Frage: Warum singen wir in unseren Zusammenkünften keine Psalmen aus dem Alten Testament?

Antwort: Wenn der Apostel Paulus in Epheser 5,19 schreibt: „Redend zueinander in Psalmen und Lobliedern und geistlichen Liedern, singend und spielend dem Herrn in euren Herzen“ (vgl. 1. Kor 14,25; Kol 3,16), dann meint er nicht die Psalmen des Alten Testaments, sondern christliche Lieder, die dem Geist des Christentums entspringen und entsprechen. Das ist aufgrund der nachstehenden Überlegungen auch sicherlich zu verstehen.

Das griechische Wort psalmos, von dem das deutsche Psalm herrührt, bedeutet ursprünglich das Anschlagen einer Saite, dann aber auch das Musizieren und Singen. In der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta, wurde psalmos zur Wiedergabe des hebräischen mismor gebraucht, das „Gesang oder Lied mit Musikbegleitung“ bedeutet. Dieses griechische Wort wurde später durch die vielen Bibelübersetzungen in nahezu alle Sprachen übernommen. Wenn wir heute das Wort Psalm hören, denken wir daher zunächst an die alttestamentlichen Psalmen. Wir vergessen dabei aber, dass das Wort psalmos/Psalm ganz allgemein „Lied“ bedeuten kann.

Worin besteht nun der Unterschied zwischen den Psalmen des Alten Testaments und den neutestamentlichen Psalmen, d.h. christlichen Glaubensliedern, von denen Paulus in den oben angeführten Schriftstellen spricht?

Das Buch der Psalmen besteht aus Liedern von Gläubigen der Zeit des Alten Testaments, die zu Gottes irdischem Volk Israel gehörten. Diesem Volk hatte Gott irdische Segnungen verheißen, und es hatte mit irdischen Feinden zu kämpfen. Deshalb wird in verschiedenen Psalmen Gott um Rache angerufen (Ps 79,10; 94,1), ein Gedanke, der in der jetzigen Gnadenzeit ganz fehl am Platz wäre. Zwar sprechen die Psalmdichter nicht nur von dieser irdischen Sicht, sondern auch von ihrem gläubigen Vertrauen auf Gott und ihrer Hoffnung für die Ewigkeit. Aber diese Gläubigen kannten noch nicht das vollbrachte Erlösungswerk des Herrn Jesus am Kreuz von Golgatha. Sie wussten nichts von der wunderbaren Stellung und den geistlichen Segnungen, die wir heute als Kinder Gottes durch den Glauben an das ganze offenbarte Wort Gottes besitzen und genießen dürfen:

- die vollkommene Erlösung von unseren Sünden und die Befreiung von der Macht der Sünde;

- die Innewohnung des Heiligen Geistes in jedem Erretteten;

- die Zugehörigkeit zu dem Leib Christi, der Versammlung des lebendigen Gottes;

- die baldige Wiederkunft Christi zur Heimholung der Seinigen ins Vaterhaus.

Aber nicht nur diese herrlichen Wahrheiten und Glaubenstatsachen fehlen in den Psalmen, sondern auch der jedem Kinde Gottes so wertvolle Name unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus!

Mit anderen Worten gesagt: Alles, was den wahren christlichen Glauben kennzeichnet, ist in den Psalmen des Alten Testaments nicht enthalten. Es wurde erst offenbart, nachdem der Herr Jesus Sein Werk der Erlösung am Kreuz vollbracht hatte. Wenn wir den Unterschied zwischen dem Verhältnis der Gläubigen zu Gott im Zeitalter des Gesetzes und der Stellung der erlösten Christen heute verstehen, dann erkennen wir auch, warum die Psalmen des Alten Testaments grundsätzlich nicht der Ausdruck der Anbetung, des Dankes und der Bitte von Christen sind.

In den Höhen und Tiefen ihres tagtäglichen Glaubenslebens und ihres praktischen Verhältnisses zu ihrem Gott haben die Psalmdichter jedoch manche Erfahrungen gemacht, die auch der Christ versteht. Viele Psalmworte enthalten auch für uns heute göttlichen Trost. Deshalb sprechen uns manche Psalmen, wie z.B. Psalm 23; 63 und 73 besonders stark an. Das Lied 12 in der „Kleinen Sammlung geistlicher Lieder“ ist eine fast vollständige Wiedergabe von Psalm 23, die wir mit freudigem und getrostem Herzen singen können. Aber solche Lieder bleiben doch Ausnahmen.

Schließlich sei noch bemerkt, dass in verschiedenen Psalmen prophetisch von den Leiden, dem Tod und der Verherrlichung Christi die Rede ist, z.B. in Psalm 2; 22; 40; 45; 69. Wenn solche Schriftstellen am Tisch des Herrn vorgelesen werden, werden die Herzen der Versammelten zur Anbetung geführt, und doch könnten gerade diese Psalmen nicht von uns gesungen werden.