„Daher, meine Geliebten, wie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein als in meiner Anwesenheit, sondern jetzt viel mehr in meiner Abwesenheit, bewirkt euer eigenes Heil mit Furcht und Zittern“ (Philipper 2,12).

Dieser Vers hat schon manche Schwierigkeit bei der Auslegung bereitet. Im Kern geht es dabei um die Frage: Was ist mit dem „eigenen Heil (Seligkeit/Errettung)“ gemeint? In der Schrift kann man ja verschiedene Arten der Errettung und des Heils unterscheiden:

1.)    Errettung in der Vergangenheit. Jeder, der glaubt, ist von den ewigen Folgen der Sünde gerettet (Mt 18,11; Eph 2,5; 2. Tim 1,9; Tit 3,5; 1. Pet 1,9) und in ewiger Sicherheit.

2.)    Errettung in der Gegenwart. Ein Christ ist vielen Gefahren auf dem Glaubensweg ausgesetzt. Daher benötigt er die tägliche Errettung. Der Herr schenkt sie (Röm 5,10; 2. Tim 3,15: Heb 7,25), der Christ hat aber auch eine eigene Verantwortung (1. Tim 4,16).

3.)    Errettung in der Zukunft, am Ende des Glaubensweges (1. Thes 5,8; Phil 3,20–21; Heb 9,28).

Die Errettung nach Nummer 1 scheidet hier in Philipper 2,12 natürlich aus. Erstens waren die Philipper bereits in diesem Sinn errettet (vgl. Philipper 1,28), und zweitens gibt es bei dieser Art der Errettung nichts zum Wirken: „Dies ist das Werk Gottes, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat“ (Joh 6,29).

Gehen wir zunächst zur Errettung am Ende des Glaubensweges (Nummer 3). Oft wurde gesagt und auch geschrieben, dass die Errettung im Philipperbrief am Ende des Weges gesehen werden würde und dass deshalb auch Philipper 2,12 entsprechend auszulegen sei. Nun ist es gewiss wahr, dass der Philipperbrief die Blicke auf das Ziel lenkt und auch die Errettung am Ende des Weges zeigt (Philipper 3,20–21), aber in der zu betrachtende Stelle gibt das wirklich keinen guten Sinn. Denn: Hier ist von dem „eigenen Heil“ die Rede. Dieses eigene Heil steht dem „fremden Heil“ – also der durch Paulus bewirkten Errettung – gegenüber. Es ist nicht möglich, das mit dem Ende des Weges zu verbinden, bei der es nur eine Errettung gibt: die Errettung aus dieser Welt und ihre Gefahren durch den Herrn. Mein Wirken kommt dabei nicht in Betracht.

Es liegt auf der Hand, an die Errettung in der Gegenwart zu denken. Die Philipper hatten mit verschiedenen Schwierigkeiten zu tun. Unter anderem mussten sie um ihres Glaubens willen leiden, was sie mutlos und ängstlich machen konnte. Paulus, der sie, als er bei ihnen war, ermuntert, getröstet und belehrt hat, war jetzt nicht mehr bei ihnen. Darum mussten sie ihre eigene Errettung bewirken, um nicht den Gefahren zu erliegen. Dazu gehörte und gehört sicher, dass man das Wort Gottes auf sich einwirken lässt. Paulus schrieb an Timotheus: „Habe Acht auf dich selbst und auf die Lehre; beharre in diesen Dingen; denn wenn du dies tust; so wirst du sowohl dich selbst erretten als auch die, die dich hören“ (1. Tim 4,16). 

Also: Paulus spricht in Philipper 2,12 augenscheinlich von der Errettung auf dem Weg des Glaubens und nicht am Ende des Weges. Es ist wahr, dass die Errettung, die ein Christ täglich erlebt, schließlich darin mündet, dass er völlig errettet und aus dieser Welt herausgenommen wird. Insofern kann man beide Arten der Errettung miteinander verbinden. Dennoch geht es Paulus darum, den Blick auf eine gegenwärtige Errettung zu lenken – etwas, was er übrigens bereits in Philipper 1,19 getan hatte.