Der Schreiber beginnt diesen schönen Psalm mit einer einfachen und doch herrlichen Feststellung über Gott und endet mit einer glücklichen Schlussfolgerung im Blick auf sich selbst. „Fürwahr, Gott ist ... gut“ ist die Feststellung des ersten Verses; „Gott zu nahen ist mir gut“ ist die Schlussfolgerung des letzten Verses. Wenn wir der Feststellung zustimmen, müssen wir auch der Schlussfolgerung beipflichten.

Die Feststellung ist jedoch keine allgemeine Aussage über die Güte Gottes gegenüber Seinen Geschöpfen – so wahr das auch ist –, sondern die Beteuerung, dass Gott Israel gut ist, „denen, die reinen Herzens sind.“ Das große Thema dieses Psalms ist, zu beweisen, dass Gottes Güte Seinem Volk gilt, trotz der prüfenden Umstände, durch die sie vielleicht zu gehen haben, trotz des Kummers, dem sie begegnen mögen und trotz der Leiden, die sie vielleicht erdulden müssen.

Diese Wahrheit muss jedoch durch Erfahrung gelernt werden. Deshalb erzählt der Psalmdichter Asaph von den Erfahrungen, durch die er diese zwei großen Wahrheiten gelernt hat: Erstens, dass Gott Seinem Volk trotz des vorherrschenden Bösen gut ist und zweitens, dass Gott inmitten des vorherrschenden Bösen die Hilfsquelle für Sein Volk ist.

Der Psalmdichter beginnt die Geschichte seiner Erfahrungen damit, dass er uns erzählt, wie auf seinem Weg durch eine böse Welt ein Tag kam, an dem seine Füße fast abgewichen und seine Schritte beinahe ausgeglitten wären (V. 2). Es steht geschrieben: „Schmal ist der Weg, der zum Leben führt“ – und das galt auch für den gottesfürchtigen Psalmdichter in seinen Tagen, wie es für den Christen heutiger Tage gilt. Auf einem schmalen Weg genügt ein einziger falscher Schritt in die eine oder andere Richtung, um den Weg zu verfehlen. Es ist nicht nötig, einen schlimmen Fehler zu begehen, der von anderen bemerkt wird, um von dem schmalen Pfad abzugleiten. Der Weg des Psalmdichters wurde nicht von schwerem Versagen beeinträchtigt, das ihn bei der Welt in Ungnade gebracht hätte; keine ärgerlichen oder ungeduldigen Worte waren über seine Lippen gekommen, die seinen Herzenszustand verraten hätten, und doch wäre er beinahe ausgeglitten. Hätten wir nicht sein eigenes Bekenntnis, hätte keiner das in seinem Verhalten oder in seinen Worten bemerkt.

Auch wenn es überhaupt nicht so aussah, bekannte er, dass er beinahe sein Vertrauen in Gott verloren hätte. Seine Füße wären fast von dem Felsen abgeglitten (V. 26). Er erklärt uns auch, wie es dazu kam, dass sein Vertrauen so ernstlich ins Wanken geraten war. Das Geheimnis wird gelüftet. Er beschäftigte sich mit den Bösen, während er nicht nah bei Gott war. Deshalb hatte er ein begrenztes und verdrehtes Bild von dem Bösen. Er sah die Wohlfahrt der Gottlosen und das Elend der Gottesfürchtigen, und folglich beneidete er das Teil der Gottlosen, missbilligte das Teil der Gottesfürchtigen und verlor beinahe das Vertrauen in Gott.

In den Versen 4 bis 12 zeichnet er ein ernstes Bild von den Gottlosen. Wir müssen jedoch bedenken, dass es eine Beschreibung der Gottlosen aus der Sicht eines Gläubigen ist, der im Moment nicht in Gemeinschaft mit Gott ist, so dass das, was er sagt, zwar wahr, aber nicht die volle Wahrheit ist. Es ist heute noch so, dass die Gottlosen durch „Hochmut“, „Gewalttat“, „Bosheit“ und „Bedrückung“ gekennzeichnet sind. Sie verfolgen nicht nur die Gottesfürchtigen, sondern sind auch Gotteslästerer, die „ihren Mund in den [o. gegen den] Himmel setzen.“ Sie sagen, dass Gott von den Dingen der Menschen keine Notiz nimmt und dass bei dem Höchsten kein Wissen ist, und trotz allem geht es ihnen gut und ihre Reichtümer vermehren sich.

Das also ist die Sicht eines Menschen, der nicht in Gemeinschaft mit Gott lebt. Die Gottlosen gedeihen, die Gottesfürchtigen leiden und Gott schaut tatenlos zu. Die Regierung Gottes ist scheinbar völlig von der Erde verschwunden.

In den Versen 13 und 14 beschreibt Asaph, wie sich die Beschäftigung mit den Bösen auf eine gottesfürchtige Seele auswirkt, wenn sie nicht in Gemeinschaft mit Gott ist. Sie ist versucht zu denken, dass es vergeblich ist, ein reines Herz und unschuldige Hände zu haben. Was nützt es mir, meine Gedanken in Ordnung zu halten und vom Bösen Abstand zu nehmen, wenn letzten Endes doch die Gottlosen gedeihen und ich geplagt bin und jeden Morgen gezüchtigt werde?

Es gibt zwei Schlingen, denen der Gläubige ständig ausgesetzt ist und durch die unsere Füße von dem Felsen des Vertrauens auf Gott abgleiten können. Einerseits die Beschäftigung mit den Bösen, ohne dabei in der Nähe Gottes zu sein, und andererseits Gleichgültigkeit gegenüber dem Bösen unter dem Vorwand der Liebe. Wenn wir uns, wie der Psalmdichter, getrennt von Gott mit Bösem beschäftigen, werden wir unser Vertrauen in Gott verlieren. Wenn wir gleichgültig gegenüber dem Bösen sind, ist das für Gott widerlich. Gleichgültigkeit gegenüber Bösem in der Versammlung ist Gleichgültigkeit gegenüber der Herrlichkeit Christi. Gleichgültigkeit gegenüber Bösem in der Welt ist Gleichgültigkeit gegenüber den Rechten Gottes.

Es war die erste dieser beiden Schlingen, von der der Psalmdichter gefangen wurde; am Ende war er ganz bestürzt und niedergeschlagen. Er war versucht, zu denken (denn es geht hier nicht um das, was er sagt, sondern um die Offenlegung seiner innersten Gedanken), dass seine Gottesfurcht völlig vergeblich ist und ihm scheinbar nur Morgen für Morgen neue Sorgen einbringt.

Doch in den dunkelsten Augenblicken seiner Erfahrungen, setzen sich göttliche Zuneigungen durch (V. 15) und beweisen, dass, wenn seine Schritte auch beinahe ausgeglitten wären, doch göttliches Leben in seiner Seele wirkte. Erhitzte und ärgerliche Gedanken jagten ihm durch den Kopf, aber Liebe zum Volk Gottes, der Beweis des Glaubens an Gott, hielt seine Lippen zurück. Er sagt: „Wenn ich gesagt hätte: Ich will ebenso reden, siehe, so wäre ich treulos gewesen dem Geschlecht deiner Söhne.“ Doch obwohl er seine Lippen fest verschließt, zerstören schmerzvolle Gedanken seinen inneren Frieden. Er weiß nicht, wie er die Güte Gottes gegenüber Seinem Volk in Einklang bringen soll mit dem leidenden Zustand, in dem es sich befindet, während zur gleichen Zeit die Gottlosen gedeihen (V. 16).

Aber der innere Konflikt ist zeitlich begrenzt. Er hält an „bis“ er an den verborgenen Platz zurückkehrt, von dem er abgewichen war – „bis ich“, wie er sagt, „hineinging in die Heiligtümer Gottes“ (V. 17). Das Heiligtum spricht von der Gegenwart Gottes. Außerhalb des Heiligtums besah er das Böse ohne Gott, innerhalb des Heiligtums besieht er alles und jeden in Gemeinschaft mit Gott. Was für ein Unterschied! Außerhalb wurde alles in Beziehung zu der Zeit gesehen, innerhalb wird alles in Beziehung zur Ewigkeit gesehen. Die Gottlosigkeit der Menschen, die Güte Gottes, die Wohlfahrt der Sünder und die Leiden der Gläubigen werden nicht mehr in Verbindung mit dem Zeitlichen gesehen, sondern in Beziehung zu dem großen Ende, auf das sich alles zubewegt. Der Mensch – immer kurzsichtig – kann nur wenig überblicken; Gott – mit Seiner weitreichenden Sicht – sieht von Anfang an schon das Ende. Es ist wahr, dass der Psalmdichter immer noch die bösen Menschen im Blick hat, aber er sieht sie jetzt mit Gott und auf einmal verschwinden die momentane Wohlfahrt und die vorübergehenden Triumphe der Gottlosen aus seinem Blickfeld und stattdessen sieht er das beängstigende Ende, dem sie entgegeneilen.

Aber das ist noch nicht alles, denn im Heiligtum lernen wir viele Wahrheiten kennen. Er erkennt eine weitere Wahrheit, nämlich, dass Gott, obwohl Er scheinbar keine Notiz von der Wohlfahrt der Gottlosen oder von dem Elend der Gottesfürchtigen nimmt, doch in Seinen Regierungswegen hinter allem wirkt (V. 18–20). Er muss daher bekennen: „... auf schlüpfrigen Grund setzt du sie, stürzt sie hin zu Trümmern, ... wirst ... ihr Bild verachten.“ Es sah in der Tat so aus, als ob der Psalmdichter an schlüpfrigen Orten gewesen wäre, denn er wäre beinahe ausgeglitten. Andererseits schien es, als ob die Gottlosen fest auf einen Felsen gegründet wären, denn sie hatten Gedeihen in der Welt und ihre Reichtümer nahmen zu. In Wirklichkeit stand der Gottesfürchtige auf dem Felsen, wenn auch wankend; und die Gottlosen waren an schlüpfrigen Orten, wenn sie auch Wohlfahrt hatten. Als er die Wohlfahrt der Gottlosen getrennt vom Heiligtum betrachtete, wurde der gottesfürchtige Mann bestürzt. Wenn er jetzt aus dem Heiligtum heraus die Gottlosen betrachtet, sieht er, dass sie am Ende niedergestürzt werden. Entfernt von Gott erschien die Wohlfahrt der Gottlosen sehr real und beständig; im Heiligtum war es nichts als ein vorübergehender Traum.

Das Heiligtum lehrt die Seele darüber hinaus noch tiefere Lektionen. Er hat den wahren Charakter und das Ende der Gottlosen gesehen; er hatte die Regierung Gottes entdeckt, die hinter den Kulissen am Werk ist; jetzt muss er einen Blick hinter seinen Wandel und seine Wege tun, und das Verborgene seines eigenen Herzens kennenlernen (V. 21–22). Die Prüfung wird persönlich. Wenn das Heiligtum den Charakter des Sünders bloßstellt, dann wird es auch die versteckten Quellen des Bösen im Herzen eines Gläubigen offen legen. Alles wird im Licht des Heiligtums aufgedeckt. „Als mein Herz sich erbitterte“, sagt er, „da war ich dumm und wusste nichts; ein Tier war ich bei dir.“ Das Tier handelt ohne die geringste Beziehung zu Gott. Wenn der Gläubige Gott aus seinen Gedanken streicht, sinkt er weit unter das Niveau des natürlichen Menschen: auf das Niveau eines Tieres. Zu dieser Einsicht wird er hier geführt.

Nachdem er das Böse seines eigenen Herzens ausgelotet hat, kann Gott ihn sofort schönere und glücklichere Lektionen lehren. Denn das Heiligtum ist ein zurückgezogener, heiliger Ort, wo dem Herzen die Tiefen Gottes entfaltet werden können. Das war auch die glückliche Erfahrung einer gläubigen Frau späterer Tage, die das Heiligtum Gottes in der Gegenwart Jesu erlebte und, zu Seinen Füßen sitzend, Seine Worte hörte. Der Psalmdichter war in die Tiefen geführt worden, jetzt soll er auf die Höhen steigen. Er hat etwas über sein eigenes Herz kennengelernt und wurde dadurch vorbereitet, das Herz Gottes kennen zu lernen. Nie sind wir so aufnahmebereit für die Güte Seines Herzens, wie wenn wir die Schlechtigkeit unserer eigenen Herzen erkannt haben. Die Erkenntnis dessen, was in uns ist, bahnt den Weg für die Offenbarung dessen, was in Ihm ist. Deshalb werden die Gedanken des Psalmdichters weggelenkt von allem dem, was er vor Gott gewesen war, um sich an dem zu erfreuen, was Gott für ihn ist. Er sagt: „ ... ein Tier war ich bei dir. Doch ich bin stets bei dir.“ Selbst wenn erhitzte und bittere Gedanken in seinem Herzen tobten, war er doch der Gegenstand der unermüdlichen Fürsorge Gottes. Er sagt gleichsam: „Ich dachte nicht mehr an Gott, aber Er hörte nicht auf, an mich zu denken“ – „Ich bin stets bei Dir.“

Außerdem hatte er nicht nur einen Platz im Herzen Gottes, sondern wurde auch von der Hand Gottes gehalten, denn er sagt: „Du hast mich erfasst bei meiner rechten Hand.“ Ich bin abgeirrt, ich verhielt mich wie eine Tier, ich ließ Seine Hand los, aber nie ließ Er mich los. Ich wäre beinahe ausgeglitten, ja, ich wäre ausgeglitten, wenn Er mich nicht bei meiner rechten Hand erfasst hätte. Sein liebendes Herz stellte mich vor sich hin, und Seine mächtige Hand hielt mich fest.

Nachdem er mit großer Freude alles das erkannt hat, was Gott in der Vergangenheit für ihn gewesen ist, als seine Füße beinahe ausgeglitten wären, kann er jetzt im absoluten Vertrauen auf alles, was Gott auch in Zukunft für ihn sein wird, vorwärts blicken. Auf jedem Schritt seines Weges auf der Erde kann er sagen: „Durch deinen Rat wirst du mich leiten.“ Ich muss mein Herz nicht damit belasten, dass ich all die verwirrenden Fragen meines Lebensweges durch diese böse Welt zu entwirren suche, denn Gott selbst wird mich leiten; und schließlich, wenn das Ende der Reise erreicht ist, wenn der kleine Tag des Menschen vorbei ist und der Tag der Herrlichkeit anbricht, „wirst du mich aufnehmen“ (V. 24).

Wie glücklich darf der Gläubige sein, der Gott im Verborgenen des Heiligtums so kennengelernt hat, dass er sagen kann: „Sein Herz sorgt für mich, Seine Hand hält mich, Seine Weisheit leitet mich und Seine Herrlichkeit wird mich willkommen heißen.“

Wer Gott so kennt, findet in Ihm auch Befriedigung für die Seele. Er ist nicht nur ein Gegenstand des Interesses Gottes, sondern Gott selbst wird zum einzigen Gegenstand für ihn. Er sagt: „Wen habe ich im Himmel? Und neben dir habe ich an nichts Lust auf der Erde.“ Aber was ist mit der Wohlfahrt der Gottlosen, mit ihren Reichtümern und ihrer Bequemlichkeit, die er damals so beneidet hatte? „Ach“, würde der Psalmdichter sagen, „sprich nicht mehr von diesen Dingen. Ich bin im Heiligtum gewesen und habe das Herz Gottes kennengelernt, und neben Ihm habe ich an nichts Lust auf der Erde.“

Doch wir mögen sagen: „Du bist offensichtlich arm und schwach, und das mitten in einer Welt, wo alles gegen dich ist.“ „Ich weiß es“, scheint der Psalmdichter zu antworten, „denn ich habe durch bittere Erfahrung gelernt, dass mein Fleisch und mein Herz versagen, denn es gab eine Zeit, in der meine Füße beinahe ausgeglitten wären, aber dann bin ich im Heiligtum gewesen und habe einen Ruheplatz für mein armes, zitterndes Herz gefunden“ – „meines Herzens Fels und mein Teil ist Gott auf ewig“ (V. 26). Das Herz, das damals die Gottlosen beneidete, hat sein befriedigendes Teil im Herzen Gottes gefunden. Die Füße, die fast ausgeglitten wären, stehen jetzt fest auf dem Felsen.

Ja, Gott ist Seinem Volk gut (V. 1); und es ist gut, Gott zu nahen (V. 28); und der, der Gott naht, wird auch vor den Menschen für Gott zeugen. „Ich habe meine Zuversicht auf den Herrn, HERRN, gesetzt, um zu erzählen alle deine Taten.“