In den Evangelien wird uns dreimal beschrieben, dass der Herr gewissermaßen auf dieselbe Ebene gestellt wurde wie andere Menschen.

Die erste Begebenheit finden wir zu Beginn des öffentlichen Lebens des Herrn Jesus, als Johannes der Täufer am Jordan taufte (Mt 3,1.2). Aus ganz Judäa und Jerusalem kamen Menschen zu ihm, um sich taufen zu lassen (Mt 3,5). Diese Menschen hatten erkannt, dass sie Sünden in ihrem Leben hatten. Nun kamen sie zu Johannes, bekannten ihre Sünden und ließen sich taufen. Indem sie dies taten, rechtfertigten sie Gott und anerkannten sie sein Urteil über ihr sündiges Leben (Lk 7,29). Durch die vollzogene Taufe trennten sie sich von einem ungläubigen und unbußfertigen Volk. Nun kam der Herr Jesus an den Jordan und reiht sich in die Reihe derer ein, die sich taufen lassen wollte. In seiner Demut identifiziert sich der Herr Jesus vollkommen mit diesen bußfertigen Juden. Von außen konnte man keinen Unterschied zwischen dem Herrn Jesus und dem übrigen Volk ausmachen. Wenn der Betrachter auch in der Gefahr stand, den Herrn Jesus auf dieselbe Ebene wie einen bußfertigen Sünder zu stellen, dann macht Gott hier doch unmittelbar und sofort durch eine Stimme deutlich: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe“ (Mt 3,17). Gott lässt hier nicht zu, dass sein Sohn auf dieselbe Ebene gestellt wird wie Sünder.

Eine weitere Begebenheit finden wir auf dem sogenannten Berg der Verklärung. Gemeinsam mit Johannes, Jakobus und Petrus war der Herr auf den Berg gestiegen, um zu beten. Während er nun betete, „wurde das Aussehen seines Angesichtes anders und sein Gewand weiß strahlend“ (Lk 9,29). Weiterhin erscheinen Mose und Elia in Herrlichkeit und besprechen seinen Ausgang, den er in Jerusalem erfüllen sollte (Lk 9,31). Während dies geschah, waren die Jünger eingeschlafen. Als sie aber völlig aufgewacht waren, sagt Petrus: „Meister, es ist gut, dass wir hier sind; und wir wollen drei Hütten machen, dir eine und Mose eine und Elia eine“ (Lk 9,33). Doch der Heilige Geist fügt hinzu, dass Petrus nicht wusste, was er da sagte. Ohne Zweifel hatte Petrus den Vorschlag gut gemeint. Aber wieder muss Gott sofort eingreifen. Er kann nicht zulassen, dass sein Sohn mit diesen, zugegebenermaßen großen, Gottesmännern des Alten Testamentes auf dieselbe Ebene gestellt wird. Es ist der Sohn allein, an dem der Vater Wohlgefallen hat (Mt 17,5).

Die letzte Begebenheit finden wir in den letzten Stunden des Lebens des Herrn Jesus. Nachdem man den Herrn Jesus bereits aufs Übelste misshandelt hatte, trug er sein Kreuz nach Golgatha, „wo man ihn kreuzigte und zwei andere mit ihm, auf dieser und auf jener Seite, Jesus aber in der Mitte“ (Joh 19,18). Damit hatten sich die Worte des Herrn an seine Jünger erfüllt: „Denn ich sage euch, dass noch dieses, was geschrieben steht, an mir erfüllt werden muss: Und er ist unter die Gesetzlosen gerechnet worden“ (Lk 22,37; Jes 53,12). Dort hing er nun unter dem beißenden Spott der Menge. Selbst die Kriminellen, die zu seiner Linken und seiner Rechten gekreuzigt waren, stimmten in diesen Spott ein. Später kommt einer der beiden zu Besinnung und weist den anderen zurecht: „Auch du fürchtest Gott nicht, da du in demselben Gericht bist?“ In seiner ganzen Bosheit hatte der Mensch den Herrn Jesus auf dieselbe Ebene wie einen Gesetzlosen gestellt. Ja schlimmer noch: Indem man ihn in die Mitte hängte, schien man ausdrücken zu wollen, dass dieser der Schlimmste von allen war. Empfinden wir etwas von dem, was hier mit dem Heiland geschieht? In Matthäus 27,39–44 lesen wir, wie der Herr Jesus verspottet wurde. Unter anderem sagte man: „Er vertraute auf Gott, der rette ihn jetzt, wenn er ihn begehrt; denn er sagte: Ich bin Gottes Sohn“ (Mt 27,43). Dass der Herr Jesus hier am Kreuz hing, ohne dass Gott eingriff, war für die Juden der Beweis, dass der Herr ein gewöhnlicher Mensch sei. Für sie war er der Gesetzlose. Von außen konnte man keinen Unterschied zwischen den beiden Kriminellen und dem Herrn sehen. Sie waren alle in demselben Gericht. Das war der Platz, den Menschen ihm zugewiesen hatten, und der Herr nimmt ihn demütig ein. Und doch konnte der Herr Jesus von Herzen sagen: „Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust; und dein Gesetz ist im Inneren meines Herzens“ (Ps 40,9). Auch der Kriminelle muss zugeben: „Und wir zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsere Taten wert sind; dieser aber hat nichts Ungeziemendes getan“ (Lk 23,41). Und Gott? Im Leben des Herrn Jesus hatte er eingegriffen, hatte nicht zugelassen, dass Menschen ihn auf dieselbe Ebene stellten mit anderen Menschen. Doch dieses Mal schweigt Gott. Ja, noch mehr: In den drei Stunden der Finsternis wird der Herr Jesus noch von Gott verlassen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46).

Die ganze Menschheitsgeschichte hindurch hatte Gott gesucht und doch nur gefunden, dass da keiner ist, der Gutes tut, und dass alle von ihm abgewichen waren (Röm 3,10.11). Doch als der Herr Jesus hier auf diese Erde kam, war da endlich einer, an dem Gott durch und durch seine Freude hatte. Angesichts dieses Lebens konnte der Himmel nicht schweigen. Doch jetzt, als der Sohn des Menschen gepeinigt und gedemütigt am Kreuz hängt, da schweigt der Himmel. Er schweigt, weil der, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht wurde (vgl. 1. Kor 5,21) und in das Gericht eines heiligen und gerechten Gottes über die Sünde ging. Wenn es uns auch unmöglich ist, zu empfinden was dieses Schweigen des Himmels für den Herrn Jesus bedeutet hat, so dürfen wir ihm doch von Herzen dafür danken, dass er in dieses Schweigen und Gottverlassensein gegangen ist.

Und doch hat Gott nicht für immer „geschwiegen“. Gott hat nicht zugelassen, dass sein Frommer die Verwesung sehe (Apg 2,27), noch war es möglich, dass er von dem Tod festgehalten wurde (Apg 2,24). Und so hat Gott ihn aus dem Tod auferweckt und ihn in den Himmel zu seiner Rechten erhöht (Apg 2,23.33). Kein Mensch wird jemals diesen Platz haben. Gott hat dem Herrn Jesus als Mensch dieselbe Herrlichkeit gegeben, die er als Sohn Gottes schon immer hatte. Er hat ihn als Mensch auf diesselbe Ebene gestellt wie sich selbst (vgl. Joh 17,5). Dort darf der Glaubende den, der wegen der Leiden des Todes ein wenig unter die Engel erniedrigt war, mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt sehen (vgl. Heb 2,9), „fortan wartend, bis seine Feinde hingelegt sind als Schemel seiner Füße“ (Heb 10,13). Wenn Gott auch auf Golgatha geschwiegen hat und der Herr Jesus auch heute immer noch der „Unter-die-Gesetzlosen-Gerechnete“ ist, so wird Gott einmal öffentlich und unübersehbar sprechen und sicherstellen, dass der Herr Jesus von allen Menschen geehrt werden wird. Noch ein zweites Mal wird er hier auf dieser Erde erscheinen. Dieses Mal nicht in Knechtsgestalt, sondern „mit Macht und großer Herrlichkeit“ (Mt 24,30). „Siehe, er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird ihn sehen, auch die, die ihn durchstochen haben“ (Off 1,7). Dann wird sich jedes Knie vor ihm beugen und jeder wird bekennen, „dass Jesus Christus Herr ist“ (Phil 2,9.10). Dann wird der Herr Jesus, auf der Erde wie im Himmel, den höchsten und ehrenvollsten Platz haben – alleine!