Der große Versöhnungstag nimmt das ganze 16. Kapitel des dritten Buches Mose ein. Wir sehen ihn in Verbindung mit den Festen des HERRN in Kapitel 23, 26–32. Aber er steht auch für sich da, denn der HERR gab aufgrund seiner eigenständigen Bedeutung eine besondere Offenbarung mit ausführlichen Einzelheiten, und seine zentrale Bedeutung im dritten Buch Mose entspricht seiner zentralen Position in den Wegen Gottes. Wir sehen, wie er das Werk Christi vorschattet, von dem alle Segnungen sowohl für eine verlorene Welt als auch für ein Volk abhängen, ob es um Juden oder Griechen oder die Versammlung Gottes, um Erde oder Himmel, um Zeit oder Ewigkeit geht.

Nachdem wir bereits versucht haben das 16. Kapitel selbst zu erklären, wenn das auch nur unzureichend aber zumindest in Einfachheit und zum praktischen Nutzen geschehen ist, möchte ich mich jetzt den folgenden Kapiteln bis Kapitel 23 zuwenden, die sicher einer gesonderten wenn auch kürzeren Betrachtung bedürfen. Jedes dieser sechs Kapitel widmet sich von Gott gegebenen Anordnungen, die die Priester sowie das Volk vor Verunreinigungen bewahren sollten, denen sie ausgesetzt waren. Es geht hier weder um die Opfer, die wir in den ersten sieben Kapiteln betrachtet haben, noch um die rechtmäßige Einrichtung sowie das Versagen des Priestertums, wie in den Kapiteln 8 bis 10. Es geht auch nicht um die Erfüllung ihrer Pflichten in Bezug auf bestimmte Nahrungsmittel oder natürliche Verunreinigungen und Reinigungsriten (Kapitel 11–15), einschließlich des großen Versöhnungstages (Kapitel 16). Hier geht es darum, Priester und Volk vor anderen Verunreinigungen zu bewahren.

„Und der HERR redete zu Mose und sprach: Rede zu Aaron und zu seinen Söhnen und zu allen Kindern Israel und sprich zu ihnen: Dies ist es, was der HERR geboten und gesagt hat: Jedermann vom Haus Israel, der ein Rind oder ein Schaf oder eine Ziege im Lager schlachtet oder der außerhalb des Lagers schlachtet und es nicht an den Eingang des Zeltes der Zusammenkunft gebracht hat, um es dem HERRN als Opfergabe darzubringen vor der Wohnung des HERRN, diesem Mann soll Blut zugerechnet werden: Blut hat er vergossen, und dieser Mann soll ausgerottet werden aus der Mitte seines Volkes; damit die Kinder Israel ihre Schlachtopfer bringen, die sie auf freiem Feld schlachten, dass sie sie dem HERRN bringen an den Eingang des Zeltes der Zusammenkunft zum Priester und sie als Friedensopfer dem HERRN schlachten. Und der Priester soll das Blut an den Altar des HERRN sprengen vor dem Eingang des Zeltes der Zusammenkunft und das Fett räuchern zum lieblichen Geruch dem HERRN. Und sie sollen ihre Schlachtopfer nicht mehr den Dämonen schlachten, denen sie nachhuren. Das soll ihnen eine ewige Satzung sein bei ihren Geschlechtern.  Und du sollst zu ihnen sagen: Jedermann vom Haus Israel und von den Fremden, die in ihrer Mitte weilen, der ein Brandopfer oder Schlachtopfer opfert und es nicht an den Eingang des Zeltes der Zusammenkunft bringt, um es dem HERRN zu opfern, dieser Mann soll ausgerottet werden aus seinen Völkern“ (3. Mose 17,1–9).

Als Gott die Welt nach der Flut in den neuen Zustand der verantwortlichen Regierung unter der Hand des Menschen versetzte, ging dem ein Opfer voraus. Und der köstliche Duft dieses Opfers war so annehmlich, dass der HERR sich in seinem Herzen vornahm: „Nicht mehr will ich fortan den Erdboden verfluchen um des Menschen willen; denn das Sinnen des menschlichen Herzens ist böse von seiner Jugend an“ (1. Mose 8,21). Die Bosheit des Menschen ist für ihn, den unwandelbaren Gott, eine Gelegenheit, seine Gnade zu zeigen, indem er das Böse des Menschen benutzt, um zu zeigen, was er in sich selbst ist, etwas an sich Unbegreifliches, nicht jedoch für den Glauben. Daraufhin legt Gott fest, dass das Leben ihm gehört, und der Mensch wird verpflichtet, diesen Besitzanspruch dadurch anzuerkennen, dass er kein Blut isst. Dieser Grundsatz wird von den Aposteln, Ältesten und Brüdern in Jerusalem bei jenem großen Treffen bestätigt, bei dem sie die Freiheit der Gläubigen aus den Nationen verteidigten, auf der Einschränkung unter Noah aber bestanden. 

Hier handelt Gott jedoch nicht mit der Menschheit im Allgemeinen, sondern hier belehrt der HERR seine Priester und sein Volk über ihre besondere Beziehung zu ihm. Es sind Dinge, die der HERR jedem aus dem Haus Israel gebot und sonst niemandem, und Dinge, die ihnen für die Wüstenzeit auferlegt wurden. Jeder, der ein Tier außerhalb des Lagers schlachtete, um sich davon zu ernähren, musste es als eine Opfergabe dem HERRN zum Eingang des Zeltes der Zusammenkunft bringen. Wenn er es nicht tat, lud er eine Blutschuld auf sich. Und weil er das Blut vergoss, ohne den HERRN anzuerkennen, war sein Leben verwirkt. „Dieser Mann soll ausgerottet werden aus der Mitte seines Volkes“. Wer solches tat, verließ den HERRN und leugnete die Grundlage, auf der er vor dem HERRN stand. Wenn er tierische Nahrung zu sich nahm, war er verpflichtet, das anzuerkennen, was die Heiden, die Gott nicht kennen, vergessen hatten – dass das Leben dem HERRN gehört. Der HERR verlangte das Bekenntnis dieser Wahrheit bei jeder Gelegenheit, bei der jemand das Fleisch eines Tieres als Nahrung benutzte. Und nicht nur das, sondern Er verlangte auch, dass es feierlich vor Seiner Wohnung geschehen sollte. Obwohl es zur Speise war, war es ihre Pflicht es dem HERRN und dem Priester als Opfergabe zu bringen. Natürlich nicht als ein Sündopfer, sondern als ein Ausdruck der Gemeinschaft mit ihm, als Friedensopfer dem HERRN

Auf der anderen Seite durfte auch der Priester nicht versäumen das Blut am Altar des HERRN an die vorgesehene Stelle zu sprengen und das Fett als duftenden Wohlgeruch vor dem HERRN zu räuchern. Deswegen war die gottlose und eigenwillige Bosheit der Söhne Elis zu späterer Zeit im Land nicht nur unmoralisch, sondern eine Missachtung des Gesetzes, nämlich der formalen Opfer und dessen, was ausschließlich dem HERRN zustand (1. Sam 2,12–25). So wie das Volk seine Aufgabe nicht als lästig betrachten sollte, sondern als ein Vorrecht, das sie als Volk Gottes hatten, waren die Priester dazu aufgerufen, mit Freude das Blut zu sprengen und das Fett auf dem Altar zu räuchern. Wie angemessen war das für ihn! Wie gut und nützlich war es für sein Volk! 

Außerdem diente es als Schutz vor Götzendienst. Es ist solch eine tief verwurzelte Versuchung für den Menschen, sich fremden Göttern zuzuwenden, dass es dem HERRN gerade hier gefällt, die Gefahr für sein irrendes Volk aufzuzeigen. „Und sie sollen ihre Schlachtopfer nicht mehr den Dämonen schlachten, denen sie nachhuren. Das soll ihnen eine ewige Satzung sein bei ihren Geschlechtern“ (3. Mose 17,7). Da wir als Christen jetzt in dem vollkommenen Opfer Christi ruhen, dürfen und sollen wir, ob wir essen oder trinken oder was immer wir auch tun, alles zur Herrlichkeit Gottes, alles „im Namen des Herrn Jesus, danksagend Gott, dem Vater durch ihn“ tun (Kol 3,17). Das geschieht nicht nur im Darbringen von Opfern des Lobes zu Gott, sondern auch darin, das Wohltun und Mitteilen (d. h. unsere Güter mit anderen zu teilen) nicht zu vergessen, denn an solchen Opfern hat Gott Wohlgefallen (Heb 13,15–16).

Die Verse 8 und 9 schließen auch die Fremden mit ein, die sich in der Mitte Israels aufhielten und verurteilen das Opfern von Brandopfern und Schlachtopfern außerhalb des göttlich bestimmten Platz des Zusammenkommens mit dem HERRN. Wie schade um jeden, der bekennt, den HERRN mit einem Opfer anzuerkennen, aber gleichzeitig seine Güte missachtet, die einen – und nur einen – Platz vorgegeben hat, an dem man Zugang zu Ihm haben kann! Wie emsig und gerissen ist der unsichtbare Feind in jedem Bereich und nicht zuletzt auch in der scheinbaren Anbetung Gottes, um den guten, wohlgefälligen und vollkommenen Willen Gottes verächtlich zu machen! So war es in Israel damals und so ist es immer gewesen, auch – und das mit nicht geringerem Erfolg – in der Versammlung, fast vom ersten Tag an bis heute.

Wenn der HERR bereits damals eindringlich auf der nur undeutlichen und weitläufigen Einheit der auserwählten Nation bestand, als Er sie ins verheißene Land brachte und ganz besonders als der Tempel errichtet wurde, wie viel mehr besteht Er dann im Johannesevangelium auf der Einheit der Familie Gottes und in den Briefen des Apostels Paulus auf der Einheit des einen Leibes (der Versammlung). Und wie traurig und demütigend ist es, wenn sich Christen ihrer Vorrechte und Verantwortlichkeiten entziehen, indem sie fragen, ob sie für die Errettung nötig seien. Es geht um den Willen Gottes und die Herrlichkeit Christi. Sollte jemand, für den Gott seinen Sohn gab, und den er durch seinen Geist zum Gehorsam geheiligt hat (1. Pet 1,2), das als etwas Nebensächliches ansehen? Ist nicht der Eigenwille wie Abgötterei (1. Sam 15,23)? Und ist es nicht alles umso schlimmer, weil Gott uns solch eine gewaltige Gnade erwiesen hat? Wenn wir aus ihm geboren und damit seine Kinder, ja seine Söhne durch den Glauben an Christus sind, dann geziemt es sich für uns, es nicht als Bürde anzusehen, wenn Er an unsere Unterwürfigkeit appelliert. Erinnern wir uns daran, dass wir so, wie wir bereits durch die Gabe des Heiligen Geistes in den Besitz unserer persönlichen Beziehung zu Gott gelangt sind, ebenso in den einen Leib Christi gebracht worden sind. Gestatten wir dem Glauben, der durch die Liebe wirkt, sich nach diesen Dingen als lebendigen und gegenwärtigen Realitäten zu richten. Gott hat uns an unseren jeweiligen Platz in der Versammlung gestellt. Unsere Verantwortung ist es, dies mit Danksagung anzuerkennen und dementsprechend ohne Furcht oder zweifelnde Überlegungen zu handeln. „Dessen (Gottes) Haus wir sind, wenn wir nämlich die Freimütigkeit und den Ruhm der Hoffnung bis zum Ende standhaft festhalten“ (Heb 3,6).

[Übersetzt von Stephan Keune]