Ein dunkler Fleck deutscher Geschichte: die Nacht vom 9. zum 10. November 1938. Überall im Land regieren Angst und Schrecken. Geschäfte und Wohnungen jüdischer Mitbürger  werden verwüstet. Ihre Synagogen gehen in Flammen auf. Sie selbst werden durch die Straßen getrieben, geschlagen, verhaftet. Die damaligen Machthaber veranstalten ihre erste große Hetzjagd, bekannt als „Kristallnacht“. Eine verharmlosende Bezeichnung, die einreden soll, als seien nur Fensterscheiben zu Bruch gegangen. In Wirklichkeit aber war diese Nacht ein für alle sichtbares Zeichen. Fortan würde es keine Hemmungen mehr geben. Und so wurden die brennenden Synagogen vom 9. November 1938 das Voraussignal für eine der größten Schandtaten der Menschheitsgeschichte.

Unter den Hunderten in Brand gesteckter Synagogen befand sich eine der größten und schönsten Deutschlands: die Alte Synagoge in Essen. In der Stadtmitte  an der Steeler Straße gelegen, kann man heute das hervorragend wieder hergestellte Bauwerk bewundern. Wuchtig erstreckt es sich dort mit einer Länge von 70 Metern, und über den Mauern erhebt sich eine gewaltige Kuppel, die eine Höhe von 34 Meter erreicht. Heute ist die Alte Synagoge in städtischem Besitz und dient Tag für Tag vielen Besuchern als Mahn- und Gedenkstätte. Aber seit jener schaurigen Nacht von 1938 bis lange nach Kriegsende ragten die mächtigen Mauern der Alten Synagoge als riesige ausgebrannte Ruinen gen Himmel.

6. März 1943. Wenige Jahre später beginnt mit einem Flieger-Großangriff auf Essen ein anderes Inferno: die Luftschlacht über der Ruhr. Es ist tiefdunkle Nacht, als in Essen die Sirenen heulen. 412 Bomber der Royal Airforce fliegen aus Richtung Dorsten kommend in den Luftraum über Essen. Zum ersten Mal hat der umstrittene englische Luftwaffenmarschall Arthur Harris seinen Verbänden den Befehl erteilt, im dichten Bomberstrom anzugreifen. Er meinte, dass es nur auf diese Weise möglich sei, den deutschen Abwehrgürtel der Nachtjäger mit geringen eigenen Verlusten zu durchbrechen. Und er behielt Recht.

22 Maschinen vom Typ Lancaster markieren als „Pfadfinder“ das Zielgebiet mit ihren hellgelben Leuchtbomben. Diese an Fallschirmen herunter segelnden Lichtertrauben sollten fortan das berüchtigte Angriffszeichen der Nachtbomber werden. Im Volksmund nannte man sie schlicht und makaber „Christbäume“.

Bei dem dann folgenden ersten Großangriff gehen insgesamt 1.211 Tonnen Bomben ins Ziel, 3.016 Häuser werden vernichtet, unzählige werden beschädigt, und viele Menschen kommen um. Aber das war nur der furchtbare Auftakt zu fast ununterbrochenen Angriffen. Denn wenn man die Einsätze der britischen Luftwaffe durchforscht, taucht kein Ziel so oft auf wie die Stadt Essen. Zunächst waren in vielen Einzeleinsätzen die Krupp-Werke als Zentrum der Rüstunsgs-Industrie das Angriffsziel – von März 1943 an wurden jedoch vor allem die Stadtmitte und reine Wohngebiete bombardiert. Von nun an hatte die Bevölkerung Essens keine Ruhe mehr. Allein in jener Nacht gin1. Mo 80 Luftminen, 1050 Sprengbomben, 122.000 Stabbrandbomben und 17.000 Phosphor-Kanister als todbringende Fracht über die Menschen nieder.

In wenigen Minuten ist das Geschäftsviertel rings um die Limbecker Straße ein einziges Feuermeer. Im Alfredi-Viertel an der Synagoge glüht der Feuersturm die Wohnhäuser aus. Als die Bomber abdrehen, kriechen die Überlebenden aus den Kellern hervor und irren durch die lichterloh brennenden Häuserschluchten. Mit Gasmasken oder vor Mund und Nase gepressten nassen Tüchern notdürftig geschützt quälen sie sich durch die unvorstellbare Glut. Aber wohin nur? Es gibt keinen Ausweg aus dem Flammenmeer. Glühende Balken krachen auf die Straßen, und selbst der Asphalt brennt mit gelber Flamme. Da tauchen im gespenstisch flackernden Schein mächtige Mauern auf, die wie erhobene Finger gen Himmel zeigen: die Ruinen der Alten Synagoge. So kämpfen sie sich durch das Feuer bis sie inmitten der Mauern in Sicherheit sind. Hier wüteten schon vor Jahren die Flammen. Es ist ihnen wie ein Wunder. Hier in der riesigen Ruine, geschützt durch haushohe Mauern, finden sie Rettung. Ringsum Brand, Glut und Verzweiflung – hier Ruhe und Sicherheit wie auf einer Insel. Denn hier findet das Feuer nichts Brennbares mehr. Vor diesen Mauern steht der Brand still. Alles, was brennen konnte, ist längst verbrannt.

So wie jene verzweifelten Einwohner Essens in der ausgebrannten Synagoge Rettung vor dem wütenden Flammenmeer fanden, so ist das Kreuz von Golgatha der Platz, wo der Brand bereits loderte. Dort wurde es schaurige Nacht mitten am helllichten Tag.  Hier stand Jesus Christus, der Sündlose und Reine, für jeden an ihn Glaubenden im Gerichtsfeuer Gottes. Da findet das Feuer keine Nahrung mehr. Da ist man in Sicherheit. Nun kommt der Glaubende nicht mehr ins Gericht, sondern ist freigesprochen durch die höchste Instanz. Hier ist der Ort, von dem ein Dichter bekennt: „Ruhe fand hier mein Gewissen, denn Sein Blut, o reicher Quell, hat von allen meinen Sünden mich gewaschen rein und hell.“  Glücklich der, der voll Vertrauen sagen kann: Am Kreuz hat Gott den, der Sünde nicht kannte, für mich zur Sünde gemacht, damit ich nun in Gottes Gerechtigkeit stehe und frei ausgehe! 2. Korinther 5, 21 

[Aus dem Buch „Anders als gedacht“, erschienen bei der Christliche Schriftenverbreitung in Hückeswagen]