„Und ein tapferer König wird aufstehen, und er wird mit großer Macht herrschen und nach seinem Gutdünken handeln. Und sobald er aufgestanden ist, wird sein Reich zertrümmert und nach den vier Winden des Himmels hin zerteilt werden. Aber nicht für seine Nachkommen wird es sein und nicht entsprechend der Macht, mit der er geherrscht hat; denn sein Reich wird zerstört und anderen zuteil werden, unter Ausschluss von jenen“ (Vers 3–4)

Zwischen Vers 2 und 3 liegt also ein Zeitraum von ca. 150 Jahren. Aber auf Griechenland als dem letzten Gegenstand von Vers 2 liegt weiter das Hauptaugenmerk. Der tapfere König ist Alexander der Große. Er wird hier nur ganz kurz eingeführt, ohne von seinen vielen Eroberungszügen zu sprechen. Es wird hier nur gezeigt, dass er sehr groß wurde, dass er aber sein Reich schnell wieder zertrümmert wurde, und dass unter seinen Nachfolgern zwei hervorstechen würden, die dann das ganze weitere Kapitel ausfüllen: der König des Nordens (Syrien) und der König des Südens (Ägypten). Nach dem frühen Tod Alexanders des Großen wurde das Reich unter vier seiner Generäle (Diadochen) aufgeteilt, und nur die beiden eben genannten sind dabei von Bedeutung (Ptolemäer = Ägypten; Seleuziden = Syrien). Die Genauigkeit der Vorhersage ist verblüffend. „Nicht für seine Nachkommen“ und „unter Ausschluss von jenen“ würde sein Reich nach seinem Tod sein; seine leiblichen Söhne wurden umgebracht, und das Reich unter seinen Generälen aufgeteilt. Die gleiche Entwicklung hatten wir auch schon in den Bildern in Daniel 7 und 8 gesehen (Dan 7,6; 8,8). Genau wie hier beschreibt Dan 8,8, dass die vier ansehnlichen Hörner des Ziegenbocks nach den vier Winden des Himmels hin wuchsen.

Sie haben existiert bis ca. 50 v.Chr. Diese beiden Fürsten haben ständig gegeneinander gekämpft und unzählige Fehden ausgetragen. Hier werden sie geschichtlich gezeigt, und in der Zukunft am Ende der Tage werden sie noch immer die Hauptfeinde Israels sein. Darin liegt die Bedeutung auch dieser für uns historischen Auseinandersetzungen: sie zeigen vorbildlich, welche Feinde Israel in der Zeit des Endes gegenüberstehen werden.

Warum werden diese beiden Persönlichkeiten, unter denen Israel, das Land der Zierde, besonders zu leiden hatte, als König des Nordens (Syrien) und König des Südens (Ägypten) bezeichnet? Israel ist der Nabel der Welt (Hes 38,12), ist nach Gottes Gedanken der Mittelpunkt der Erde. Danach richtet sich alles; Syrien liegt nördlich von Israel und Ägypten liegt südlich davon. Und wenn diese beiden Mächte sich andauernd bekriegten, dann war Israel immer in Mitleidenschaft gezogen; ständig zogen diese fremden Mächte durch das Land der Zierde.

„Und der König des Südens, und zwar einer von seinen Obersten, wird stark werden. Und einer wird stark werden über ihn hinaus und wird herrschen; seine Herrschaft wird eine große Herrschaft sein. Und nach Verlauf von Jahren werden sie sich verbünden; und die Tochter des Königs des Südens wird zum König des Nordens kommen, um einen Ausgleich zu bewirken. Aber sie wird die Kraft des Armes nicht behalten, und er wird nicht bestehen noch sein Arm; und sie wird hingegeben werden, sie und die sie eingeführt haben und der sie gezeugt und der sie in jenen Zeiten unterstützt hat“ (Vers 5–6)

Was jetzt in diesem Kapitel vor uns kommt, zeigt deutlich den bösen Charakter von Politik. Die Charakterzüge, die diese damaligen Regenten kennzeichneten, sind im Prinzip heute noch die gleichen – und auch in der Zukunft in der Zeit des Endes wird es wieder so sein. Wir finden hier den Charakterzug des Hochmuts (Vers 12), Intrige und List (Vers 6). Und wenn es mit List und Intrige nicht funktioniert, wird Macht und Gewalt angewandt. Es gibt Rebellion (Vers 14), es gibt puren Eigenwillen (Vers 16) und auch Hohn (Vers 18), lästernde Überheblichkeit. All diese Charakterzüge prägen die Politik jeden Zeitalters. Davon wollen wir uns als Christen deutlich distanzieren! Aber all diese Dinge kommen auch aus unserem Herzen, wir sind darin nicht besser als die damaligen oder noch zukünftigen Regenten.

Der erste König des Südens ist also noch ein direkter Nachfolger Alexanders des Großen. Es ist Ptolemäus I, der stark wurde. Aber über ihn hinaus stark wurde ein anderer der vier Diadochen aus dem Norden, Seleukos I. Zwischen Vers 5 und 6 vergehen einige Jahre, und die dann genannten Könige des Nordens und des Südens sind bereits nachfolgende Könige, Ptolemäus II. als König des Südens und Antiochus II. als König des Nordens. Diese beiden Könige würden sich auf eine taktische Weise verbünden und versuchen, einen Ausgleich zu schaffen, um diesen ständigen Konflikt abzuschwächen. Berenike, die Tochter des Königs des Südens, sollte als dessen Frau zum König des Nordens kommen. Dazu musste Antiochus II. seine eigene Frau Laodike wegschicken, um Berenike zu heiraten. Aber das Ziel, das mit Berenike erreicht werden sollte, dass nämlich der König des Nordens an den König des Südens gebunden werden konnte, wurde nicht erreicht. Der Plan scheiterte; Laodike, die entlassene Frau, hatte sich mitsamt ihrem Sohn gerächt und sowohl ihren Mann Antiochus II. als auch seine zweite Frau Berenike ermordet. Sowohl der König des Nordens als auch der König des Südens sind beide an diesem Plan zugrunde gegangen.

„Doch einer von den Schösslingen ihrer Wurzeln wird an seiner statt aufstehen; und er wird gegen die Heeresmacht kommen und wird in die Festungen des Königs des Nordens eindringen und mit ihnen nach Gutdünken verfahren und wird siegen. Und auch wird er ihre Götter samt ihren gegossenen Bildern, samt ihren kostbaren Geräten, Silber und Gold, nach Ägypten in die Gefangenschaft führen; und er wird jahrelang standhalten vor dem König des Nordens. Und dieser wird in das Reich des Königs des Südens kommen, aber in sein Land zurückkehren“ (Vers 7–9)

Der Bezug in diesem Vers ist Berenike, die am Ende von Vers 6 umgebracht wurde. Ihre Wurzeln sind ihre Eltern, und deren Schösslinge sind also die Geschwister der Berenike. Einer von ihnen, also ein leiblicher Bruder der Berenike, wird dann als König des Südens aufstehen und über den König des Nordens die Oberhand gewinnen. Er wird nach Syrien ziehen und dort siegen und mit einem gewaltigen Beutezug zurückkehren in sein Land. Jahrelang wird der König des Südens der Stärkere sein und auch Angriffsversuche des Königs des Nordens abwehren können, so dass dieser in sein Land zurückkehren muss.

„Aber seine Söhne werden sich zum Krieg rüsten und eine Menge großer Heere zusammenbringen; und einer wird kommen und überschwemmen und überfluten; und er wird wiederkommen, und sie werden Krieg führen bis zu seiner Festung. Und der König des Südens wird sich erbittern und wird ausziehen und mit ihm, dem König des Nordens, kämpfen; und dieser wird eine große Menge aufstellen, aber die Menge wird in seine Hand gegeben werden. Und wenn die Menge weggenommen wird, wird sein Herz sich erheben; und er wird Zehntausende niederwerfen, aber nicht zu Macht kommen. Und der König des Nordens wird wiederkommen und eine Menge aufstellen, größer als die frühere; und nach einigen Jahren wird er mit einem großen Heer und mit großer Ausrüstung kommen. Und in jenen Zeiten werden viele aufstehen gegen den König des Südens; und Gewalttätige deines Volkes werden sich erheben, um das Gesicht zu erfüllen, und werden zu Fall kommen. Und der König des Nordens wird kommen und einen Wall aufwerfen und eine befestigte Stadt einnehmen; und die Streitkräfte des Südens werden nicht standhalten, sogar sein auserlesenes Volk wird keine Kraft haben, um standzuhalten.“ (Vers 10–15)

Wieder eine Generation später kommen die Söhne des Königs des Nordens zunächst alle zusammen. Seleukos II von Syrien hatte zwei Söhne, die sich beide zum Krieg gegen Ägypten rüsteten. Einer von ihnen wird sterben, und der andere, der nächste König des Nordens, Antiochus III, der Große, wird kommen und überschwemmen und überfluten. Damit wird eine gewaltige Heeresmacht beschrieben, die er aufbringen wird. Das sind Beschreibungen, die auch für die Zukunft in der Zeit des Endes gebraucht werden (Vers 40). Der dann herrschende König des Nordens wird auch eine große und gewaltige Heeresmacht haben. Aber hier geht es um die geschichtlich überlieferte Kämpfe zwischen Antiochus III und Ptolemäus IV von Ägypten. Der König des Nordens wird ein riesiges Heer zusammenstellen, aber diese Heeresmacht wird in die Hand des Königs des Südens gegeben werden (Vers 11). Dieser Stellungskampf fand statt im Jahr 217 v.Chr. bei Raphia, also auf israelischem Boden. Immer wieder geht der Konflikt zwischen dem König des Nordens und dem König des Südens auf Kosten Israels.

Wenn der König des Nordens nach dieser Niederlage sein Schlachtfeld geräumt haben wird, wird das Herz des Königs des Südens sich erheben, aber er wird nicht zu Macht kommen. Ptolemäus IV war ein Mann des Vergnügens, der nicht die Herrschaft vor Augen hatte, sondern sich anderen Dingen hingab und dadurch sein Reich nicht festigte. Das bewirkte, dass der König des Nordens mit einer noch größeren Menge wiederkam (Vers 13). Dies Geschehen wird in der Geschichte als der fünfte syrische Krieg bezeichnet.

Mit dieser riesigen Heeresmacht wird der König des Nordens durch Israel ziehen, und dort wird es nicht nur orthodoxe Juden geben, sondern auch eine große Menge hellenistisch gesinnter Juden. Diese hatten sich heidnischen und politischen Einflüssen geöffnet und losgesagt von dem Gott Israels, und sie werden später offen gegen die Makkabäer (Vers 32) auftreten, die den Aufstand gegen Antiochus IV Epiphanes wagen werden. Weltoffen geworden hatten sie ihren Glauben aufgegeben und verleugnet. Ist es nicht auch die Gefahr unserer Tage, dass wir uns dem Zeitgeist öffnen und nicht mehr festhalten an Gottes Wort? Wie gefährlich ist es, wenn wir versuchen, mit menschlichen, politischen Mitteln etwas zu erreichen. Diese hellenistischen Juden wurden zu Bündnispartnern dieser heidnischen Könige von Syrien. Das sind die Gewalttätigen deines Volkes in Vers 14, jüdische Sympathisanten des Königs des Nordens, die aktiv an dem Aufstand gegen den König des Südens teilgenommen haben. Diese Haltung der aufständischen Juden, sich auf die Seite des Königs des Nordens zu stellen, ist mit ein Grund dafür, dass diese schwere Mühsal über das Volk Gottes gekommen ist und noch einmal kommen wird; sie erfüllen durch ihre Haltung praktisch das Gesicht, diese ganze Prophezeiung, die Daniel hier zu sehen bekommt.

Der König des Südens hat in dieser Auseinandersetzung also das zweifache Problem, dass er einerseits sich in erster Linie gegen den König des Nordens wendet, dass aber andererseits er sich auch mit solchen aus den Juden beschäftigen muss, die aufständisch sind. Offenbar erhoffen sich diese ungläubigen Juden, sich mit dieser Auflehnung von dem Joch des König des Südens zu befreien, und sie machen deshalb gemeinsame Sache mit dem König des Nordens. Aber sie werden letztlich damit keinen Erfolg haben, sie werden zu Fall kommen.

Aber der König des Nordens gibt sich nicht zufrieden und unternimmt einen weiteren Angriff (Vers 15) gegen die Ägypter. Es ist immer noch Antiochus III, der Große. Er wird damit Erfolg haben und die Ägypter zurückdrängen. Der ägyptische Befehlshaber flieht nach Sidon, der befestigten Stadt, aber seine ganze Heeresmacht wird gegen den König des Nordens nicht standhalten können.