Von allen Menschen, deren Lebensweg in den Schriften des Alten Testaments aufgezeichnet ist, hebt sich Salomo mit seiner intellektuellen Begabung deutlich ab. Wenn wir 1. Könige 4,29–34 lesen und dann einen Blick auf den ersten Vers von 1. Könige 10 werfen, sehen wir, dass es Gott war, der ihm seine außerordentlichen geistigen Fähigkeiten gegeben hatte, und dass er nicht nur ein literarisches und poetisches Genie mit großer Kenntnis über alle damaligen Natur-Themen war, sondern dass er auch tiefes Verständnis über den „Namen des HERRN“ hatte; und diese letzte Eigenschaft brachte ihm einen weltweiten Ruf ein, der sogar die Königin von Scheba veranlasste, zu ihm zu kommen. Er war offensichtlich das große Wunder seiner Zeit.

Wenn wir uns dem Neuen Testament zuwenden und nur solche in Betracht ziehen, die ausschließlich Mensch waren, sticht keiner deutlicher hervor als Saulus von Tarsus. Wie Salomo war er rein hebräischer Abstammung (vgl. Philipper 3,4–6) und in religiöser Hinsicht hatte er eine führende Stellung, denn er schreibt, dass er „in dem Judentum zunahm über viele Altersgenossen in meinem Geschlecht, indem ich übermäßig ein Eiferer für meine väterlichen Überlieferungen war“ (Galater 1,14). Auch er war ein Mann mit herausragenden intellektuellen Fähigkeiten.

Wenn wir jedoch die Gesinnung, die sie kennzeichnete, die Richtung, die sie verfolgten, und ihr Ende betrachten, finden wir den größtmöglichen Gegensatz. Bei unserer Betrachtung müssen wir natürlich die großen Unterschiede zwischen den Epochen, in denen sie lebten, bedenken. Salomo war auf das Licht über Gott angewiesen, wie er unter dem Gesetz Moses offenbart war. Saulus von Tarsus, aus dem der Apostel Paulus wurde, kam in das Licht Gottes, wie er in Christus offenbart ist – in der Gnade seiner sühnenden Leiden und seiner Auferstehungsherrlichkeit.

Als Erstes fällt uns auf, dass Salomo alle guten Dinge dieses Lebens in überreichem Maß besaß und genoss, während Paulus nichts davon genoss. Wir bekommen einen Eindruck von dem Überfluss Salomos, wenn wir Prediger 2,4–10 lesen. Wir wenden uns Philipper 3,8 zu und hören Paulus sagen: „Ich habe alles eingebüßt.“ Und wenn wir wissen wollen, was diese Welt ihm einbrachte, sollten wir 2. Korinther 11,23–28 lesen. Dann werden wir verstehen, wie groß der Gegensatz ist.

Aber beachte zunächst die Gesinnung, die sie beseelte. Prediger 2,10 zeigt, dass Salomo menschlich gesprochen alles daran setzte, sich zu vergnügen. Er gönnt sich alles, was für ihn erreichbar war. Sein Motto muss gewesen sein: „Alles aber tue ich zu meinem Vergnügen und zu meiner Befriedigung“. Und nach welchem Prinzip lebte Paulus? Auch das finden wir in Philipper 3: „Eins aber tue ich.“ Und was war das Eine? Er vergaß die Dinge, die hinter ihm lagen, die er eingebüßt hatte, und streckte sich aus nach dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus. Wieder einmal könnte der Gegensatz nicht größer sein.

Das Ergebnis war, dass Salomo äußerst selbstsüchtig wurde. Auch das macht Prediger 2 klar. Lies den Abschnitt noch einmal und beachte, wie er sich ausdrückt: „Ich baute mir … ich pflanzte mir … ich machte mir … ich kaufte … ich sammelte … und ich wurde groß und größer.“ Sein Leben wurde so sehr ein Leben der Selbstverherrlichung, dass er hätte sagen können: „Das Leben ist für mich – ich selbst.“ Und der Apostel Paulus? Wieder finden wir im Philipperbrief ein Wort: „Das Leben ist für mich – Christus“ (Philipper 1,21). Es kann keinen größeren Gegensatz geben als zwischen einem Leben für mich selbst und einem Leben für Christus.

So ging es mit Salomo eine Weile gut. Seine Größe nahm über die Maßen zu und sein Ruf verbreitete sich über alle Grenzen und in alle Richtungen. Im selben Kapitel konnte er schreiben: „Und was irgend meine Augen begehrten, entzog ich ihnen nicht; ich versagte meinem Herzen keine Freude, denn mein Herz hatte Freude von all meiner Mühe.“ Er fand seine Freude in seinem immensen Erfolg in dieser Welt.

Als Paulus seinen Brief an die Gläubigen in Philippi schrieb, war er Gefangener in Rom. Seine äußeren Umstände waren alles andere als günstig, und trotzdem war er mit Freude erfüllt. „Darüber freue ich mich, ja, ich werde mich auch freuen … so freue ich mich und freue mich mit euch allen … Übrigens, meine Brüder, freuet euch … Freuet euch in dem Herrn allezeit! Wiederum will ich sagen: Freuet euch!“ Freut er sich seines wachsenden Erfolgs? Überhaupt nicht, denn seine Umstände waren alles andere als erfolgreich. Seine Freude fand er ausschließlich im Herrn. Und das ist die Freude, die bleibt. Salomo erfreute sich seiner Errungenschaften. Paulus freute sich in dem Herrn. Wieder ein völliger Gegensatz.

Schließlich sehen wir, dass Salomo von seiner Freude in der Vergangenheitsform schreibt: nicht  “mein Herz freute sich”, sondern „mein Herz hatte Freude.” Schon im nächsten Vers hören wir ihn sagen: „alles war Eitelkeit und ein Haschen nach Wind; und es gibt keinen Gewinn unter der Sonne.“ Seine Enttäuschung war komplett.

Und was ist mit Paulus? Wir wenden uns erneut dem Philipperbrief zu, wo er im letzten Kapitel schreibt: „Ich habe gelernt, worin ich bin, mich zu begnügen … Ich habe aber alles in Fülle und habe Überfluss.“ Der Mann, der –  menschlich gesprochen – alles hatte, was sich ein Herz wünschen kann, besaß am Ende nur Eitelkeit und Leere; der Mann, der alles Gute des Lebens eingebüßt hatte und jetzt sein Genüge in Gott fand, war erfüllt „nach seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christus Jesus.“

Diese Dinge sind ein klarer Appell an uns heute. Der Schreiber wünscht, für sich selbst diese Herausforderung anzunehmen und sie seinen Lesern weiterzugeben. Keiner von uns hat diesen immensen Reichtum und diese unbegrenzten Möglichkeiten wie Salomo, aber wir leben in einer Zeit, die voller verlockender und faszinierender Gegenstände und Apparate ist. Selbst weniger gut situierte Menschen können Rednern und Musikern zuhören, die Hunderte von Kilometern entfernt sind. Sie können Szenen verfolgen, die irgendwo auf der Welt stattfinden. Sie können sich ins Auto setzen und fahren, wohin sie wollen, oder sogar mit dem Flugzeug über 900 Kilometer in der Stunde zurücklegen. Das ist alles faszinierend, aber wir sollten uns daran erinnern, dass alle diese außerordentlichen menschlichen Erfindungen am Ende nichts anders sind als „Eitelkeit und ein Haschen nach Wind.“

Viele unserer Mitchristen erleiden den „Raub ihrer Güter.“ Trotzdem sind ihre Freude und ihr Eifer in den Dingen Gottes oft größer als bei uns Westeuropäern. Die faszinierenden Dinge, auf die wir hingewiesen haben, sind ihnen nur selten zugänglich und deshalb kommen sie auch nicht in die Versuchung, wertvolle Zeit damit zu verschwenden. Sie sind zwar nicht im Gefängnis in Rom wie Paulus, aber in anderen Gefängnissen, Arbeitslagern oder werden verfolgt und bedrängt. Doch gerade von solchen hören wir, dass sie Freude und Mut haben und dass ihre Zahl stark zunimmt.

Seit mindestens zwei Jahrhunderten genießen wir Westeuropäer in geistlicher Hinsicht viele Vorrechte und Segnungen, aber genau deshalb müssen wir uns in Acht nehmen, dass wir nicht aufgeblasen werden und uns einbilden, dass wir reich und reich geworden sind und nichts bedürfen, wie es die Laodizäer taten, von denen wir in Offenbarung 3 lesen. Wenn wir die Dinge richtig einschätzen, sollten wir im Gegenteil anerkennen, dass wir viel zu sehr auf der Linie Salomos sind und viel zu wenig auf der Linie des Apostels Paulus; viel zu sehr beschäftigt mit den vergänglichen Besitztümern und Vergnügungen dieser Zeit, die in Eitelkeit enden, und viel zu wenig mit den wahren und bleibenden Dingen des ewigen Lebens, die sich uns jedoch auch nur durch den Glauben in der Kraft des Heiligen Geistes erschließen.

Lasst uns nicht das ernste Wort vergessen, das der Herr sagte: „Aber viele Erste werden Letzte, und Letzte Erste sein“ (Matthäus 19,30). Wenn der Tag Christi kommt und wir, die wir so bevorrechtigt sind, vor seinem Richterstuhl stehen und das Urteil über unser Leben und unseren Dienst in dieser Welt hören, wie wird dieses Urteil wohl ausfallen?

[Übersetzt aus: „Scripture Truth Vol. 39, 1956–58, Seite 246“]