In einer Serie soll ein längst vergriffenes Buch (“Schritte im Licht“) dem geneigten Leser vorgestellt werden. Man möge dabei bedenken, dass es ein ziemlich altes Buch ist, dass es niedergeschriebene Vorträge sind und nicht zuletzt, dass der Redner (Schreiber) die subjektive Seite des Christentum besonders zu betonen geneigt war. 

Heute Abend möchte ich mit euch das Priestertum unseres Herrn Jesus Christus besprechen. Im ersten Kapitel des Hebräerbriefes sehen wir, dass zuallererst die Frage der Sünden geregelt werden muss. Im Hebräerbrief wird uns die Größe des Priesters, die Größe des Heiligtums und die Größe des Opfers dargestellt. Am Ende des neunten Kapitels sehen wir das Testament als Folge des Todes. Es würde gar keine Kraft haben, solange der lebt, der das Testament gemacht hat.

„Denn mit einem Opfer hat er auf immerdar vollkommen gemacht, die geheiligt werden.“ Das ist nicht mehr ein Opfer für die Sünde. Jetzt haben wir einen großen Priester über das Haus Gottes.

Im Allgemeinen verstehen die Christen kaum, dass das Priestertum mit Schwachheiten zu tun hat und nicht mit Sünden. Die Sündenfrage muss zuerst geregelt werden. Am Anfang des Hebräerbriefes heißt es: „nachdem er die Reinigung der Sünden gemacht, sich gesetzt hat“ (Hebräer 1, 3). Aber dann in Kapitel 8,1: „Wir haben einen solchen Hohenpriester, der sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones der Majestät in den Himmeln.“ Um zu verstehen, was das Priestertum ist, musst du zuerst die große Tatsache begreifen, dass du frei bist von Sünden und auch von der Sünde.

Im Tod Christi wurde die Frage der Sünde vollkommen erledigt. Nun haben wir es mit etwas anderem zu tun. Er ist aufgefahren zur Rechten Gottes. Er ist in das Innere des Vorhangs hineingegangen, als Vorläufer für uns. Dieser Platz wurde uns durch sein Blut gesichert. Sein Dienst besteht nun darin, uns zu unterstützen und den ganzen Weg entlang zu helfen, bis wir dorthin gelangen – und das ist das Priestertum.

Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass nicht der Stab Moses sprosste, denn er stellt Autorität dar. Aarons Stab sprosste, und das war das Priestertum. Das Priestertum hat mit einem schwachen Volk zu tun. Tatsächlich wird man darüber sehr viel belehrt, bis in den Familienkreis hinein. Die Autorität des Vaters allein genügt nicht für die Kinder. Die Gnade muss hinzukommen. Ich spreche jetzt nicht davon, wie du mit dem Eigenwillen verfahren sollst, das ist etwas anderes, denn das erfordert den Fürsprecherdienst. Ich möchte jetzt aber nur dies über den Fürsprecherdienst sagen: In dem Moment, wo du sündigst, benötigst du nicht den Priester, sondern den Fürsprecher, wenn es auch dieselbe Person ist, die Fürsprecher ist, und du geübt sein musst wegen der Sünde wie in 4. Mose 19.

Die Hauptsache ist jetzt, dass die Frage der Sünde geregelt ist. Sünde wird überhaupt nicht mehr zugerechnet. Das Priestertum bedeutet, dass der, der den Weg gegangen ist, hinaufgestiegen ist bis zum Ziel und dort oben einen Platz für mich bereitet hat, mich nun den Weg entlang führt mit der gleichen Gnade, in der er selbst den Weg ging.

Die große Bereicherung des Herzens besteht darin, das Wesen dieses Dienstes zu verstehen, welcher, wie ich schon sagte, im Vorbild in Aarons Stab dargestellt ist. Der Stab hatte gesprosst und Blüten gebracht und Früchte gereift und wurde in der Bundeslade aufbewahrt.

Die Grundlage ist sehr klar geworden, wenn man sieht, dass es gar keine Frage der Sünde, sondern eine Frage der Schwachheit ist. Schwachheit ist nicht Sünde. Nehmen wir das Beispiel eines nervösen Menschen. Ich verstehe sehr gut, wie es ist, wenn man erschrickt und durch das Erschrecken so beunruhigt wird, dass man bereit ist, sehr ärgerlich zu werden. Das Erschrecken war nicht falsch, aber es war sehr falsch, zornig zu werden. Daran siehst du, dass du in der Schwachheit der Sünde sehr nahe bist. Der Priesterdienst bewahrt mich vor der Sünde. Der Priesterdienst kümmert sich um meine Schwachheit. Bei Sara war es nicht falsch, dass sie ängstlich war, aber Sara erzählte eine Lüge, und das war falsch. Wenn man Kinder ängstigt, lügen sie. Deshalb sollte man das vermeiden. Ihre Schwachheit macht sie geneigt zu lügen. Doch ist das keine Entschuldigung für die Lüge. Ängstlichkeit ist Schwachheit. Eine Lüge ist keine Schwachheit, sondern Sünde.

Ich glaube, wenn du diesen Punkt erfasst, wirst du unendlichen Trost darin finden, das Priestertum Christi zu betrachten. Christus ist, da er das Ziel gesichert hat, in das Innere des Vorhangs hineingegangen, wohin er als Vorläufer für uns eingegangen ist, und Sein Dienst führt uns jetzt zu demselben Platz, wo er ist. In Johannes 14 sagt er: „Ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten.“ Und ferner: „Was irgend ihr bitten werdet in meinem Namen, das werde ich tun.“ Das ist das Maß seiner Kraft. Er sagt uns, dass seine Kraft keine Grenze hat, bis hinauf zu dem Platz, den er uns bereitet hat. Wenn du diesen Dienst verstehst, wirst du unabsehbaren Segen finden.

Wende dich nun der Schriftstelle zu, die ich vorgelesen habe. Da finden wir das Wort und den Priesterdienst. Das Wort bringt deine Beweggründe ans Licht. „Die Eröffnung deines Wortes erleuchtet.“ Ich bin ärgerlich, und dann entsteht die Frage, ob ich es rechtmäßig bin oder nicht. Man kann gerechterweise ärgerlich sein, zum Beispiel mit einem Mann, der auf ein Pferd einschlägt. Wenn er sich allerdings umdrehen würde und mich schlüge, so könnte es passieren, dass ich meine Beherrschung verliere und mich selbst verteidige. Nun, es ist die Aufgabe des Wortes, bloßzustellen und mich wachsam zu machen. Es durchdringt alles. Hier ist es nicht um wiederherzustellen, sondern um zu bewahren. In Johannes 13 geschieht das Wort zur Wiederherstellung. Hier ist es, um alles offenbar zu machen, es ist nichts vor ihm verborgen, es durchdringt alles bis in die Tiefen. „Alles ist bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben.“ Wenn du es also mit Prüfungen zu tun hast, wie sie den ganzen Tag über vorkommen, so kannst du niemals weiterkommen, wenn du Christi Mitgefühl nicht besitzest. Es hat eine wunderbare Wirkung auf dich. Möge Gott geben, dass wir es besser kennen. Wenn du die immerwährende Hilfe des Herrn Jesu Christi in all den kleinen Verdrießlichkeiten des täglichen Lebens bewusst erlebst, gewinnst du viel an geistlichem Wachstum. Das ist der wahre Grund, warum Prüfungen gut tun. Prüfungen als solche machen nicht sanft. Im Allgemeinen wirst du finden, dass die Menschen durch Prüfungen hart werden. Wenn ich aber Christi Gnade in den Prüfungen erfahre, so werde ich ein anderer Mensch, ich werde durch sie sanft und reife.

Ich betrachte jetzt den Unterschied zwischen dem Wort und dem Priestertum. Das Wort deckt meine Beweggründe auf – ob mich Gottes Ruhe beschäftigt. „Alles ist aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben.“ Es zeigte die ununterbrochene Herzensübung, die weitergeht, wenn wir im Licht wandeln. Und dann haben wir „einen großen Hohenpriester, der durch die Himmel gegangen ist, Jesus, den Sohn Gottes, so lasst uns das Bekenntnis festhalten. Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten, sondern der in allem versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde“.

Lasst uns nun betrachten, welches der Unterschied ist, ob wir Christus als Heiland kennen oder als Priester. Sieh 1. Samuel 17 und 18. Es ist so überraschend zu erforschen, wie wenig wir das Priestertum Christi kennen.

Wir wissen etwas vom Heiland. Jemand mag sagen, ihn als Heiland zu kennen sei größer, als ihn als Priester zu kennen. In gewisser Weise ist es größer, gewiss. Doch denke ich, dass ich dir zeigen werde, dass ich den Heiland erst wirklich zu schätzen beginne, wenn ich das Priestertum kennenlerne. Ich wende mich dieser Schriftstelle zu, weil du hier die Gesinnung eines Menschen siehst, der sich des Erretters freut. Du magst daran den Unterschied sehen zwischen der Zuneigung, die man hat, wenn man errettet ist, und der Zuneigung, die man hat, wenn man Christus als Priester kennengelernt hat. Hier ist David mit Goliaths Haupt in seiner Hand. Und Jonathan ist so überwältigt von dem, was David getan hatte, dass er ihn liebt wie seine eigene Seele und sich auszieht um Davids willen. Er hatte ein richtiges Bewusstsein von der Größe dessen, was David für ihn getan hatte, als er Goliath erschlug. Er hatte aber nicht gelernt, was Davids Gesellschaft war, denn sonst wäre er mit David gegangen und wäre fähig gewesen, all die Schwierigkeiten zu ertragen, die zwischen diesem Ereignis und Davids Regierung lagen. Ich spreche jetzt nicht davon, ob Jonathan Recht oder Unrecht auf seinem Weg tat, sondern nur davon, dass er nie die Wirkung von Davids Gesellschaft oder Priestertum lernte.

Ich lese jetzt Ruth 1,16: „Und Ruth sprach, dringe nicht in mich, dich zu verlassen, hinter dir weg umzukehren, denn wohin du gehst, will ich gehen, und wo du weilst, will ich weilen. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Ich lese dies als ein Beispiel dafür, welch ein großer Unterschied besteht zwischen demjenigen, der Christus als Heiland kennt, und dem, der ihn als Priester kennt. Ich benutze es natürlich nur als Beispiel. Ich möchte dir die Wirkung zeigen, die es auf dich hat, wenn du Christus hier als deinen Begleiter in deinen Prüfungen und Schwierigkeiten kennst. Er unterstützt dich in derselben Gnade, in der er wandelte. Ruth ist weiter als Jonathan. Ruth sagt: „Dringe nicht in mich, dich zu verlassen.“ Nun findest du, dass Jonathan David verlassen kann. Wenn ich Christus als Priester kennenlernen, kann ich nicht ohne ihn sein. Er ist meine Stütze. Ich habe einen unsichtbaren Freund. Er unterstützt mich so, wie er selbst den Weg gegangen ist. Ich brauche nicht einen neuen Weg für mich ausfindig zu machen, denn so wie er den Weg gegangen ist, unterstützt er mich. Und auf diese Weise wird mein Herz zu ihm hingezogen, wie das Kind durch die Mutterliebe mit der Mutter verbunden ist. Je mehr du diesen Dienst genießt, umso weniger kannst du ohne ihn auskommen. Daher konnte Paulus sagen: „Daher will ich am allerliebsten mich viel mehr meiner Schwachheit rühmen, auf dass die Kraft des Christus über mir wohne“ (2. Kor 12,9–10).

Wie entstand diese enge Zuneigung zwischen Ruth und Noomi? Gewisslich empfand Ruth in den Tagen ihrer Witwenschaft, dass Noomi ihr so unentbehrlich war, dass sie sie nicht missen konnte. „Dringe nicht in mich, dich zu verlassen.“ „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen.“ Diese besondere Zuneigung zu Christus ist zweifellos die große Wirkung davon, dass man ihn als Priester kennt.

Ich finde das wundervoll dargestellt im Leben des Herrn mit seinen Jüngern. Ich finde dort immer diese zwei Dinge verbunden, das Wort und sein Mitgefühl. Er war das Licht, das sie vor der Wirksamkeit ihres eigenen Willens schützte, während er sie andererseits leitete, alles in der richtigen Weise zu betrachten. So können wir verstehen, welche Öde für sie entstand, als er fortging. Sie vermissten nicht nur ihren Heiland, sondern es war der Verlust dessen, der wusste, wie man Gott gemäß auf jedem Schritt führt. Diese vollkommene Leitung verband sie so stark mit ihm. Und wir alle wissen, wie stark ein solcher Begleiter unsere Herzen beeindruckt. In Lukas 18,28 sagt Petrus zum Herrn: „Wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt.“ Der Herr antwortet: „Da ist niemand, der Haus oder Eltern oder Brüder oder Frau oder Kinder verlassen hat um des Reiches Gottes willen, der nicht Vielfältiges empfangen wird in dieser Zeit und in dem kommenden Zeitalter ewiges Leben.“ Und was gab er ihnen? Nur seine Begleitung! „Er wird Vielfältiges empfangen in dieser Zeit“.

Im Hebräerbrief werden wir als Einzelne betrachtet, die passend sind, Genossen des Herrn zu sein. Nichts wird dort von dem höchsten Punkt gesagt, nämlich dass wir mit ihm vereinigt sind. Ich sehe, dass all unsere persönliche Größe in vorausblickender Weise in Bezug auf die Vereinigung besteht, und so kommt es, dass wir passend sind für die Vereinigung. So wird es im Epheserbrief dargestellt. Ich meine, ich werde nicht passend gemacht durch die Vereinigung. Ich werde passend gemacht, weil ich von Christus bin. Wir sind „alle von einem“ –„begnadigt in dem Geliebten“ –, damit wir passend sein möchten, die Stellung von Gliedern Seines Leibes auszufüllen. Sein Dienst als Priester bringt etwas anderes hervor, nämlich Anhänglichkeit an ihn.

Nimm die Illustration eines Säuglings. Ein Säugling ist sich der Verwandtschaft mit seiner Mutter nicht bewusst, obwohl es die engste Verwandtschaft ist. Die Pflege verbindet das Kind mit der Mutter. Wir wissen, dass das Kind manchmal mehr an der Pflegerin hängt als an der Mutter, einfach weil es öfter auf dem Arm der Pflegerin war. Dies veranschaulicht Christi priesterlichen Dienst. Es ist ganz wunderbar, wenn du erkennst und fühlst, dass er „Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten“. Er kennt jeden Schatten einer Schwierigkeit auf deinem Wege und möchte dich da hindurchführen, nicht nach deinem Willen, sondern so wie er selbst hindurchgegangen ist, damit du seine Unterstützung darin haben mögest. Er weiß, was du darin fühlst und möchte, dass du dich so verhältst, wie er sich verhalten hat. Der Herr fühlte zum Beispiel die Vernachlässigung des Pharisäers, doch brachte er das nie zum Ausdruck. Er sagte nie ein Wort darüber, bis der Pharisäer die arme Sünderin angriff. Er sprach nicht, weil es ihn selbst betraf. Aber als der Pharisäer die arme Frau schmähte, da zeigte der Herr ihm den Unterschied zwischen ihm und ihr (Lukas 7).

Es ist sehr schwierig, bei der Besprechung eines solchen Themas eine ins Einzelne gehende Geschichte zu geben, weil die Geschichte eines jeden anders ist. Aber ich bitte dich sehr – und du wirst den Nutzen erkennen, wenn du es tust –, sobald eine Prüfung an dich herantritt, so frage dich (ich selbst habe das oft getan): Wie fühlt dies der Herr? Wenn mein eigener Wille am Werk ist, lerne ich weder sein Mitgefühl kennen, noch die Art und Weise, wie er sich verhielt. Viele blicken in ihren Schwierigkeiten zum Herrn auf, damit sie daraus erlöst werden, statt sein Mitgefühl darin zu erleben. Ich meine damit nicht, dass ich Seine Barmherzigkeit unterschätze. Ganz und gar nicht. Wenn ich erkältet bin, ist es eine Barmherzigkeit, wieder gesund zu werden. Ich bin erleichtert, sein Mitgefühl unterstützt mich, wenn ich leide. Wenn du in einem großen Unglück steckst, zum Beispiel im Gefängnis, und herauskommst, so ist das große Barmherzigkeit. Ich frage aber: Wie habe ich mich im Gefängnis und in der Trübsal benommen? Wenn du deine Gebete beobachtest, so wirst du finden, dass es im Allgemeinen dein Wunsch ist, aus der Schwierigkeit befreit zu werden. Aber es ist etwas Wunderbares, in der Schwierigkeit standzuhalten wie Christus, weil seine Gnade mir darin zuteilwird. Sobald es ihm gefällt, ist die Schwierigkeit behoben. Das ist Barmherzigkeit, wie Paulus sagt: „Gott hat sich über ihn erbarmt, nicht aber über ihn allein, sondern auch über mich“ (Philipper 2, 27).

Wir wollen jetzt einige Beispiele aus dem Leben des Herrn betrachten, die uns sein Mitgefühl vielleicht noch vollkommener erklären. Sieh Matthäus 8,23–26: „Und als er in das Schiff gestiegen war, folgten ihm seine Jünger. Und siehe, es erhob sich ein großes Ungestüm auf dem See, sodass das Schiff von den Wellen bedeckt wurde. Er aber schlief. Und die Jünger traten hinzu, weckten ihn auf und sprachen, Herr, rette uns, wir kommen um. Und er spricht zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam, Kleingläubige? Dann stand er auf und bedrohte die Winde und den See. Und es ward eine große Stille.“ Es ist lehrreich, ein Beispiel zu bekommen, denn wie ich zuvor sagte, musst du ihn in der Prüfung kennenlernen, und das ist wahrer Segen. Ich habe viele aus Prüfungen hervorgehen sehen, die nichts daraus gewonnen hatten, weil Prüfungen dich im Allgemeinen verhärten. Das Mitgefühl des Herrn in der Prüfung zu empfinden, macht dich zartfühlend und reif, und du empfindest, was der Herr dir in einer solchen Zeit ist. Das ist sein priesterlicher Dienst. Daher lautet die Frage nicht: Wie komme ich aus der Prüfung heraus, sondern wie bin ich darin?

Hier war ein Sturm, und sie waren alle ängstlich, und der Herr schlief. Es bedarf großer Nähe zum Herrn, um zu erkennen, wie er die Schwierigkeit ansieht, in der ich bin. Seine Ansicht entspricht immer meinem Bedürfnis. Er kann sagen: Ich habe das alles durchgemacht, ich bin in der Lage, dich völlig hindurchzubringen –denn er selbst ist völlig aus allem heraus. Hier ist nun ein Sturm, und er schlief. Die Jünger sind besorgt und wecken ihn, damit er sie durch seine Kraft errette. Wenn sie sein Mitgefühl gesucht hätten, würden sie gesagt haben: Wir wollen sehen, was er uns jetzt sein kann. Sieh nur, welche Wirkung diese Prüfung dann für sie gehabt haben würde! Gewiss, sie sind aus der Prüfung herausgekommen. Mancher ist aus einer Prüfung herausgekommen und hat nichts darin gelernt. Aber wie anders würde ihr Nutzen gewesen sein, wenn sie gesagt hätten: Er schläft und er ist über den Sturm erhaben. Du magst fragen: wie können wir das wissen? Nun, der Herr denkt immer an dich und verlässt und vergisst dich nie.

Nimm an, jemand beleidigt mich. Ich blicke zum Herrn auf, um zu lernen, wie er das aufnehmen würde. Ich sehe, was ich dabei empfinde, aber ich möchte sein Empfinden erkennen. Denn mit seinem Gefühl werde ich auch seine Gedanken haben. Er wird mich darin erhalten. 0, magst du sagen, das wäre ja dann eine immerwährende Übung! Gewiss, aber wird es nicht eine sehr erfreuliche Übung sein, ausfindig zu machen, was Christus dir ist? Sieh, wie dein Herz dann mit ihm verbunden werden würde! So wird die Anhänglichkeit größer. Anhänglichkeit besteht eigentlich, ehe die Vereinigung gekannt wird. Die Vereinigung ist der Höhepunkt der Anhänglichkeit. Jemand, der dem Herrn anhängt wie Ruth der Noomi, schätzt die Vereinigung mit ihm.

Nun wollen wir das Ende von Matthäus 17 betrachten, um zu sehen, wie der Herr sich in einem Notfall verhält, wenn eine ungerechte Forderung erhoben wird. „Die Einnehmer der Doppeldrachmen traten zu Petrus und sprachen: Zahlt euer Lehrer nicht die Doppeldrachmen? Er sagt: Ja. Und als er in das Haus eintrat, kam Jesus ihm zuvor und sprach: Was denkst du, Simon? Von wem erheben die Könige der Erde Zoll oder Steuer, von ihren Söhnen oder von den Fremden? Petrus sagt zu ihm: Von den Fremden.“ Fühlt ihr nicht, geliebte Freunde, dass der Herr euch ebenso wie seinen Jüngern einen wundervollen Einblick in sein Mitgefühl schenkt? Doch haben wir durch den Geist Gottes eine größere Möglichkeit, ihn zu erkennen und mit ihm zu wandeln, als sie sie hatten. Wie handelte er denn in diesem Fall? Er fand einen Ausweg, er sagt: „Damit wir ihnen aber kein Ärgernis geben, geh an den See, wirf eine Angel aus und nimm den ersten Fisch, der heraufkommt.“ Du bist im Notfall unvorbereitet. Er ist aber nicht unvorbereitet. Die Forderung war ungerecht, aber er war nicht ohne Hilfsquellen. Und wenn eine ungerechte Forderung unerwartet gegen dich erhoben würde, so kannst du auf sein Mitgefühl rechnen – er wird dir zeigen, dass er nicht ohne Hilfsquellen ist.

Wir wollen nun in Johannes 11 die vertraute Art betrachten, in der der Herr mit den Seinen wandelt. Wir alle sind mit Kummer vertraut. Hier sind zwei Schwestern, die unter dem gleichen Schmerz leiden, allerdings in sehr verschiedener Weise. Martha erfährt kein Mitgefühl. Der Herr spricht mit ihr und versucht, sie zurechtzuweisen, aber mehr im Sinn von Johannes 13. Sie ist ihm nicht untertan. Sie erlebt den gleichen Schmerz wie Maria, und sie wird schließlich befreit. Viele werden vom Schmerz befreit, aber das ist kein Mitgefühl. Der große Wert des Priestertums liegt darin, dass ich lerne, was der Herr mir in dem Kummer ist. Ich lerne ihn besser verstehen. Er wandelt mit Maria. Er macht ihr kund, was er ihr in dieser Öde sein kann. Die Öde war durch den Tod des Lazarus entstanden. Er benutzt diese Öde als Gelegenheit, um ihr zu zeigen, was er ihr sein kann – „ein Freund liebt zu aller Zeit, und als Bruder für die Drangsal wird er geboren“ (Sprüche 17,17) –, und er lässt sie fühlen, dass er den Verlust stärker empfindet als sie: „Er seufzte tief im Geist und erschütterte sich.“ Aber er sagt nie ein Wort von einer Auferweckung des Lazarus. Das würde sein Mitgefühl beeinträchtigt haben. Sein Mitgefühl macht ihr kund, wie er selbst sich diesen Umständen verhalten würde. Es ist richtig, den Verlust eines Bruders zu empfinden. Aber du musst in deinem Kummer dem Herrn unterwürfig sein, dann erfährst du die Ermunterung und die Hilfe seiner Gesellschaft darin. Sobald Maria hörte, dass Jesus sie rief, steht sie schnell auf und geht zu ihm und fällt zu seinen Füßen nieder. Sie hat ein Bewusstsein davon, wer er ist, und der Herr sagt: „Wo habt ihr ihn hingelegt?“ Er geht auf ihren Schmerz ein, um sie mit seinen eigenen Empfindungen darüber vertraut zu machen, sodass Maria aus dem Schmerz hervorkommt mit einer tieferen Erkenntnis von dem, was der Herr ist. Sie ist nicht von ihrem Schmerz befreit, aber sie ist getröstet durch den unaussprechlichen Nutzen, den sie erlangte – göttliche Empfindsamkeit in dem Schmerz. Es gibt nichts Größeres als dies. Ich habe einen Schmerz erlebt, und in dem Schmerz habe ich gelernt, wie der Herr ihn fühlen würde; ich habe seine Gnade darin erlangt. Der Schmerz hat mich besser vertraut gemacht mit dem Herzen, das der Herr für mich hat, und hat mir eine größere Erkenntnis seiner selbst vermittelt.

Wenn wir uns etwas hiermit beschäftigen, ist es leicht, Beispiele und Veranschaulichungen für sein Mitgefühl zu finden. Da ist eine Schriftstelle, bei der ich etwas verweilen muss, weil sie uns die Vollkommenheit zeigt, mit der Christus uns den ganzen Weg entlang aufrechthält. Ich lese Apostelgeschichte 7 (Schluss). In dem Fall des Stephanus sehen wir Christi augenblickliche Unterstützung wunderbar in kürzester Form vorgestellt: „Als er aber voll Heiligen Geistes unverwandt gen Himmel schaute, sah er die Herrlichkeit Gottes und Jesus.“ Das heißt, er sah den Ort, den ihm Christi Werk bereitet hatte – tatsächlich durchschritt er den Jordan. Ich bezweifle mein Recht auf den Platz nicht, aber ich muss dorthin gelangen. Unser gepriesener Herr, der den Weg gegangen ist, trägt uns durch alles hindurch den ganzen Weg entlang. Wir sehen hier zwei Dinge: Das Erste ist: Ich kann in der Kraft und Freude des Heiligen Geistes aus allem hier auf Erden hinaufsteigen zu dem ewigen Leben hin, wo Christus ist. Aber merke dir, dass, wenn du wirklich hinaufgetragen wirst, auch etwas anderes folgt, nämlich dass du es in der Kraft Christi hier angesichts des ganzen Widerstandes wieder aufnehmen kannst. Diese zwei Seiten sind nun in Stephanus vereint. Er sah Jesus, der alles für ihn getan hatte, und er sah den Platz, wo er ist. Er ist in das Innere des Vorhangs eingegangen, und wenn ich ihn dort sehe, habe ich ewiges Leben ergriffen.

Stephanus nimmt seinen Platz hier auf Erden wieder ein. Er erfährt die Erfüllung von Josua 3: „Hieran sollt ihr wissen, dass der lebendige Gott in eurer Mitte ist.“ Wie? Du weißt, dass die Wasser des Jordan abgeschnitten sind, dass da nichts zwischen dir und der Gegenwart Gottes steht, dass dort dein Heim ist. Und wenn du das weißt, kannst du sagen, dass du hier über jede Macht erhaben sein wirst. Merke dir die Worte: „Hieran sollt ihr wissen, dass der lebendige Gott in eurer Mitte ist.“ Wie? Stephanus ist über den Jordan hinüber im Geist, aber er kommt zurück als jemand, der den Jordan durchschritten hat, um zu beweisen, dass die Kraft Christi, die in die Herrlichkeit hinaufführte, ihn befähigen wird, Böses mit Gutem zu überwinden. Stephanus scheint mir hier zu lernen, dass Christus erhaben ist über alles, was auf der Seite des Menschen ist. Er wird getragen von der Kraft dessen, der in die Herrlichkeit aufgestiegen ist, und wird von ihm aufrechterhalten durch allen Widerstand hier auf der Erde hindurch, sodass er Böses mit Gutem überwindet. Wahre Kraft ist der Situation gewachsen. Die Umstände des Stephanus sind nicht die meinigen, und doch soll ich in der Lage sein zu sagen: „Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt.“

Ich brauche nicht mehr dazu zu sagen. Der Herr möge uns leiten, seine Gnade für uns selbst zu erfahren. Ich hoffe, dass ihr behalten möget, was ich zu Anfang sagte, denn ich glaube, dass die Seelen im Allgemeinen auf das Priestertum Christi nicht eingehen. Es wird als der Weg betrachtet, um Gott zu nahen, statt als Unterstützung von ihm, der durch sein Blut ein Recht für mich erworben hat, dort zu sein, wo er ist. Stephanus hat das veranschaulicht. Sowohl Johannes 14 als auch Matthäus 14 sind dir auf diese Weise bekannt. Du bist über die Umstände hier erhaben. Wenn dich morgen jemand ärgert oder ein Verdruss passiert, wirst du es ertragen? Wirst du Böses mit Gutem überwinden? Wirst du sagen: Ich bin sicher, dass die Kraft, die mich zu Christus in die Herrlichkeit bringt, die gleiche Kraft ist, die mich befähigt, über das Böse erhaben zu sein und es mit Gutem zu überwinden?

[Eingereicht von Stephan Keune]