Die Lebensbeschreibungen der Patriarchen in 1. Mose sind sehr wertvoll für uns, da sie Gottes Wege der Gnade und Regierung mit Menschen veranschaulichen, die von gleichen Gemütsbewegungen waren wie wir. Zwei von ihnen sind, was diesen Gesichtspunkt angeht, weit weniger von Interesse als die anderen, nämlich Isaak und Joseph. Dennoch sind es gerade diese zwei, die als Vorbilder von Christus hervorstechen; und der Heilige Geist verfolgt mit dem Bericht über ihre Geschichte offenbar hauptsächlich das Ziel, ein Vorbild von Christus in seinen Leiden und in Seiner Herrlichkeit zu geben und nicht so sehr, Gottes Wege mit Seinem Volk zu veranschaulichen.

Isaak wird der „einzige” Sohn Abrahams genannt, denn Ismael, der Sohn nach dem Fleisch, zählte nicht. Joseph war der geliebte Sohn seines Vaters. „Und Israel hatte Joseph lieber als alle seine Söhne“ (1. Mose 37,3). Die Einzelheiten, die wir von Isaaks Leben wissen, betreffen hauptsächlich die Ereignisse, in denen wir Hinweise auf Christus, den auserwählten Nachkommen, finden, auf Seinen Tod und Seine Auferstehung und auf die Art und Weise, wie für Ihn, den Auferstandenen, eine Braut aus seiner eigenen Verwandtschaft gefunden wird (1. Mose 22 und 24). Von Joseph kennen wir viel mehr Einzelheiten als von Isaak, und alle scheinen dazu bestimmt, zu zeigen, wie der Eine, der von Seinen Brüdern nach dem Fleisch verstoßen und verkauft und sogar von den Heiden erniedrigt wurde, auf einen Platz absoluter Herrschaft über sie erhoben werden wird, um nicht nur der Versorger seiner Brüder, sondern auch der Retter der Welt zu werden.

In 1. Mose 37 sehen wir Joseph als den Verworfenen seiner Brüder. Er leidet passiv. In 1. Mose 39 finden wir ihn in Ägypten und dort beginnt seine aktive Zeit. Zuerst ist er im verhältnismäßig kleinen und abgeschiedenen Bereich von Potiphars Haus und Besitz aktiv, und sofort zeigt er sich als ein geschickter und fähiger Mann, sodass sein Herr, der in ihm einen Schatz gefunden hat, alles, was er hat, seiner Verwaltung anvertraut. Der Bericht lautet: „Und sein Herr sah, … dass der HERR alles was er tat in seiner Hand gelingen ließ … und er bestellte ihn über sein Haus, und alles was er hatte gab er in seine Hand. … Und er überließ alles was er hatte der Hand Josephs und kümmerte sich um gar nichts bei ihm, außer um das Brot, das er aß.“

Joseph war erniedrigt und ungekannt, und doch konnten seine Fähigkeiten nicht verborgen bleiben. Das Geschick seiner Hände war derart, dass ihm alles wie von selbst zufiel und er der Aufseher oder Verwalter wurde. Alles in Potiphars Haus geschah nach seinen Anweisungen.

Es ist nicht schwierig, eine Analogie zwischen diesen Dingen und dem zu erkennen, was unseren Herrn Jesus Christus kennzeichnete, als er in Niedrigkeit unter den Menschen erschien. Er trat in unsere kleine, begrenzte Welt als Ungekannter ein. Sein öffentlicher Dienst begann erst, als seine Kraft offenkundig wurde. „Er konnte nicht verborgen sein“ (Mk 7,24), und wohin Er ging, erwies Er sich als Herr der Situation, und die Dinge fielen Ihm wie von selbst in die Hände. Die Evangelien berichten davon, besonders das Markus-Evangelium.

Im Falle Josephs wird es hervorgehoben, dass er durch den Segen des HERRN das war, was er war (1. Mose 39,3+5) und wenn der Segen des HERRN auf Potiphars Haus kam, war es „um Josephs willen“. So war es auch bei dem Herrn Jesus. Er „ging umher, wohltuend … denn Gott war mit Ihm“ (Apg 10,38), und der Segen des Herrn wurde unter den Menschen sichtbar wie nie zuvor: Heilung, Befreiung von aller Art des Übels und geistliches Leben kam zu ihnen, aber es war „um Jesus willen“. Es ist bemerkenswert, dass, obwohl die ganze Laufbahn Josephs von Gottes Segen geprägt war, es doch an einem Punkt erwähnt wird, wo er noch versklavt und ungekannt ist, und das nicht nur einmal, sondern dreimal. Im Fall des Herrn Jesus hatten Sein Auftrag und Sein Werk, während der Zeit seines niedrigen Dienstes in der begrenzten Sphäre dieser Welt, den Anschein des Scheiterns. Genau in dieser Situation musste Er mit den Worten des Propheten sagen: „Umsonst habe ich mich abgemüht, vergeblich und für nichts meine Kraft verzehrt; doch mein Recht ist bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott“ (Jes 49,4). Doch der HERR hatte gerade vorher gesagt: „Du bist mein Knecht, … an dem ich mich verherrlichen werde.“

Die Karriere Josephs in Potiphars Haus wurde trotz des Segens, von dem sie begleitet war und trotz der körperlichen Vollkommenheit, die ihn prägte – es heißt: „Und Joseph war schön von Gestalt und schön von Angesicht“ (1. Mo 39,6) – plötzlich beendet und als Opfer einer falschen Beschuldigung wurde er ins Gefängnis geworfen. Das Ende von 1. Mose 39 berichtet uns von dem Ergebnis dieser anscheinend verhängnisvollen Wendung. „Und der HERR war mit Joseph … und der Oberste der Feste übergab alle Gefangenen, die in der Feste waren, der Hand Josephs; und alles was daselbst zu tun war, das tat er.“

Joseph war einfach unwiderstehlich! Als Sklave wurde er das Faktotum im Haus seines Meisters. Als Gefangener in „Eisen“, „seine Füße in den Stock“ gepresst (Ps 105,18), fielen ihm erneut alle Dinge in die Hände. Der gekettete Gefangene wird der Vorsteher des Gefängnisses. Der offizielle Wächter des Gefängnisses fand in ihm einen solchen Schatz, dass er ihm alle Vollmachten gab; er „sah nicht nach dem Geringsten, das unter seiner Hand war, weil der HERR mit ihm war; und was er tat ließ der HERR gelingen.“

Wir schauen von Joseph weg auf Den, den er vorbildete und unsere Herzen werden zur Anbetung geführt. Auch die Laufbahn des Dienstes unseres Herrn Jesus Christus wurde verkürzt. Als Opfer falscher Anklagen, ging Er in das Gefängnis des Todes, und es schien, als ob die Fesseln des Todes Ihn fest im Griff hätten. Doch Er ging in Tod und Grab, um sich wieder einmal als Herr der Situation zu erweisen. Statt von ihnen versklavt zu werden, überwand er sie. Die Schlüssel des Todes und des Hades gelangten in Seine Hände. Er führte die Gefangenschaft gefangen, wenn dieses auch erst verkündet wurde, als Er in den Himmel auffuhr. Wir können wirklich sagen: Was auch immer an diesem düsteren Ort zu tun war, „das tat Er“! Alle Seelen dort gelangten in Seine Hände. „Denn hierzu ist Christus gestorben …, damit er herrsche … über Tote.“ (Röm 14, 9). Er hat seine Macht am niedrigsten und dunkelsten Ort unter Beweis gestellt.

Wenn wir zu Joseph zurückkehren, lernen wir, wie Gott Ihn zu Seiner Zeit öffentlich rechtfertigte. Seine Fähigkeiten konnten nicht dauerhaft verborgen bleiben, und in dem Augenblick, wo alle Mächtigen und Weisen Ägyptens zugleich in Schwierigkeiten kamen und verwirrt und hilflos waren, erwies er sich vor dem Pharao, sowohl als weiser als auch als fähiger Mann. Er wusste, was bevorstand; er wusste, was zu tun war und er war der Mann, der es tun konnte. Was auf Ihn in der Verborgenheit und sogar in der Erniedrigung zutraf, das traf auch jetzt in seiner Erhöhung zu. Alles im weiten Herrschaftsgebiet Ägyptens gelangte in seine Hände, „und der Pharao sprach zu Joseph: Siehe, ich habe dich über das ganze Land Ägypten gesetzt. Und der Pharao nahm seinen Siegelring von seiner Hand und tat ihn an die Hand Josephs“ (1. Mo 41,41–42).

Joseph hatte jetzt den Zenit seines Ruhmes erreicht. Nach seinem Wort wurde ganz Ägypten regiert, und vor ihm musste sich jedes Knie beugen. Der Pharao „setzte ihn zum Herrn über sein Haus, und zum Herrscher über all sein Besitztum. Um seine Fürsten zu fesseln nach seiner Lust, und dass er seine Ältesten Weisheit lehre“ (Ps 105,21–22). Seine Herrschaft war also absolut, nur dem König und seinem Thron unterstellt, an seiner Hand glänzte der Siegelring der Autorität und es wurde erneut wahr: „und alles was daselbst zu tun war, das tat er.“ Er übte die vollziehende Gewalt des Königreiches aus, und brachte alle Dinge im Reich unter die Kontrolle des Pharao, wie 1. Mose 47,13–26 zeigt.  

Wie bemerkenswert deutet alles dieses die kommende Herrlichkeit Christi an. Er ist erhoben und erhöht und schon jetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe verherrlicht, aber es ist noch eine verborgene Sache, die der Welt unbekannt ist. Die Stunde seiner öffentlichen Herrlichkeit nähert sich, wenn er als der große Verwalter der Dinge Gottes in diese Welt kommt. Ihm wird alles Gericht übergeben; Er trägt sozusagen den Siegelring an seiner Hand, und nichts wird ohne Ihn vollzogen; das Ergebnis von all diesem wird sein, dass Ihm alle Dinge unterworfen sein werden, damit schließlich Gott alles in allem sein kann. Dann wird sich ein weiteres Wort aus Jesaja 49 erfüllen: „So spricht der HERR, der Erlöser Israels, sein Heiliger, zu dem von jedermann Verachteten, zu dem Abscheu der Nation, zu dem Knechte der Herrscher: Könige werden es sehen und aufstehen, Fürsten, und sie werden sich niederwerfen, um des HERRN willen, der treu ist, des Heiligen Israels, der dich erwählt hat.“

Auch wenn sich der Tag der Herrlichkeit Christi noch zu verzögern scheint, warten wir doch mit Ausharren. Es ist der feste Ratschluss Gottes. Der Aufstieg und die Herrlichkeit Josephs schienen sich auch lange zu verzögern. Alles sah nach Versagen und Dunkelheit aus, „bis zur Zeit, da sein Wort eintraf; das Wort des HERRN läuterte ihn“ (Ps 105,19). Er machte einen gewaltigen Sprung aus dem Gefängnis auf den Thron. Seine mächtigen Hände führten den Herrscherstab. Alles war von Gott, denn „sein Bogen bleibt fest, und gelenkig (o. stark) sind die Arme, durch die Hände des Mächtigen Jakobs“, wie Jakob es in dem prophetischen Segen für seine Söhne ausdrückt (1. Mo 49,24). Wir erwarten Christus mit einer doppelten Gewissheit, denn wir kennen Ihn auch in Seiner gegenwärtigen, noch verborgenen Herrlichkeit zur Rechten des Vaters. Und während wir warten, können wir uns freuen.

[Übersetzt von Marco Leßmann]