Wie betrachtest du das Leben?

Das ist eine Frage, die ich allen meinen Mitchristen stellen sollte. Das Lesen eines kurzen Artikels in einer weltlichen Zeitschrift hat mich auf diese Frage gebracht.

Die Zeitschrift – „Elder’s Review”, die vierteljährlich von einer Schifffahrtsgesellschaft herausgegeben wird und westafrikanische Themen behandelt – wurde mir von einem Freund zugesandt, dem sie aus beruflichen Gründen in die Hände gelangt war. Er bat mich, einen kurzen dreispaltigen Artikel zu lesen, den der Herausgeber genau in die Mitte gesetzt hatte. Ich öffnete die Zeitschrift und las den Artikel „Wie ich das Leben betrachte“, von Lord Beaverbrook (siehe Anmerkung unten).

Der Herausgeber bemerkt in der kurzen Einleitung, dass kaum ein Mensch unserer Tage, sowohl was Wohlstand als auch was Einfluss angeht, eine solch romantische Karriere gemacht hat wie der Autor. Seiner Meinung nach gibt der Artikel für solche, die an der Schwelle ihrer Karriere stehen, und auch für Ältere, reichlich Anlass zum Nachdenken. Dem müssen wir unbedingt zustimmen.

Lord Beaverbrook stellt heraus: „Es hängt so viel von der Ausrichtung des Denkens in jungen Jahren ab, dass wir unsere frühesten wichtigen Entscheidungen nie vollständig rückgängig machen können.“ Er fährt fort, sein eigenes Leben als Beispiel zu nehmen und erzählt, wie er in Kanada geboren wurde, wo die Preise höher waren als in England. Sein Vater war ein presbyterianischer Prediger mit einem Jahreseinkommen von nur 200 bis 300 Pfund, womit er sich bemühte, die zwölfköpfige Familie durchzubringen. „Wir waren folglich schrecklich arm“, schreibt er, „und so erschien mir das Leben als das Bedürfnis, der Armut zu entkommen.“

Verständlicherweise strebte er also nach Bildung als dem Rüstzeug, das ihn fähig machen würde, ein besseres Leben zu führen, denn er war, wie er sagt, „so schockiert von der Atmosphäre der Armut, die zuhause vorherrschte“, dass er, als er in die Welt ging, „vor allem eins haben wollte: Geld.“ Er verwandte daher seine ganze jugendliche Energie darauf, Geld zu machen, mit dem Ergebnis, dass er binnen kurzer Zeit Vermögen aufhäufte und damit zu Ehre, Einfluss und Macht kam.

Seine Lordschaft ist nun in den besten Jahren und blickt auf die vergangenen Jahre zurück, um über etwas zu sprechen, was er „die wahre Befriedigung des Lebens” nennt. Er sagt: „ Dennoch bedaure ich diese Wendung, die die Umstände in meiner Mentalität bewirkt haben. Ich hätte gerne ein anders Leben gelebt … Es gibt nichts, was ich so sehr bewundere wie das Leben eines Evangelisten, der freiwillig Armut in Kauf nimmt, der der Menschheit eine neue Lehre verkündet und der einen alten Glauben wieder belebt. Luther, Knox oder Wesley – das ist einerlei. Das sind Männer, die ein zutiefst befriedigendes Leben hatten, weil wahre Befriedigung im Leben in dem Bewusstsein besteht, Gutes getan zu haben. Das ist etwas, wonach man nicht genug streben kann.“

Geld rangiert für ihn ganz unten auf der Skala der Dinge, die dem Leben Befriedigung geben. Macht reiht er lediglich einen Rang höher ein. Die Macht, Gutes zu tun, ist für ihn besser als alles andere, die höchste Quelle der Befriedigung. Deswegen hat die „Karriere“ eines Evangelisten soviel Anziehendes für ihn.

Er schließt seinen Artikel mit den bemerkenswerten Worten: „Wenn ich heute die Möglichkeit hätte, das Leben eines jungen Mannes zu beeinflussen, würde ich ihm sagen: ‚Wähle lieber, eine Evangelist zu sein, als ein Bundesminister oder ein Millionär.’ Als ich jung war bedauerte ich meinen Vater dafür, dass er nur ein armer Mann und bescheidener Prediger des Wortes war. Jetzt da ich älter bin, beneide ich ihn um sein Leben und seine Karriere.“

Wir wollen bedenken, dass in diesen Zitaten nichts davon zu sehen ist, dass der Autor die Berufung Gottes oder das Werk Gottes berücksichtigt; er sieht nicht, dass niemand sein Leben in den Dienst des Evangeliums stellen kann, der sich nicht zuvor bekehrt hat und von Gott berufen wurde und dass die Bekehrung und die Gabe des Heiligen Geistes nötig ist, bevor irgendjemand auch nur eine einzige Sache im Dienst des Herrn tun kann. Das ist so, und das Fehlen dieser Sichtweise prägt leider den ganzen Artikel.

Und doch nimmt das seinen Worten auf keinen Fall die Speerspitze. Wir haben hier einen sehr erfolgreichen Geschäftsmann, der zumindest beginnt, zu sehen, was das Leben wirklich ist, und der uns das dann in sehr klarer und offener Weise erzählt. Wir sind durch die Gnade unseres Gottes bekehrt. Unsere Sünden sind vergeben, wir sind von allem gerechtfertigt und haben den Heiligen Geist empfangen. Wir haben deshalb die Salbung, die uns befähigt, alles in seinem wahren Charakter zu wissen, und wir haben die Kraft, die uns fähig macht, den Dienst für Gott unter der Leitung des Herrn aufzunehmen. Wie betrachten wir das Leben? Wir wollen uns diese Frage mit allem Ernst stellen.

Besonders dringend bitten wir unsere jungen Geschwister, sich dieser Frage zu stellen. Viele von euch leben zweifellos in ziemlich bescheidenen Verhältnissen. Manche von euch haben oder hatten Väter, die nicht so viel verdienten wie der presbyterianische Prediger, auch wenn heute die Preise wesentlich höher sind als noch vor 50 Jahren. Erscheint euch das Leben hauptsächlich als ein Weg der Flucht aus der Schinderei der Armut? Davor bewahre euch Gott! Andere von euch kommen aus vergleichsweise wohlhabenden Verhältnissen und ein paar aus Häusern, wo Wohlstand und Reichtum herrschen, wo man alles hat, was man sich vorstellen kann, woran man sein Herz hängen könnte. Erscheint euch das Leben hauptsächlich als ein Weg, der auf beiden Seiten von Gärten des Genusses gesäumt ist, aus denen ihr, sooft es euch gefällt, jede Blume pflücken könnt, die nach eurem Geschmack ist, ein Weg, der euch jede irdische Freude liefert, die nicht völlig mit eurem christlichen Bekenntnis kollidiert? Erneut müssen wir sagen: Gott bewahre euch davor!

Die gegenwärtige Welt umgibt uns auf allen Seiten; die zukünftige Welt liegt vor uns. Die eine zieht unsere Aufmerksamkeit immer und überall auf sich, unsere Augen sehen ihre schmuckvollen Herrlichkeiten, unsere Ohren sind voll ihres endlosen Lärms. Die andere ist jetzt nur dem Glauben bekannt. Doch die eine existiert in der Geschichte der Ewigkeit nur einen kurzen Augenblick. Die andere bleibt ewig. Kein Wunder, dass der Apostel Johannes uns gesagt hat: „Liebet nicht die Welt, noch was in der Welt ist.“ Obwohl wir alle mit den Dingen in der Welt umgehen und sie benutzen, müssen wir doch sehr vorsichtig sein, dass sie nicht unsere Zuneigungen in den Würgegriff nehmen. Er fährt fort: „Und die Welt vergeht und ihre Lust; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit“ (1. Joh 2,16–17). Gottes Welt bleibt, und wer in dieser Welt den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit.

Lieber junger Christ, wir appellieren an dich! Für welche Welt lebst du? Für was verwendest du deine Energien? Was scheint dir das höchste Gut im Leben zu sein?

Du wirst vielleicht zugeben, dass das, was wir gesagt haben, wahr ist, und dass man nicht gut ein Christ sein kann, wenn man das nicht zugibt. Und doch gibt es, wie du einwendest, viele Schwierigkeiten – man muss sich durchsetzen im Leben und den Lebensunterhalt verdienen. Es ist nichts Schönes, nur wenig von den guten Dingen dieses Lebens zu haben, während andere viel davon haben. Wahre Ernsthaftigkeit in den Dingen Gottes führt zu Verachtung und sogar Spott. Wir müssen darauf antworten, dass diese Schwierigkeiten genau so existieren, wie du sie beschrieben hast. 

Wir können unsere Augen nicht davor verschließen. Selbst Lord Beaverbrook macht in seinem Artikel nicht den Versuch, das zu tun. Er sagt: „Ich weiß aus bitterer Erfahrung nur zu gut, wie die Jugend durch die Aussicht auf Armut von solchen hohen Diensten abgehalten wird.“ Und er fügt die bemerkenswerten Worte hinzu: „Dazu kommt oft die Angst davor, Spott und Verachtung für eine weltfremde Begeisterung zu ernten. Ein Bischof im späten achtzehnten Jahrhundert sagte einmal: ‚Lasst uns vor allem Begeisterung bekämpfen.’ Auf diese Weise verlor die Kirche Wesley. Nur der Mann ist im mittleren Alter der Glücklichste, der am erfolgreichsten der Versuchung eines rein materiellen Erfolgs widerstanden hat.“

Die Schwierigkeiten sind offensichtlich, und wir wollen davor nicht die Augen verschließen. Doch sollen wir vor ihnen zurückschrecken? Sollen wir ihnen gestatten, die bleibenden Herrlichkeiten der kommenden Welt vor unseren Augen zu vernebeln? Sollen wir zulassen, dass sie in unseren Herzen die Helligkeit und Schönheit der Liebe Christi verdunkeln, oder die heilige Begeisterung dämpfen, die ein solcher Herr und eine solche Botschaft eigentlich hervorbringen müssen? Gebe Gott, dass das bei uns nicht so ist.

Lasst uns alle Schwierigkeiten und Nachteile gut abwägen und bewerten. Und dann lasst uns die kommende Zeit betrachten, wenn geringe Gläubige, die aufrichtig und treu mit dem Namen Christi waren, mit den Worten gerechtfertigt werden: „Siehe, ich werde sie zwingen, dass sie kommen und sich niederwerfen vor deinen Füßen und erkennen, dass ich dich geliebt habe“ (Off 3,9); und wenn den geringen Knechten das Wort ihres Herrn in Erfüllung gehen wird: „Wenn mir jemand dient, so folge er mir nach; und wo ich bin, da wird auch mein Diener sein. Wenn mir jemand dient, so wird der Vater ihn ehren“ (Joh 12,26). Was sollen wir hierzu noch sagen?

Ohne Zweifel müssen wir sagen, dass die Tatsache, öffentlich von dem Vater geehrt und als Gegenstände der Liebe Christi dargestellt zu werden, eine solche Segnung und Freude ist, dass kein einziger möglicher Nachteil es wert ist, damit verglichen zu werden. Von den Menschen nicht geliebt und nicht geehrt zu werden, ist nicht angenehm, aber was wird es sein, von Christus geliebt und von dem Vater geehrt zu werden?

Kann man sich etwas Schöneres vorstellen? Nein! Dann sieh zu, dass du nicht für ein wenig Erfolg und armselige Ehre in dieser Welt die Ehre aufgibst, die allein von Gott kommt. Sieh zu, dass du nicht die Gelegenheit verpasst, dich selbst von ganzem Herzen Christus und Seinem Dienst hinzugeben.

Deine Fähigkeiten mögen groß oder klein sein. Du magst eine herausragende Gabe haben oder überhaupt keine bestimmte Gabe. Wie dem auch sei, unsere Ermahnung ist die Gleiche. Du kennst die Gnade Gottes. Du hast einen Herrn von unendlicher Herrlichkeit und Schönheit, dem du dienst. Deine Lebensjahre auf der Erde sind bestenfalls kurz. Die Gelegenheit, sich Ihm und Seinem Dienst hinzugeben, wird bald vorbei sein. O ergreife sie, lieber junger Christ, und arbeite nicht für die jetzige Welt, sondern für die zukünftige!

Möge Gott dich befähigen, von ganzem Herzen für Christus zu leben.

[Übersetzt von Marco Leßmann] 


Der Artikel stammt aus dem Jahr 1930.

William Maxwell Aitken, 1. Baron Beaverbrook (1879–1964), einer der erfolgreichsten Verleger und einflussreichsten Politiker Englands [Anm. d. Üb.].