Als sie nun gefrühstückt hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn Jonas, liebst du mich mehr als diese? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, daß ich dich lieb habe“ (Joh 21, 15).

In der Heiligen Schrift werden zwei verschiedene Wörter für „lieben“ verwendet: agapao und phileo. Im Neuen Testament wird im allgemeinen das Tätigkeitswort agapao benutzt, phileo dagegen findet sich nur selten. Zu sagen, daß agapao nur göttliches und phileo nur menschliches Lieben bezeichne, ist nicht nur ungenau, sondern auch unzutreffend. So liebten (agapao) die Pharisäer den ersten Sitz in den Synagogen (Lk 11, 43); auch würde ein Hausknecht den einen Herrn hassen und den anderen lieben (agapao; Lk 16, 13), und der Herr Jesus sagt in Johannes 3,19, daß die Menschen die Finsternis mehr geliebt haben (agapao) als das Licht. Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, daß agapao durchaus nicht nur die göttliche oder die, wie sie manche nennen, ehrerbietige Liebe wiedergibt. Umgekehrt hat der Vater den Sohn lieb (phileo) – und das ist gewiß keine „menschliche“ oder „schwächere“ Liebe –, werden die verflucht, die den Herrn Jesus Christus nicht lieb haben (phileo; 1. Kor 16, 22), und grüßt Paulus am Ende des Titus-Briefes diejenigen, „die uns lieben (phileo) im Glauben“. Auch die Worte des Herrn in Offenbarung 3, 19: „Ich überführe und züchtige, so viele ich liebe (phileo)“ machen deutlich, daß phileo nicht nur menschliche Liebe, Freundesliebe, bezeichnet.

So wollen wir gleich zu Anfang festhalten: Die beiden Wörter bezeichnen nicht einen Unterschied in der Kraft oder der Intensität oder dem Grad, sondern in dem Charakter und dem Bereich der Liebe.

Lange Zeit glaubte man, daß das von agapao abgeleitete Hauptwort agape = „Liebe“ in der weltlichen Literatur nicht vorkomme und somit von Gott für die Beschreibung Seiner Liebe in der Schrift reserviert sei. Aber man hat nicht nur das Wort agape auch außerhalb der Schrift nachweisen können, sondern die Septuaginta, die Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische, benutzt selbst das Wort wiederholt für die menschliche Liebe. So lesen wir z. B. von Amnon, daß „der Haß, womit er sie haßte, größer war als die Liebe (agape), womit er sie geliebt hatte (agapao)“ (2. Sam 13, 15). Im Neuen Testament allerdings bezeichnet das Hauptwort agape stets die göttliche und die göttlich bewirkte Liebe.

Die ursprüngliche Bedeutung von agapao in Bezug auf Personen ist im klassischen Griechisch „willkommen heißen“. Dieses Wort ist nun ein Gattungsbegriff für „Liebe“, es kann auf alle Bereiche und Richtungen angewandt werden: auf Übergeordnete, auf Untergeordnete und auf Gleichgestellte. Es wird benutzt sowohl von der Liebe Gottes zu der Welt (Joh 3, 16) als auch zu Seinem Volk (1. Joh 4, 10. 11), auch von der Liebe des Menschen zu Gott (Mt 22, 37; Rom. 8, 28; 1. Kor 2, 9). Es ist das Wort für die Liebe Christi zu den Seinigen (Joh 13, 1) und bezieht sich sowohl auf den einzelnen (Gal 2, 20) als auch auf die Versammlung (Eph 5, 25). Der Heilige Geist verwendet dieses Wort, um die Unumschränktheit der Liebe Gottes auszudrücken. Gott liebt, weil Er Liebe ist, und Seine Liebe ist unabhängig von der Würdigkeit ihres Gegenstandes.

Die Bedeutung von phileo (von philos = lieb, teuer) ist begrenzter. Dieses Wort beschreibt die Vertrautheit der Liebe, es redet von besonderer persönlicher Zuneigung und Zärtlichkeit, weshalb es manchmal auch „küssen“ bedeutet. Phileo bezeichnet also mehr eine gefühlsbedingte Liebe, die in ihrem Gegenstand etwas Anziehendes findet. Es ist daher auch verständlich, daß bei Ermahnungen, einander oder Gott zu lieben, nie phileo, sondern immer agapao benutzt wird.

Wenn wir diese Unterschiede einmal erfaßt haben, welch ein Licht wirft das dann auf solche Stellen wie: „Der Vater hat den Sohn lieb“ (Joh 5, 20) oder: „Der Vater selbst hat euch lieb“ (Joh 16, 27) oder: „Siehe, wie lieb hat er ihn gehabt“ (Joh 11, 36), wo stets das seltene phileo steht! Die Liebe des Vaters findet etwas Anziehendes in dem Sohn als Mensch auf Erden; die Liebe des Vaters findet etwas Anziehendes in den Jüngern, „weil ihr mich geliebt und geglaubt... habt“; der Herr Jesus findet etwas Anziehendes in den Seinigen. Welch ein Appell des Glaubens an das Herz des Herrn Jesus liegt in den Worten: „Herr, siehe, der, den du lieb hast (phileo), ist krank“ (Joh 11, 3)!

In unserem eingangs zitierten Vers aus Johannes 21 haben wir ein besonders kostbares Beispiel für das Vorkommen beider Wörter. Der Herr Jesus, um die völlige Wiederherstellung seines Knechtes bemüht, fragt Petrus zweimal, ob er Ihn liebe, und benutzt jedesmal das allgemeinere, das gebräuchlichere Wort – agapao. Beide Male antwortet Petrus: „Ja, Herr, du weißt, daß ich dich lieb habe.“ Er wirft sich ganz auf den Herrn und gibt seiner Liebe zu Ihm eine persönliche, vertraute Note, indem er phileo gebraucht. Er sagt gleichsam: „Du weißt, daß ich Dir zugetan bin.“ Beim dritten Mal aber nimmt der Herr Jesus in Gnaden den Ausdruck als angemessen auf, den Petrus benutzt hatte, und fragt: „Hast du mich lieb (phileo)? Bist du mir zugetan?“ Wir können verstehen, daß gerade diese Frage das Herz des Petrus tief treffen mußte, und so lesen wir auch: „Petrus wurde traurig, daß er zum dritten Male zu ihm sagte: Hast du mich lieb?“ Das brachte das tief empfundene und demütige Bekenntnis hervor, daß es tatsächlich nur der göttlichen Allwissenheit des Herrn möglich war, solche Zuneigung in ihm zu entdecken.

[Aus der Monatzeitschrift „Ermunterung und Ermahnung“, Jahrgang 1985]