Die Tatsache, dass die Worte von Mt 16,19 nur zu Petrus gesagt wurden, ist von manchen missverstanden worden, indem sie dieser Stelle eine verhältnismäßig geringe Bedeutung beigemessen haben. Es wurde angenommen, dass der Besitz der Schlüssel auf Petrus beschränkt werden müsse. Weiter wurde gesagt, dass damit folglich die doppelte Öffnung des Reiches am Tag der Pfingsten in Verbindung mit den Juden und später bei Kornelius und seinen Freunden, d. h. den Heiden, gemeint sein müsse. Die Bedeutung dieser Aussage wird also völlig auf die Vergangenheit bezogen, sodass sie für uns heute nur noch von geringem Interesse wäre.

Ist es möglich, dass das alles ist? Handelt es sich bei den Schlüsseln des Reiches um etwas, was wir heutzutage nicht mehr nötig haben? Wurde das Reich damals aufgeschlossen und blieb dann geöffnet? Gibt es keine Notwendigkeit und Kraft mehr, es zu empfangen? Werden die Menschen natürlicherweise in es hineingeboren - oder wie ist das zu verstehen?

Dass Schlüssel dafür da sind, etwas zu öffnen, wird kaum bestritten werden. Es ist der Sinn von Schlüsseln, etwas zu öffnen. In Matthäus 23,13 spricht der Herr sein „Wehe“ über die Schriftgelehrten aus, die das Reich der Himmel vor den Menschen verschlossen. Weiter zeigt er in Lk 11,52 wie sie das getan hatten: „Ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen“. Erkenntnis muss notwendigerweise ein Schlüssel eines Reiches sein, das durch die Aussaat des Samens des Wortes hervorkommen würde. Die Wegnahme derselben würde Jüngerschaft verhindern. Wir finden hier also einen Schlüssel, und am Tag der Pfingsten sowie in der Begebenheit im Haus von Kornelius sehen wir, wie dieser Schlüssel benutzt wurde, um ihnen das Reich zu öffnen.

Doch blieb es bei diesen Begebenheiten? Als Paulus überall das Reich Gottes verkündete – benutzte er diesen Schlüssel dann weniger als Petrus es tat? Oder wenn er in Galater 2 davon spricht, dass das Evangelium der Unbeschnittenen ihm anvertraut worden war, ebenso wie Petrus das der Beschneidung, meinte er dann wirklich, dass niemand anders die Berechtigung, bzw. den Auftrag von Gott hatte, das Reich zu predigen? Petrus hatte zweifellos die Schlüssel in einem besonderen Sinn, aber er hatte kein ausschließliches Recht auf sie, das wird ziemlich deutlich. Denn wenn das Wort „dir“ jeden anderen ausschließen würde, würde der folgende Satz ihm das ausschließliche Recht verliehen haben, zu binden und zu lösen. Dass er dieses ausschließliche Recht nicht besaß, wird an einer anderen Stelle klar, wo es heißt: „was irgend ihr auf der Erde binden werdet…“ (Mt 18,18).

Außerdem sollten wir noch bedenken, dass, wenn Petrus bei einer Gelegenheit den Juden, bei einer anderen den Heiden die Tür öffnete, das bedeuten würde, dass er die Tür zweimal geöffnet hätte, wofür er keine zwei Schlüssel bräuchte. Zwei Schlüssel wären gar nicht nötig gewesen, wenn das alles gewesen wäre. Wir haben gesehen, worin der eine Schlüssel bestand. Jetzt müssen wir nur noch den anderen finden. Wo könnte er stecken?

Der Auftrag zu Jüngern zu machen (Mt 28) 

Erst nach seiner Auferstehung beanspruchte der Herr tatsächlich, der König des Reiches zu sein. Alle Autorität steht ihm zu und da sein Reich ein Reich ist, das durch Wahrheit gekennzeichnet ist, sendet er seine Jünger mit dem Auftrag aus, alle Nationen zu Jüngern zu machen. An dieser Stelle sehen wir, dass die Schlüsselgewalt allen übertragen wird, und nicht nur auf Petrus beschränkt bleibt. Übrigens sendet er sie hier noch nicht mal als Apostel aus. Sie werden an dieser Stelle nicht so bezeichnet. Wäre es beabsichtigt gewesen, dass sie allein ein ausschließliches Recht haben sollten, so gäbe es dafür sicherlich eine Andeutung. Aber das ist nicht der Fall. Die Worte der Aussendung lauten wie folgt: „Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie alles zu bewahren, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters“ (Mt 28,19–20).

Einige haben vermutet, dass der Ausdruck „alle Nationen“ ein allgemeiner Begriff für die Heiden ist, sodass dieser Auftrag nicht für Israel gelten würde. Wenn das aber nicht der Fall ist, wundern wir uns, warum Petrus darauf am Pfingsttag Bezug nimmt. Wurden diese Worte nicht an Israel gerichtet? Es ist deutlich, dass er sie auf das Volk anwandte und dass Israel, das, wie wir wissen, Lo-Ammi war, einfach einen Teil dieser „Nationen“ bildete, es war zu dem das Evangelium des Reiches jetzt gesandt wurde. Viele Schwierigkeiten lösen sich, wenn das richtig ist. Die alte Bibelübersetzung liest noch „lehrt alle Nationen“ und setzt die Worte „macht zu Jüngern“ in die Fußnote. Die überarbeitete Fassung nimmt die letzteren Worte jedoch zu Recht in den Text hinein. Streng genommen ist es nicht ein Verb, worauf ein Nomen folgt, sondern einfach nur ein alleinstehendes Verb: disciple (deutsch: zu Jüngern machen), und das steht nicht grundlos da, denn im ersteren Fall wären es Jünger, die getauft werden müssten, wogegen es tatsächlich darum geht, Nationen durch die Taufe zu Jüngern zu machen.

Wenn also „discipling“ (zu Jüngern machen) eine Sache ist, durch die man ins Reich der Himmel eintritt, dann haben wir hier den anderen Schlüssel, nach dem wir bisher gesucht haben. Wir sehen hier also beide Schlüssel: taufen und belehren. Die Belehrung haben wir bereits betrachtet. Der Herr nannte sie selbst in Lk 11,52 „den Schlüssel der Erkenntnis“. Das bestätigt, dass es sich bei der Taufe in der Tat um einen „Schlüssel“ handelt, der, wenn wir einmal zum Pfingsttag schauen, von den Aposteln benutzt wurde. Als es den Juden in Apostelgeschichte 2,37 nach der Verkündigung über den König des neuen Königreichs durchs Herz drang, riefen sie: „Was sollen wir tun, Brüder? Petrus antwortet ihnen: Tut Buße, und jeder von euch werde getauft auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen“.

Diesen Punkt möchten wir jetzt etwas näher betrachten. Ich möchte zuerst bemerken, dass die Worte des Auftrags „macht … zu Jüngern, sie taufend … und sie lehrend“ zeigen, dass die Belehrung dasjenige ist, was den Jünger vollendet – das ist notwendigerweise so, weil ein „Jünger“ ein Schüler ist: die Taufe stellt ihn dagegen nur an einen bestimmten Platz. Es handelt sich dabei um die amtliche Aufnahme in die Schule. Es ist die Abgrenzung derjenigen, die ihn annehmen und damit anerkennen in einer Welt, die Christus und seine Worte abgelehnt hat. Das zeigt, dass das Reich nicht räumlich begrenzt ist, dass kein Mensch natürlicherweise in dieses Reich hineingeboren wird. Es ist jetzt individuell und nicht national, wie das bei Israel der Fall war. Die symbolische Bedeutung davon geht weit darüber hinaus. Ob die Unterwerfung unter Christus echt ist oder nicht, bleibt zunächst unbestimmt und braucht vorher nicht von dem Taufenden geklärt zu werden. Es ist jedoch klar, dass das Bekenntnis selbst zählt und nicht leichtfertig behandelt werden darf, indem der Gehalt durch einen oberflächlichen Gebrauch (der Taufhandlung) abgewertet wird. Der König heißt alle offen willkommen – der Platz im Reich ist letztlich konditional.

Die Taufe geschieht „auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Es steht hier: „auf DEN Namen“ – es ist die Einzahl und nicht die Mehrzahl in Bezug auf die Dreieinheit. Darin kommt die christliche Offenbarung Gottes zum Ausdruck. Was nicht in dieser Weise durchgeführt wird, ist nicht christlich. Der „Name“ steht in der Schrift immer für den wahren Charakter einer Sache. Hier bedeutet der Name die Wahrheit über die Gottheit, wie sie uns bekannt gemacht worden ist: Die „Taufe“ und der Glaube werden einmal mehr, wie in Epheser 4, („ein Glaube, eine Taufe“) miteinander verbunden ... 

In Johannes 4,1 lesen wir, dass „Jesus … Jünger machte und taufte“. Einige haben diese Stelle angeführt, um zu zeigen, dass hier gegensätzliche Gedanken vorstellt würden. Tatsächlich ist es aber so, dass diese Stelle nur das unterstreicht, was die Wahrheit ist, dass es nämlich das Wort ist, die Belehrung, welches wirklich Jünger macht. Wenn wir daran denken, was Jüngerschaft ausmacht, dann ist das Wort notwendigerweise das fundamentale Element und das Wasser nur das formale, auch wenn es ebenfalls von Bedeutung ist. Wer würde schon behaupten, dass der sterbende Räuber am Kreuz kein Jünger war, weil er nicht die Möglichkeit hatte, sich taufen zu lassen? Wenn in Joh 4,1 davon gesprochen wird, dass der Herr Jünger machte und sie taufte besagt das nicht notwendigerweise, dass sie bereits Jünger waren. Der zweite Teil dieser Aussage erklärt im gewissen Sinn den ersten und ist nötig, um die Aussage deutlich zu machen. Wenn in 2. Mose 29,7 gesagt wird: „Und nimm das Salböl und gieße es auf sein Haupt und salbe ihn“, dann sehen wir, dass es sich dabei eigentlich um einen einzigen Akt handelt und nicht um verschiedenartige. Der hintere Ausdruck dient dabei der Erklärung des vorangehenden.

[Übersetzt von Stephan Keune]