70 Wochen sind über dein Volk und über deine heilige Stadt bestimmt, um die Übertretung zum Abschluss zu bringen und den Sünden ein Ende zu machen und die Ungerechtigkeit zu sühnen und eine ewige Gerechtigkeit einzuführen und Gesicht und Propheten zu versiegeln und ein Allerheiligstes zu salben“ (Vers 24)

Die jetzt vor uns liegenden Verse sind für viele der schwierigste Abschnitt des Buches Daniel, es ist aber auch der fundamental wichtigste für das Verständnis des prophetischen Wortes. Wir werden die Offenbarung und auch andere prophetische Teile, wie z.B. Mt 24 + 25 nie richtig verstehen, wenn wir über diese Verse keine wirkliche Klarheit bekommen. Deshalb müssen wir uns sorgfältig Vers für Vers ansehen. Der Engel Gabriel (Lk 1,11+19) spricht von 70 Wochen, die über das Volk und die heilige Stadt Daniels bestimmt sind; Christen haben hier keine Stadt, die Juden wohl. Es geht also in diesen Versen ausschließlich um Juden. Die 70 Wochen sind keine normale Wochen von 7 Tagen, sondern eine Siebener-Periode (Heptade). Das wird aus dem Zusammenhang schon ersichtlich, denn es wäre gar nicht möglich, diese Dinge in so wenigen Tagen zu vollziehen. Es müssen also andere Zeiteinheiten sein, die hier gemeint sind. Es sind tatsächlich Jahr-Wochen (vgl. 3. Mo 25,8), jede Woche steht für 7 Jahre. Die Zahl 7 spielt ja für die Juden eine außergewöhnliche Rolle, sie ist die Zahl der Vollkommenheit – in guter wie in böser Hinsicht.

Wenn jetzt der Engel von 70 Wochen spricht, geht es also um einen Zeitabschnitt von 490 Jahren. Wir müssen dabei aber unbedingt im Auge behalten, dass in diesem Zeitablauf zwischen der 69. und der 70.Jahr-Woche (also zwischen Vers 26 und 27) eine große Unterbrechung liegt, nämlich die christliche Haushaltung, die in der Prophetie des Alten Testaments keine Erwähnung findet. Das zu übersehen, hat für viele bei der Berechnung der Zeitpunkte zu großen Schwierigkeiten geführt.

Die Antwort, die Daniel auf sein so bewegendes Gebet bekommt, ist also nicht nur die Erfüllung seiner Bitte, dass Gott die Strafe für Sein Volk, die Verwüstung Jerusalems beenden möge, und dass Er Sein Angesicht wieder leuchten lassen möge über dieser Stadt, sondern sie geht weit darüber hinaus und findet ihre Krönung nicht in der Gnade Gottes für das Volk Israel, sondern in der Offenbarung des Messias (Ps 2,6). Sie besteht in diesem Vers aus sechs Punkten, die sich noch erfüllen müssen, die heute noch zukünftig sind, die der Ausblick auf das 1000-jährige Reich sind. Von diesen sechs Punkten werden die ersten drei einen Abschluss finden und die letzten drei in positiver Hinsicht neu aufgerichtet werden:

  • die Übertretung muss zum Abschluss gebracht werden: Gott wird einmal einen Schlusspunkt setzen unter die Übertretung des Volkes; nie wieder wird das Volk diesen Charakter von Übertretung tragen (Jes 60,21)

  • den Sünden muss ein Ende gemacht werden: auch die einzelnen Sünden werden einmal ein Ende finden im Blick auf dieses Volk

  • die Ungerechtigkeit muss gesühnt werden: die Schuld des Volkes wird abgetragen sein (Jes 40,2); aber bis dahin wird die Schuld dieses Volkes sogar noch größer werden, indem sie sogar den Messias wegtun würden;

Ein Bild von diesen drei Punkten finden wir in dem Hohenpriester Aaron; wie er am großen Versöhnungstag mit dem Blut des geschlachteten Bockes des Sündopfers für das Volk innerhalb des Vorhanges in das Allerheiligste hineinging und nach vollbrachter Sühnung wieder hinaustrat (3. Mo 16,15–19). In der prophetischen Anwendung für das Volk Israel ist der Herr Jesus zwar mit Seinem eigenen Blut hineingegangen, aber für das Volk bis jetzt noch nicht wieder herausgekommen. Aber wenn dieser Zeitpunkt des 1000-jährigen Reiches gekommen sein wird, wird der Herr Jesus wieder erscheinen und es wird sichtbar werden, dass die Sünden Seines irdischen Volkes weggetan worden sind.

  • eine ewige Gerechtigkeit muss eingeführt werden: Jerusalem wird dann Stadt der Gerechtigkeit genannt werden (Jes 1,26); Gott wird nicht einfach nur Ungerechtigkeit hinwegtun, sondern Sein Volk, Seine Stadt wird Gerechtigkeit als Namen tragen (vgl. auch Jer 23,5+6)

  • Gesicht und Propheten müssen versiegelt werden: im 1000-jährigen Reich wird es keinen Prophetendienst mehr geben (Sach 13,2), weil er eben nicht mehr nötig sein wird in dieser Zeit; Gott selbst wird direkt auf dieser Erde regieren, und da wird es nicht mehr nötig sein, Propheten und Gesichte zu senden

  • ein Allerheiligstes muss gesalbt werden: die Stiftshütte und ihre Geräte wurden gesalbt (2. Mo 40,9); auf den Tempel im 1000-jährigen Reich wird Gott auch wieder den Stempel Seiner Heiligkeit legen und zwischen dem Heiligen und dem Unheiligen eine Scheidung machen (Hes 42,20); was für ein Wandel von dem jetzt noch verwüsteten Heiligtum hin zu einem Heiligtum, in dem Gott selbst wohnen wird!

Aber der Weg dahin ist ein Weg voller Mühsal, und die ersten 7 Wochen, die Zeit Nehemias und des Wiederaufbaus der Stadt und der Mauer, werden von Gott gesondert betrachtet und gewichtet. Diese Anstrengungen zum Wiederaufbau sind Gott außerordentlich wertvoll.

Diese 70 Jahr-Wochen sind also von Gott bestimmt über Israel. Es ist keine irgendwie beliebige Zeit, sondern eine göttlich vollkommen festgesetzte Zeit, in der ganz wesentliche Dinge geschehen würden: das erste Kommen des Messias, Sein Ausrotten, die Zeit der Gnade, die in diesem prophetischen Bild gar nicht erwähnt und gezählt wird, und dann die letzte Woche, die schon in Dan 7,25 im Blick auf das Haupt des römischen Reiches erwähnt wird, zumindest die zweite Hälfte dieser Jahr-Woche (eine Zeit und Zeiten und eine halbe Zeit; vgl. „zur Hälfte der Woche“ hier in Vers 27). Diese Begriffe werden in der Offenbarung wieder aufgegriffen, gerade im Blick auf die zweite Hälfte der 70.Jahr-Woche (Off 12,6+14; 13,5). Wir müssen bei diesen Zeitangaben (1260 Tage, 42 Monate) bedenken, dass dabei die Rede von prophetischen Jahren ist, nicht von normalen Jahren. Der normale israelitische Kalender richtete sich bei den Monaten nach dem Mondstand = 29 Tage, und bei dem Jahr nach dem Sonnenstand; das führte natürlich in jedem Jahr zu einer Differenz von mehreren Tagen, was zur Folge hatte, dass sie nach einigen Jahren dann einen doppelten Monat hinzufügen mussten. Dadurch wird die Berechnung der Jahre äußerst schwierig. Deshalb gibt Gott dieses prophetische Jahr, das aus 12 Monaten à 30 Tagen besteht. Das ist die Ausgangsbasis für diese Zeitangaben hier; übrigens auch schon bei der ersten großen Zeitberechnung im Alten Testament, bei der Flut. Sie begann am 17.Tag des 2.Monats (1. Mo 7,11), und die Arche kam zur Ruhe am 17.Tag des 7.Monats (1. Mo 8,4), also ein Zeitraum von 5 Monaten; und Gott nennt diesen Zeitraum 150 Tage (1. Mo 7,24; 8,3), also auch 5 Monate à 30 Tage.

Der Engel Gabriel geht also weit über die Zeitepoche Daniels hinaus; er gibt die Zusage, dass es sogar einen Abschluss geben wird, es geht bis in die Vollendung des 1000-jährigen Reiches. Dass ein Allerheiligstes gesalbt würde, war bei dem unter Esra wieder errichteten Tempel gar nicht geschehen. Dann kündigt er auch an, dass ein von Gott Gesalbter herrschen würde („bis auf den Messias“, Vers 25); zwar hatte Daniel von dieser Person schon mehrfach weissagen dürfen, aber doch nicht in dieser Deutlichkeit (Dan 2,34+35; 7,13+14).

Die ewige Gerechtigkeit bezieht sich also in erster Linie auf das 1000-jährige Reich (Jes 60,21). Ewig hat im Alten Testament nicht prinzipiell eine andere Bedeutung wie im Neuen Testament, es ist nur in seiner Ausdehnung nicht so vollkommen, wie es im Neuen Testament ist – aber es bedeutet doch eine Zeit ohne Ende. Im Alten Testament liegt darin nicht dieser Weitblick bis in alle Ewigkeit, ohne Anfang und ohne Ende, dort hat es meistens die Bedeutung, dass eine Sache oder ein Zustand von nichts anderem mehr abgelöst oder ersetzt wird. Aber auch ein Anklang von dem, was Ewigkeit wirklich bedeutet, liegt doch schon im 1000-jährigen Reich darin. Dieses Reich ist zeitlich begrenzt, und doch sind viele Dinge darin, die schon einen Hinweis enthalten auf die Ewigkeit.

So wisse denn und verstehe: Vom Ausgang des Wortes, Jerusalem wiederherzustellen und zu bauen, bis auf den Messias, den Fürsten, sind 7 Wochen und 62 Wochen. Straßen und Gräben werden wiederhergestellt und gebaut werden, und zwar in Drangsal der Zeiten“ (Vers 25)

Diese 70 Jahrwochen erfahren jetzt von dem Engel eine Dreiteilung in 7 Wochen und 62 Wochen und 1 Woche. Die letzte Woche wird also 7 Jahre umfassen und sehr ernste Ereignisse in sich bergen. Die ersten 7 Wochen werden definiert in Vers 25, sie umfassen die Zeitspanne, die zum Aufbauen Jerusalems und seiner Mauern gebraucht wurde. 49 Jahre also ist an Jerusalem und der Mauer gebaut worden.

Wann war dieser Zeitpunkt, wo das Wort ausging, Jerusalem wiederherzustellen? Drei Möglichkeiten kommen dafür in Betracht:

  • Esra 1,1+2: der König Kores lässt einen Ruf ergehen, das Haus des Herrn in Jerusalem zu bauen;

  • Esra 7,11 ff.: der König Artasasta erlässt einen Befehl, das Haus des Gottes des Himmels zu bauen;

  • Neh 2,1 ff.: der König Artasasta gewährt in seinem 20.Jahr dem Nehemia, die Stadt der Begräbnisse seiner Väter wieder aufzubauen; das geschah im Jahr 455 v.Chr.

Die ersten beiden Ereignisse beziehen sich ausschließlich auf den Tempel in Jerusalem, nicht auf die Stadt. Aber in Nehemia 2 geht es um die Stadt, und das ist der Startpunkt für die 70 Jahrwochen: das 20.Jahr des Königs Artasasta. Dieser Zeitpunkt lag aus der damaligen Sicht Daniels noch in der Zukunft. Wie sollte er das verstehen können (Vers 23+25)? Er konnte doch gar keine Berechnungen damit anstellen. Aber ist es nicht an sich etwas ganz Erhabenes, wenn Gott einem Gläubigen Seine Gedanken mitteilen möchte, wenn er Gemeinschaft mit einem solchen haben möchte über das, was Er vorhat mit Seinem Volk?

Von diesem Zeitpunkt also an würden 7 Wochen oder 49 Jahre gebraucht werden, um in Drangsal der Zeiten die Straßen und Gräben wiederherzustellen und zu bauen. Mit dieser Drangsal ist nicht die große Drangsal gemeint, sondern die Drangsal, die Nehemia in der Zeit seines Wirkens in tiefstem Maß durch Widerstand und Anfeindung erfahren hat.

Welches Ereignis ist gemeint, wenn es heißt: „bis auf den Messias, den Fürsten“? Ist es Seine Geburt, oder der Anfang Seines öffentlichen Dienstes; Sein Einzug in Jerusalem (Sach 9,9 und Mt 21,1–11), oder Sein Tod? Viel spricht dafür, auch der Zusammenhang mit dem nächsten Vers, dass es Seinen Tod meint. Auf jeden Fall aber ist es bewegend, dass wir hier eine Prophezeiung vor uns haben, die direkt auf den Herrn Jesus geht, unseren Heiland! Nur vier Mal in der ganzen Heiligen Schrift wird der Herr Jesus der Messias genannt (Dan 9,25+26; Joh 1,41; 4,25)!

Beachten wir auch, dass mit diesem kleinen Wort bis etwas ganz Großes ausgedrückt wird: Gott setzt Grenzen (bis dahin und keinen Schritt weiter) und bestimmt Zeiträume, die selbst Satan nicht überschreiten kann, auch ihm sind Grenzen gesetzt. Das gibt uns Ruhe und Sicherheit im Vertrauen auf Gott und Sein Wort!