Vorbemerkung zu Daniel 8

In diesem Kapitel kommt ein ganz neues prophetisches Bild vor Daniel. Unsere heutige Perspektive dabei ist, dass zumindest der erste Teil dieses Kapitels bereits vergangene Geschichte ist, die Gott aber seinerzeit präzise vorausgesagt hat. Es geht darin sowohl um die Geschichte des zweiten Weltreiches und ganz besonders um die Geschichte des dritten, des griechischen Weltreiches. Aber es werden auch Ereignisse geschildert, die aus unserer heutigen Sicht noch zukünftig sind, es ist ja ein Gesicht für die Zeit des Endes (Vers 17). Alles im prophetischen Wort läuft auf den Augenblick hin, wo der Herr Jesus hier auf der Erde Sein Reich in Macht und Herrlichkeit aufrichten wird, auch die ganzen Gerichtsschilderungen. Alles bereitet diesen großen Augenblick vor, wo Gott Seinen Sohn sichtbar auf dieser Erde verherrlichen möchte. Das ist der eigentliche Kern des prophetischen Wortes: Gott wird dem Herrn Jesus Macht und Ehre und Herrlichkeit bei Seiner Ankunft geben (2. Pet 1,17).

Wenn wir uns nun mit diesen Ereignissen der letzten Tage beschäftigen, dann gibt es sehr viele handelnde Personen, Reiche und Mächte, die da wirksam werden und eine Rolle spielen. Drei dieser Personen oder Mächte müssen wir ganz besonders gut kennen und auseinanderhalten können, damit wir einen klaren prophetischen Blick behalten:

  • das Römische Reich, Westeuropa, mit seinem Herrscher, dem Haupt des Römischen Reiches; es ist das Tier aus dem Meer in Offenbarung 13,1 ff. und es ist das kleine Horn aus Daniel 7,8

  • der König des Nordens, der Assyrer; es ist Syrien, eine absolute Bedrohung für Israel in der zukünftigen Zeit, die aus geografischer Perspektive Israels aus dem Norden kommen wird; das ist das kleine Horn aus Daniel 8,9, nicht zu verwechseln mit dem kleinen Horn aus Daniel 7! Dieser Assyrer hat mit dem Haupt des Römischen Reiches gar nichts zu tun, er geht hervor aus dem griechischen Weltreich (Vers 8.9)

  • der Antichrist; er wird in Daniel 7 und 8 nicht erwähnt, er ist keinesfalls das kleine Horn aus Daniel 8; er ist ein dritter Herrscher gegen Israel, es ist das Tier aus der Erde von Offenbarung 13,11 ff.; zwischen dem Antichristen und dem Haupt des Römischen Reiches wird es eine enge Kooperation geben, einen Vertrag, einen Bund mit dem Scheol (Jes 28,15.18; Dan 9,27)

Daniel 7 zeigt uns also hauptsächlich das vierte Weltreich, den kommenden römischen Fürsten, und Daniel 8 zeigt uns jetzt hauptsächlich die Gefahr aus dem Norden, den Assyrer, den König des Nordens. Zwei Mächte, die jeweils kleines Horn genannt werden, die wir aber deutlich voneinander unterscheiden müssen. Das Alte Testament sagt übrigens viel mehr über den König des Nordens als über den Antichristen.

Es fällt auch auf, dass die Symbole für die Weltreiche in diesem Kapitel wechseln. In Daniel 7 wurden sie als wilde, raublüsterne Tiere vorgestellt (Löwe, Bär, Leopard und das schreckliche und furchtbare Tier mit den zehn Hörnern). Hier kommen für das zweite Weltreich (Widder) und das dritte Weltreich (Ziegenbock) ganz anders geartete Tiere vor uns. Daniel 7 zeigt uns die moralische Verwerflichkeit der vier Weltreiche. Dagegen zeigt uns Daniel 8 zeigt mehr das züchtigende Handeln Gottes im Blick auf Sein irdisches Volk Israel; und dabei benutzt Er Werkzeuge, die als Rute Seines Zorns taugen (Jes 10,5). Widder und Bock sind Tiere, die angriffslustig sind und stoßen.

Ab Kapitel 8 ist das Buch Daniel im Grundtext wieder in hebräischer Sprache geschrieben (siehe Fußnote zu Dan 2,4). In Kapitel 7 ging es in den drei Gesichten noch ausschließlich um die vier Weltreiche mit dem Schwerpunkt auf dem vierten, dem kommenden römischen Weltreich. Erst in der zusätzlichen Deutung dieser Gesichte wurden auch die Heiligen der höchsten Örter erwähnt. Hier in Kapitel 8 steht das Volk der Juden weit mehr im Blickpunkt der Geschehnisse, deshalb wechselt der Grundtext wieder von der aramäischen zur hebräischen Sprache.

Im dritten Jahr der Regierung des Königs Belsazar erschien mir, Daniel, ein Gesicht, nach demjenigen, das mir im Anfang erschienen war. Und ich sah im Gesicht: Und es geschah, als ich sah, da war ich in der Burg Susan, die in der Landschaft Elam ist; und ich sah im Gesicht, und ich war am Fluss Ulai“ (Dan 8,1.2).

Kapitel 7 und 8 sind nicht völlig ohne Beziehung zueinander, das macht Vers 1 deutlich. Das Gesicht von Kapitel 8 erschien dem Daniel zwei Jahre nach dem Gesicht von Kapitel 7, beides ereignete sich in der Endphase des babylonischen Weltreiches. Und Daniel stellt mit seinen Worten selbst eine Beziehung zwischen diesen beiden Gesichten her. Wie wir in der Vorbemerkung schon gesehen haben, geht es in Daniel 7 um das Haupt des Römischen Reiches und in Daniel 8 um den König des Nordens, den Assyrer – beides erbitterte Feinde des jüdischen Volkes in der Zukunft.

Dass Daniel sich in der Burg Susan sah, bedeutet jetzt nicht, dass er körperlich dorthin gesandt worden war, denn in Vers 27 lesen wir ja, dass er nach diesem Gesicht die Geschäfte des Königs weiter verrichtet hatte. Er wird im Geist versetzt in diese Burg Susan; der Geist Gottes führt ihn über das Babylonische Reich hinaus nach Osten an einen Ort, der später ein zentraler Punkt des nächsten Weltreiches, des Persischen Reiches sein würde (Neh 1,1; Est 1,2). Die Landschaft Elam bezeichnet wohl Persien oder zumindest eine Provinz dort. Weil in diesem Kapitel der Hauptgegenstand der König des Nordens ist, der Assyrer, wird jetzt der Standpunkt Daniels nach Osten, nach Babylon und Persien, verlegt.