In Sunem lebte ein wohlhabendes Ehepaar, das schon länger vergeblich auf Nachwuchs wartete. Die Frau sorgte dafür, dass der Prophet Elisa immer wieder in ihrem geräumigen Haus herbergte. Als Dank für ihre ausgesuchte Gastfreundschaft kündigte Elisa der zufriedenen Frau an, dass sie in einem Jahr einen Sohn umarmen würde. Und es geschah nach dem Wort des Propheten: Die Frau bekam einen Sohn. Doch als der Junge heranwuchs, starb er eines Tages plötzlich. Schnell holte die Sunamitin den Propheten Elisa herbei, der das Kind wieder zum Leben erweckte.

Diese Geschichte enthält wertvolle Hinweise für alle, die Kinder haben oder sich mit Kindern beschäftigen. Wir lernen hier, wie wir mit Kindern umgehen sollen, und auch, wie wir nicht mit ihnen umgehen sollen.

Der gleichgültige Vater

Sehen wir uns zuerst den Vater des Jungen an. Das Herz dieses alten Vaters ist seinem Sohn nicht zugeneigt (vgl. 2. Kön 4,14; Mal 3,23). Als sein noch junger Sohn ihn bei der Erntearbeit besucht, schützt er ihn offenbar nicht vor der sengenden Sonne. Und vor allem: Er kümmert sich nicht um seinen Sohn, als dieser ängstlich schreit: „Mein Kopf, mein Kopf!“ (2. Kön 4,19). Nachlässig und sorglos lässt er den Jungen einfach durch einen Diener zu seiner Mutter tragen, anstatt sich selbst um ihn zu kümmern. Als er etwas später seine Frau trifft, erkundigt er sich nicht einmal danach, wie es seinem Jungen geht! Es ist darum verständlich, dass seine Frau ihm nichts vom Tod des Jungen erzählt und ihm auch nicht erklärt, warum sie an einem gewöhnlichen Werktag den Propheten Elisa aufsuchen will. Nach dem kurzen Gespräch mit seiner Frau lesen wir kein Wort mehr von dem Vater: Er hat mit der Auferstehung des Kindes nichts zu tun.

Viele Väter sind im Beruf stark eingespannt. Dabei gibt es Phasen, in denen wir uns besonders engagieren müssen. Es ist wie in den Tagen der Ernte – es gibt viel zu tun und die Zeit ist knapp. Auch die Arbeit für den Herrn fordert Kraft. Wir müssen Zeit investieren, um das Wort der Wahrheit in gerader Richtung schneiden zu können (2. Tim 2,15, Fußnote). Der „Dienst der Schnitter“ soll mit heiligem Eifer ausgeführt werden. Aber was ist mit unseren Kindern? Haben wir noch Zeit für sie? Oder schieben wir sie beiseite, wenn sie uns bei der Arbeit stören? Und wie reagieren wir, wenn unsere Kinder unversehens in Not geraten? Haben sie wenigstens dann unsere volle und ungeteilte Aufmerksamkeit? Es ist gut, dass Väter in Schwierigkeiten eher gelassen bleiben – aber es ist sehr zum Schaden für die Kinder, wenn sie gleichgültig sind. Und das gilt natürlich nicht nur für Väter, sondern für alle, die mit Kindern umgehen und Verantwortung für sie haben.

Die hingebungsvolle Mutter

Die Mutter ist ganz anders als der Vater! Nicht umsonst sagte Elisa zu ihr, als er den Sohn ankündigte (2. Kön 4,16): Du wirst einen Sohn umarmen (und nicht einfach: du wirst einen Sohn haben). Vom ersten Tag an zeigte die Mutter echte Zuneigung zu ihrem Sohn! Und als ihr dieser Sohn mit rasenden Kopfschmerzen von einem Diener gebracht wird, nimmt sie ihn auf den Schoß und tröstet ihn (vgl. Jes 66,12–13). Doch den Tod kann sie nicht aufhalten – am Mittag stirbt der Junge. Ihr einziges, lang erwartetes Kind ist tot! Was jetzt? Bereitet sie die Beerdigung vor? Nein, sie legt den toten Jungen in das Zimmer des Propheten, der ihn zu einem Zeitpunkt angekündigt hatte, als jede Hoffnung auf Nachwuchs verloren erschien. Würde er in dieser hoffnungslosen Lage durch Gottes Macht nicht auch helfen können? Und vielleicht beflügelt sie auch das Wissen, dass bereits Elia, dessen Geist auf Elisa ruhte, einen toten Jungen aus den Toten auferweckt hatte (1. Kön 17,17–24).

Die Frau will schnell hin zu Elisa, dem Propheten. Doch vorher fragt sie ihren Ehemann um Erlaubnis. Sie kann sich zwar nicht über Details ihres Plans mit ihm unterhalten, weil ihr Mann nicht ihren starken Glauben teilt, aber sie respektiert seine Autorität. Er hält sie nicht auf – und sie zieht sogleich entschlossen los. Nachdem sie etliche Kilometer zurückgelegt hat, stößt sie auf Gehasi, den Diener Elisas. Seine Frage nach dem Wohlergehen ihrer Familie beantwortet sie nur knapp, weil sie weiß, dass Gehasi kein echtes Interesse hat und nicht helfen kann. Vor Elisa fällt sie demütig nieder und bestürmt ihn, sich auf den Weg zu machen. Das tut sie nicht umsonst. Als der heilige Schreiber sie das nächste Mal erwähnt, sehen wir sie erneut zu den Füßen Elisas – um für die Auferweckung des Sohnes zu danken (2. Kön 4,37).

Wer Kindern zum Segen sein will, muss sie von Herzen lieben. Und ein Ausdruck von Liebe ist es, kleinere Kinder in die Arme zu nehmen. Außerdem ist Glaubenszuversicht wichtig, die wir gerade dann zeigen sollen, wenn Schwierigkeiten im Leben eines Kindes auftreten. Wir dürfen Großes und Gutes für sie erwarten, weil wir es mit einem Gott zu tun haben, der über alles hinaus zu tun vermag, mehr, als was wir erbitten oder erdenken. Noch etwas anderes lernen wir von der Sunamitin: Sie wusste, wer ein Mann Gottes war, und wo Elisa sich aufhielt. So wollen wir die erkennen, die „mitwirken und arbeiten“ (1. Kor 16,16; vgl. 1. Thes 5,12). Wer geistlich ist, wird merken, wo Gottes Geist wirkt und wer ein „Mensch Gottes“ ist. Dieses Wissen kann uns in Schwierigkeiten einmal sehr nützlich werden.

Der formelle Diener

Gehasi war eingebunden in die Bemühungen um das Kind der Sunamitin. So gleichgültig wie der Vater war er nicht. Er fragte die Sunamitin nach dem Wohlergehen der Familie, legte einen weiten Weg für das Kind zurück und ging zu ihm aufs Zimmer mit dem Stab des Propheten – dem Zeichen der Autorität – in der Hand. Doch sein Herz war bei alldem nicht beteiligt. Dies offenbarte sich, als er die Sunamitin von den Füßen Elisas wegstieß. So wie Eli es nicht verstand, dass Hanna innerlich beschwert war, so begriff Gehasi nicht, dass die Sunamitin traurig und darum ihr Verhalten angemessen war (2. Kön 4,27; 1. Sam 1,12–15). Und schließlich zeigte sich sein Formalismus darin, dass er den Stab Elisas, ohne vorher zu beten, auf das Gesicht des verstorbenen Jungen legte. Gehasi konnte nicht zum Nutzen sein. Sein Herz war kalt – wie der Körper des toten Knaben.

Es ist gut, sich für Kinder Zeit zu nehmen, nach ihrem Wohlergehen zu fragen und sie mit der Macht Gottes vertraut zu machen. Doch wenn das nur eine äußere Form ist – was hat es dann für einen Wert? Wir brauchen die Kraft der Gottseligkeit, die aus dem Geist Gottes hervorgeht, und nicht eine bloße äußere Form. Und wenn unsere Arbeit an Kindern nicht von intensivem Gebet begleitet wird, dann werden auch kaum Kinder vom Tod in das Leben hinübergehen.

Der geistliche Prophet

Elisa hat von Anfang an Interesse an der Familie. Als dann das Schlimmste eingetreten ist, macht er sich auf den Weg zu dem gestorbenen Kind, geht in das Zimmer hinein, schließt hinter sich ab und betet in Ruhe zu seinem Gott. Und nicht nur das – er beugt sich nieder und macht sich völlig mit dem Kind eins: Mund auf Mund, Augen auf Augen und Hände auf Hände (2. Kön 4,34). Und siehe da, der Körper des Kindes wird warm. Leben ist zurückgekehrt! Doch Elisa ist noch nicht zufrieden. Er will, dass das Leben nicht nur zu fühlen, sondern dass es auch zu sehen ist. So geht er, wahrscheinlich nachdenkend und betend, im Zimmer auf und ab und legt sich dann nochmal auf das Kind. Und jetzt schlägt es die Augen auf und niest siebenmal. Was für ein gewaltiges Wunder Gottes hat sich in dieser Kammer zugetragen! Doch Elisa macht darüber kein Aufsehen und gibt das Kind ganz schlicht seiner Mutter zurück.

Wollen wir Werkzeuge sein, die Gott zum Segen für Kinder benutzt? Wir können von Elisa lernen, indem wir uns für Kinder interessieren und es uns etwas kosten lassen, ihnen zu dienen. Bei diesem Dienst begeben wir uns gern auf die „Ebene des Kindes“ , um ihnen die Wahrheit so zu vermitteln, dass sie sie gut aufnehmen können. Das bereitet Mühe. Aber es lohnt sich. Und wie groß ist dann die Freude, wenn man in einer intensiven Beschäftigung mit einem Kind merkt, dass neues Leben vorhanden ist! Aber ein treuer Diener wird damit nicht zufrieden sein: Er will, dass das neue Leben sichtbar wird. Und wenn das – vielleicht auf sehr einfache Weise – geschieht, ist das ein neuer Grund zur Dankbarkeit. Wenn der Diener schließlich seine Aufgabe an einem Kind beendet hat, wird er gern aus dem Blickfeld verschwinden und sich treu anderen Aufgaben und Personen widmen.

Schluss

Wäre es nach dem Vater und nach Gehasi gegangen, wäre der Junge am nächsten Tag beerdigt worden. Doch weil das Kind eine glaubensstarke Mutter hatte und weil Elisa, der Mann Gottes, zur Stelle war, geschah etwas anderes: Das Kind stand aus den Toten wieder auf.

Zwei Personen in dieser Geschichte machen uns deutlich, wie wir nicht mit Kindern umgehen, und zwei zeigen uns, wie wir mit ihnen umgehen sollen. Werden wir die jeweiligen Lektionen zum Wohl der Kinder lernen?