Und während ich noch redete und betete und meine Sünde und die Sünde meines Volkes Israel bekannte und mein Flehen vor dem Herrn, meinem Gott, für den heiligen Berg meines Gottes niederlegte, während ich noch redete im Gebet, da kam der Mann Gabriel, den ich im Anfang, als ich ganz ermattet war, im Gesicht gesehen hatte, zu mir her zur Zeit des Abendopfers“ (Vers 20+21)

Noch beim Sprechen des Gebetes kommt die Antwort. Bei Nehemia war das anders gewesen, er hatte vier Monate gebetet, bevor Gott dieses Ihm wohlgefällige Gebet erhörte (vgl. Neh 1,1 mit 2,1). Auch ein Gebet, das ganz nach den Gedanken Gottes ist, wird nicht immer sogleich erhört! In Seiner Weisheit lässt Gott die Erhörung manchmal auf sich warten. Aber bei Daniel antwortet Gott schon, als dieser noch redete. Wir lernen daraus, dass wir uns nicht betrüben müssen, wenn Gott unsere Gebet nicht immer sofort erhört, auch wenn sie nach Seinen Gedanken sind.

Daniel wusste, dass er an der Sache, die zu der Wegführung des Volkes geführt hatte, selbst keinen Anteil hatte, aber er war sich dich bewusst, dass er als Gläubiger persönlich nicht ohne Sünde war. Er hatte sich selbst kennengelernt und sah sich nicht als über den Übrigen stehend an, auch in dieser Hinsicht war er ehrlich vor Gott und bekannte auch seine Sünde. Auch Nehemia spricht so (Neh 1,6). Als Gipfelpunkt der Einsmachung mit der Sünde des Volkes können sie so sprechen.

Der Mann Gabriel, den Daniel schon in Dan 8,15 ff. kennengelernt hatte, kommt jetzt wieder zu ihm, um ihm einen gewaltigen Ausblick zu geben, der weit über das hinausging, um was Daniel gebetet hatte. Die Gesichte in Daniel 8 und Daniel 9 sind zwar total verschieden, aber sie bauen aufeinander auf. Das Verständnis für die Abläufe in den vorhergehenden Gesichten ist Grundlage für die prophetische Schau, die jetzt vor uns kommt.

Zur Zeit des Abendopfers kommt dieser Mann Gabriel zu Daniel, Gott knüpft an gekannte Beziehungen mit Seinem Volk an. Auch bei der Begebenheit mit Elia und den Baals-Priestern auf dem Berg Karmel kam die von Elia erbetete Antwort Gottes zur Zeit des Abend-Speisopfers (1. Kön 18,36; vgl. auch Esra 9,5). Im Heiligtum musste Tag für Tag das Morgen- und das Abendopfer gebracht werden (2. Mo 29,38 ff.), ein Speisopfer verbunden mit einem Brandopfer. Tag und Nacht spricht das vollkommene Opfer des Herrn Jesus für uns vor Gott und ist die Grundlage dafür, dass Gott inmitten Seines Volkes wohnen kann.

Das Abendopfer musste zwischen den zwei Abenden geopfert werden (2. Mo 29,39), eine Zeitbestimmung, die Daniel in der Praxis kaum noch gekannt hat. Zu seiner Zeit konnte dieses Opfer schon fast 70 Jahre nicht mehr stattfinden, Jerusalem und der Tempel waren zerstört, es gab keinen Altar und keine Opfer mehr, und doch hat die Bedeutung davon im Herzen von Daniel fortgelebt. Er wird es wohl auch kaum mehr selbst miterlebt haben, dass dieses Opfer einige Jahre später wieder von dem zurückgekehrten Überrest in Jerusalem dargebracht wurde. Das erste, was sie damals aufbauten, war der Altar an seiner Stätte; und eins der ersten Opfer war das Morgen- und Abend-Brandopfer (Esra 3,3). Aber in seinem Herzen hatte Daniel es die ganze Zeit verwirklicht und seinen Tagesablauf nach den von Gott verordneten Opferzeiten ausgerichtet.

Und er gab mir Verständnis und redete mit mir und sprach: Daniel, jetzt bin ich ausgegangen, um dich Verständnis zu lehren. Im Anfang deines Flehens ist ein Wort ausgegangen, und ich bin gekommen, um es dir kundzutun; denn du bist ein Vielgeliebter. So höre aufmerksam auf das Wort und verstehe das Gesicht:“ (Vers 22+23)

Ehe Daniel jetzt die Worte des Engels hört, gibt der Engel ihm Verständnis (Spr 2,6; Ps 25,14). Es ist überaus wichtig, dass wir in den Dingen Gottes nicht eigene Auslegungen hineinbringen oder eigenen Gedankengängen folgen, sondern wir müssen uns Verständnis vom Herrn schenken lassen (2. Tim 2,7; Eph 1,17; Lk 24,32+45). Unser kleines menschliches Verständnis reicht nicht aus für die Dinge Gottes, aber Gott gibt uns das nötige Verständnis, wenn wir die Stellung der Abhängigkeit verwirklichen. Und Gott gibt uns dann nicht nur Licht über eine spezielle Sache, sondern über das ganze Umfeld. Gabriel ist hier also nicht nur ein Überbringer einer Botschaft, sondern er vermag, geistliches Verständnis bei Daniel zu wecken. In unserer heutigen Zeit der Gnade geschieht das nicht durch Engel, sondern durch den in uns wohnenden Heilige Geist, der uns in die ganze Wahrheit leiten wird (Joh 16,13).

Durch das, was Daniel jetzt zu hören bekommt, wird er zu einer Ausnahme von dem, was Petrus in 1. Pet 1,10 schreibt. Normalerweise verstanden die alttestamentlichen Propheten nichts von den weitreichenden Erfüllungen ihrer Prophezeiungen in dem Herrn Jesus. Es ist eine außerordentliche Antwort Gottes auf eine außerordentliche Demut und Haltung der Fürbitte bei Daniel. Es hatte bei ihm mit dem Lesen des Wortes Gottes begonnen, das hatte ihn ins Gebet geführt, und daraufhin gibt Gott ihm jetzt dieses Verständnis.

Interessant ist, dass der Engel Gabriel dem Daniel sagt, dass die Antwort Gottes schon im Anfang seines Flehens erging. Gott gab Seine Antwort also nicht erst am Ende des Gebets von Daniel, aber er erfährt die Erhörung seines Gebets erst zur Zeit des Abendopfers. Gott hat sich also nicht erst alles zu Ende angehört und dann reagiert, sondern schon im Anfang seines Flehens hatte Er das Herz Daniels gesehen und diese Antwort durch Gabriel geschickt (vgl. Dan 10,12). Gott hatte erhört, aber die Erfüllung dieser Erhörung kann dann noch auf sich warten lassen.

Wer solche Kennzeichen offenbart, wie Daniel es tat, ist ein Vielgeliebter bei Gott! Den Herrn Jesus sollten wir nicht als den Vielgeliebten anreden, es wäre nicht angemessen. Die Liebe Gottes zu Seinem Sohn ist nicht steigerungsfähig!