Es wird zuweilen behauptet, dass Ungläubige nichts anderes tun als sündigen - also jede einzelne Tat, jedes einzelne Wort und jeder einzelne Gedanke soll bei ihnen böse sein. Ist das denn richtig?

Gegenfrage: Backt ein Bäcker nur Brötchen? Die Antwort lautet natürlich: nein. Er ist aber dadurch charakterisiert. Und so ist es auch mit dem Sünder. Die ganze Lebensausrichtung eines Menschen ohne Gott ist völlig verkehrt, aber das bedeutet eben noch nicht, dass ich jede Regung in dem Leben eines solchen Menschen verurteilen kann.

Wenn ich eine Torte mit Salz statt mit Zucker backe, kann ich so schön verzieren wie ich will – der beißende Geschmack des Salzes wird mir überall begegnen. So zeigt sich die „Gesetzlosigkeit“ des Menschen, seine Unabhängigkeit von Gott, überall. Sein Verhalten wird dadurch geprägt – obgleich nicht alles „Salz“ (Sünde) ist, was er tut.

Die Bibel zeigt deutlich, dass Ungläubige Dinge taten, die nicht Sünde waren:

  • Der Herr Jesus sprach davon, dass Sünder lieben und Gutes tun können (Lk 6,32.33). Ist Liebe denn Sünde? Ist Gutes tun Sünde? Der Herr sagte der sündigen samaritischen Frau, dass sie die Wahrheit geredet habe (Joh 4,18). Ist denn Wahrheit Sünde?
  • Die abergläubischen Einwohner der Insel Melite zeigten Schiffbrüchigen, ihren natürlichen Empfindungen folgend, eine nichte gewöhnliche Freundlichkeit (Apostelgeschichte 28,2). War das denn Sünde? Natürlich nicht!
  • Herodes tat vieles, was Johannes der Täufer ihm vorstellte (Markus 6,20). Empfahl Johannes ihm etwa, zu sündigen? Das wäre ja die logische Konsequenz, wenn es wahr wäre, dass alles, was ein Ungläubiger tut, nur Sünde ist.
  • Römer 2,14–15 erwähnt, dass die Nationen von Natur die Dinge des Gesetzes tun aufgrund ihres Gewissens. Sicher geht es in Römer 2 darum, dass das moralische Gesetz im Herzen der Heiden ihnen zur Verurteilung gereicht, aber man darf daraus auch entnehmen – was die Erfahrung völlig bestätigt –, dass ein Ungläubiger sein Gewissen nicht zu 100% überfährt.
  • In dem Gleichnis von dem König, der seinem Sohn Hochzeit macht, sprechen seine Knechte davon, dass sie „Gute und Böse“ zu dem Fest geladen haben. Es gibt also, relativ gesehen, gute Menschen, die zur Gnadenhochzeit geladen werden.

Überlegen wir auch mal, was die These, dass Ungläubige nur sündigen, für eine Auswirkung auf die Kindererziehung hat! Kinder, die sich noch nicht bekehrt haben, würden demnach sündigen, wenn sie einfach mit ihrer Puppe spielen (und wenn jemand sündigt, muss man ihm doch wehren, oder?). Das alles klingt sehr absurd, ist es auch – aber man muss einen Gedanken zu Ende verfolgen, wenn man ihn beurteilen will. Und ich hoffe, dass die paar Hinweise bereits deutlich gemacht haben, dass der Gedanke des „Immerfortsündigens“ einfach nicht haltbar ist.

Es geht mir überhaupt nicht darum, die Sündhaftigkeit und die völlige Verdorbenheit des Menschen irgendwie zu relativieren. Aber wenn wir diese (heute bestimmt sehr angegriffene) Wahrheit verteidigen möchten, dann sollten wir nicht über das Ziel hinausschießen. Das wäre nur kontraproduktiv.

Vielleicht sind auch die nachfolgenden Ausführungen zum Epheserbrief von W. Kelly hilfreich:

Wie auch immer dieses sein mag – „wir sind sein Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken.“ Das sind eine besondere Art von guten Werken, passend zu den Beziehungen, in denen wir stehen. Dieses ist ein wichtiger Punkt, den wir immer festhalten müssen, wenn wir uns mit der Heiligen Schrift beschäftigen. Geistliches Verständnis kann es niemals geben, wenn die Seele nicht jenen an sich einfachen Grundsatz berücksichtigt, dass das angemessene „Gute“ von der Beziehung abhängt, in welcher wir sowohl Gott als auch einander gegenüber gestellt sind. Das „Gute“ ist für einen Israeliten, für einen Nichtjuden, für einen Menschen als solchen etwas ganz anderes als für einen Christen, weil ihre Beziehungen nicht dieselben sind. Wir sind jetzt Christen; und das bestimmt den Charakter der Pflichten, die wir zu erfüllen haben, oder unserer guten Werke, welche Er zuvor bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln sollen. „Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christo Jesu“  zu gerade diesem Zweck. Das wird uns keineswegs als ein Gebot entsprechend dem Gesetz auferlegt, sondern Gott hat „zuvor bereitet“  als Teil seines wunderbaren Plans, „dass wir in ihnen wandeln sollen.“