Blanche Gamond musste für ihren Glaubens viel erdulden: Sie wurde von Soldaten im Elternhaus schikaniert, verbrachte Monate unterm freien Himmel, kam in ein finsteres Gefängnis und wurde schrecklich gefoltert. Doch nichts erschütterte den Glauben dieser Frau, die schon in jungen Jahren Unvorstellbares erlebte.   

Eine schwere Zeit

Blanche Gamond war das zweite Kind von Michel Gamond und seiner Frau Benoite, die beide wohlhabende Hugenotten (französische Protestanten) waren. Blanche wurde 1664 in Saint-Paul-Trois-Châteaux geboren. In dieser Zeit herrschte in Frankreich Ludwig XIV., bekannt als Sonnenkönig, der direkt nach seiner Machtergreifung im Jahr 1661 damit begann, die Hugenotten zu unterdrücken. Ludwig war Katholik und wollte alle Menschen in seinem Herrschaftsgebiet zum Katholizismus führen, um durch eine einheitliche Religion seinen Thron zu festigen. Wer sich diesem Ansinnen widersetzte, musste mit schweren Repressalien rechnen. Eine davon war die zwangsweise Einquartierung von Soldaten, den so genannten Dragonern, die in den Häusern der „Ketzer“ ihr Unwesen trieben, um sie zur Aufgabe ihres Glaubensbekenntnisses zu treiben.

Die Dragoner kommen

Im Februar 1683 rückten in Saint-Paul-Trois-Châteaux sechs Kompanien Dragoner ein. Acht dieser gefürchteten Gesellen ließen sich im Haus Gamonds nieder. Sie schlugen Möbel zusammen und feierten Orgien auf Kosten ihrer unfreiwilligen Gastgeber, die alle Hände voll zu tun hatten, ihnen Brot zu reichen, Suppe zu kochen oder Wein aus dem Keller zu holen. Die angetrunkenen Soldaten belästigten zudem die neunzehnjährige Blanche, deren kräftiges, rotblondes Haar sie begeisterte. Und immer wieder neu stießen die Dragoner fürchterliche Drohungen gegen die Gamonds aus, die damit rechnen mussten, dass auch ihre Füße in offenes Feuer kämen oder dass sie, mit Pferdehalftern um den Hals, durch die Gassen geschleift würden. Wann endlich würde dieser Albtraum zu Ende sein? „Heute schon“, sagten ihre Peiniger, „alles kann von jetzt auf gleich vorbei sein. Ihr müsst nur zum katholischen Glauben wechseln!“ Der Bischof bot ihnen sogar an, allen entstandenen Schaden zu ersetzen, wenn sie abschwören würden. Doch das wollten sie nicht. Das konnten sie nicht. „Aber der König gebietet es“, herrschte ein Offizier Blanche Gamond einmal an. „Mein Herr“, antwortete sie, „solange der König nichts verlangt, was gegen mein Gewissen oder gegen meinen Gehorsam geht, den ich Gott schulde, gehorche ich ihm. Aber sobald mich die Befehle des Königs zwingen, das göttliche Wort zu verletzen, folge ich den Aposteln und sage ohne Furcht: ‚Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.’“

Gefangennahme und Verurteilung

Diese Soldaten gingen, andere kamen. Im Jahr 1685 widerrief Ludwig der XIV. das Edikt von Nantes[1] und machte Frankreich damit offiziell zu einem rein katholischen Staat. Über die Hugenotten wurden die schwersten Strafen verhängt: lebenslange Haft im Kerker oder auf Galeeren. Viele wurden auch ermordet. Die Gamonds flohen nach Orange, da diese Stadt nicht unter französischer Herrschaft stand. Aber nach kurzer Zeit marschierten die Truppen des Sonnenkönigs auch dort ein, worauf die Gamonds in die Wildnis enteilten. Wochenlang blieb in der freien Natur Hygiene für Blanche ein Fremdwort – Hunger und Durst dagegen nicht. Schließlich wagte sie den Versuch, in die Schweiz zu fliehen, wurde aber von königlichen Reitern aufgespürt und ins Zuchthaus nach Grenoble gebracht. Dort warf man sie mit anderen Frauen in ein unterirdisches Loch, wo ihnen Ratten begegneten und Angstschreie entlockten.  Am 16. Juli 1686 wurde Blanche Gamond schuldig gesprochen. Was war ihr Vergehen? Nichts anderes als Treue dem Herrn Jesus und seinem Wort gegenüber! Das niederschmetternde Urteil lautete: lebenslange Haft, Beschlagnahmung des Vermögens, eine hohe Geldbuße und Abrasieren der Haare. Als der Gefängnisverwalter mit drei Chirurgen kam, um ihre Haarpracht zu entfernen, sagte sie zu dem Gefängnisverwalter: „Mein Herr, glaubt Ihr etwa, man werde mir mit den Haaren meine Kraft abschneiden, wie es bei Simson der Fall war? Meint ihr, mich dadurch willfährig zu machen? Glaubt das nicht, mein Herr! Gott wird meine Kraft und meinen Mut verdoppeln.“ Es wurde ihr befohlen, sich niederzuknien. Einer der Männer wickelte sich die rote Haarflut um den entblößten Unterarm und begann mit aller Kraft daran zu reißen; ein anderer verwendete die Schere, die er dicht am Kopf ansetzte. Die rote Beute verschwand in den Taschen der Ärzte, denen jedoch die Arbeit nicht gründlich genug erschien; denn einer von ihnen entnahm seinem Kästchen Rasiermesser, deren Klingen von Rost überzogen waren, und fuhr damit der jungen Frau rücksichtslos über den Kopf. Sie blutete. Sie schrie. Sie litt unbeschreibliche Schmerzen.

Die Haft in Valence

Aber es sollte noch schlimmer für sie kommen. 1687 wurde sie in ein Krankenhaus nach Valence verlegt, das als Strafanstalt fungierte, und von dem berüchtigten „Unmenschen“ La Rapine geführt wurde. Bereits am ersten Tag wurde sie so brutal zusammengeschlagen, dass sie sich abends nicht mehr ausziehen konnte. Der Alltag war angefüllt mit sinnloser und kräftezehrender Putzarbeit. Verpflegt wurde sie mit abgestandenem Wasser und bitterem Brot, das nur qualvoller Hunger herunterzwingen konnte. In ihrem Schlafgemach hauste allerlei Ungeziefer, das sie auch tagsüber quälte, da es den Häftlingen streng untersagt war, sich von den Plagegeistern zu reinigen.  Die „Krankenschwestern“, die sie umringten, ließen sich ständig neue Gemeinheiten einfallen. So schlug eine von ihnen mit ihrer Rute auf die Finger von Blanche Gamond und einer Leidensgenossin, als diese ein schweres Fass Wasser transportierten. Das Wasser schwappte über. Die Schwestern schrien Zeder und Mordio. Zwei rannten los, um La Rapine zu holen, der kurz darauf kochend vor Wut erschien und Blanche Gamond wüst beschimpfte. Er verprügelte sie aber nicht mit seiner gefürchteten Ochsenpeitsche, sondern wies das Küchenpersonal an: „Gebt ihr die Ruten, dieser Hugenottenhündin. Aber schont sie nicht! Wenn ihr sie schont, kommt ihr an die Reihe!“ Sofort wurde Blanche Gamond in die Küche beordert, wo sie mit entblößtem Oberkörper an einen Balken gefesselt wurde. Dann entlud sich die grausame Wut von sechs Mägden, die mit Weideruten wild auf sie eindroschen und dabei riefen: „Bete zu deinem Gott!“ Später schrieb die Dulderin in ihren Memoiren: „Ich erhielt den größten Trost, den ich im Leben empfangen habe: die Ehre, um Christi willen geschlagen und zugleich mit seinen Tröstungen und Gnaden erfüllt zu werden! Könnte ich doch die Fluten von Trost und den unfassbaren Frieden beschreiben, die mir zuströmten. Man kann das nur verstehen, wenn man die gleiche Prüfung erlebt hat.“  Bei einer anderen Gelegenheit gab man Blanche Gamond einen angebrochenen Leuchter, damit sie ihn blank poliere. Als sie das gründlich tun wollte, brach das gute Stück entzwei. Die Schwestern bebten vor Empörung und schrien: „Dafür wird man dir alle Knochen und Rippen brechen.“ La Rapine geriet in fürchterliche Raserei und wollte die Unschuldige mit seiner Ochsenpeitsche totschlagen. Es konnte sich nur noch um Stunden handeln, bis „der größte Schurke unter den Henkern“ eine weitere tapfere Christin umgebracht haben würde. Aber dazu kam es nicht. Noch am selben Abend hörte La Rapine, dass ein Haftbefehl gegen ihn erlassen worden war. Hals über Kopf stürzte er davon und kehrte nicht wieder zurück. So rettete Gott Blanche Gamond auf wunderbare Weise und bewies, dass Er im Regiment sitzt.

Die Flucht

Die Häftlinge, von dem Schreckgespenst befreit, atmeten auf. Doch ihr Martyrium war noch nicht zu Ende, zumal einige Schwestern sich befleißigten, in die Fußstapfen ihres geflohenen Aufsehers zu treten. In dem Zimmer, wo Blanche Gamond lag, wurde nun vermehrt über einen Fluchtversuch nachgedacht. Doch wie sollten sie aus der Krankenstube im vierten Stock entwischen? Und was hatte sie alles zu erwarten, wenn sie ergriffen würden? Blanche Gamond erhob Bedenken. Sie half dann aber doch mit, Leintuch in Streifen zu schneiden und so zusammenzunähen, dass sie sich damit an der Hauswand herunterhangeln konnten. Sechs Frauen gingen in einer kühlen Septembernacht das Wagnis ein. Als Blanche Gamond die Tücher ergriff, um sich abwärts zu schwingen, ließen sie ihre Kräfte im Stich. Mit den Worten „Herr Christ, nimm meinen Geist auf“ stürzte sie auf die Steinfliesen herab. Wie mit Messern fuhr es ihr durch den ganzen Leib, vor allem ein Schenkel schmerzte stark. Für Augenblicke verlor sie das Bewusstsein. Liebende Hände halfen ihr auf und schleppten sie mühevoll zu der Stadtmauer. Mit den letzten Kräften wurde die Schwerverletzte auf die Mauer gehievt. Oben angekommen, sah Blanche Gamond, dass es auf der anderen Seite metertief nach unten ging. In diesen Abgrund zu springen, konnte sie nicht überleben. Es blieb keine andere Wahl – sie musste wieder herabgelassen werden. Da lag sie dann, ganz allein an der Mauer, sich krümmend vor Schmerzen. Sie hatte nicht einmal die Kraft, ihr zertrümmertes Bein zu bedecken. Ihr Angesicht war das Angesicht einer Toten. Sie betete unablässig und hoffte inständig, dass sie jemand vor dem Suchtrupp rettete. Doch unter den Menschen, die im Morgengrauen langsam die Straßen füllten, war kein „barmherziger Samariter“. Niemand wollte mit der Hugenottin etwas zu tun haben. Ein vorübergehender Mann warf ihr einen flüchtigen Blick zu und meinte spöttisch: „Ihr lägt auch besser daheim als hier auf der Straße. Das sähe auch anständiger aus.“ Es wurde ihr sogar der Wunsch verwehrt, hinter einem Busch in Ruhe sterben zu dürfen. Sie kam zurück ins gefürchtete Krankenhaus.  Dort wurde sie von Ärzten be- und auch misshandelt. Einer der Doktoren wusch ihre Wunde gern mit einer ätzenden Flüssigkeit aus, was ihr eine große Pein bereitete. „Hätte man mir eine rotglühende Eisenstange hingehalten“, so schrieb Blanche Gamond später, „ich hätte sie in der Mitte ergriffen. Ich hatte keine Ruhe, weder bei Tag noch bei Nacht ... Doch Gott rechne ihnen ihre Sünde nicht an!“

Ein besonderer Novembertag

Unterdessen veränderte die Regierung ihre Praxis den Hugenotten gegenüber. Manche konnten freigekauft werden und ihre Auswanderung ins Ausland wurde begünstigt. Am späten Abend des 26. Novembers 1687 suchte der Rektor Blanche Gamond auf und fragte, ob sie den Mut habe, das Gefängnis zu verlassen. Gepriesen sei Gott, sie war eine freie Frau! Ihre Eltern hatten das Lösegeld bezahlt. Sie freuten sich sehr, ihre Tochter wieder in die Arme schließen zu können, auch wenn ihr erbärmlicher Gesundheitszustand sie entsetzte. Bald wanderten die Gamonds in die Schweiz aus, wo sie Glaubensfreiheit genossen. Dort verfasste Blanche Gamond ihre detaillierte Lebenserinnerung. Am 09. Mai 1718 ging sie in Zürich heim. Obgleich Blanche Gamond gestorben ist, redet ihr Glaube noch heute. Durch ihr Vertrauen und ihre Treue zu ihrem Herrn hat sie Ihn geehrt, und er selbst wird ihr seine Belohnung und Anerkennung gewiss nicht versagen.