In den letzten Worten des Herrn Jesus zu seinen Jüngern im Obersaal finden wir auch sein Gebot (vgl. Joh 15,12), dass sie einander lieben sollten, wie der Herr sie geliebt hatte. Der Herr spricht hier von einem neuen Gebot. Dieses „neue Gebot“ ist nun schon fast 2000 Jahre alt, und doch müssen wir einmal neu über dieses Gebot nachdenken.

Das „alte Gebot“ finden wir in dem Gesetz, wo von dem Menschen gefordert wurde, seinen Nächsten so zu lieben wie sich selbst (vgl. 3. Mo 19,18). Der Mensch war also in der Art und Weise der Liebe seines Nächsten sein eigener Standard, er orientierte sich an sich selbst. Nun aber gibt der Herr Jesus ein neues Gebot, einander zu lieben, wie er uns geliebt hat – er selbst ist der Maßstab in der Liebe zu unseren Brüdern.

Und wie hat er uns geliebt? In Johannes 15,13 sagt der Herr: „Größere Liebe hat niemand als diese, dass jemand sein Leben lässt für seine Freunde. Ihr seid meine Freunde.“ In 1. Johannes 3,16 schreibt Johannes: „Hieran haben wir die Liebe erkannt, dass er für uns sein Leben hingegeben hat; auch wir sind schuldig, für die Brüder das Leben hinzugeben.“ Gerade darin, dass der Herr Jesus sein Leben für uns gegeben hat, finden wir den Beweis seiner Liebe zu uns. Und ich darf das auch ganz persönlich verstehen, denn Er ist „der Sohn Gottes, der mich geliebt, und sich selbst für mich hingegeben hat“ (Gal 2,20). So weit ging seine Liebe und genauso weit soll auch meine und deine Liebe zu unseren Brüdern gehen.

Nun meinen wir leider oft, so vieles in unserem Bruder, in unserer Schwester zu finden, was überhaupt gar nicht liebenswürdig ist, ja, was sogar abstoßend ist. Gilt dieses „neue Gebot“ dann nicht mehr? Doch! In der ganzen Schrift finden wir keine einzige Bedingung. Gott sei Dank, dass auch Gott keine Bedingungen für seine Liebe zu uns gemacht hat. Weder hatten wir Liebe zu Gott in unseren Herzen –  da war nichts als pure Feindschaft – noch gab es etwas Liebenswürdiges in uns, denn wir waren durch und durch Sünder. In diesem Zustand waren wir moralisch tot, absolut unbrauchbar für Gott (vgl. Eph 2,1). Und doch setzt Gott ein göttliches „Aber“: „Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist. ... da wir Feinde waren ...“ (Röm 5,8.10). „Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, wegen seiner vielen Liebe, womit er uns geliebt hat ...“ (Eph 2,4). „Hierin ist die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn gesandt hat als Sühnung für unsere Sünden“ (1. Joh 4,10). Wir dürfen hier das Prinzip der göttlichen Liebe kennenlernen, einer Liebe, die liebt, obwohl nichts Liebenswürdiges zu finden ist, eine Liebe, die bedingungslos liebt.

Wir nun, da Gott uns so geliebt hat, sind auch schuldig, einander zu lieben (1. Joh 4,11). Und dazu sind wir grundsätzlich befähigt worden. Durch die neue Geburt sind wir zu Teilhabern der göttlichen Natur geworden und sind nun fähig, den zu lieben, der uns zuerst geliebt hat (vgl. 1. Joh 4,19). Aber nicht nur das: Als solche, die aus Gott geboren sind, lieben wir jeden, der ebenfalls aus Gott geboren ist, d.h. der wie wir ein Kind Gottes ist. Wir tendieren oft dazu, die zu lieben, die auch uns ihre Liebe erweisen. Doch wir müssen lernen, unsere Brüder zu lieben, weil sie aus Gott geboren sind und Kinder Gottes sind (vgl. 1. Joh 5,1). Es würde überhaupt nicht passen, wenn wir sagen, dass wir Gott lieben, aber gleichzeitig nicht dieselbe bedingungslose Liebe zu unseren Brüdern praktizieren (vgl. 1. Joh 4,20.21).

Angesichts der göttlichen Liebe, die uns entgegengebracht wurde und die wir auch heute täglich genießen dürfen, und dem göttlichen Maßstab, den er uns in der Liebe zu unseren Brüdern vorhält, müssen wir uns da nicht schämen? Wenn Brüder gegeneinander vor Gericht ziehen (vgl. 1. Kor 6,1–8)? Wenn Streit und Zank Beziehungen jahrelang zerrütten? Wenn oft so banale Dinge für Spannungen und Unfrieden sorgen? Wenn „Gräben“ sich durch Gemeinden ziehen? Wenn man nicht mehr richtig miteinander redet, anstatt die Dinge zu regeln? Verhalten wir uns nicht oft so, wie jener Knecht in Matthäus 18, dem die 10.000 Talente erlassen wurde, der aber nicht bereit war, seinem Mitknecht die 100 Denare zu erlassen?

Lasst uns uns erneut den göttlichen Standard vor Augen halten und Gott um Kraft bitten, ihn praktisch umzusetzen. Dann wird auch unser Herz mehr durch Dankbarkeit und durch Ruhe und Frieden gekennzeichnet sein.