Zu allen Zeiten scheint es eine Anzahl von Heiden gegeben zu haben, die, von den Tagen der Patriarchen an, inmitten Israels lebten und eine geringere Klasse als die Kinder Israel darstellten, obgleich sie mit ihnen die Segnungen und Verordnungen genossen (vgl. 2. Mose 20,10 u.a.). Andererseits gab es auch eine Reihe ausgezeichneter Heiden, die, wann immer sie in der Geschichte erschienen, einen Platz einnahmen und auf einen Schauplatz und zu einem Dienst berufen wurden, der sie weit über den Boden Israels erhob. Beides ist, wie es scheint, sehr bezeichnend und beleuchtet die Pläne, die in Gottes Ratschlüssen den Heiden und Fremdlingen vorbehalten sind. Die große Masse von ihnen wird später im Reich einen gegenüber Israel untergeordneten Platz einnehmen, während es eine auserwählte und bevorzugte Schar geben wird, diejenigen nämlich, die jetzt berufen sind, die Versammlung Gottes zu bilden, deren Stellung und Würde weit erhaben über derjenigen Israels sein wird (Off 21).

Der erste dieser ausgezeichneten Fremdlinge, der uns begegnet, ist Melchisedek. Die Würde, mit der er ausgezeichnet war, ist allgemein bekannt und braucht nicht im einzelnen beschrieben zu werden. Er steht am Anfang einer Reihe von Personen, die gleich ihm in ihrer Generation und zu ihrer Zeit berühmt waren.

Nach ihm begegnen wir Asnath und Zippora, den Frauen Josephs und Moses. Sie hatten beide kein Teil an Abraham, aber sie wurden Mütter von Kindern, die diesen beiden berühmten Vätern in Israel geboren wurden, als sie getrennt von Israel waren; und sie erhielten Würden, um die sie die höchsten Töchter Israels beneidet haben mochten.

Als nächster wird Jethro eingeführt, der es bei dem Zuge Israels aus Ägypten, ohne zurechtgewiesen zu werden, unternahm, obwohl er nur ein Fremdling war, in der Gegenwart Aarons Priesterdienst auszuüben und Mose einen Rat zu geben, der die Angelegenheiten der Verwaltung berührte. Er nahm eine Zeitlang einen hervorragenden Platz in der Mitte Israels ein.

Nach Jethro ist es Rahab, eine andere Fremde, die es zu hohem Ansehen in Israel brachte, zu einem Ansehen, nach dem sich die Töchter des Landes beständig sehnten. Denn die Hoffnung Israels kommt dem Fleische nach durch sie (Mt 1, 5), und sie ist die einzige, von deren Glauben in Verbindung mit dem Abrahams, des Vaters der Gläubigen, gesprochen wird (Jak 2, 25).

In Jael, dem Weibe Hebers, des Keniters, sehen wir wiederum eine berühmte Fremde. Durch ihre Hand demütigte Gott den König von Hazor vor Israel in einer ganz besonderen Weise, so daß ihr Loblied gesungen wird: „Gesegnet vor Weibern sei Jael, das Weib Hebers, des Keniters, vor Weibern in Zelten gesegnet!“ (Ri 5, 24).

Dann haben wir in einer anderen Frau, in Ruth, der Moabitin, wiederum einen Fremdling. Obwohl sie die Tochter eines unreinen und verworfenen Volkes ist, wird ihr ein Platz gleich den ersten Müttern in Israel zuteil. Wie schon bei Rahab, kommt die Hoffnung der Nation dem Fleische nach durch sie, und es wird ihr ein Platz eingeräumt, der an Würde dem Rahels und Leas gleichkommt (Ruth 4,11). Sie stand nicht in natürlicher Blutsverwandtschaft mit Israel, aber durch die Gnade wird sie auf Israel aufgepfropft, um die Trägerin des Stammes Isais zu werden, an dessen Sproß alle Hoffnung des Volkes hängt.

Auch in den Tagen Davids wird der Fremdling höchst ehrenvoll beachtet. Das zeigt uns zunächst Urija. Er war ein Hethiter, aber seine Treue gegen den Gott Israels und sein Eifer in der Sache Israels stehen in leuchtendem Gegensatz zu Israels erstem, vornehmstem und bestem Sohn in jenen Tagen. Dieser arme Überrest aus den unreinen Heiden weist keinen geringeren Sohn Israels als den König David selbst zurecht.

Wir begegnen zur Zeit Davids noch einem Fremdling in der Person Ittais, des Gathiters (2. Sam 15). Er erscheint mit allen seinen Männern, um sich mit David zu verbinden, und die Sprache eines solchen Handelns war die der Ruth zu Noomi: „Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Ittai war nicht von Israel, aber er stand treuer zu Israels König als Israel selbst. Denn als sich das Volk zu Absalom wandte und das Land sich in Aufruhr befand, war es dieser Fremdling, der David anhing, „sei es zum Tode, sei es zum Leben“.

Schließlich lernen wir zu Davids Zeit noch einen Fremdling oder Heiden kennen, Arawna, auf einem Wege der Auszeichnung und Ehre. Davids Übertretung hatte die Nation unter Gericht gebracht, und der Engel des Herrn, der durch das Land ging, schlug seine Tausende, bis auf das Geheiß des Herrn seine Hand stillstand bei der Tenne dieses Jebusiters. Dort rühmte sich zum ersten Mal die Barmherzigkeit wider das Gericht. Sünde hatte in Israel geherrscht zum Tode, aber Gnade herrschte erstmalig zum Leben auf dem Erbteil eines Heiden. Welch eine Sprache redet dieses alles, wenn auch ohne Worte!

Aus den Zeiten der Könige möchten wir noch die Witwe von Sarepta und Naaman, den Syrer, erwähnen. Nicht daß es einer dieser beiden zu einer hohen Stellung in Israel gebracht hätte wie die anderen, aber sie wurden bleibende Denkmäler der auszeichnenden und auserwählenden Gnade (Lk 4, 25–27). Nach ihnen kommen wir zu Jonadab, dem Sohne Rekabs (2. Kön 10), der Mithelfer Jehus beim Gericht über das Haus Ahabs wurde.So werden uns in der Zeit der Patriarchen und nacheinander in den Zeiten Moses, Josuas, der Richter, Davids und der Könige gelegentlich Fremdlinge vorgestellt, und zwar immer mit einer besondern Auszeichnung. Aber außer diesen gelegentlichen Zeugnissen bestand auch ein Zeugnis von der beständigen Gegenwart der Heiden in Israel: Die Familie der Rekabiter, zu der dieser Jonadab gehörte, die in Israel von den frühesten bis zu den spätesten Zeiten, von Mose bis Jeremia, bestand (Ri 1,16; 1. Chr 2, 55; Jer 35,8). Alle diese vielen Jahrhunderte wohnten sie als Fremdlinge im Lande. Sie gingen am Anfang aus der Stadt in die Wüste, und am Ende sehen wir sie diesen gleichen Charakter festhalten. Sie bauten keine Häuser, kauften keine Felder, sie säten nicht, noch pflanzten sie Weinberge. Allezeit wohnten sie in Zelten und aßen nicht von der Frucht des Weinstocks. Sie bildeten eine beständige Ordnung von Nasiräern und waren mehr für Gott abgesondert als Israel selbst. Und so treu hielten sie ihr Gelübde, daß am Ende, als der Herr das Gericht über sein Volk ankündigte, Er ihnen verhieß, daß es ihnen nicht an einem Manne fehlen würde, der vor Ihm stände alle Tage. Während der langen Zeit ihres Wohnens in Zelten innerhalb Israels ist es immer zu ihrem Lobe, wenn wir von ihnen hören; sie nehmen immer einen Ehrenplatz ein und verharren in dem Charakter der Heiligkeit, der sie, wie auch die anderen Fremdlinge, weit über die Stellung des Volkes erhebt.

Wie Melchisedek den Juden ein Hinweis auf eine bessere Ordnung des Priestertums als desjenigen Aarons hätte sein sollen (Heb 7), so mag diese Reihe von Fremdlingen ein ständiger Hinweis auf die den Nationen vorbehaltenen besseren Dinge als alles, was Israel auszeichnete, gewesen sein. Israel mochte durch sie auf die Berufung der Kirche vorbereitet gewesen sein, die mit dem Sohne Gottes als ihrem Haupt der wahre Fremdling auf Erden ist und die eine ehrenvollere Stellung unter Gott innehaben sollte, als sie Israel je kannte.

Alle diese bevorzugten Fremdlinge des Alten Testamentes weisen auf die Kirche hin, denn die Kirche geht nicht auf Israels Pfad. Sie ist ein Fremdling, wo Israel zu Hause war. Ihr Bürgertum ist in den Himmeln und nicht auf der Erde. Die Heiligen sind Söhne Gottes, und die Welt kennt sie nicht, wie sie Christus nicht kannte. Mit Christus gestorben und auferweckt, bestehen sie bis in alle Ewigkeit. Der Herr Jesus hatte keinen Platz auf Erden, und sie halten sich hier nur auf und sind, da mit Ihm verbunden, dem Grundsatz nach von allem getrennt, wie die Rekabiter vom Volke Israel getrennt waren, unter dem sie nur ihre Zelte aufgeschlagen hatten.

Wir wollen indessen nicht behaupten, daß die Geschichten dieser Fremdlinge vorbildlich seien. Wir heben nur die Tatsache ihrer hohen Auszeichnung in Israel hervor als einen Hinweis Gottes auf Seine erhabenen, hohen Vorsätze bezüglich der Kirche, des wahren Fremdlings. Die Geschichten einiger von ihnen mögen Vorbilder gewesen sein, aber es sind nicht die Einzelheiten ihrer Geschichten, die wir vor Augen haben, sondern einfach die Tatsache ihrer Erhöhung in Israel.

Es enden also zwei Reihen von Persönlichkeiten in Christus:

1. Die Reihe der ausgezeichneten Israeliten, die durch die besondere Wirksamkeit des Geistes zur Hilfe und Führung Israels berufen wurden, endete in Christus, als dem wahren Propheten und König Israels, dem Gott Jeschuruns, der am Ende der Tage „der Schild ihrer Hilfe und das Schwert ihrer Hoheit“ sein wird.

2. Die Reihe der hervorragenden heidnischen Fremdlinge, die Würden und Ehren trugen, die den Boden und die gewöhnliche Berufung Israels weit überragten, endet in Christus als dem Haupte des Leibes, der Versammlung.

Das kommende Reich wird Ihn und diejenigen, die mit Ihm in verschiedener Weise vereinigt sind, in diesen unterschiedlichen Herrlichkeiten offenbaren. Alle Dinge im Himmel und auf Erden werden dann in Ihm vereinigt sein. Die wahren Fremdlinge, die Heiligen, werden in den Himmeln glänzen „wie die Sonne im Reiche ihres Vaters“, und Israel wird seine Ruhe auf der Erde, unter David, seinem Fürsten und Hirten, finden.

[Aus dem Vorwort der vergriffenen Auslegung über das Johannesevangelium.]