Einleitende Bemerkungen zu den Evangelien

Das Evangelium nach Johannes nimmt unter den vier Evangelien einen besonderen Platz ein. Die ersten drei Evangelien, die sogenannten synoptischen Evangelien, geben einen Überblick über den Weg und den Dienst des Herrn Jesus auf der Erde. Und wir sollten die Schönheit dieser drei Evangelien hoch wertschätzen. Wir finden dort den Herrn Jesus in wunderbarer Gnade unter den Menschen; Er war praktisch die Personifizierung der Gnade Gottes unter Menschen, die Ihn gar nicht wollten. Alle drei Evangelien sind voll von Schönheiten über den Herrn Jesus:

  • Das Matthäus-Evangelium wurde geschrieben von einem schuldigen Zöllner; es beschreibt den Herrn Jesus als den Messias, den König Israels. Es ist das Evangelium für die Juden; in keinem anderen Evangelium finden sich so viele Zitate aus dem Alten Testament. Der Herr Jesus wird hier als das Schuldopfer gesehen. Der Unterricht für uns in diesem Evangelium besteht darin, wie wir uns als Jünger in Seinem Reich verhalten sollen.
  • Im Markus-Evangelium wird uns der Herr Jesus als der gehorsame Diener und Prophet gezeigt. Ein untreuer Knecht wird benutzt, um den wahren Knecht zu beschreiben. In diesem Evangelium sehen wir den Herrn Jesus als das Sündopfer. Der Unterricht für uns besteht darin, wie wir uns als Knechte des Herrn verhalten sollen.
  • Das Lukas-Evangelium wurde geschrieben von dem geliebten Arzt, und es beschreibt den vollkommenen Menschen, der in Gnade zu den Menschen gekommen ist. Hier sehen wir den Herrn Jesus als das Friedensopfer und das Speisopfer. Hier besteht der Unterricht für uns darin, wie wir uns als Söhne im Haus Gottes verhalten sollen.

Zwei der vier Evangelien haben ein Geschlechtsregister. Matthäus führt den Herrn Jesus als Mensch zurück auf David, den Sohn Abrahams. Lukas führt den Stammbaum des Herrn Jesus zurück auf Adam, ja sogar auf Gott selbst. Die anderen beiden Evangelien haben kein Geschlechtsregister. Markus beschreibt den Herrn Jesus als den vollkommenen Diener, und bei einem Diener ist man nicht interessiert an seiner Abstammung. Und bei Johannes verbietet sich von vornherein eine menschliche Abstammung, denn er beginnt nicht mit den Vorahnen des Herrn, sondern mit Ihm als dem ewigen Wort. Johannes zeigt uns die ganze Tiefe Gottes.

Zwei Schreiber der Evangelien waren als Augenzeugen mit dem Herrn gewesen, Matthäus und Johannes. Und es ist eine Besonderheit der göttlichen Inspiration der Bibel, dass gerade derjenige, der als Einziger der vier Evangelien-Schreiber bei bestimmten Gelegenheiten (bei der Auferweckung der Tochter des Jairus, auf dem Berg der Verklärung, im Garten Gethsemane) dabei gewesen ist – Johannes –, dass gerade er davon nicht schreibt. Gott hat die Beschreibung dieser Szenen den anderen Schreibern aufgetragen. Gott hat andere Ziele, als wir Menschen sie verfolgt hätten, als Er Johannes sein Evangelium zu schreiben auftrug.

Johannes und sein Evangelium

Wenn wir jetzt das Johannes-Evangelium betrachten, dann kommt hier ein ganz neuer Gedanke vor uns. Hier wird uns die Offenbarung Gottes, des Vaters, in einem Menschen hier auf der Erde, in dem Sohn, gegeben. Das ist der Hauptcharakterzug des vierten Evangeliums. Diese Offenbarung kam nicht vom Himmel her, sondern der eingeborene Sohn musste Fleisch werden (Joh 1,14). Paulus stellt uns in seinen Schriften vor, wie ein Mensch zu Gott kommen kann; dagegen stellt Johannes Gott den Menschen vor.

Für das Verständnis des Johannes-Evangeliums müssen einige Besonderheiten beachtet werden. Johannes spricht nicht von der Versammlung oder von dem Leib Christi; er sieht immer die Person des Einzelnen, der aus Gott geboren ist. Johannes spricht auch nicht von der Vergebung der Sünden, sondern er spricht vom ewigen Leben. Hier werden wir als Kinder der Familie Gottes gesehen. Er spricht niemals von uns Glaubenden als von Söhnen; diesen Titel hat er für den Sohn Gottes reserviert.

Das Johannes-Evangelium kann thematisch in drei große Bereiche mit den Hauptgedanken Leben, Licht und Liebe eingeteilt werden, die jeweils mit den ihnen charakteristischen Worten eingerahmt werden:

  • Johannes 1–7 hat den Schwerpunkt Leben (Joh 1,4; 6,54)
  • Johannes 8–12 hat den Schwerpunkt Licht (Joh 8,12; 12,46)
  • Johannes 13–17 hat den Schwerpunkt Liebe (Joh 13,1; 17,25)

Im Blick auf den Weg des Herrn gibt uns Johannes 16,28 eine gewisse Dreiteilung dieses Evangeliums: „Ich bin von dem Vater ausgegangen“ (Joh 1,1–18), „und bin in die Welt gekommen“ (Joh 2–12), „wiederum verlasse ich die Welt und gehe zum Vater“ (Joh 13–21).

In dem dritten Teil seines Evangeliums spricht Johannes noch von der Lehre des Heiligen Geistes. Die Behandlung dieses so bedeutenden Gegenstandes in diesem Evangelium ist sehr auffallend; nachdem der Herr Jesus in den Himmel zurückgekehrt ist, hat Er den Heiligen Geist auf die Erde gesandt, und der Herr spricht im Voraus von dieser erhabenen Tatsache der Sendung des Heiligen Geistes.

Während die anderen drei Evangelien-Schreiber den Herrn Jesus von den verschiedenen Seiten Seiner amtlichen Herrlichkeiten beschreiben, benutzt der Heilige Geist den Johannes zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt, um durch ihn die höheren Herrlichkeiten des ewigen Sohnes Gottes vorzustellen. Und wenn der Herr Jesus in den ersten drei Evangelien mehr unter dem Gesichtspunkt beschrieben wird, was Er für die Menschen getan hat, finden wir hier im Johannes-Evangelium, was Er als das wahre Brandopfer für Seinen Gott und Vater getan hat und ist.

Johannes schreibt sein Evangelium etwa 25 Jahre nach dem Tod von Paulus und Petrus und auch ca. 25 Jahre nachdem die Geschichte Israels mit der Zerstörung Jerusalems zu Ende gegangen war. Warum schrieb er so spät? Weil in dieser Zeit nach den Aposteln schon falsche Lehren durch Gnostiker aufgekommen waren, die nach neuem Licht und höherer Erkenntnis strebten und in völligem Gegensatz zu dem standen, was Gott in den Schriften des Neuen Testaments gegeben hatte. Es gab auch die Agnostiker, die jedes Wissen ablehnten und sagten, man wisse gar nichts. Und es gab andere Irrlehrer, die die Person des Herrn Jesus teilen wollten in einen Jesus und einen Christus.

Schon sehr früh also wurden zwei grundlegende Herrlichkeiten der Person des Herrn Jesus, des Sohnes Gottes, geleugnet: nämlich dass Er wirklich ewiger Gott ist und dass Er wirklich wahrer und vollkommener Mensch geworden ist. Und all diesen verkehrten Lehren tritt Johannes mit seinem Evangelium entgegen (Joh 20,31). Wunderbare Führung Gottes! Wir sollten dadurch glauben, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes. Insgesamt acht Zeichen erwähnt Johannes in seinem Evangelium, sieben vor dem Kreuz und eins nach dem Kreuz, und sie verfolgen alle dieses Ziel. Jesus ist Sein Name, Christus Sein Titel, und der Sohn Gottes ist Er in Seiner Person.

Der Verfasser dieses Evangeliums kommt erst am Ende dieses Buches auf sich zu sprechen (Joh 21,24). Das ganze Evangelium hindurch vermeidet er es, sich mit Namen zu nennen, da er die Größe des Sohnes Gottes vorstellen soll. Vor dieser Person muss jeder menschliche Verfasser ganz in den Hintergrund treten. Johannes war einer der Söhne des Zebedäus (Mk 1,19), die von dem Herrn selbst den Beinamen Boanerges erhielten, Söhne des Donners (Mk 3,17). Sie müssen also von impulsivem Charakter gewesen sein. Wenn Johannes in diesem Evangelium von sich spricht, dann nennt er sich fünfmal den „Jünger, den Jesus liebte“ (Joh 13,23; 19,26; 20,2; 21,7.20). Er ruhte in dem tiefen Bewusstsein, dass der Herr ihn ganz persönlich liebte.

[Zusammenfassung einer Bibelkonferenz]