„Jesus vergoss Tränen“ (Joh 11,35).

Dies ist einer der kürzesten, aber auch inhaltsreichsten Sätze der Heiligen Schrift. Auf zwei Dinge möchten wir in Verbindung mit diesem Vers hinweisen – auf den Wechsel im Ausdruck und auf die Spontaneität des geschilderten Vorgangs.

Wenn von dem Weinen der Maria und der Juden die Rede ist (Johannes 11,31.33), benutzt der Heilige Geist [im griech. Grundtext] den Ausdruck klaio, der immer dann verwendet wird, wenn ein lauter, hörbarer Ausdruck des Schmerzes gemeint ist. So weinte auch Petrus im Hof des Hohenpriesters (laut und) bitterlich (Mt 26,75). Wenn dagegen der Schreiber den Schmerz des Herrn über die Folgen der Sünde und Sein tiefes Mitempfinden mit den Seinigen in ihrer Trauer ausdrücken will, benutzt Er einen Ausdruck, der im Neuen Testament nur hier vorkommt und nur vom Herrn Jesus gebraucht wird, ein Wort, das direkt von „Träne“ abgeleitet ist: Er „vergoss Tränen“. Es war ein stilles Weinen. Zudem verwendet Er zur Schilderung des Schmerzes unseres Herrn eine Verbform, die man Ingressiven Aorist nennt und die das Zustandekommen eines Zustandes oder den Beginn einer Tätigkeit beschreibt. So wird vor unseren Augen ein zutiefst bewegender Vorgang dargestellt, den wir mit diesen Worten wiedergeben können: „Jesus brach in Tränen aus.“

Bedenken wir es! Er, der angesichts des Schmerzes der Seinigen „in Tränen ausbrechen“ konnte, dieser Heiland hat sich nicht verändert, Seine göttlich vollkommene Liebe ist auch heute noch zu gleichem Mitleid fähig und bereit wie damals, als Er in Bethanien war. Wie ergreifend auch die zweite und letzte Stelle, wo uns berichtet wird, dass der Herr Jesus geweint habe! „Und als er sich näherte und die Stadt sah, weinte er über sie“ (Lk 19,41). Auch hier wird dieselbe Verbform wie oben, dazu aber das erste Wort (klaio) benutzt, so dass dies der Sinn dieser Stelle ist: „Er brach (hörbar) in Weinen über sie aus.“ Was waren das für Tränen! So kostbar wie es jene waren, die der „Mann der Schmerzen“ am Grabe seines Freundes Lazarus vergoß, nicht minder kostbar waren es diese, die plötzlich aus Ihm hervorbrachen, als Er, Jerusalem erblickend, an das Gericht jener denken musste, deren Herzen härter waren als die Straßen der geliebten Stadt.