Nebukadnezar hob an und sprach: Gepriesen sei der Gott Sadrachs, Mesachs und Abednegos, der seinen Engel gesandt und seine Knechte errettet hat, die auf ihn vertrauten und das Wort des Königs übertraten und ihre Leiber hingaben, um keinen Gott zu dienen oder ihn anzubeten, als nur ihrem Gott. Und von mir wird Befehl gegeben, dass jedes Volk, jede Völkerschaft und Sprache – wer Unrechtes spricht gegen den Gott Sadrachs, Mesachs und Abednegos, in Stücke zerhauen werden soll und dass sein Haus zu einer Kotstätte gemacht werden soll; weil es keinen anderen Gott gibt, der auf solche Weise zu erretten vermag. Darauf beförderte der König Sadrach, Mesach und Abednego in der Landschaft Babel.“ (Dan 3,28–30)

Unversehrt waren die drei Freunde vor all den Würdenträgern Babylons aus dem Feuerofen herausgekommen. Und Nebukadnezar muss jetzt bekennen, dass Gott Seinen Engel zu ihrer Rettung gesandt hatte. Prophetisch können wir darin ein Bild sehen von der Anerkennung der Nationen und ihrer Führer angesichts der Befreiung des Volkes Israels und auch ihre Huldigung dem König dieses Reiches gegenüber, der diese Befreiung für Sein Volk bewirkte (Sach 8,23; Ps 102,16). Das macht deutlich, dass die prophetische Erfüllung dieses Bildes über die Grenzen der damaligen Geschehnisse hinausgeht.

Wir würden allerdings den Hauptgedanken etwas aus den Augen verlieren, wenn wir nicht bei dem bleiben, was wir hier vorliegen haben. Die Hauptbelehrung von Daniel 3 ist für uns doch wohl die, wie wir uns angesichts der über uns gesetzten Regierungen und Gewalten zu verhalten haben. Das Standbild in Daniel 2 zeigt uns die komplette Entwicklung der Zeiten der Nationen – von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende. Das ist die Basis, auf der die daran anschließenden geschichtlichen Kapitel ruhen. Aber diese geschichtlichen Kapitel enthalten über die normale sittliche Anwendung hinaus auch prophetische Bilder. Wir dürfen sie nur nicht überdeuten. Und diese prophetischen Hinweise sind maßgeblich für die Zeiten der Nationen. Was wir in den Kapiteln 3 bis 6 finden, charakterisiert die ganze Zeit der Nationen, also auch unsere heutigen Tage. Und in diesem Kapitel 3 lernen wir, dass Götzendienst die Zeiten der Nationen bestimmt. Es ist kein Fragen nach Gott, man macht sich seine eigenen Götzen. In den verschiedenen geschichtlichen Berichten haben wir also prophetische Hinweise auf die komplette Zeit der Nationen. Neben der sittlichen Anwendung auf uns dürfen wir diesen Gesichtspunkt also auch weiter betrachten, wir dürfen sie nur nicht überdeuten und durch alle möglichen Nebengedanken die grundsätzliche Linie verlieren.

Das Bild Nebukadnezars ist eine Religion, die verwirklicht werden sollte. Und die heutigen Entwicklungen in Europa gehen in die gleiche Richtung. Es werden heute Dinge gesetzlich geregelt, die gegen Gottes Wort sind. Dieser Geist hat die gesamte Christenheit durchdrungen, z.B. die Stellung der Frau innerhalb des christlichen Bekenntnisses – und auch in den christlichen Zusammenkünften. Die Forderung des Staates nach Gleichstellung ist von der Kirche sofort übernommen worden, und dadurch dringt es in sämtliche Bereiche der christlichen Welt hinein. Können wir uns dem heute noch entziehen? Noch werden wir nicht dazu gezwungen, aber wie weit geben wir diesem Trend freiwillig nach? Spätestens in dem Augenblick der Entrückung der Versammlung wird die letzte Hemmschwelle weggefallen sein (2. Thes 2,6.7). Ein anderes beschämendes Beispiel ist die Gleichbehandlung jeder sexuellen Orientierung; man muss sich heute schon fürchten, öffentlich zu sagen, dass Homosexualität nach der Bibel böse ist. Wenn wir nicht mehr das Wort Gottes sprechen lassen dürfen, dann fangen wir an, unseren Kopf vor diesem Bild zu beugen, und am Schluss liegen wir platt auf dem Boden!

„Gepriesen sei der Gott Sadrachs, Mesachs und Abednegos“: Nebukadnezar hatte erkannt, dass diese drei Freunde einem Gott vertrauten, der die Seinen nicht im Stich lässt. Er schämt sich nicht, der Gott dieser Treuen genannt zu werden (Heb 11,16). Nebukadnezar muss anerkennen, dass die drei Freunde richtig gehandelt hatten, als sie ihrem Gott vertraut und sich nicht dem König unterworfen hatten. Sie hatten ihrem Gott mehr gehorcht als dem Mann, der sich zwischen sie und ihren Gott stellen wollte. Sie hatten ihre Leiber hingegeben, hatten nicht um ihr eigenes Leben gekämpft, sondern es für ihren Gott hingegeben (vgl. Off 12,11). Mehr als ihr eigenes Leben besaßen sie nicht; alles, was sie hatten, gaben sie für ihren Gott hin. Hat das in der Anwendung von Römer 12,1 nicht auch eine sittliche Mahnung für uns heute? Sie gingen keine Kompromisse ein und ihr Gott bekannte sich zu ihnen. Aber in dem, wie Nebukadnezar von diesem Gott spricht, wird doch noch eine gewisse Distanz zu diesem Gott deutlich, ähnlich wie in Daniel 2,47. Er war beeindruckt von dem Handeln Gottes, aber mehr auch noch nicht:

  • Er anerkennt die Macht Gottes; er wusste dieses machtvolle Eingreifen Gottes richtig zuzuordnen.

  • Er anerkennt, dass die drei Freunde Diener Gottes waren und nicht Knechte Nebukadnezars.

  • Er anerkennt das Vertrauen der drei Freunde auf diesen Gott; so wie Mose fürchteten sie die Wut des Königs nicht (Heb 11,27) und schauten auf den Unsichtbaren, der dann im Feuerofen bei ihnen war.

Wenn Nebukadnezar jetzt von einem Engel des Gottes spricht, denen die drei Freunde vertraut hatten, ist er in seiner Erkenntnis weiter gekommen als noch in Vers 25. Hier spricht er ganz klar nicht mehr von einem Angehörigen seiner Götterwelt, sondern von dem einen wahren Gott, der Seinen Engel gesandt hat. In 2. Mose 3,2; Richter 6,11 und in vielen anderen Stellen des Alten Testaments ist der Engel des Herrn der Herr Jesus selbst. Auffallend ist an diesen Stellen, dass da im Wechsel vom Engel des Herrn und vom Herrn selbst gesprochen wird, was deutlich macht, dass der Engel des Herrn nicht ein Geschöpf ist, sondern Gott selbst, der Sohn Gottes, der das Bild des unsichtbaren Gottes ist. Die drei Freunde hatten im Feuerofen erfahren, dass sich der Engel des Herrn um die her lagert, die Ihn fürchten, und dass Er sie befreit (Ps 34,8).

Nebukadnezar hatte sich zu Unrecht zwischen das Gewissen der drei Freunde und Gott gestellt; und jetzt tut er in Vers 29 etwas Ähnliches schon wieder. Er schießt in seiner Reaktion über das Ziel hinaus und handelt im Übermaß. Es ist bei uns oft so, dass wir von einer einseitigen Überbetonung schnell in genau das andere Extrem verfallen können. So ein Verhalten finden wir auch beim König Saul mehrfach, der oft aus dem Affekt heraus handelte. Das Neue Testament zeigt uns dagegen deutlich, dass wir in unserem Verhalten durch Nüchternheit und Besonnenheit gekennzeichnet sein sollen, sei es im persönlichen Leben oder auch in den örtlichen Versammlungen.

Nebukadnezar hat aus all seinen schönen Worten nichts gemacht, er hat auch nicht ein Atom gelernt. Er reagiert in Vers 29 genauso autoritär und fleischlich wie in Daniel 2,5. Auch Daniel 4 zeigt das dann sofort. Und es wird erst dann anders mit ihm, als er zunächst zum Tier und danach wieder zum Mensch wird. Erst danach war er ein anderer als vorher. Er findet zwar anerkennende Worte für Gott, aber er ist noch nicht zu Ende mit sich. Das Handeln Gottes mit diesem gottlosen Mann ist schon bewegend. Nebukadnezar hat etwas erlebt, was nie ein Mensch erlebt hat. Gott hatte mit ihm Ziele; und weil Er ihn wiederherstellte, dient er dann als Bild des Endes. Mit dem König Belsazar dagegen handelt Er ganz anders und erledigt ihn an nur einem Tag (Dan 5), Er brauchte nicht lange mit ihm, nachdem die Schrift erschienen war! Heinrich Heine hat darüber eine Ballade verfasst, und sein letztes Wort ist: „Belsazar ward aber in selbiger Nacht von seinen Knechten umgebracht.“1 Dieser Verachtung Gottes, dieser Gotteslästerung, begegnet Gott mit heiligem Ernst; noch in der gleichen Nacht kommt er um und das Reich wird von ihm genommen. Und das ist dann auch der Wechsel vom Babylonischen zum Medo-persischen Reich.

Vers 28 ist die Reaktion Nebukadnezars im Blick auf den Gott Israels, Vers 29 ist seine Reaktion in Richtung auf alle Völker und Nationen, und in Vers 30 hat er auch noch eine Zuwendung zu den drei Freunden. Gott sorgt hier durch den König Nebukadnezar dafür, dass die drei Freunde eine besondere Antwort auf ihre Treue bekommen (vgl. 1. Sam 2,30; Jes 25,8). Gott ehrt diejenigen, die Ihn ehren, und Er wird jede Erinnerung an durchlittenes Leid von ihnen wegnehmen! Was diese Zuwendungen der babylonischen Könige an Daniel und seine Freunde betrifft, sehen wir, dass nicht nur Gott mit den Königen Nebukadnezar und Belsazar unterschiedlich gehandelt hatte, sondern dass auch die vier Freunde die Zuwendungen dieser Könige unterschiedlich beantworten. Am Ende von Daniel 2 und hier in Vers 30 haben sie diese Gunsterweisungen offensichtlich angenommen, aber die Geschenke und Ehrungen des Königs Belsazar weist Daniel entschieden zurück (Dan 5,17).

Belsazar

Die Mitternacht zog näher schon;
in stiller Ruh’ lag Babylon.

Nur oben in des Königs Schloss,
da flackert’s, da lärmt des Königs Tross.

Dort oben in dem Königssaal
Belsazar hielt sein Königsmahl.

Die Knechte saßen in schimmernden Reih’n,
und leerten die Becher mit funkelndem Wein.

Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht’;
so klang es dem störrigen Könige recht.

Des Königs Wangen leuchten Glut;
im Wein erwuchs ihm kecker Mut.

Und blindlings reißt der Mut ihn fort
und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort.

Und er brüstet sich frech und lästert wild;
die Knechtenschar ihm Beifall brüllt.

Der König rief mit stolzem Blick;
der Diener eilt und kehrt zurück.

Er trug viel gülden Gerät auf dem Haupt;
das war aus dem Tempel Jehovas geraubt.

Und der König ergriff mit frevler Hand
einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand.

Und er leert ihn hastig bis auf den Grund,
und rufet laut mit schäumendem Mund:

„Jehova! dir künd ich auf ewig Hohn –
ich bin der König von Babylon!“

Doch kaum das grause Wort verklang,
dem König ward’s heimlich im Busen bang.

Das gellende Lachen verstummte zumal;
es wurde leichenstill im Saal.

Und sieh! und sieh! an weißer Wand
da kam’s hervor wie Menschenhand;

und schrieb, und schrieb an weißer Wand
Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.

Der König stieren Blicks da saß,
mit schlotternden Knien und totenblass.

Die Knechtenschar saß kalt durchgraut,
und saß gar still, gab keinen Laut.

Die Magier kamen, doch keiner verstand
zu deuten die Flammenschrift an der Wand.

Belsazar ward aber in selbiger Nacht
von seinen Knechten umgebracht.

Heinrich Heine