrung vor dem, der dahinter steht, Satan.

Paulus schreibt nur noch ein einziges Mal von dem Bösen, und damit ist auch der Satan gemeint (Eph 6,16). Aber in den Briefen von Johannes wird wiederholt der Böse genannt, und da ist es ganz deutlich, dass dort jeweils eine Person gemeint ist. Die Jünglinge z.B. haben nicht das Böse, sondern den Bösen überwunden (1. Joh 2,14), und der aus Gott Geborene bewahrt sich und der Böse tastet ihn nicht an (1. Joh 5,18). Da ist jemand, der will uns antasten, und diese Ge-fahr wird für uns drängender, wenn wir wirklich sehen, dass hinter all dem, was uns im Glauben Schaden zufügen will, der Böse selbst steht, der Teufel. Als der Herr Jesus hier auf der Erde war, hatte Er Seine Jünger bewahrt, aber jetzt würde Er weggehen und deshalb bittet Er den Vater: „Bewahre sie vor dem Bösen“ (Joh 17,15). Wir haben diese Be-wahrung absolut nötig, und es ist ein beglückender Trost, dass da Einer ist, der uns vor diesem Bösen als Persönlichkeit zu bewahren vermag!

„Wir haben aber im Herrn das Vertrauen zu euch, dass ihr, was wir gebieten, sowohl tut als auch tun werdet“ (Vers 4)

Dieser Vers ist eine Art Abschluss der ersten drei Verse und blickt voraus auf die Ermahnungen ab Vers 6. In Vers 3 spricht der Apostel davon, dass der Herr treu ist, und der Vers 4 zeigt dann, was die Seite der Thessalonicher ist, dass sie nämlich treu das tun würden, was er ihnen gebietet. Das Vertrauen wird dadurch betont, dass der Satz im Griechi-schen mit diesem Wort beginnt: Vertrauen haben wir im Herrn zu euch... Es bestand zwischen dem Apostel und den Thessalonichern eine Basis des Vertrauens, weil er sie kennen gelernt hatte, weil sie auch gegenseitig füreinander bete-ten – so etwas schafft Vertrauen.

Und es ist Vertrauen im Herrn. Auch den Galatern kann er dieses Vertrauen im Herrn aussprechen (Gal 5,10). Wenn es allein um die Umstände gegangen wäre, dann war der Apostel um die Galater in Verlegenheit (Gal 4,20), dann hätte er kein Vertrauen zu ihnen haben können. So aber hatte Paulus bei den Galatern Vertrauen im Herrn trotz ihres Verhal-tens, während hier bei den Thessalonichern doch weitestgehende Übereinstimmung mit ihm bestand.

Das Vertrauen im Herrn steht in einem gewissen Gegensatz zu einem Vertrauen, dass die Thessalonicher in sich selber haben könnten. Der Apostel vertraut ihnen nicht, weil sie so brave oder tapfere Christen waren, sondern er vertraut ihnen im Herrn. Bei wahren Kindern Gottes ist dieses Vertrauen im Herrn immer angebracht, selbst wenn wir von ihnen enttäuscht worden sind. Im Herrn gibt es Hoffnung! Deshalb ist es beglückend, dass wir im Herrn Vertrauen zueinander haben dürfen – es ist das Gegenteil von Misstrauen. Es war ja auch nicht die ganze Versammlung in Thessalonich von diesem Bösen, was ab Vers 6 folgt, durchsetzt. Sie haben es geduldet, aber man kann annehmen, dass sie darunter gelit-ten haben.

Wie oft kommen in den einzelnen Versammlungen Dinge vor, wo man durch Geschwister enttäuscht wird, wo man we-gen ihres Verhaltens kein Vertrauen mehr zu ihnen haben kann, weil sie es missbraucht haben. Und dann kann es sein, dass man ihnen nichts mehr zutraut, dass man noch nicht einmal dem Herrn zutraut, dass Er etwas richten kann. Und da ist es eine große Ermutigung, im Herrn Vertrauen zu gewinnen und zu haben, nicht indem wir auf die Geschwister bli-cken. So sollten wir auch unsere Geschwister betrachten: im Herrn Vertrauen haben, dass Er Veränderungen zum Guten zu bewirken vermag, auch wenn die aktuellen Umstände noch nicht so sind, wie man sie sich wünschen würde.

Nachdem der Apostel Paulus seinem Vertrauen, das sich also auf eine gegründete Beziehung stützt, Ausdruck gegeben hat, gebietet er in seiner Autorität als Apostel im Blick auf solche unter ihnen, die unordentlich wandelten. Darauf be-ziehen sich die wiederholten Gebote des Apostels, die in diesem Zusammenhang viermal in diesem Kapitel erwähnt werden (Verse 4, 6, 10 + 12), und auch schon im ersten Brief hatte er im Blick auf diese Unordentlichen etwas gebieten müssen (1. Thes 4,11).

„Der Herr aber richte eure Herzen zu der Liebe Gottes und zu dem Ausharren des Chris-tus!“ (Vers 5)

Dieser Vers ist etwas ganz Besonderes. Eigentlich ist es ja ein indirektes Gebet des Apostels für die Thessalonicher, ei-ne Bitte, die wir uns alle füreinander aneignen dürfen. Es bewegt uns, dass der Herr Jesus selbst es ist, der Heiland, der unsere Herzen jetzt auf zwei Dinge richtet: zuerst auf die Liebe Gottes und dann auf das Ausharren des Christus. Unse-re Herzen sind der Ausgangspunkt unserer Zuneigungen; die Liebe Gottes und das Ausharren des Christus sind nicht ein Thema für unseren Verstand, sondern ein Thema für unser Herz, den Sitz unserer Zuneigungen und den Ausgangs-punkt unserer Entscheidungen (Spr 4,23). Dieses Richten auf diese beiden Dinge könnte auch bedeuten: Glätten, Hin-dernisse wegnehmen. Auf einem geebneten Weg ohne Hindernisse kann man viel leichter vorankommen. So sollten auch aus unserem Herzen alle Hindernisse weggeräumt werden, um die Liebe Gottes genießen zu können und von dem Ausharren des Christus erfüllt zu sein.

• Die Liebe Gottes ist der Ausgangspunkt alles dessen, was groß und gut ist. Wenn der Herr also unsere Herzen auf die Liebe Gottes hinlenkt, dann tut Er das, damit wir diese Liebe genießen können. Als der Herr Jesus Sein Gebet in Joh 17,26 beendet hat, sagt Er so ergreifend: „Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen sei und ich in ihnen“. Die Liebe Gottes ist ein Gebiet, mit dem wir nie fertig werden können! Es ist wie ein großes Meer, dessen Grund wir nie erreichen werden. Gott ist auch Licht, aber in dem Moment, wo Er tätig wird, wird Er nicht als Licht tätig son-dern als Liebe. Und diese Liebe Gottes strahlt am hellsten und ist darin zu uns offenbart worden, dass Gott Seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch Ihn leben möchten (1. Joh 4,9+10). Nur wenn wir Seine Liebe betrachten und genießen, werden wir auch fähig sein, durch unsere Liebe zu Gott eine Antwort darauf zu geben, nur auf diesem Weg (1. Joh 4,19).
Unter den Bewahrungsmitteln in einer Zeit völligen Abfalls der Christenheit ist es gerade die Liebe Gottes, in der wir uns selbst erhalten sollen (Judas 21). Wir sollen uns angesichts all der schlimmen Dinge um uns her den wärmenden Strahlen der Liebe Gottes aussetzen, unser ganzes Herz der Liebe Gottes öffnen.
• Der zweite Punkt ist das Ausharren des Christus. Wenn von dem Herrn Jesus gesprochen wird, dass Er wartet, dann ist nicht an die Entrückung zu denken. Wir können zwar davon überzeugt sein, dass der Herr Jesus auch auf diesen Augenblick wartet, aber es nicht der Sinn dieser Stelle hier. In Ps 110,1 wird mit dem Wort bis eine Zeitepoche angedeutet. Der Herr sollte sich zu Seiner Rechten setzen, bis etwas erfolgen würde, was dann in Heb 10,12 noch weiter ausgeführt wird, nämlich dass Seine Feinde hingelegt sind als Schemel Seiner Füße. Das ist es, worauf der Herr Jesus wartet, was Sein Ausharren kennzeichnet. Er wartet darauf, bis Gott Ihm Sei-ne Feinde zu Füßen legen wird. Johannes bezeichnet sich am Anfang der Offenbarung als „Mitgenosse in der Drangsal und dem Königtum und dem Ausharren in Jesus“ (Off 1,9). Schon der Hinweis auf das Königtum macht deutlich, dass es im Zusammenhang mit dem Ausharren nicht um die Entrückung geht, sondern um den Zeitpunkt der Aufrichtung des Reiches des Herrn. Und im Sendschreiben an Philadelphia wird gelobt, dass die Gläubigen dort „das Wort meines Ausharrens bewahrt“ haben (Off 3,10); sie warteten mit Ihm auf den Au-genblick, wo Er hier auf der Erde Seine Rechte zugesprochen bekommt. Das ist auch der Gedanke in 2. Tim 4,8: ein wahrer Christ freut sich auf den Moment, wo der Herr Jesus öffentlich erscheint und hier auf der Erde Seine Herrschaft antreten wird, er liebt Seine Erscheinung.
Der Herr Jesus wartet im Himmel zur Rechten Gottes, und wir warten hier. Wir wollen nicht schneller sein, als Er. Wenn Er noch wartet, dann wollen auch wir warten, denn Sein Warten ist Errettung. Jeder Tag, den der Herr uns noch schenkt, mag für viele Menschen ein Tag der Errettung sein. Er will uns die Kraft schenken, Tag für Tag auf den Moment zu warten, den Gott in Seinem Ratschluss festgesetzt hat.
Wenn der Herr Jesus jetzt noch eine wartende Position einnimmt, dann bedeutet das auch, dass Er jetzt noch verworfen ist. Auch wir sollten deshalb mit Ihm eine wartende Position einnehmen und nicht vor der Zeit herr-schen wollen, wie es die Korinther wünschten (1. Kor 4,8). Wenn wir die Geschichte der christlichen Kirche auf der Erde verfolgen, wie sie in den Sendschreiben vorgestellt wird, dann war die Versammlung am Anfang getrennt von der Welt (Ephesus, Smyrna). Dann stellte sie sich unter den Schutz der Welt (Pergamus), und als weitere Abwärtsentwicklung wurde sie zur Herrscherin über die Welt (Thyatira). Und heute ist es wohl soweit gekommen, dass bekennende Kirche und Welt eins geworden sind (Laodizea)! Der Herr möge uns davor be-wahren und uns helfen, die Verwerfung mit Ihm zu teilen, bis Er kommt. Das ist für Sein Herz etwas besonders Wertvolles!

Vorbemerkungen zu den Versen 6–15:

In dem Abschnitt von Kap 2,13 bis Kap 3,5 wollte der Apostel zunächst das Interesse der Thessalonicher für die Über-lieferungen, das Wort Gottes wecken und festigen (Kap 2,15). Dann bemüht er sich, ihr Interesse für das Werk des Herrn und die Diener des Herrn zu wecken (Kap 3,1). Und Kap 3,5 wird das Interesse gerichtet auf Gott Selbst, auf Seine Liebe, und auf das Ausharren des Christus. Hat die Betrachtung dieser Verse auch bei uns neu das Interesse für diese Dinge wecken können? Wenn unsere Herzen wirklich auf diese Dinge ausgerichtet sind und alle Hindernisse weggeräumt sind, dann wird nie ein unordentlicher Wandel bei uns die Folge davon sein.

Von diesem Vers 6 an behandelt Paulus dieses eigentliche Problem der Thessalonicher, den unordentlichen Wandel ei-niger unter ihnen. Im Zusammenhang mit dem 1.Thessalonicher-Brief können wir darunter ganz klar verstehen, dass es dabei um solche Gläubigen geht, die nicht mit ihren eigenen Händen arbeiteten, sondern den Übrigen auf der Tasche lagen (1. Thes 4,10–12). Nur mit großer Vorsicht können diese Verse auch auf andere Dinge angewendet werden in der Versammlung, wenn in der Beurteilung darüber Einmütigkeit besteht, dass es sich auch um einen unordentlichen Wan-del handelt. Im Zusammenhang dieser beiden Briefe ist es aber ganz klar das Nicht-Arbeiten-Wollen. Faulheit ist in der ganzen Heiligen Schrift ein Übel, dass sowohl im AT als auch im NT als solches gebrandmarkt wird (z.B. Spr 6,6). Gott hat dem Menschen von Anfang an Aufgaben gegeben; schon im Garten Eden sollte er den Garten bebauen und bewahren (1. Mo 2,15). Das war ein klarer Auftrag zur Arbeit, schon bevor die Sünde in die Welt kam.

Es ist die Erfüllung des menschlichen Lebens, zu arbeiten (Spr 12,27). Die Arbeit ist eine Gabe Gottes und deshalb auch ein Segen, wofür wir dankbar sein sollen. Aber jede Gabe Gottes ist auch mit einer Verantwortung verbunden, und das ist bei der Arbeit nicht anders. Selbst der niedrigste Dienst eines gläubigen Sklaven hat das Niveau eines Dienstes für den Herrn Christus (Kol 3,24). Allerdings gibt es im Blick auf unsere Verantwortung hinsichtlich der Arbeit zwei Problembereiche:
• wir könnten die Arbeit als Gabe Gottes vernachlässigen; das war das Problem einiger Gläubiger in Thessalo-nich und wird in diesen Versen behandelt; lässig sein, faul sein, nicht arbeiten wollen
• wir könnten es mit der Arbeit übertreiben; das ist auch ein gewichtiges Problem unserer Tage. Die Anforde-rungen im Beruf sind für viele von uns sehr hoch. Wenn man seiner Verantwortung im Beruf Genüge tun möchte, dann ist die Gefahr schnell da, dass man von der Arbeit völlig vereinnahmt wird.
Der Teufel benutzt sowohl das Eine wie auch das Andere, um uns irgendwie vom richtigen Weg abzubringen und zu einem unordentlichen Wandel zu verleiten. Es ist ein schwieriger Spagat für uns; wo findet man die Zeit für das Be-schäftigen mit dem Wort, mit dem Werk des Herrn, für das, was man für den Herrn tun möchte? Den arbeitenden Ge-schwistern in Korinth wurde gesagt, dass sie allezeit überströmend sein sollten im Werk des Herrn (1. Kor 15,58).

In den Augen Gottes ist es verabscheuungswürdig, wenn man im Blick auf die tägliche Arbeit für den eigenen Unterhalt oder den Unterhalt der Familie faul ist! Die erste Aufgabe eines jeden Menschen in seinem irdischen Leben ist es, für die eigenen Bedürfnisse zu arbeiten, sich sein Brot durch eigene Arbeit zu verdienen. Die Bestrebungen des Menschen, seine Arbeit durch Maschinen erledigen zu lassen, um selbst mehr freie Zeit zu gewinnen, führen fast immer dazu, dass diese gewonnene Zeit mit fremden Dingen ausgefüllt wird. Und diese Konsequenz ist eines der größten Gräuel in den Augen Gottes. Wenn so etwas dann auch noch bei Christen gefunden wird, ist das eine Verleugnung alles dessen, was Gott ihm gegeben hat, um hier auf der Erde als Himmlische ein Zeugnis für Ihn zu sein. Und weil das für einen Christen so schändlich ist, gebraucht der Apostel in diesem Kapitel viermal im Blick auf solche Unordentlichen den Ausdruck, dass er etwas gebietet (Verse 4, 6, 10 und 12). Es geht dabei gar nicht um eine geistliche Angelegenheit, sondern um die geistliche Behandlung einer ganz traurigen Entwicklung auf dem irdischen Sektor. Deshalb sollten wir dieses The-ma sehr ernst nehmen! Ein weiterer Gesichtspunkt dabei ist, dass wir durch eigene Arbeit auch in die Lage versetzt werden, den Bedürftigen etwas geben zu können (Eph 4,28). Paulus schreibt das den Ephesern, und er hatte gerade die-se Seite auch unter ihnen vorgelebt, als er in Ephesus mit seinen Händen gearbeitet hatte auch für die Bedürfnisse derer, die bei ihm waren (Apg 20,34+35). Auch das ist ein Ansporn, mit Fleiß unsere alltäglichen Pflichten zu erfüllen.

Der Apostel scheint schon bei seinem Aufenthalt in Thessalonich etwas von dieser Neigung unter den Geschwistern ge-sehen zu haben, denn er hatte während seines höchstens vierwöchigen Aufenthalts ihnen diesbezüglich schon geboten, wie sie sich verhalten sollten. Die Ursache für dieses Verhalten war aber sicherlich nicht die Erwartung des Kommens des Herrn Jesus. Aber durch den Umstand, dass man ihnen gesagt hatte, der Tag des Herrn sei schon da, meinten sie, dass sie die tägliche Arbeit nicht mehr nötig hätten; sie haben sich verleiten lassen, aufzuhören mit ihrer Arbeit und ha-ben dann offenbar auf Kosten anderer gelebt. Das ist ein böser Zustand, und deshalb folgt dann praktisch als eine Wie-derholung dieser mündlichen Gebote in seinem 1.Thessalonicher-Brief eine schriftliche Wiederholung dieser Anwei-sungen (1. Thes 4,10–12; 5,14). Dann werden die treuen Gläubigen von Thessalonich hier in 2. Thes 3,6 aufgefordert, sich von denen zurückzuziehen, die unordentlich wandelten. Dabei handelt es sich um eine ganz persönliche Reaktion, die bedeutet, dass es bis auf das gemeinsame Brotbrechen keinen geschwisterlichen, privaten Umgang mit solchen mehr geben konnte. Dann werden in Vers 12 aber diese Betreffenden auch noch selbst direkt angesprochen und eindringlich ermahnt. Und erst danach, wenn auch diese gebietende Ermahnung keine Wirkung zeigen würde, sollten diese Unor-dentlichen vor der Versammlung öffentlich bezeichnet werden (Vers 14+15).

„Wir gebieten euch aber, Brüder, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr euch zurückzieht von jedem Bruder, der unordentlich wandelt und nicht nach der Überlieferung, die er von uns empfangen hat“ (Vers 6)

Der Punkt, um den es in diesen Versen geht, ist also das unordentliche Wandeln, wo jemand nicht arbeiten will und sich auf Kosten anderer durchschlägt. So etwas möchte Gott nicht. Und wir müssen im Auge behalten, dass die Versamm-lung Gottes nichts Böses dulden kann, weil der Herr Jesus in ihrer Mitte ist. Nicht nur gegen die groben Formen des Bösen müssen wir angehen, sondern auch gegen die feinen. Im Blick auf die Frage der Zucht gibt es ja zwei Gefahren unter uns:
• zum einen besteht die Gefahr, dass wir bei allem Fehlverhalten, das sich in den Versammlungen zeigt, nichts anderes kennen als den Ausschluss. Praktischerweise wenden wir oft keine milderen Formen der Zucht an.
• das andere Problem ist, dass wir, wenn wirkliche Gründe für einen Ausschluss vorliegen, doch nicht den Aus-schluss vollziehen; sei es, weil wir meinen, wir hätten keine Kraft dazu, oder wir scheuen einfach diesen Schritt
Wir benötigen in jedem Fall Weisheit und Abhängigkeit, um das richtige Urteil zu erlangen – und das ist nicht immer leicht. Viel Gebet gehört dazu und auch ein demütiges Warten-Können, bis der Herr Klarheit schenkt.

Wie behandelt man nun ein solches Fehlverhalten? Das Gebot des Apostels Paulus, dass sich die Thessalonicher von den Unordentlichen unter ihnen zurückziehen sollten, erfolgte in der ganzen Vollmacht der Person des Herrn, Er wird hier mit Seinem vollen Titel genannt. Es ist hier der Beginn der Zuchtmaßnahmen solchen Unordentlichen gegenüber. Auch das Zurückziehen ist schon Zucht, es ist aber noch nicht die Handlung der Bezeichnung aus den Versen 14 und 15. Hier geht es darum, dass mit solchen keine praktische christliche Gemeinschaft mehr gepflegt werden kann mit Ausnahme der Gemeinschaft am Tisch des Herrn; ein einfacher Gruß bei den Zusammenkünften ist aber auch noch möglich. Das sollte zweierlei Wirkungen haben: die Betreffenden sollten merken, dass sie auf einem verkehrten Weg sind, und die Übrigen sollten sich nicht anstecken lassen von diesem unordentlichen Wandel, denn „böser Verkehr ver-dirbt gute Sitten“ (1. Kor 15,33).

Worin besteht der Unterschied zwischen dem Zurückziehen in Vers 6 und dem Bezeichnen in Vers 14? Wir müs-sen dabei sehen, zu wem der Herr die jeweiligen Worte spricht. In Vers 6 spricht Er zu der Versammlung als solche, zu den Geschwistern allgemein im Blick auf jemand, der unordentlich wandelt. Dann ist die Aufgabe der Geschwister – ganz sicher nachdem man es dem Betreffenden vorgestellt hat – sich von solchen zurückzuziehen. Das ist die persönli-che Konsequenz für die einzelnen Geschwister am Ort. Wenn ich persönlich mich von einem Unordentlichen zurück-ziehe, ist diese Person noch mitten in den Vorrechten der geschwisterlichen Gemeinschaft. Wir geben persönlich der Person zu verstehen, dass wir mit ihrem Verhalten nicht einverstanden sind, dass wir das verurteilen und uns deshalb persönlich von der Person zurückziehen. Bei dem persönlichen Zurückziehen erfolgt keine Mitteilung an die Versamm-lung, erst in Vers 14. Dieses Zurückziehen ist ein Appell an unsere geistliche Einsicht und dann auch Entschiedenheit, solche zu erkennen und durch das Vermeiden jedes persönlichen Kontaktes – außer am Tisch des Herrn – ihnen keinen Raum zu geben so zu tun, als ob das normal wäre und man so inmitten von Gläubigen sein Leben führen kann.

In Vers 12 richtet sich der Herr dann direkt an solche, die nicht arbeiten und sich auf fremde Hilfe verlassen wollten; ihnen wird geboten, ihr eigenes Brot zu essen. Erst dann kommt Vers 14, wo sich der Herr wieder an die Versammlung richtet und für den Fall, dass diese Unordentlichen sich nicht beugen unter den Willen Gottes, die Versammlung auffor-dert, einen solchen zu bezeichnen. Dann war Zucht nötig. Zucht hat übrigens immer neben der Aufrechterhaltung der Ehre des Herrn das Ziel, dass jemand gewonnen wird, dass es Wiederherstellung gibt. Vers 6 mag in dem Sinn eine Zwischenstufe vor Vers 14 sein. Paulus schrieb ihnen jetzt diesen Brief auch in der Hoffnung, dass durch Kap 3,12 die Unordentlichen zur Einsicht kamen. Wenn aber nicht, dann mussten die Thessalonicher einen Schritt weiter gehen und den Betreffenden auch öffentlich durch die Bezeichnung brandmarken.

Paulus spricht hier von einer Überlieferung. Das war keine alte Tradition, sondern eine Wahrheit, die dem Apostel vom Herrn anvertraut worden war und die er den Thessalonichern weitergegeben hatte. Und braucht jetzt nichts mehr über-liefert zu werden, denn wir haben das vollständige Wort Gottes; aber an uns ist es diese Überlieferungen festzuhalten.

Praktische Frage: Unterliegen wir im Blick auf einen unordentlichen Wandel auch der Beurteilung der uns umgeben-den Menschen? Wir sollen ja ehrbar und in Weisheit wandeln vor denen, die draußen sind (1. Thes 4,12; Kol 4,5). Die Menschen dieser Welt um uns her haben zwar heute einen ganz anderen Maßstab als wir. Aber selbst wenn sie selbst nicht mehr nach unseren Grundsätzen leben, fällt es ihnen doch immer wieder auf, wenn ein Christ nach ihrer Art han-deln sollte, und sie verurteilen das als nicht in Ordnung. Deshalb gehört sehr viel Weisheit zur Beurteilung dieser Frage, aber es gibt Fälle, wo wir das Urteil der Welt nicht einfach so beiseite fegen können. Wenn z.B. eine böse Sache unter uns, die nur in der Welt bekannt und bezeugt ist, erst durch die uns umgebenden Weltmenschen ans Licht gebracht wird. Wenn es aber nur um Gerüchte und Hörensagen geht, müssen wir sehr vorsichtig damit sein. Es geht bei dieser Frage auch um die grundsätzliche Erwägung, wie behutsam wir sein müssen, wenn wir von der Auslegung einer Stelle zur Anwendung dieser Stelle übergehen. Manche Anwendung einer Bibelstelle hat gar nichts mehr mit dieser Stelle an sich zu tun.

„Denn ihr selbst wisst, wie ihr uns nachahmen sollt; denn wir haben nicht unordentlich unter euch gelebt, noch haben wir von jemand Brot umsonst gegessen, sondern wir ha-ben mit Mühe und Beschwerde Nacht und Tag gearbeitet, um nicht jemand von euch be-schwerlich zu fallen“ (Vers 7+8)

Die Thessalonicher wussten ganz genau, wie sie sich im Alltag verhalten sollten, denn Paulus hatte ihnen diese Dinge nicht nur vorgestellt, sondern vorgelebt. Er konnte sich durchaus als ein Vorbild für einen ehrbaren Wandel vorstellen. Er hatte nicht unordentlich unter ihnen gewandelt, ganz im Gegenteil hatte er sogar selbst für seinen eigenen Lebensun-terhalt gearbeitet, obwohl er das Recht gehabt hätte, vom Evangelium zu leben (1. Kor 11,11–15). Er hatte Nacht und Tag gearbeitet, um niemand von den Thessalonichern beschwerlich zu fallen (1. Thes 2,9). In seinem Handwerk als Zeltmacher (wer bei den Juden Rabbi werden wollte, musste vorher ein Handwerk erlernt haben. Deshalb war Paulus Zeltmacher geworden und konnte mit seinen eigenen Händen für seinen Lebensunterhalt arbeiten) muss er in der Nacht bei Lampenlicht seine Zelte gemacht haben, und das tat er nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Brüder, die mit ihm im Werk des Herrn arbeiteten. Wunderbares Zeugnis eines Dieners des Herrn!

Für unordentlich leben in diesem Vers steht im Griechischen ein anderer Ausdruck als für das unordentlich wandeln in den Versen 6 und 11. In diesem Vers bedeutet es eigentlich unordentlich sein. In allen drei Versen ist das unordentliche Element vorhanden, aber wenn Paulus von den Unordentlichen unter den Thessalonichern spricht, schreibt er von einem unordentlichen Wandel, und wenn er hier von sich spricht, dann spricht er nicht von einem Wandel, sondern davon, dass er nicht unordentlich gewesen ist, nicht unordentlich gelebt hat. Hier ist es ein allgemeinerer Ausdruck.

Thessalonich gehörte zu den Versammlungen Mazedoniens (Philippi, Thessalonich, Beröa), von denen Paulus in 2. Kor 8,1+2 Hinweise auf ihre tiefe Armut gibt. Die Thessalonicher waren also offensichtlich keine wohlhabenden Leute, sie hatten ein niedriges materielles Niveau. Aber auch in ärmlichen Verhältnissen kann es unordentlichen Wandel geben durch solche, die in dieser Armut jetzt auch noch träge waren. Das ist nicht nur eine Gefahr für die wohlhabenden Ge-schwister. Nicht umsonst sagt Agur: „Armut und Reichtum gib mir nicht, speise mich mit dem mir beschiedenen Brot“ (Spr 30,8).


„Nicht, dass wir nicht das Recht dazu haben, sondern damit wir uns selbst euch zum Vorbild gäben, damit ihr uns nachahmt“ (Vers 9)

Das Recht des Dieners, vom Evangelium oder der geistlichen Arbeit zu leben, besteht übrigens grundsätzlich, auch heu-te noch. Takt und Weisheit und die Liebe mögen allerdings bewirken, dass man diese Dinge nicht in Anspruch nimmt. Der Herr Jesus hatte bei der Aussendung der 12 Jünger und später auch der 70 Jünger selbst davon gesprochen und es als einen Grundsatz Gottes hingestellt, dass sie nichts zur eigenen Versorgung mitnehmen sollten, denn der Arbeiter ist seiner Nahrung bzw. seines Lohnes wert (Mt 10,10; Lk 10,7). Und es hat seine tiefe Bewandtnis, dass Paulus davon in Thessalonich keinen Gebrauch gemacht hatte. Er mag schon von den Schwierigkeiten gespürt haben, die dort bestan-den, und er war weise genug, durch seiner eigenen Hände Arbeit von jeder Seite unabhängig zu bleiben.

„Denn auch als wir bei euch waren, geboten wir euch dieses: Wenn jemand nicht arbei-ten will, soll er auch nicht essen“ (Vers 10)

Ein scheinbar recht hartes Wort. Aber es geht ja nicht um solche, die nicht arbeiten können, sondern die nicht arbeiten wollen. Natürlich ist es so, dass die Faulheit eine böse Sache ist, aber mehr noch soll ein Christ selbst in den einfachsten Beziehungen Christus zeigen. Nicht nur die gewaltigsten und großartigsten Dinge lohnt es sich, zu besprechen oder zu besehen. Nein, das Christentum fängt ganz ganz einfach an, bei den einfachsten Dingen des Lebens! Wie hat der Herr Jesus uns das vorgelebt, der nicht gekommen ist, um bedient zu werden, sondern um zu dienen (Mt 20,28; Mk 10,45). Natürlich geht Sein Dienst unendlich viel weiter als bei uns, Seine Hingabe in den Tod war der höchste Akt Seines Dienstes, aber der Herr Jesus war ein Dienender! Das sollte die Gesinnung damals der Thessalonicher und auch heute von uns sein.

Wenn ein solcher Unordentlicher nicht essen soll, dann bedeutet das ganz praktisch, dass wir ihn nicht zum Essen ein-laden können, und auch nicht mit Nahrungsmitteln versorgen sollten. Ein solcher soll nicht essen, er muss dazu geführt werden, sich selbst wieder darum zu bemühen, durch eigener Hände Arbeit essen zu können. Wenn da auch eine ganze Familie noch davon betroffen wäre, dann können wir natürlich die Familie in unserer Mitte nicht verhungern lassen, nur weil der Vater und Ernährer seiner Verantwortung nicht nachkommt, sondern müssen diese Familie unterstützen.

„Denn wir hören, dass einige unter euch unordentlich wandeln, indem sie nichts arbei-ten, sondern fremde Dinge treiben“ (Vers 11)

Irgendjemand von Thessalonich muss zu Paulus gekommen sein und ihm diese Dinge berichtet haben. In 1. Kor 1,11 hatte er etwas von den Hausgenossen der Chloe gehört, auch dass Spaltungen unter ihnen seien (1. Kor 11,18). Ist das Petzerei? Nein, es ist Sorge um die Versammlung. Es ging hier also nicht um ein Gerücht, sondern um mehrfach bestä-tigte Bezeugungen, bei denen Paulus sicher sein konnte, dass sie stimmten. Wir müssen äußerst vorsichtig bei Gerüch-ten sein, wir sind zu schnell dazu bereit, Gerüchte als Tatsachen hinzunehmen. Wenn eine Versammlung handeln muss, dann kann sie das nur aufgrund von bezeugten Tatsachen tun und nicht aufgrund von Gerüchten. Es ging bei diesen Be-richten an den Apostel um einige von den Thessalonichern; es war also nicht ein generelles Problem dort, es waren ei-nige wenige, bei weitem nicht alle.

Im Griechischen gebraucht Paulus hier ein gewisses Wortspiel, indem er eigentlich sagt, dass diese Unordentlichen nichts Nützliches sondern Unnützliches treiben. Wenn man nicht die Ordnung Gottes einhält und das tut, was man tun sollte, wird immer das Ergebnis sein, dass man sich in fremde Dinge einmischt – mit all den bösen Folgen, die das im Allgemeinen nach sich zieht. In den eigenen Dingen waren solche nachlässig, aber wenn es um die Dinge anderer ging – die sie aber gar nichts angingen – dann waren sie sehr eifrig und sehr fleißig. Wer nicht arbeitet und deshalb nichts zu tun hat, steht immer in Gefahr, sich um die Dinge anderer zu kümmern und seine Nase in Dinge zu stecken, die ihn schlicht und ergreifend nichts angehen. Als kleiner liebevoller Hinweis darf das auch mal unseren Rentner gesagt wer-den. Manche Rentner haben zwar mehr zu tun als in ihrem Berufsleben, aber manche Rentner haben auch tatsächlich Müßiggang. Und da wollen für sie beten, dass sie nicht unnüchtern werden und sich in fremde Dinge einmischen.

„Solchen aber gebieten wir und ermahnen sie in dem Herrn Jesus Christus, dass sie, in der Stille arbeitend, ihr eigenes Brot essen“ (Vers 12)

Zum dritten Mal in diesem Kapitel ist jetzt von einem Gebieten des Apostels die Rede, aber in diesem Vers werden jetzt zum ersten Mal diese Unordentlichen direkt angesprochen. Die vorhergehenden Gebote richteten sich immer an die Versammlung der Thessalonicher allgemein. Für die Unordentlichen folgt jetzt ein Gebot des Apostels Paulus und eine Ermahnung oder Hilfestellung in dem Namen des Herrn Jesus Christus, wie gearbeitet werden soll: nämlich in der Stil-le, d.h. stetig und regelmäßig. In Vers 8 hatten wir den Fleiß im Zusammenhang mit unserer Arbeit gesehen, hier wird gezeigt, dass Arbeit etwas ist, das wir stetig und regelmäßig tun sollen. Es ist der göttliche Grundsatz, der Normalfall, dass jemand, der arbeitet, sein eigenes Brot isst, und nicht anderen auf der Tasche liegt.

„Ihr aber, Brüder, ermattet nicht, Gutes zu tun“ (Vers 13)

Dieser Satz, der eigentlich so ganz unvermittelt vor uns kommt, ist ein wunderbarer Zwischensatz zwischen all den dunklen Erscheinungen, die sich in unserem Leben zeigen können. Man gewinnt den Eindruck, dass die Versammlung in Thessalonich unter diesem Zustand gelitten hat. Mit diesem Vers wird der Gefahr der Überreaktion begegnet. Sie sol-len es jetzt nicht so weit kommen lassen, dass sie im Gutes-Tun ermatten. Sie waren doch schon dabei beim Gutes-Tun, und sie sollten jetzt nicht aufgeben dabei durch das, was in ihrer Mitte geschah. Es besteht die Möglichkeit, dass wir durch einen solchen Unordentlichen enttäuscht werden und vielleicht in einer gewissen Verbitterung ihm gegenüber denken, er hat sich seine Lage selbst eingebrockt, und jetzt muss er auch damit fertig werden. Wir sollen nicht die alte Natur reagieren lassen, sondern die neue Natur.

Im Griechischen steht für Gutes hier nicht der Ausdruck für die mildtätigen Werke, die gut für andere sind (agathos), sondern kalos, was gut in sich selbst bedeutet.

„Wenn aber jemand unserem Wort durch den Brief nicht gehorcht, den bezeichnet und habt keinen Umgang mit ihm, damit er beschämt werde; und erachtet ihn nicht als einen Feind, sondern weist ihn zurecht als einen Bruder“ (Vers 14+15)

Nicht gehorchen ist Auflehnung, immer das Gegenteil von dem, was Segen bringt. Gehorchen ist immer die Quelle des Segens, und Ungehorsam führt immer zum Unheil! Mit einem solchen können wir keinen christlichen Umgang pflegen. Die christliche Gemeinschaft kann deshalb von einem solchen Unordentlichen nicht mehr genossen werden. Und das sollte zu dessen Beschämung dienen. Es muss bitter sein, wenn man merkt, dass man nicht mehr in diesem christlichen Kreis herzlich willkommen ist. Ein einfacher Gruß ist wohl noch möglich, aber mehr auch nicht.

Praktische Fragen zum Bezeichnen:
• Wer bezeichnet? Ein Bruder allein kann eine Bezeichnung nicht vornehmen. Einmütigkeit der Brüder, die diese geistliche Beurteilung vornehmen und dann der ganzen Versammlung vorstellen ist wichtige Vorausset-zung. Die Bezeichnung geschieht durch Brüder, die die Dinge kennen und sich mit der Person beschäftigt ha-ben; und diese Brüder stellen das auch der Versammlung vor. Dabei wird es sich um ältere, erfahrene Brüder handeln mit einem gewissen sittlichem Gewicht und geistlicher Kompetenz. Durch solch einen Bruder wird das der Versammlung vorgestellt. Und in dem Moment, wo das geschieht, wird sich die Versammlung daran halten und sich dahinter stellen und diese Zuchtmaßnahme anerkennen und wahrnehmen.
• Muss die Versammlung ihre Zustimmung geben? Ebenso wichtig ist dann aber auch die Einmütigkeit aller Geschwister und das Akzeptieren dieses Urteils und sich damit einverstanden erklären; es muss von der ganzen Versammlung getragen werden. Wenn geistliche Brüder der Versammlung etwas vorstellen, dann wird die Versammlung das akzeptieren, das ist das Normale. Es ist jedenfalls nicht so, dass ein zu Bezeichnender erst vorgeschlagen werden müsste und dann erst nach einer gewissen Zeit diese Bezeichnung auch durchgeführt werden kann. Schwierigkeiten in der Praxis zeigen sich, wenn eine Versammlung nicht in einem geistlichen Zustand ist und ein solches Urteil von Einzelnen unterlaufen wird. Wären wir an unserem Ort in einem solchen Zustand, um das zu tun, was der Herr von uns erwartet?
• Wie ist es beim Bezeichnen mit dem überörtlichen Aspekt? Kann jemandem, der bezeichnet wurde, noch ein Empfehlungsschreiben ausgestellt werden? Sollte in dem Empfehlungsschreiben ein Hinweis auf die Bezeichnung erfolgen? Es ist leider nicht ausgeschlossen, dass jemand, der in einer örtlichen Ver-sammlung bezeichnet wurde, Nachbarversammlungen aufsucht und vielleicht sogar versucht, dort Unterstüt-zung zu bekommen. Das ist an sich schon ein Hinweis darauf, dass der Betreffende in seinem Herzen nicht wirklich gebeugt ist. Wenn man wegläuft vor der Zucht, wird man nie Gelingen haben, dann wird sich diese Person irgendwann später als böse herausstellen.
Es ist eine schwierige Frage, denn wenn die Person bei uns am Ort noch in Gemeinschaft am Tisch des Herrn ist, dann ist sie das auch an jedem anderen Ort, und wie könnten wir ihr das verwehren, indem wir ihr kein Empfehlungsschreiben ausstellen? Allerdings wäre es ja nicht wirklich ein Empfehlungsschreiben, wenn wir in diesem Schreiben darauf hinweisen müssten, dass der Betreffende ein Unordentlicher ist. Ein Empfehlungs-schreiben ist ja nicht nur eine Bescheinigung oder ein Ausweispapier, dass man in Gemeinschaft ist, das man vielleicht sogar nachreichen müsste, wenn man es vergessen haben sollte. Wir sagen doch damit einer anderen Versammlung nicht nur, dass der Betreffende am Tisch des Herrn ist, sondern dass auch ungetrübte Gemein-schaft mit ihm möglich ist.
Besser wäre es also, wenn man der betreffenden Person am Ort dringend anrät, erst einmal die Dinge am Ort in Ordnung zu bringen, bevor man an andere Orte reist. Wenn man mit ungeordneten Dingen auf Reisen geht und an anderen Orten freundlich aufgenommen wird, kann das schnell zu Spaltungen führen. Wir sollten einem solchen durch geistliche Belehrung deutlich machen, dass er jetzt nicht die Freiheit hat, überall hinzufahren. Auch das kann dazu führen, dass diese Person zur Einsicht kommt.
Es ist ja eigentlich eine gewisse Schwierigkeit und Widersinnigkeit, dass jemand, der in solch einem Zustand ist, noch das Brot brechen darf. Denn das Brotbrechen ist der Ausdruck der Einheit. Und gerade dieser Aus-druck der Einheit kann mit dieser Person nicht wirklich befriedigt werden. Aber die Gnade Gottes lässt den Weg für einen solchen am Ort offen.

Dass wir nach dem Bezeichnen keinen Umgang mit dem Betreffenden haben wird in der Praxis nicht viel anders sein als das persönliche Zurückziehen von Vers 6. Sich zurückziehen und keinen Umgang haben kann in der Praxis kaum unterschieden werden. Der Betreffende wird weiter als Bruder behandelt, aber die Vorrechte christlicher Gemeinschaft kann er in diesem Zustand nicht genießen. Der einzige Umgang, der noch möglich ist, ist der der Zurechtweisung und die Teilnahme am Mahl des Herrn. Wir sollten im Blick auf dieses mahnende Zurechtweisen auch nicht nachlässig sein und einen solchen Unordentlichen zum Zweck der Ermahnung auch aufsuchen. Unsere Aufgabe ist es, ihn zurechtzu-weisen; wenn er es annimmt, ist es gut. Solche, die es nicht annehmen, müssen in der örtlichen Versammlung markiert werden als solche, die dem Herrn in diesem Punkt nicht wohlgefallen.

Ein solcher ist nicht ein Feind für uns, auch nicht ein Feind des Kreuzes des Christus (Phil 3,18), obwohl sein Verhalten schon in diese Richtung geht. Er offenbart sich jedenfalls als ein Feind eines wahren Zeugnisses für den Herrn. Aber wir sollen ihn nicht als einen Feind achten, d.h. ihn nicht mit menschlichen Hassgefühlen betrachten. Das Zurechtwei-sen, das an einem solchen noch geschehen soll, ist wirklicher Hirtendienst durch solche Brüder, die dazu die Befähi-gung haben. Auch hierbei wird wieder ein Unterschied zum Ausschluss deutlich, wo wir die Person nicht mehr grüßen und auch nicht mehr zurechtweisen können. Hier ist es doch noch ein Bruder. Wenn ein solcher Fall kommt, dann dür-fen wir keine Gefühle der Abneigung und Feindseligkeit in unseren Herzen nähren. Die Sache selbst ist sicher geeignet, unseren Abscheu darüber zu wecken, aber wir dürfen diese Empfindungen nicht auf die betreffende Person übertragen und einen Bruder vielleicht gar nicht mehr als Bruder sehen. Es sollte wirkliche Liebe sein, die uns hingehen lässt um mit ihm noch einmal zu sprechen, denn Liebe ist eine starke Macht, und manchmal hat ein Wort der Liebe eiserne Fes-seln zerbrochen.

Der Bezeichnete bleibt also ein Bruder in Gemeinschaft am Tisch des Herrn, aber es besteht eine Isolation zu den Ge-schwistern mit dem Ziel, eine Wiederherstellung innerhalb der Versammlung zu erreichen. Die Person ist nicht hinaus-getan, steht aber doch unter Zucht.

Unterschied zwischen Ausschluss und Bezeichnung: Ein Ausschluss ist ein Akt der Versammlung. Deswegen wird die Person der Versammlung vorgeschlagen und man lässt möglichst zwei Wochen Zeit, damit sich die Versammlung eins machen kann mit dem Urteil derer, die sich mit der Seele beschäftigt hatten.