Psalm 94 beschreibt auf sehr schöne Weise den Weg, auf dem der Gottesfürchtige die Tröstungen Gottes inmitten von Leiden erfahren und „vor den bösen Tagen“ Ruhe finden kann (V. 13.19).

Die Leiden, von denen der Psalmist spricht, entstehen durch ein gottesfürchtiges Leben inmitten einer gottlosen Welt – einer Welt, in der „die Gesetzlosen frohlocken“ (V. 3), in der sie „Freches reden“ gegen Gott und Sein Volk (V. 4), in der sie sich selbst erhöhen (Vers 4), das Volk Gottes „zertreten“ und Gottes Erbteil bedrücken (V. 5), mit Gewalt gegen die Wehrlosen vorgehen (V. 6) und Gott die Stirn bieten (V. 7).

Die Umstände, in denen sich der Christ befindet, unterscheiden sich vielleicht deutlich von denen des Psalmisten, aber der Trost und die Belehrung des Psalms gelten immer noch, denn es bleibt wahr: „Alle aber auch, die gottselig leben wollen in Christus Jesus, werden verfolgt werden“ (2. Tim 3,12). Darüber hinaus werden wir vielleicht feststellen, dass uns die schmerzlichste Form der Leiden die zufügen, die bekennen, zum Volk Gottes zu gehören. So erlebte es auch der Apostel, als er wegen seiner gottesfürchtigen Lebensweise von allen in Asien verlassen wurde und den Widerstand falscher Lehrer und die Kränkungen böser Menschen erdulden musste (2. Tim 1,15; 2,25; 4,14).

Doch so wie in den Tagen des Psalmisten wird auch in den letzten Tagen des Christentums der, der in Gehorsam zu Gott seinen Weg gehen möchte, erleben, dass die Zeit der Leiden zu einer Zeit des Segens wird. Wenn wir jedoch den Segen in Zeiten des Leidens erlangen wollen, müssen wir zuerst jeden Gedanken daran aufgeben, unsere Sache selbst in die Hand nehmen und uns an solchen rächen zu wollen, die uns ungerecht widerstehen und beschimpfen. Welche Leiden auch immer kommen mögen – der Gläubige muss von Rache Abstand nehmen. Wenn das Fleisch gescholten wird, ist es immer bereit wiederzuschelten, und wenn es ungerecht leidet, ist es bereit zu drohen. Und das Fleisch würde sich mit Freude an allen rächen, die uns mit ihrer frechen Rede widerstehen oder kränken. Doch der Gottesfürchtige soll nicht Böses mit Bösem vergelten oder Scheltwort mit Scheltwort. Dem Gläubigen hat es der Herr nicht überlassen, sich mit solchen auseinanderzusetzen, die Widerstand leisten – die Rache ist des HERRN (V. 1).

Sind wir denn als Gläubige hilflos und ausweglos angesichts solcher Menschen, die „Freches reden“ gegen andere, während sie sich selbst rühmen (V. 4)? Weit entfernt davon, hilflos zu sein, zeigt der Psalmist, dass wir die größtmögliche Hilfsquelle besitzen: Gott selbst ist die Hilfsquelle für den Gläubigen. Der Glaube stützt sich auf die herrliche Tatsache, dass dem Herrn nichts entgeht. Er hört die frechen Reden, Er sieht jede böse Tat, Er kennt jedes verborgene Motiv. „Der das Ohr gepflanzt hat, sollte er nicht hören? Der das Auge gebildet, sollte er nicht sehen? … Er, der Erkenntnis lehrt den Menschen … kennt die Gedanken des Menschen“ (V. 8–11).

Die übel gesinnten Menschen mögen freche Dinge über die Gottesfürchtigen reden und sie im Verborgenen verleumden, doch der Herr hört, der Herr sieht, der Herr kennt.

Darüber hinaus wird der Gläubige reich gesegnet werden, wenn er die Prüfung zum Anlass nimmt, sich an den Herrn zu wenden. Er wird erkennen, dass alle Prüfungen und Leiden, die über uns kommen, vom Herrn zugelassen und Teil Seiner Züchtigung sind. Weil er durch die Züchtigung Segen empfängt, wird er fähig sein zu sagen: „Glückselig der Mann, den du züchtigst, Jah, und den du belehrst aus deinem Gesetz“ (V. 12).

Der Teufel versucht, unsere Gedanken mit der Prüfung zu beschäftigen, um unsere Seelen vom Herrn abzuziehen. Er versucht, unsere Herzen mit den frechen Reden und ungerechten Taten unserer Widersacher in Beschlag zu nehmen, um uns „aufzubringen“ und „betrübt“ zu machen, damit wir uns, wie Hanna damals, mit einem bitteren Gemüt beklagen. Der Glaube nimmt dagegen die Prüfung zum Anlass, sich an den Herrn zu wenden, und triumphiert damit nicht nur über den Teufel, sondern empfängt auch aus der Prüfung Segen.

Wenn wir uns an den Herrn wenden, werden unsere Widersacher und ihre frechen Reden nicht länger unsere Gedanken in Beschlag nehmen. Im vertrauten Umgang mit Christus werden wir erkennen, dass Er die Prüfung zu unserem Segen zugelassen hat. So behalten wir den Herrn zwischen uns und den Prüfungen, statt den Prüfungen zu gestatten, sich zwischen uns und den Herrn zu stellen.

Wir erkennen: Wenn der Herr es Menschen erlaubt, Freches zu reden und uns böswillig zu behandeln, dann wird er diese Prüfung benutzen, um vieles in unseren Gedanken, Worten und Wegen zu korrigieren, was nach Seiner Beurteilung nicht mit Ihm in Übereinstimmung ist. Er züchtigt nicht gerne; Er sieht aber, dass die Prüfung nötig ist. Dadurch wird das nicht erkannte Böse in unseren eigenen Herzen aufgedeckt, damit wir unser Fleisch richten und mit Hiob sagen: „Ich verabscheue mich“ (Hiob 42,6). Es ist eine Sache, die Wahrheit der Lehre, dass im Fleisch nichts Gutes wohnt, anzuerkennen; es ist eine andere, diese Wahrheit in der Gegenwart Gottes aus eigener Erfahrung zu lernen.

Wenn wir so über die augenblickliche Prüfung hinwegblicken und dahinter die Hand des Herrn sehen, der sich mit uns zu unserem Segen beschäftigt, wird das unsere Seelen zu Ruhe und Stille führen. Statt aufgebracht und bitteren Gemüts zu sein, werden wir „Ruhe“ finden „vor den bösen Tagen“ (V. 13). Das durfte auch Hanna in ihrer schweren Prüfung erleben: Als sie sich zu Gott wandte, ihre Seele vor Ihm ausschüttete, war ihr Angesicht nicht mehr dasselbe (1. Sam 1,15.18). Ihre Umstände hatten sich nicht geändert, aber in ihr hatte sich etwas geändert: Durch das Ausschütten ihrer Seele vor dem HERRN wurde aus ihrer bitteren Seele eine ruhige Seele.

Darüber hinaus lernen wir durch die liebende Züchtigung des Herrn nicht nur, das Böse in unseren eigenen Herzen aufzudecken und zu richten, sondern wir erkennen auch die Güte und Gnade des Herzens des Herrn. Daher ist der Gottesfürchtige im weiteren Verlauf des Psalms (V.14–20) mit dem HERRN beschäftigt und mit allem, was Er in sich selbst ist:

Erstens erkennt er, dass der Herr, obwohl Er züchtigen mag, Sein Volk nicht verstoßen und Sein Erbteil nicht verlassen wird (V.14). So kann auch der Apostel in seinen Tagen die Gläubigen daran erinnern, dass der Herr gesagt hat: „Ich will dich nicht versäumen und dich nicht verlassen“ (Heb 13,5).

Zweitens erkennt er, dass der Herr sein Helfer ist. Wenn ich nicht selbst Rache an meinen Feinden üben soll, „wer wird für mich aufstehen gegen die Übeltäter? Wer wird für mich auftreten gegen die, die Frevel tun?“ (V.16). Die Erfahrungen des Psalmisten beantworten diese Fragen, denn er sagt: „Wäre nicht der HERR mir eine Hilfe gewesen, wenig fehlte, so hätte im Schweigen gewohnt meine Seele“ (V. 16). So kann wiederum der Apostel – nachdem er erkannt hat, dass der Herr den Gottesfürchtigen niemals verlassen wird – kühn sagen: „Der Herr ist mein Helfer, und ich will mich nicht fürchten“ (Heb 13,6).

Drittens erkennt der Gottesfürchtige, dass er nicht nur der Hilfe bedarf wegen seiner Feinde, sondern dass er auch Unterstützung nötig hat wegen seiner eigenen Schwachheit. Deshalb sagt er: „Wenn ich sagte: Mein Fuß wankt, so unterstützte mich deine Güte, HERR.“

So macht der Psalmist also in der Prüfung die schöne Erfahrung, dass der Herr uns nicht verlässt, dass der Herr unsere Hilfe ist und dass der Herr uns unterstützen wird. Auch der Prophet Jesaja verbindet diese drei Dinge miteinander, wenn er sagt: „Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir … ich stärke dich, ja, ich helfe dir, ja, ich stütze dich mit der Rechten meiner Gerechtigkeit“ (Jes 41,10–13).

Wenn wir unser Leid so vor Gott bringen, werden wir nicht nur „Ruhe vor den bösen Tagen“ erlangen, sondern auch die „Tröstungen“ des Herrn erfahren. Wir erkennen, dass Er bei uns ist, um uns in unserem Leid zu helfen und in unserer Schwachheit zu unterstützen. So muss die „Menge meiner Gedanken“, die die Seele beunruhigen wollen, den Tröstungen des Herrn weichen, die die Seele mit Wonne erfüllen.

Wenn der Herr vor dem Herzen steht und die Seele von Seinen Tröstungen erfüllt ist, weicht alle Furcht vor den Bösen. Auch der Apostel konnte in einer späteren Zeit sagen: „… dass ihr … in nichts euch erschrecken lasst von den Widersachern“ (Phil 1,28). Sie mögen auf die Seele des Gerechten eindringen, doch der HERR ist seine „Feste“ gegen jeden Angriff des Feindes und seine „Zuflucht“ in jedem Sturm. Niemals wird der HERR Sein Volk verstoßen, auch wenn Er zu Seiner Zeit die Bösen vertilgen wird (V. 20–23).