Daniel 12

Es macht uns glücklich, dass der Prophet Daniel nicht mit dieser sehr dunklen Szene von Kapitel 11 endet. Was jetzt in Kapitel 12 vor uns kommt, hat nichts mehr zu tun mit den Königen der Erde und dem Gericht über sie. Es beschäftigt sich nur noch mit dem Volk der Juden. Das Wirken Gottes zugunsten Seines Volkes kommt jetzt in den Vordergrund.

„Und in jener Zeit wird Michael aufstehen, der große Fürst, der für die Kinder deines Volkes steht; und es wird eine Zeit der Drangsal sein, wie sie nicht gewesen ist, seitdem eine Nation besteht bis zu jener Zeit. Und in jener Zeit wird dein Volk errettet werden, jeder, der im Buch geschrieben gefunden wird.“ (Vers 1)

Dieser neue Abschnitt wird mit den Worten „in jener Zeit“ eingeleitet, das bezieht sich auf die Verse 36 bis 45 von Daniel 11. In dieser Zeit, der zweiten Hälfte der 70.Jahrwoche Daniels, der großen Drangsalszeit, wird Michael aufstehen. Michael ist der Engelsfürst Israels; unser Blick richtet sich jetzt also von den irdischen Vorgängen aus Daniel 11 für einen kurzen Augenblick wieder hinauf in den Himmel. Die Tatsache, dass dieser gewaltige Engelsfürst, der einzige Erzengel der ganzen Heiligen Schrift (Judas 9), aufsteht, lässt spektakuläre Ereignisse erwarten.

Aus Off 12,7 ff. können wir entnehmen, was Michael jetzt tut: der Teufel wird aus dem Himmel auf die Erde geworfen. Es ist der Beginn der zweiten Hälfte der letzten Jahrwoche Daniels, der Beginn einer Drangsal, wie noch nie eine gewesen ist, „denn der Teufel hat große Wut, da er weiß, dass er wenig Zeit hat“, denn noch nie war der Teufel auf die Erde geworfen worden, und noch nie waren die auf der Erde wohnen, solchen Versuchungen ausgesetzt, wie sie jetzt beginnen würden. Wir können uns nicht vorstellen, was das für eine Hasskampagne sein wird, um einen letzten Anlauf zu unternehmen, alle treuen Gläubigen von der Erde auszurotten.

Auch der Herr Jesus spricht von dieser großen Drangsal, wie sie seit Anfang der Welt nicht gewesen ist (Mt 24,21). Das sind nicht die Drangsale, die von Off 6 bis 11 beschrieben werden; dabei handelt es sich um Plagen, die direkt von Gott mit gewissen Schwerpunkten über die ganze Welt kommen. Sowohl die Siegel als auch die Posaunen und die Zornesschalen kommen als Plagen Gottes aus dem Himmel über die Menschen auf der Erde. Einerseits ist das Strafe Gottes wegen ihrer Ablehnung und ihres Abfalls; andererseits möchte Gott sie noch zur Umkehr von ihren bösen Werken führen, was sie aber nicht annehmen werden (Off 9,20+21; 16,9+11). Das ist die Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird (Off 3,10), und die direkt nach der Entrückung der Versammlung beginnen wird.

Davon deutlich zu unterscheiden ist das, was wir hier haben. Hier geht es um eine Drangsal, die von Menschen hervorgerufen wird, vom Antichristen und vom Haupt des römischen Reiches. Es ist die Drangsal für die treuen gläubigen Juden, die in all diesen Schwierigkeiten unter der Gewaltausübung des Antichristen in Israel den Herrn Jesus als Messias erwarten (Mt 24,15–27). Sie beginnt zu dem Zeitpunkt, wo der Gräuel der Verwüstung an heiligen Ort aufgerichtet wird, und das findet zur Hälfte der letzten Jahrwoche Daniels statt. Und es ist eine Drangsal für Jakob (Jer 30,7), nicht für die ganze Welt. Viele Psalmen sprechen von den Erfahrungen dieser treuen Juden während dieser Zeit. Und es ist sehr bewegend, wie vollkommen der Herr Jesus mit ihnen empfindet, wie Er in all ihrer Bedrängnis bedrängt war und sie schließlich als der Engel ihres Angesichts sie gerettet hat (Jes 63,9).

Gottes Ziel durch das Handeln von Michael als Seinem Werkzeug ist die Errettung Seines Volkes. Michael hatte über die vergangenen Jahrhunderte hindurch miterlebt, wie das Volk Gottes immer wieder in Mitleidenschaft gezogen wurde, und jetzt beginnt die Endszene im Ratschluss Gottes zur endgültigen Errettung Seines Volkes. Dazu benutzt Er diese Drangsalszeit. Wir dürfen nicht vergessen, dass die große Drangsal für Jakob ein verdientes Gericht darstellt. Sie kommt über das Volk, das den Sohn Gottes gekreuzigt hat. Sie hatten gesagt: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder“ (Mt 27,25). Und Gott lässt das jetzt auch so kommen! Es ist ein verdientes Gericht – aber aus diesem verdienten Gericht gibt es eine Rettung. „Es ist eine Zeit der Drangsal für Jakob! Doch er wird aus ihr gerettet werden“ (Jer 30,7). Es ist aber nicht Michael, der dieses Volk retten wird, sondern der Herr Jesus selbst (Jer 30,10+11).

Tröstliche Worte durch den Engel zu Daniel: Dein Volk, Daniel, für das du so viel Mitempfinden hast, es wird errettet werden. In Daniel 9 hatte Daniel in seinem Gebet mehrfach zu Gott gesprochen, dass es „dein Volk“ ist (Vers 15+19). Eine Parallele zu dieser wechselseitigen Zurechnung haben wir in 2. Mo 32,7+11 wo das Volk sich verderbt hatte (Sach 13,9). Möchte doch der Geist Gottes immer wieder die Liebe anregen zu Seinem Volk, dass wir es gleichsam mit dem Herzen Gottes sehen und lieben!

In Verbindung mit dem Buch geht es nicht eine pauschale nationale Errettung, sondern um eine ganz persönliche Sache. Nur der wird errettet, der im Buch geschrieben gefunden wird. Diese werden das Reich erben, das ihnen bereitet ist von Grundlegung der Welt an (Mt 25,34). Wir Gläubigen sind vor Grundlegung der Welt erwählt (Eph 1,4); aber es gibt ein Volk der Juden, das Bestand hat in dem Ratschluss Gottes von Grundlegung der Welt an.

Nach Off 13,8 werden alle, die auf der Erde wohnen, das Haupt des römischen Reiches anbeten, „jeder, dessen Name nicht geschrieben ist in dem Buch des Lebens des geschlachteten Lammes von Grundlegung der Welt an“. Es ist dasselbe Buch wie hier in Daniel 12; es ist das Buch der Wirklichkeit, nicht ein Buch des Bekenntnisses. Aus diesem Volk der Juden werden Menschen errettet werden, weil Gott schon längst etwas über sie gesagt hat. Er hat sie von Grundlegung der Welt an für die Herrschaft Seines Sohnes auserwählt (Jes 4,2+3). Auf diesen Moment strebt alles hin, auch in diesem letzten Kapitel des Propheten Daniel.

Das Buch des Lebens in Ps 69,29 ist ein anderes Buch, nämlich das Buch des natürlichen Lebens, aus dem man durch Gericht wieder ausgetragen werden kann. Das Buch des Lebens hier in Kap 12 steht in Verbindung mit dem Ratschluss Gottes und ist das Buch des ewigen Lebens; wer einmal darin eingetragen ist, kann nie wieder ausgetragen werden.