„Was aber die Bruderliebe betrifft, so habt ihr nicht nötig, dass wir euch schreiben, denn ihr seid von Gott gelehrt, einander zu lieben“ (Vers 9)

Die Bruderliebe (1. Pet 3,8) jetzt steht der puren Eigenliebe der Verse 3–6 gegenüber. Natürlich vermag uns das Be-wusstsein der Heiligkeit Gottes und dass Er ein Rächer dieser schrecklichen Dinge ist, davor zu bewahren. Aber wenn wirkliche geistliche Bruderliebe da ist, werden wir auch den Bruder nicht dadurch verletzen, dass wir seine Rechte übertreten.

Auf welche Weise mögen die Thessalonicher von Gott gelehrt worden sein, einander zu lieben? Die Antwort besteht in verschiedenen Gesichtspunkten: zunächst einmal ist es das Werk des Heiligen Geistes in uns, denn durch die Salbung mit dem Heiligen Geist wissen selbst die Jüngsten im Glauben alles (1. Joh 2,20), dadurch haben sie eine innere Über-zeugung von der Wahrheit gegenüber der Unwahrheit. Eine ähnliche Aussage finden wir auch in Jes 54,13 (vgl. Joh 6,45). Gott, der Heilige Geist, wohnt in den Gläubigen, und Er ist eine göttliche Informationsquelle; sie besitzen dadurch eine Quelle göttlichen Wissens in sich, so dass sie keiner weiteren Belehrung von außen bedürfen. Aber daneben sollte auch das Beispiel der Liebe Gottes zu uns ein Lehrbeispiel für unsere Liebe zueinander sein (1. Joh 4,10+11). Es handelt sich also nicht um eine aktive Unterweisung Gottes zu einem bestimmten feststellbaren Zeitpunkt im Leben Seiner Kinder, sondern sie wird durch die neue Geburt bewirkt. 1. Joh 4,7 zeigt, dass drei Dinge unmittelbar miteinander verbunden sind: Liebe zueinander, die neue Geburt und die Erkenntnis Gottes.

Paulus musste die Thessalonicher nicht zur Bruderliebe ermahnen, schon in Kap 1 konnte er ihnen bestätigen, dass ihre Bemühungen der Liebe in ganz Mazedonien und Achaja ausgebreitet worden waren. Sie hatten die Bruderliebe nicht nur mit Worten sondern in Tat und Wahrheit praktiziert (1. Joh 3,18).

Bruderliebe ist ein Gebot des Herrn (1. Joh 3,23; 4,21). Sie wird uns so vorgestellt, dass wir nicht sagen können, wir lieben den Herrn, aber gleichzeitig unseren Bruder nicht lieben. Johannes schreibt abstrakt und stellt die Bruderliebe auf ein hohes Niveau: wer Gott liebt, der liebt auch bedingungslos seinen Bruder (1. Joh 5,1).

„...denn das tut ihr auch allen Brüdern gegenüber, die in ganz Mazedonien sind. Wir ermahnen euch aber, Brüder, reichlicher zuzunehmen...“ (Vers 10)

Noch einmal wird den Thessalonichern hier ein schönes Zeugnis bezüglich der Bruderliebe ausgestellt: sie waren von Gott gelehrt worden, und sie taten es dann auch! Wie viel Belehrungen und Ermahnungen brauchen wir oft, bis wir end-lich einmal bereit sind, auch danach zu handeln. Und dann wird auch hier noch einmal gezeigt, dass es auch in der Bru-derliebe kein Stadium gibt, wo wir nicht noch weiter zunehmen könnten. Die Philipper sollten sogar überströmend sein in der Liebe zueinander (Phil 1,9). Wir sollen in unserem praktischen Leben immer reichlicher Offenbarungen und Be-tätigungen wahren geistlichen Lebens zeigen. Und dann soll die Bruderliebe nicht nur zunehmen, sondern auch bleiben, etwas Beständiges in unserem Leben sein (Heb 13,1).

Es war ein besonderer Charakterzug der Versammlungen Mazedoniens, zu denen neben Philippi und Beröa ja auch Thessalonich gehörte, dass sie in dieser praktischen Bruderliebe gelebt haben. Trotz großer Drangsalsprüfung waren sie übergeströmt in dem Reichtum ihrer Freigebigkeit. Sie hatten so freigebig geben können, weil sie sich selbst zuerst Gott gegeben hatten (2. Kor 8,1–5). Daraus floss dieser ständige Wunsch, auch praktisch für die Brüder da zu sein, sogar über Vermögen. Dieses Beispiel zeigt uns, dass der Rahmen des Möglichen weit gespannt ist und von unserer inneren Her-zensmotivation bestimmt wird. Ein Bruder aus Thessalonich – Aristarchus – hatte sogar die Beschwerden der Reisen des Apostels Paulus mit ihm geteilt und war von Mazedonien über Troas bis nach Jerusalem und von dort auf dieser gefahrvollen und stürmischen Überfahrt bis nach Rom mit ihm gereist (Apg 20,4; 27,2) – ein praktisches Beispiel ganz anderer Art von Bruderliebe!

Die Bruderliebe soll sich allen Brüdern gegenüber erweisen. Bruder Darby hat einmal gesagt: Jedes Kind Gottes hat Anspruch auf meine Liebe – egal wo es sich befindet! Die Liebe zu allen Heiligen bleibt, aber sie wird sich nicht zu allen in der gleichen Weise zeigen. Der prägende Maßstab für die Art, wie sich unsere Bruderliebe äußern kann, ist der Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes (1. Joh 5,2). Erst geht es um Heiligkeit, dann um Bruderliebe – nicht umge-kehrt! Diese Reihenfolge finden wir auch in 1. Pet 1,22: Gehorsam gegen die Wahrheit zur ungeheuchelten Bruderlie-be; der Bruderliebe geht die Reinigung der Seelen durch den gehorsam gegen die Wahrheit voraus. Wenn die Heiligkeit nicht da ist, täuschen wir uns vielleicht selbst, indem wir bloße Sympathie für Bruderliebe halten. Bruderliebe kann also geheuchelt werden, und sie kann auch in kalter, herzloser Weise geübt werden (Röm 12,10).

„...und euch zu beeifern, still zu sein und eure eigenen Geschäfte zu tun und mit euren eigenen Händen zu arbeiten, so wie wir euch geboten haben“ (Vers 11)

Das reichlicher Zunehmen sollte sich bei den Thessalonichern nicht nur auf die Bruderliebe konzentrieren, sondern auch auf die beiden Punkte dieses Verses. Die Thessalonicher hatten insgesamt ein hervorragendes Zeugnis ihres Glau-benslebens, und nur in diesem einen Punkt eine Ermahnung nötig. Warum hatten wohl einige von ihnen aufgehört zu arbeiten? Oft wird gesagt, dass sie auf den Herrn gewartet und deshalb nicht mehr gearbeitet hätten. Aber der Grund ist der, dass falsche Lehrer da gewesen waren, die gesagt hatten, dass der Tag des Herrn schon da wäre (2. Thes 2,2); des-halb war ihre Hoffnung auf einmal zerstoben, und in ihrer Enttäuschung und Mutlosigkeit hatten sie aufgehört zu arbeiten. Wir müssen also die Belehrungen der Schrift kennen, um einen gottgemäßen Wandel zu führen! Wenn wir unseren Wandel ausrichten auf unseren eigenen Gedanken oder auf verkehrten Gedanken, die uns eingeflüstert werden und nicht mit der Bibel übereinstimmen, dann kommen wir zu einem fehlerhaften Wandel

Aus der innigen Beziehung zu Geschwistern können Gefahren entstehen, denn wir könnten aus der innigen Beschäfti-gung mit dem Bruder vergessen, dass wir auch für uns selbst Aufgaben haben:
• wir könnten uns in die Angelegenheiten anderer einmischen, deshalb werden wir aufgefordert, still zu sein und unsere eigenen Geschäfte zu tun und uns nicht in die Dinge anderer einzumischen
• wir könnten anderen zur Last fallen indem wir faul sind, deshalb sollen wir mit unseren eigenen Händen arbei-ten. Dabei machen die Ausdrücke beeifern und geboten habe deutlich, dass es sich hierbei wirklich um eine von jedem Christ ernstzunehmende Pflicht handelt.

Für das Arbeiten mit den eigenen Händen hatten die Thessalonicher gerade in dem Apostel Paulus ein hervorragendes Vorbild (Apg 20,34; 1. Thes 2,9; 1. Kor 4,12). Aber das größte Vorbild ist doch wohl der Herr Jesus selbst, der einst in seinem irdischen Beruf als Zimmermann gearbeitet hat (Mk 6,3), der aber auch auf ganz andere Weise ununterbrochen gewirkt hat (Joh 5,17).

In unserer heutigen Zeit ist es so, dass es uns leichter gemacht wird, nicht zu arbeiten. Für Arbeitslosigkeit kann man oftmals nichts dafür, wenn Krankheit oder Konkurs oder Arbeitsplatz-Abbau auf einmal zum Verlust des Arbeitsplatzes führen. Aber es gibt doch auch die Gefahr, dass man sich ausruht auf einem Sozialsystem, in dem wir relativ gut abgesichert sind. Deshalb gilt auch uns diese Ermahnung, dass wir uns beeifern sollen, dass wir alles tun sollen, was an uns liegt, damit wir arbeiten können. Wir sollen nicht jede Entschuldigung suchen, auch Krankschreibungen kann man relativ leicht bekommen. Wir müssen dabei auch die Gefahr sehen, dass Müßiggang oft die Ursache für die bösen Dinge von Vers 3 ff. ist. Denken wir z.B. an David, der zur Zeit, als die Könige auszogen, auf seinem Bett liegen blieb und dann in diese schreckliche Sünde mit Bathseba fiel (1. Sam 11). Müßiggang sollte uns nicht kennzeichnen (Spr 12,27). Wenn wir arbeiten, bekommen wir dadurch auch Gelegenheiten, Bedürftigen etwas geben zu können (Eph 4,28), und auch das Werk des Herrn hat Nutzen davon – ist das nicht eine Motivation dafür, uns einzusetzen im alltäglichen Arbeitsleben?

Es mag bei uns auch so sein, dass der Gedanke, dem Herrn vollzeitig dienen zu wollen, dann bei uns aufkommt, wenn wir vielleicht in unserem irdischen Beruf unzufrieden sind oder weil wir nicht gern arbeiten wollen. Das wäre kein gutes Motiv, um vollzeitig in das Werk des Herrn zu gehen. Wenn jemand vollzeitig in das Werk des Herrn geht, dann muss er einen Ruf vom Herrn haben. Und die Praxis zeigt auch, dass Brüder, die sich im irdischen Beruf nicht bewährt haben, sich auch im Werk des Herrn nur schwerlich bewähren können. Wer in seinem irdischen Berufsleben gescheitert ist, wird auch im Werk des Herrn scheitern! Wer aber in einem irdischen Beruf gelernt hat, was es heißt, zu arbeiten, der weiß auch, was es heißt, im Werk des Herrn zu arbeiten. Das ist nämlich kein Zuckerschlecken und kein leichtes Leben, sondern es bedeutet auch Verzicht auf Vielerlei. Wer meint, das sei weniger anstrengend, der wird vom Regen in die Traufe kommen. Bewährung in unserem irdischen Beruf ist also eine der Voraussetzungen dafür, dass wir uns auch im Werk des Herrn bewähren. Auch Elisa war in seinem irdischen Beruf bewährt und wurde aus dieser mit voller Energie verrichteten Arbeit herausgerufen in den vollzeitigen Dienst für den Herrn (1. Kön 19,16+19).

„...damit ihr ehrbar wandelt vor denen, die draußen sind, und niemand nötig habt“ (Vers 12)

Wenn wir unsere eigenen Geschäfte tun und uns nicht in fremde Angelegenheiten von Geschwistern einmischen, und wenn wir mit unseren eigenen Händen arbeiten und niemandem von den Geschwistern zur Last fallen, dann wandeln wir ehrbar vor denen, die draußen sind – ein schrecklicher Ausdruck für die Ungläubigen! Denn wir haben einen Zeug-nis-Charakter im Blick auf die ungläubigen Menschen, damit sie keinen Anlass haben, mit dem Finger auf uns zu zei-gen und uns eines unordentlichen Wandels zu beschuldigen. Damit würde sogar die Lehre verlästert. Durch eine gute Verrichtung unserer Arbeit können wir dagegen sogar die Lehre zieren (Tit 2,9+10).

Niemand nötig zu haben bedeutet, sich bewusst zu sein, für seinen eigenen Lebensunterhalt, für seine Familie verant-wortlich zu sein. Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass andere für uns arbeiten.