Ich möchte an dieser Stelle die Geschichte eines anderen ungeratenen Sohnes frei wiedererzählen, weil sie eine so schöne Erläuterung unseres Gegenstandes [das Gleichnis vom verlorenen Sohn] ist. Dieser junge Mann hatte seinen gläubigen christlichen Eltern schon viel Not und Kummer gemacht. Eines Tages verließ auch er bei Nacht sein Elternhaus, das in einem großen Obstgarten an der Bahnlinie lag, vom Bahnhof nicht allzu weit entfernt. Ohne auch nur die geringste Mitteilung über sein Verbleiben zu hinterlassen, verschwand er auf Nimmer-Wiedersehen. Er tauchte in einer Großstadt unter und verlor sich in einem Leben der Sünde.

Viele Jahre vergingen, und nie hörten die Eltern etwas von ihrem verlorenen Sohn. So tief ihr Gram über ihn auch war, sie hörten nicht auf, für ihn zu Gott zu rufen. Und Gott wirkte, wirkte an der Seele des heruntergekommenen Sohnes. Schließlich brach er völlig vor Gott zusammen. Unwiderstehlich wurde jetzt in seiner Seele das Verlangen, zu seinen lieben Eltern mit einem Bekenntnis seiner Sünde zurückzukehren. Aber er war sich durchaus nicht sicher, ob sie ihn nach all dem Leid, das er ihnen zugefügt hatte, noch aufnehmen und ihm vergeben würden.

In seiner Not schrieb er ihnen einen Brief, der etwa wie folgt schloss: „Ich werde mit dem und dem Zug an dem und dem Tag an Eurem Haus vorbeifahren. Wenn Ihr bereit seid, mich wieder aufzunehmen und mir zu vergeben, dann hängt doch bitte in den Apfelbaum, der am Bahndamm steht, ein weißes Band. Wenn aber nicht, so werde ich weiterfahren ...“ 

Der angekündigte Tag kam. Angespannt saß der Mann am Fenster des Abteils. In seinem Inneren arbeitete es. Wie lange hatte er all die bekannten Ortschaften und Gegenden nicht mehr gesehen, die da an ihm vorüberzogen! Was waren das einst für glückliche Tage gewesen! Aber jetzt konnte es nicht mehr weit sein bis zum Ort, wo seine Eltern wohnten. Schon verlangsamte der Zug sein Tempo. Der Mann sprang auf und spähte in Fahrtrichtung zum Fenster hinaus. Jetzt musste doch bald der Garten der Eltern kommen! Da war er schon. Sein Auge suchte hastig den Apfelbaum. Hing ein weißes Band darin? Fassungslos starrte er hin, ihm schössen die Tränen aus den Augen: Der Apfelbaum hing voll weißer Bänder ...

So nimmt Gott auch heute „verlorene Söhne“ an!

[Aus dem Buch: „Aus der Finsternis zum Licht“]