Da suchten die Vorsteher und die Satrapen einen Anklagegrund gegen Daniel von Seiten der Regierung zu finden; aber sie konnten keinen Anklagegrund und keine schlechte Handlung finden, weil er treu war und kein Vergehen und keine schlechte Handlung an ihm gefunden wurde. Da sprachen diese Männer: Wir werden gegen diesen Daniel keinen Anklagegrund finden, es sei denn, dass wir einen im Gesetz seines Gottes gegen ihn finden“ (Daniel 6,5.6).

Daniel sollte hier also eine Stellung bekommen, die die übrigen Vorsteher und Satrapen auch gern für sich gehabt hätten. Offenbar hatte Darius diese Absicht, Daniel über das ganze Königreich zu bestellen, nicht sofort umgesetzt. Aber die beiden übrigen Vorsteher und die Satrapen hatten von dieser Absicht augenscheinlich erfahren. Am ehesten waren sicher die beiden anderen Vorsteher davon betroffen, dass Daniel noch über sie gestellt werden sollte; und man kann sich vorstellen, dass sie dann versuchten, die Satrapen für sich zu gewinnen, um etwas gegen Daniel vorbringen zu können. Sie nahmen praktisch Daniels komplettes Leben unter die Lupe, sie forschten ihn aus, um irgendetwas in seiner Amtsführung zu finden, was sie ihm ankreiden und vor dem König zur Last legen könnten, damit er diese hohe Stellung nicht bekäme. Der Beweggrund dafür kann nicht nur Neid und Missgunst gewesen sein (Jak 3,16), sondern sogar Hass. Neid entsteht immer dann, wenn man etwas haben möchte und nicht bekommt, was ein anderer besitzt. Das kann im materiellen Bereich so sein, aber leider auch im geistlichen Bereich!

Die Satrapen und Vorsteher wussten, dass sie nur dann sie einen Anklagegrund gegen Daniel finden könnten, wenn das Gesetz des Gottes Daniels gegen das Gesetz des Königs stehen würde, wenn also im Gesetz Gottes etwas wäre, was im Widerspruch zu dem Gesetz des Königs stand. Aber da gab es auch nichts, und deshalb mussten sie selbst tätig werden und eine solche Situation herbeiführen und eine entsprechende Verordnung in Gang setzen lassen. Diese entschiedene und treue Haltung Daniels erinnert uns an 1. Petrus 4,15.16 und auch an Philipper 2,15. Gläubige Leute sollten treue Leute sein! Und genau das unterstellten diese Satrapen dem Daniel, dass er nämlich auch bei dieser beabsichtigten Verordnung seinem Gott treu bleiben würde. Sie wussten, dass es im Leben Daniels eine Bastion gab, die sie nicht erobern konnten, bei der es keine Kompromissbereitschaft bei Daniel gab. Sie gingen ganz fest davon aus, dass er sich nicht anpassen würde und dass sie ihn dann gerade dadurch kriegen würden. Was für ein indirektes Zeugnis seiner Feinde für den Daniel!

In der Ausführung seiner beruflichen Verantwortlichkeiten war also kein Anklagegrund und keine schlechte Handlung bei Daniel zu finden – nicht eine einzige! Kein Vergehen, noch nicht mal eine Vernachlässigung seiner Pflichten konnte gefunden werden, obwohl sie unter allen Umständen etwas finden wollten. Die Begründung Gottes dafür ist, dass Daniel treu war, und dies alles bezieht sich zunächst nur auf die Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit. Er hatte zuverlässig alles so getan, wie es nach Recht und Ordnung geschehen musste und wie der König es getan haben wollte. Wer könnte das von seiner beruflichen Aufgabenerfüllung sagen – keine einzige Unregelmäßigkeit?! Es hat in den Augen Gottes einen außerordentlich hohen Wert, wenn wir unseren irdischen Beruf treu erfüllen (Kol 3,22.23; Tit 2,9.10). Und es besteht auch unbedingt ein Zusammenhang zwischen der Treue eines Gläubigen im irdischen Beruf und seiner Tätigkeit im geistlichen Bereich. Menschen, die der Herr in Seinen Dienst beruft, sind in der Regel solche, die sich vorher in ihrem irdischen Beruf bewährt haben; das Alte und auch das Neue Testament sind voll von solchen Beispielen. Faulenzer wird der Herr nicht in Seinen Dienst stellen!

Es geht hier also um das Verhalten eines Gläubigen in einer feindlichen Welt, um seine Treue im irdischen Beruf. Daniel hatte sich durch seinen Herzensentschluss den dreifachen Einflüssen der Umerziehung der Babylonier – die Sprache der Chaldäer, ihre Speise und die Umbenennung mit babylonischen Namen – so weit wie möglich entziehen können. Da, wo es ging, hatte er Nein gesagt; menschlich gesprochen eigentlich das Ende der Karriereleiter. Aber Gott hatte genau das benutzt, ihn an die höchsten Stellen sowohl im babylonischen als nun auch im medo-persischen Reich zu bringen. Selbst Darius musste bekennen, dass Daniel seinem Gott ohne Unterlass gedient hatte (Dan 6,21). So ist das Beispiel Daniels auch vorbildhaft für alle jungen Gläubigen im Blick auf ihre Ausbildung und ihre berufliche Laufbahn. Das heißt nicht, dass ein Leben des Glaubens in Treue immer von wirtschaftlichem oder irdischem Erfolg gekrönt ist, aber es gibt Lohn von Gott.

Was Karrieren im irdischen Beruf betrifft, können wir im Leben Daniels lehrreiche Punkte finden: Er hatte nie den beruflichen Erfolg gesucht, sondern hatte andere Dinge, die ihm wichtig waren. Und egal, in welcher Stellung er sich befand, er hatte seine jeweilige Aufgabe immer treu erfüllt. Außerdem stand er in allem, was er tat, zuerst vor seinem Gott. Und schließlich zeigt uns dieses Kapitel, dass eine hohe Position auch besondere Gefahren mit sich bringt.

Dann liefen diese Vorsteher und Satrapen eilig zum König und sprachen zu ihm so: König Darius, lebe ewig! Alle Vorsteher des Königreichs, die Befehlshaber und Satrapen, die Räte und Statthalter, haben beschlossen, dass der König eine Verordnung aufstellen und ein Verbot erlassen soll, dass jeder, der innerhalb dreißig Tagen von irgendeinem Gott oder Menschen etwas erbittet außer von dir, o König, in die Löwengrube geworfen werden soll. Nun, o König, erlass das Verbot und lass eine Schrift aufzeichnen, die nach dem Gesetz der Meder und Perser, das unwiderruflich ist, nicht abgeändert werden darf. Deshalb ließ der König Darius die Schrift und das Verbot aufzeichnen“ (Daniel 6,7–10).

Darius war selbst nicht der Mann gewesen, der das unaufhebbare Gesetz eingeführt hatte. Dieses Gesetz der Meder und Perser bestand schon vorher; aber auf der Grundlage dieses unaufhebbaren Gesetzes sollte er jetzt ein Verbot erlassen, das dann eben nicht mehr abgeändert werden durfte. Er wurde von der List seiner Satrapen in eine Falle gelockt, die er nicht erkannte.

Eben noch hatten die Satrapen gesagt, dass sie etwas finden müssten, wo Daniel durch das Befolgen des Gesetzes seines Gottes in Konflikt geraten würde mit den Gesetzen der Meder und Perser. Und sofort laufen sie jetzt zum König. Sie hatten überhaupt nicht beraten müssen, wie sie das hinbekommen würden. Sie müssen bei ihrer Untersuchung in der Amtsführung von Daniel auch gesehen haben, wie treu und regelmäßig er zu seinem Gott betete. Das Leben Daniels war eine Einheit, sein berufliches Leben und sein Leben mit Gott waren eins.

Diese Männer hatten ein sehr feines Netz gesponnen. Es ist doch erstaunlich, was für einen erheblichen Einfluss sie hatten, dass sie von dem König das fordern konnten, was sie beschlossen hatten. Sie waren eines Sinnes geworden, und was sie jetzt dem Darius vorlegen, ist von außergewöhnlicher Raffinesse: Der König sollte nach ihrem Beschluss eine Verordnung aufstellen und ein Verbot erlassen, dass niemand innerhalb von 30 Tagen etwas von irgendeinem Gott erbitten dürfte außer von dem König. Und wer sich daran nicht halten würde, sollte in die Löwengrube geworfen werden. Aber ihr Vorgehen beruhte auch auf einer Lüge, denn es waren ja gar nicht alle Vorsteher, Satrapen und sonstige Autoritäten zu diesem Vorschlag übereingekommen, denn Daniel war bei diesem Ratschlag nicht dabei. Merkwürdig auch, dass der König Darius gar nicht danach fragte, was denn Daniel als ihr Oberster in spe zu diesem Vorschlag zu sagen hatte.

Von irgendeinem Gott war eine so raffinierte Ausdrucksweise. Darius ging in die ihm gestellte Falle, weil er sich damit schmeicheln ließ. Er nahm dieses Angebot nur zu gerne an, für diese 30 Tage sogar höher stehen zu sollen als irgendein Gott, ganz zu schweigen von jedem Menschen. Zeigt das nicht, wie traurig sein Zustand wirklich war? Wäre auch nur ein wenig Ehrfurcht bei ihm vorhanden gewesen vor Gott, hätte er diese Schlinge erkannt, die ihm da gelegt wurde. Aber er ließ sich blenden, und dadurch dass er dann das Verbot aufzeichnen ließ, wurde er der Gefangene seiner eigenen Leute.

Darius ließ sich durch diese Verordnung an die Stelle Gottes setzen – auch wenn es nur für 30 Tage war. Darin ist er ein erschütterndes Vorbild nicht nur von dem Antichristen, sondern auch von dem letzten römischen Fürsten, der sich selbst anbeten lässt, als wenn er Gott wäre. Hätte er doch mal eine Nacht über diesen Vorschlag geschlafen! Aber nein, er lässt diese Schrift unmittelbar aufzeichnen.

Die drohende Konsequenz für das Nichtbeachten dieser Verordnung zeigt auch, dass diese Menschen überhaupt nicht mit Gott rechneten. Sie drohten nicht den sofortigen Tod an, sondern für sie war das Werfen in die Löwengrube gleichbedeutend mit dem sicheren Tod. Von der wunderbaren Rettung der drei Freunde Daniels aus dem babylonischen Feuerofen hatten sie entweder nichts gehört oder sie wähnten die Löwengrube als ein noch sichereres Mittel.