In den Tagen Jojakims, des Sohnes Josias, verschlechterte sich der Zustand Judas und Jerusalems rapide. Jeremia war der von Gott erweckte Prophet, der beauftragt war, das Wort des Herrn zu verkündigen, und er stellte den Zustand mutig bloß, der schließlich zur Katastrophe führte. Baruch war der Schreiber, der die Aufgabe hatte, die ernsten Worte, die Jeremia aussprechen musste, in ein Buch zu schreiben. Das sehen wir, wenn wir Jeremia 45 lesen.

Die Masse des Volkes stand allem, was Jeremia sagen musste, gleichgültig, wenn nicht feindlich gegenüber. Doch nicht so Baruch. Er schrieb nicht nur die Weissagungen des Gerichts nieder, sondern empfand auch deren Schwere und Kummer, wie Vers 3 dieses kurzen Kapitels zeigt. Ein „Wehe!“ war über das Volk ausgesprochen worden, doch er empfand es für sich persönlich: „Wehe mir!“ Er nahm es auch von Gott an. Er hätte sehr wohl über Nebukadnezar sprechen können, jenen großen babylonischen Monarchen, der das Unglück über sie brachte, aber nein, er klagt: „Der HERR hat Kummer zu meinem Schmerz gefügt.“ Er glaubte jedenfalls die Dinge die er geschrieben hatte, und wusste, dass der endgültige Zusammenbruch noch kommen würde und nahe bevorstand.

Wir wollen unsere Herzen prüfen und uns fragen, wie wir in einer solchen Situation reagiert hätten. Wenn wir mit einer gewissen Tat- und Entschlusskraft ausgestattet sind, wären wir dann nicht geneigt, zu denken, dass Zeiten des nationalen Unglücks dem mutigen Einzelnen große Möglichkeiten eröffnen, seinen Vorteil und Nutzen daraus zu suchen? Es scheint, dass Baruch versucht war, so zu denken, und ihm deshalb gesagt werden musste: „Und du, du trachtest nach großen Dingen für dich? Trachte nicht danach!“ Selbstverherrlichung war überhaupt nicht am Platz. Ihm wurde einfach gesagt, dass sein Leben ihm als „Beute“ gegeben würde, wo immer er auch hinzöge. Gott würde sein Leben bewahren, das war der einzige Vorteil, den er zu erwarten hatte.

Diese kleine Episode ist zu unserer Belehrung in der Schrift aufgezeichnet. Lasst uns daraus Nutzen ziehen. Von dem Moment an, wo Salomo anfing, nach großen Dingen für sich zu trachten und Reichtümer aufzuhäufen, setzte der Niedergang des Volkes und der Könige ein. Sich selbst zu suchen ist schon in Tagen des Wohlstands ruinös, wie viel mehr jedoch in Tagen des Niedergangs und Unglücks. Das galt für Israel unter Gesetz. Es gilt gleichermaßen, wenn nicht noch mehr, für das Volk Gottes heute, da es nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade ist.

Doch leider ist der Eigennutz ein berüchtigtes Übel in der traurigen Geschichte der Christenheit. Es begann schon sehr früh, denn der Apostel Paulus musste aus der Gefangenschaft schreiben: „Alle suchen das Ihre, nicht das, was Jesu Christi ist“ (Phil 2,21). Nur wenige Jahrhunderte später kamen die schrecklichen Übel des Klerikalismus auf, die ihren Höhepunkt im Papsttum fanden, wo der Eigennutz ohne eine Spur von Scham ausgelebt wurde.

Seitdem sind weitere Jahrhunderte vergangen und wir befinden uns, wie wir glauben, in den letzten Tagen der Christenheit, und über den Charakter dieser Tage sehen wir etwas in den Worten des Herrn an die Versammlung in Laodizäa in Offenbarung 3. Das auffälligste Merkmal dieser Versammlung ist ihre Selbstzufriedenheit, eine natürliche Folge eines selbstsüchtigen Weges, der von Erfolg gekrönt ist. Es gibt in der Tat eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen dem „Erfolg“ Salomos und dem der Laodizäer. In Prediger 2 lesen wir, wie Salomo „reich“ und „reich geworden“ war „nichts bedurfte“. Laodizäa war genau in demselben Zustand, wenn auch die Güter, derer sie sich rühmten, von anderer Art waren, als bei Salomo. Am Ende musste Salomo feststellen, dass alles „Eitelkeit und ein Haschen nach Wind“ war; und das Ende der Laodizäer ist, dass sie aus dem Mund des Herrn ausgespieen werden.

Das Trachten nach großen Dingen für sich selbst ist von allen Neigungen der gefallenen menschlichen Natur, die tiefste. Das weltliche System ist gemäß den Prinzipien des gefallenen Menschen entwickelt worden. Es unterliegt der erforschenden Überprüfung des Geistes Gottes, dessen Urteil lautet: „Alles, was in der Welt ist, die Lust des Fleisches und die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens, ist nicht von dem Vater“ (1. Joh 2,16). Und was sind diese drei Bestandteile der Welt anderes als verschiedene Formen der Selbstsucht.

Im Kreuz Christi ist die Welt gerichtet worden, wie wir in Johannes 12,31 lesen. In demselben Kreuz wurde die „Sünde im Fleische verurteilt“, wie Römer 8,3 sagt, d.h. unsere gefallene Natur wurde verurteilt und dadurch wurde das „Ich“ gerichtet und beiseite gesetzt. Zu keiner Zeit soll es die Gedanken und Wünsche des Christen regieren.

Daher gilt uns das Wort: „Sinnt auf das, was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes” (Kol 3,1). Das ist für uns, deren Los in das 20. Jahrhundert gefallen ist, genauso wichtig, wie für die Gläubigen des ersten Jahrhunderts. Wenn wir dieser Ermahnung gehorchen, werden wir frei davon sein, nach großen Dingen für uns selbst zu trachten.

Ja, noch mehr, wir werden nach den großen Dingen Gottes trachten. Ein hingebungsvoller Diener Gottes, der vor 150 Jahren ein Pionier in der Missionsarbeit war, hatte ein Motto, das etwa so lautete: „Wage große Dingen für Gott; erwarte große Dinge von Gott.“ Es war Carey, der Schuster aus Northamptonshire, der so sprach, und auch so arbeitete, trotz Widerstand und manchem Spott, vor allem bei der Übersetzung der Bibel in Eingeborenensprachen. Während seines Lebens waren keine spektakulären Ergebnisse sichtbar, doch aus dem, was er für Gott wagte, entsprangen große Dinge von Gott.

So wollen wir uns daran erinnern, dass auch uns, wie Baruch, nur in einem weitaus tieferen und wunderbareren Sinn, unser Leben als „Beute” gegeben wurde. Prophetisch hat unser Herr gesagt: „Mit Gewaltigen wird er die Beute teilen“ (Jes 53,12), und wir sind in das ewige Leben gebracht, das Sein Leben ist, denn wir besitzen es in Ihm.

Das ewige Leben, das wir besitzen, ist nicht ichzentriert, sondern christuszentriert. Als Christen wollen wir die Welt für sich nach den großen Dingen trachten lassen, nach denen sie begehrt. Wir haben das Leben, das wirklich Leben ist und nur nach den Dingen des Reiches Gottes und nach Christus trachtet. Lasst uns also die Belehrung des Paulus an Timotheus beachten: „Ergreife das ewige Leben“ (1. Tim 6,12), jenes Leben, zu dem wir durch die Gnade Gottes berufen sind.

[Übersetzung: Marco Leßmann]