Dies alles kam über den König Nebukadnezar. Nach Verlauf von zwölf Monaten ging er auf dem königlichen Palast in Babel umher; und der König sprach: Ist das nicht das große Babel, das ich zum königlichen Wohnsitz erbaut habe durch die Stärke meiner Macht und zu Ehren meiner Herrlichkeit?“ (Vers 25–27)

Die Verse 25–30 sind so etwas wie ein Einschub, es ist keine Erzählung Nebukadnezars in der Ich-Form mehr, sondern die Schilderung des an ihm vollzogenen Gerichtes Gottes. Durch diese geänderte Form des göttlichen Berichtes wird der ganze Vorgang wesentlich ernster noch. Erst in Vers 31 beginnt er wieder in der Ich-Form.

Zwölf ganze Monate wartet Gott. Dieser Umstand, dass Gott langmütig ist und mit dem Gericht nicht sofort kommt sondern Zeit zur Buße gibt (2. Mo 34,6; Jona 4,2), wird von dem Sünder benutzt zu sagen, dass da sowieso kein Gericht kommt (Pred 8,11+12). Ein gewaltiger Irrtum! Eine erschütternde Verwechslung der Langmut Gottes mit der eigenen Sorglosigkeit. Dieser König hatte zwölf Monate Zeit, und dann erhebt sich sein Herz. In Spr 6,16+17 zeigt Gott sieben Dinge, die Ihm verhasst sind, und das erste davon sind hohe Augen. „Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade“ (1. Pet 5,5); dieser Grundsatz gilt heute genauso wie damals in Babel. Wenn ein Herz sich erhebt, ist das für Gott ein Gräuel.

Geschichtlich gesehen hatte Nebukadnezar nicht Unrecht mit dieser Angeberei. Sanherib hatte die Stadt in Schutt und Asche gelegt, und durch Nebukadnezar war sie wieder aufgebaut worden. Aber so gewaltig das auch gewesen sein mochte, was er dazu getan hatte oder hatte tun lassen, er schrieb sich hier alles selbst zu. Wenn er hier von der Stärke seiner Macht spricht, werden wir an den totalen Gegensatz zu Eph 6,10 erinnert, wo wir aufgefordert werden stark zu sein in der Macht Seiner Stärke. Es gibt durchaus Macht und Stärke, aber sie ist niemals in einem Menschen! Die Haltung Nebukadnezars erinnert auch an die Einstellung des reichen Kornbauern in Lk 16,17–20. So sehr auch die Barmherzigkeit und Langmut Gottes eine Realität ist, wenn ihr Vollmaß ungenutzt verstreicht, dann folgt das Gericht.

Nebukadnezar hatte alles von Gott empfangen, aber er rühmte sich, als hätte er es nicht empfangen (1. Kor 4,7) und spricht Worte reinsten Hochmuts. Aber Gott gibt Sein Ziel selbst mit diesem Mann nicht auf und lässt jetzt die schwerste Erprobung von allen über ihn kommen. Es ist eine Warnung an uns, ja nicht hoch von uns selbst zu denken. Wir stehen in der eminenten Gefahr, dass wir uns auf das bisschen, was wir haben, etwas einbilden; wie groß denken wir oft von uns, auch in der Versammlung – und wir haben doch aus lauter Gnade alles nur geschenkt bekommen!

Bei allen Tagen der Langmut Gottes ist jeder Tag eine besondere Mahnung an das jeweilige Herz. Das hat Nebukadnezar ignoriert. Und dieses Verhalten wird seinem Nachfolger Belsazar zu einer Lektion gemacht (Dan 5,18–21). Er hatte die Tage der Langmut Gottes missbraucht und sein Herz ist verstockt worden. Wenn wir die empfangene Gabe von dem Geber selbst lösen, werden wir selbstherrlich und verlieren jede Zugänglichkeit des Herzens bis hin zur Verstockung.

Noch war das Wort im Mund des Königs, da kam eine Stimme vom Himmel herab: Dir, König Nebukadnezar, wird gesagt: Das Königtum ist von dir gewichen! Und man wird dich von den Menschen ausstoßen, und bei den Tieren des Feldes wird deine Wohnung sein, und man wird dir Kraut zu essen geben wie den Rindern; und es werden sieben Zeiten über dir vergehen, bis du erkennst, dass der Höchste über das Königtum der Menschen herrscht und es verleiht, wem er will. In demselben Augenblick wurde das Wort über Nebukadnezar vollzogen; und er wurde von den Menschen ausgestoßen, und er aß Kraut wie die Rinder, und sein Leib wurde benetzt vom Tau des Himmels, bis sein Haar wuchs wie Adlerfedern und seine Nägel wie Vogelkrallen“ (Vers 28–30)

Nebukadnezar war oft zurechtgewiesen worden und hatte bis hierhin immer wieder seinen Nacken verhärtet; deshalb folgt jetzt sofort bei diesen hochmütigen Worten das Gericht (Spr 29,1). Es ist die Stimme des Wächters und Heiligen, die jetzt vom Himmel her ertönt.

Nebukadnezar wurde nicht zu einem Tier; sein menschliches Herz wurde verwandelt und ihm wurde das Herz eines Tieres gegeben (Vers 14). Damit ist nicht das Organ gemeint, sondern seine menschlichen Empfindungen, Entscheidungen, Urteile. Er blieb in seiner äußerlichen Gestalt eines Menschen, aber er verlor das Gottes-Bewusstsein und verwilderte in seinem Äußeren und lebte bei den Tieren, aber er wurde nicht buchstäblich zu einem Tier. Er lebte mit seiner menschlichen, verwilderten Gestalt wie ein Tier und bei den Tieren und benahm sich wie ein Tier. Gott hat den Menschen in Seinem Bild geschaffen, und davon ist jetzt bei Nebukadnezar überhaupt nichts mehr zu sehen. Wenn der Mensch das Zeugnis Gottes ablehnt, dann wird er auch in seinem Äußeren hingegeben (Röm 1,24+26+28).

Von den Menschen in der Endzeit wird in 2. Pet 2,12 und Judas 10 geschildert, dass sie wie unvernünftige, natürliche Tiere sich verhalten. Wenn der Mensch meint, der beste Freund des Menschen sei der Hund, dann meint er, das Tier auf sein Niveau zu erheben, aber tatsächlich begibt er sich auf das Niveau eines Tieres. Wenn die Moral des Menschen gegen Null geht, wird er in seinem Wesen wie ein Tier, das nur noch seine Bedürfnisse und Triebe befriedigen will. Das traurige Beispiel davon ist der verlorene Sohn in Lk 15,11–16. Tiefer hinab als bis zu den Tieren geht es für den Menschen nicht.

Es ist ergreifend, dass jetzt wohl das Urteil angekündigt wird, dass es aber gleich in gewisser Hinsicht begrenzt wird bis zu dem Augenblick, an dem Nebukadnezar zur Einsicht kommen würde. Daniel hatte das auch schon in seiner Deutung des Traumes in Vers 23 angedeutet mit den Worten „sobald du erkannt haben wirst, dass die Himmel herrschen“. Wie unbegreiflich groß ist die Gnade und Barmherzigkeit Gottes, diesen Mann, der bis zur Vermessenheit sein Herz verstockte (Dan 5,20), doch eine Wiederherstellung zu gewähren.