Das so genannte Vaterunser wird oft gemeinsam von solchen, die sich Christen nennen, aufgesagt. Dass das Vaterunser vollkommen ist, braucht nicht betont zu werden. Aber ob es angemessen ist, dieses Gebet gemeinsam als Christen immer wieder aufzusagen, ist eine andere Sache. Ich bin aus der Schrift überzeugt, dass es nicht so ist und möchte deshalb dazu einige Punkte zu bedenken geben:

  • Das Vaterunser wird im Zusammenhang mit einem persönlichen Gebet (siehe Matthäus 6,6) und nicht mit einem gemeinsamen Gebet genannt.
  • In der Bergpredigt wendet sich der Herr in erster Linie an die Jünger, die aus dem Judentum kamen. Das darf man nicht außer Acht lassen. Typisch christliche Segnungen (ewiges Leben, Heiliger Geist, Versammlung) werden hier nicht einmal erwähnt.
  • Mit dem vorigen Punkt eng verbunden ist der Gedanke, dass formale Gebete zu einem Christen nicht passen. Er betet in der Freiheit und Kraft des Heiligen Geistes und im Namen des Herrn Jesus: „Und an jenem Tag werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Um was irgend ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, das wird er euch geben. Bis jetzt habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, und ihr werdet empfangen, damit eure Freude völlig sei“ (Joh 16,23.24).
  • Christen beten im Geist zuerst um das Kommen des Herrn Jesus zur Entrückung (Off 22,20) und nicht (nur) um die Aufrichtung des Friedensreiches.
  • Der Herr hat vor dem Vaterunser ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man nicht gedankenlos beten soll (Mt 6,7). Doch wird das nicht die Folge sein, wenn man immer und immer wieder das Vaterunser gemeinsam aufsagt, völlig unabhängig von der Situation?
  • Es gibt zwei Versionen des Vaterunsers (Mt 6,9–15 und Lk 11,2–4). Auch das spricht nicht dafür, dass man es gemeinsam aufsagen soll. Denn wenn die eine Hälfte sich an Lukas und die andere sich an Matthäus orientiert, dann gibt es ein Durcheinander und sich auf eine selbstgemachte „Mitte“ zu einigen, kann auch nicht der Weg sein.
  • Das Gebet ist natürlich auch nicht für Ungläubige bestimmt, sondern für solche, die dem Herrn nachfolgen und den Vater im Himmel kennen. Das erweist sich als Problem, wenn es von jedermann aufgesagt wird, der christliche Begriffe kennt.
  • In der Apostelgeschichte finden wir keinen Hinweis darauf, auch keine Andeutung, dass die ersten Christen das Vaterunser oder etwas Vergleichbares gesprochen haben.
  • In den neutestamentlichen Briefen finden wir auch keinerlei Rückbezug zu dem Vaterunser.
  • Das Vaterunser hat auch keinen „richtigen Abschluss“. Das hat dann dazu geführt, dass spätere Abschreiber noch eine Hinzufügung zu dem ursprünglichen Text vorgenommen haben, der auch meistens mit aufgesagt wird (“Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen“). Aber so ist es offenbar ursprünglich eben nicht formuliert worden.