„Als er aber an den Ort gekommen war, sprach er zu ihnen: Betet, dass ihr nicht in Versuchung kommt … Und er kommt zu den Jüngern und findet sie schlafend; und er spricht zu Petrus: Also nicht eine Stunde vermochtet ihr mit mir zu wachen? Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt“ (Mt 26,40.41; Lk 22,40).

Zweimal fordert der Herr Jesus seine Jünger in Gethsemane auf, zu wachen und zu beten, und geht ihnen jedes Mal selbst mit gutem Beispiel voran. Als die Jünger Ihn einige Zeit vorher dazu aufgefordert hatten, sie beten zu lehren, war es auch dieses Anliegen, das Er vor ihre Herzen stellte (vgl. Lk 11,4). Er wusste, wie wichtig das Gebet ist, um in der Versuchung bestehen zu können. Hat Er nicht selbst das große Bedürfnis gehabt, im Blick auf die herannahende Versuchung sein eigenes Herz vor seinem Vater im Gebet auszuschütten? Wie vollkommen stimmte das, was Er anderen sagte, mit dem überein, was Er selbst als abhängiger Mensch praktizierte!

Er zieht sich von den Menschen zurück und tritt in die Gegenwart Gottes. Eine Stunde verbringt Er dort in ringendem Gebet. Dann kommt Er zurück, um nach seinen Jüngern zu sehen. Doch anstatt zu beten und zu wachen schlafen sie. Nach wachenden Tröstern hatte Er sich gesehnt – doch Er fand keine. Selbst Petrus, der kurz vorher noch großspurig behauptet hatte, dass er sogar bereit war, mit seinem Meister zu sterben, schaffte es nicht, noch nicht einmal eine Stunde mit Ihm zu wachen.

Wieder zieht Er sich zum Gebet zurück. Die Vorstellung, in Kürze mit fremder Schuld beladen in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen, betrübte seine heilige Seele bis zum Tod. Es scheint, als ob der Knecht Gottes an diesem Abend dreimal jeweils eine Stunde im Gebet gewacht hat. Was für ein Vorbild! Seine Jünger dagegen schliefen jedes Mal, als Er zu ihnen kam. Nur wenige Stunden vorher hatte Er ihnen angekündigt, dass sie Ihn alle verlassen würden und dass Satan begehrte, sie zu sichten wie den Weizen (Joh 16,32; Lk 22,31). Wie sehr hätte sie allein schon die Kenntnis dieser Worte ins Gebet treiben müssen! Doch ihr Selbstvertrauen (Mt 26,35!) und mangelndes Gebet führten dahin, dass sie alle versagten! Als kurze Zeit später die Versuchung kam, „verließen ihn alle und flohen“ (Mk 14,50).

William Kelly schreibt eindrucksvoll dazu: „Es gibt nichts, was getrennt von Christus so stark dazu führt, die Abhängigkeit zu zerstören, wie eine große Kenntnis des Wortes Gottes. Und da liegt unsere Gefahr. Je größer unsere Kenntnis des Wortes Gottes – wenn sie getrennt ist von dem Bewusstsein unserer völligen Schwachheit, und daher auch von dem Bedürfnis des Wachens und Betens –, desto größer ist die Gefahr. Das ist eine ernste Warnung für unsere Seelen. Es gibt zweifellos viel Kenntnis der Schrift und sogenanntes Verständnis der Wahrheit; aber haben unsere Seelen auch einen beständigen Eindruck unserer Abhängigkeit und Schwachheit, und drücken wir sie Gott gegenüber auch aus? „Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt.“

Das Bewusstsein der eigenen Schwachheit – wenn es echt ist – sollte uns dahin führen, zu wachen und zu beten. Wenn wir aber nur von unserem schwachen Zustand reden, ohne dabei gleichzeitig unsere Abhängigkeit praktisch zu verwirklichen, dann ist das im Grunde genommen nichts anderes als fromme Heuchelei. Gegen geistliche Schwachheit ist Gebet die beste Medizin. Gegen Lauheit und Gleichgültigkeit hilft nur Buße und ein aufrichtiges Bekenntnis!

Ist unsere Schriftkenntnis gepaart mit einem tiefen Bewusstsein unserer Schwachheit und gelebter Abhängigkeit? Wann haben wir das letzte Mal eine Stunde im Gebet gewacht und unsere Abhängigkeit auf diese Weise verwirklicht? Ist es unser Verlangen, dem Vorbild des Sohnes Gottes auch im Blick auf Wachen und Beten ähnlicher zu werden?