Wir finden nicht viele Prophezeiungen im Alten Testament, die sich auf die sog. Jahre des Schweigens beziehen, also auf die Jahre zwischen Maleachi und Matthäus. Eine sehr konkrete Prophezeiung finden wir in Daniel 8. Dort ist die Rede von einem kleinen Horn, das aus einem der vier Hörner (vier Diadochenreiche, d.h. die vier Nachfolgerreiche des Reiches Alxanders des Großen) hervorwächst. Und zwar geht es um einen Herrscher, der aus dem bedeutsamsten und größten Reich der vier Reiche hervorgeht: aus dem Seleukidenreich.

Dieses „kleine Horn“ ist Antiochus IV. Epiphanes (215–164 v.Chr.). Er war zunächst 10 Jahre lang als Geisel in Rom und musste sich erst langsam Machtansprüche aufbauen, er begann also klein. Schließlich wurde er durch List und Bosheit der Herrscher des Seleukidenreiches. Dann wurde er, wie Daniel prophezeite, ausnehmend groß: Er kämpfte erfolgreich gegen Ägypten und zog auch in die östlichen Gebiete (Mesopotamien), um sie zu unterwerfen. Auch gegen Israel rückte er im Jahr 167 vor Christus vor. Alle drei Stoßrichtungen werden in Daniel 8,9 vorhergesagt.

Aber dann wird etwas betont, was in der profanen Geschichte nur wenig Erwähnung findet: Antiochus wendet sich großspurig gegen die Sterne im Volk Gottes (Dan 8,10). Sterne, das sind diejenigen, die andere zur Gerechtigkeit weisen und die Wahrheit verbreiten (Dan 12,5). Aber nicht nur das, sondern es tat auch groß gegen den Obersten dieses himmlischen Heeres (Jos 5,14). Dem Heer konnte er zwar Schaden anrichten (Dan 8,10.12), aber den Obersten und Fürsten des Heeres, Gott selbst, konnte er nicht antasten.

Was er aber konnte: sein Heiligtum entweihen und das beständige Opfer wegnehmen, also das Brandopfer am Morgen und am Abend (2. Mo 29). Und man beachte, wie gerade das beständige Opfer hier betont wird: In Daniel 8,11 wird gesagt, dass das kleine Horn Gott das beständige Opfer wegnahm. Daniel 8,12 betont, dass der Frevel das beständige Opfer ersetzt. Und Daniel 8,13 bezeichnet interessanterweise das Gesicht, das Daniel und die Heiligen gesehen haben, als das Gesicht vom „beständigen Opfer“, und in Daniel 8,26 wird von dem „Gesicht von den Abenden und von den Morgen“ gesprochen. Und dann wird in Daniel 8,14 auch noch die Angabe der erfragten Zeitdauer (wohl) nicht in Tagen angeben (1150), sondern nach der Zahl der Brandopfer, die Gott morgens und abends nicht dargebracht wurden (2300). Das war in den Jahren 167–164 vor Christus, als auf Veranlassung von Antiochus Epiphanes der israelitische Gottesdienst in einen Götzenkult verwandelt wurde. Doch Judas Makkabäus beendete den Spuk und „rechtfertigte das Heiligtum“ (Dan 8,14).

Zwei Punkte möchte ich mit diesen bereits historischen Geschehnissen verbinden:

1.)   Die Endzeitlektion: Das, was sich damals ereignet hat, wird sich in der Zukunft, in der Zeit des Endes (Dan 8,17.19) quasi wiederholen. In einer noch kommenden Zeit wird ein frecher König nördlich von Israel aufstehen, der wieder unter dem Volk der Juden in List erstaunliches Verderben anrichtet wird (Dan 8,23 ff.). Aber beachten wir: In der Endzeitauslegung des Gesichtes (Dan 8,23–26) wird nicht davon gesprochen, dass der König des Nordens den israelitischen Gottesdienst gewaltsam beenden wird. Denn tatsächlich wird das der kommende Herrscher des Römischen Reiches, in Verbindung mit dem Antichristen, zur Mitte der „letzten Jahrwoche“ tun, wie aus Daniel 9,27 hervorgeht. Dieser römische Herrscher wird im Tempel einen frevelhaften, gräulichen Götzendienst einführen, der Verwüstung zeitigen wird, und das beständige Opfer abschaffen (Dan 11,31; 12,11). Die Handlungen werden sich also sehr exakt in der Zeit des Endes wiederholen, wenn auch die Akteure unterschiedlich sein werden.

2.)   Die Praxislektion: Es ist auffällig, was für einen großen Wert Gott auf das beständige Opfer, auf das Morgen- und Abendbrandopfer, legt. Sicher zuerst deshalb, weil es von dem Wohlgeruch des Opfers Christi spricht. Aber in Anlehnung an Psalm 141,2 dürfen wir auch an unsere Gebete und an unsere Anbetung denken, die wir Gott bringen möchten – und wir tun das oft abends und morgens. Und wie eifersüchtig wird Gott wohl darüber wachen, dass wir dieses Opfer bringen und alles verabscheuen, was diesen Dienst für ihn unterbindet! Wir sollten uns dessen bewusst sein und nicht zulassen, dass unser beständiges Opfer für Gott aufhört!