Ein scheinbarer Widerspruch besteht bei der Begebenheit, als der Herr Jesus nach dem Verhör zur Kreuzigung abgeführt wird. In drei Evangelien steht, dass Simon von Kyrene gezwungen wurde, das Kreuz des Herrn zu tragen. Dagegen wird im Johannesevangelium erwähnt, dass der Herr Jesus sein Kreuz selbst trug. Ich würde mich freuen, wenn wir etwas zur Auflösung dazu lesen könnten. 

Simon von Kyrene (Mt 27,32; Mk 15,21; Lk 23,26) 

Die Evangelisten Matthäus und Markus berichten, dass die Soldaten „hinausgingen“ (Mt 27,32) bzw. den Herrn Jesus hinausführten (Mk 15,20) und dabei Simon von Kyrene fanden und zwangen, dem Herrn Jesus das Kreuz zu tragen. Lukas spricht von einem Wegführen (Lk 23,26). Sowohl Markus als auch Lukas ergänzen, dass Simon vom Feld kam. Wenn man die Vorsilbe „hinaus“ und das Feld gedanklich verbindet, entsteht der Eindruck, dass die Soldaten Simon erst außerhalb der Stadtmauer, bei der Heimkehr von der Feldarbeit, aufgegriffen und „dienstverpflichtet“ haben.

Der Herr Jesus hat als Mensch von Menschen unsagbar Schlimmes erlitten, unter anderem die Geißelung. Ob die sicher nicht sensiblen Soldaten ihrem so misshandelten Todeskandidaten wohl durch den herbeigerufenen Simon Erleichterung verschaffen wollten? Oder wollten sie nur sicherstellen, dass das Ziel, Golgatha, erreicht wurde? Schließlich wussten sie ja nicht, dass Jesus der Sohn Gottes war und nicht an Erschöpfung sterben konnte (vgl. Joh 10,18).

Simon selbst war zu diesem Zeitpunkt offenbar noch kein Jünger des Herrn Jesus, sonst hätte er zu diesem Dienst wohl nicht gezwungen werden müssen, wäre vielleicht auch seiner Tagesarbeit an diesem ereignisreichen Tag kaum nachgegangen. Später waren seine Söhne dann unter den Gläubigen bekannt (Mk 15,21; Röm 16,13), was vermuten lässt, dass auch Simon dann ein Eigentum des Gekreuzigten und Auferstandenen geworden ist.

Jesus Christus (Joh 19,17) 

Das Johannesevangelium beschreibt den Herrn Jesus als Sohn Gottes, und das kennzeichnet auch die Schilderung der letzten Tage vor der Kreuzigung: Beim Lesen der Kapitel 18 und 19 entsteht der Eindruck, dass Er und nicht seine Gegnerschaft „das Heft in der Hand“ hat. Dreimal geht Er hinaus und offenbart seine göttliche Souveränität:

1.      Joh 18,5: Der Herr wusste um alles, „was über ihn kommen würde“, und ging in diesem Bewusstsein zu den Feinden hinaus – die vor Ihm zu Boden fielen.

2.      Joh 19,5: Pilatus wollte den Herrn herausführen (Vers 4), doch Jesus ging selbst hinaus – seine Würde blieb trotz Geißelung und Verhöhnung sichtbar.

3.      Joh 19,17: Die Soldaten „nahmen Jesus hin und führten ihn fort“ (Vers 16). Doch dann ging Er hinaus, sein Kreuz tragend. Jesus Christus, Gottes Sohn und Sohn des Menschen – die Herrlichkeit seiner Person strahlt in den letzten Stunden seines Lebens besonders eindrucksvoll hervor.

Zu dieser Darstellungsweise passt es, dass Johannes mit keinem Wort über Simon berichtet. Johannes blendet diese (zweite) Etappe des Kreuztragens aus und richtet den Scheinwerfer auf das aktive Tragen durch den Herrn Jesus. Diese – offenbar erste – Etappe bis zum Stadttor wird nur im Johannesevangelium berichtet.

Die drei ersten – synoptischen – Evangelien beschreiben die Szene mit Simon von Kyrene, der offenbar vom Stadtausgang an das Kreuz von Jesus Christus getragen hat. Das Johannesevangelium beschränkt sich auf die erste Wegstrecke, auf der der Herr Jesus selbst sein Kreuz trug. Keine Widersprüche, sondern göttliche Absicht kennzeichnen die Evangelien!