Wachstum ist eines der sichersten Zeichen für gesundes Leben. Das gilt für den Bereich der Pflanzen und der Lebewesen, aber auch im Bereich der Gnade ist es nicht anders. Wachstum sollte daher bei jedem Christen erwartet werden können. In der Natur hört das Wachstum ab einem bestimmten Zeitpunkt auf und Verfall setzt ein, aber bei dem Gläubigen sollte es bis zum Ende seines Lebens Wachstum geben.

Kein vernünftig denkender Mensch erwartet, dass ein gerade Bekehrter morgen bereits kein Baby mehr ist. Aber wir rechnen auch nicht damit, dass er ein Baby bleibt. Bei einem gesunden Appetit auf gesunde geistliche Nahrung, einer guten Verdauung und reichlich himmlischer Frischluft und Bewegung, kann das Wachstum nicht ausbleiben. Und die Stelle: „Wachset aber in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus“ (2. Pet 3,18), gilt für jeden von uns.

Was ist Wachstum?

Wachstum hat nicht direkt etwas mit Alter zu tun. – Jemand mag in fortgeschrittenem Alter sein und schon so manchen Meilenstein seit seiner Bekehrung passiert haben, und ist doch geistlich ein unterentwickeltes Kind. Einige der hebräischen Gläubigen waren so. Sie stolperten noch über das christliche Alphabet, als sie schon Lehrer sein sollten, und brauchten noch Milch, als sie schon feste Speise hätten bekommen müssen (vgl. Heb 5,12–14).

Wachstum hat nicht unbedingt etwas damit zu tun, was wir tun. – Es mag sehr viel Ernsthaftigkeit und Aktivität geben, aber doch kein Wachstum. Die Christen aus Ephesus sind ein trauriges Beispiel davon in ihren späteren Jahren. Als der Apostel Paulus ihnen seinen Brief schrieb, waren sie wie Bäume, gepflanzt an Wasserbächen, saftvoll und grün. Aber als sich der Herr Jesus durch Seinen Knecht Johannes an sie richtete, erkannte Er zwar ihre Werke, ihre Bemühungen und ihr Ausharren an, doch musste Er auch sagen: „Ich habe wider dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast. Gedenke nun, wovon du gefallen bist.“ Der beste Spross des schönen jungen Baumes war durch den Frost abgeknickt, und das Wachstum hatte aufgehört.

Wachstum hängt noch nicht einmal von unserer Erkenntnis ab. – Unsere geistige Entwicklung kann unsere geistliche Entwicklung weit hinter sich lassen. Ein „Wunderkind“, ob im Bereich der Musik oder der Bildung, ist in der christlichen Sphäre ein bedauernswertes Geschöpf und wird ein schlimmes Ende nehmen. Der Neuling mag sich in kurzer Zeit viele Wahrheiten aneignen, wenn er die Fähigkeit zum Abstrahieren hat, aber er sollte sich nicht einbilden, dass er deswegen ein Riese wäre, der in der Lage ist, seinen Großvater zu belehren.

Dieser Illusion waren einige Korinther verfallen. Sie waren „reich gemacht“ in „aller Erkenntnis“ (1. Kor 1,5); sie hielten sich für weise (1. Kor 3,18); sie wollten alle Lehrer sein (1. Kor 14,26); sie erlaubten sich sogar, die kardinale Wahrheit der Auferstehung in Frage zu stellen (1. Kor 15,12+35). Tatsächlich waren sie jedoch unwissend (1. Kor 6,2+3+9+15+19; 8,2; 10,1; 12,1; 14,38; 15,36), fleischlich und Kindlein (1. Kor 3,1–3). Sie gebrauchten ihre „Erkenntnis” zum Schaden einiger ihrer Brüder (1. Kor 8,11). Eine solche Erkenntnis bläht nur auf. Die Liebe erbaut (1. Kor 8,1).

Wachstum ist also ganz und gar eine Frage dessen, was wir sind. – Genau der Brief, der uns ermahnt, in der Gnade zu wachsen, beginnt mit einer schönen Beschreibung, was das bedeutet. Es heißt: „Reicht aber auch dar, indem ihr allen Fleiß anwendet; in eurem Glauben die Tugend, in der Tugend aber die Erkenntnis, in der Erkenntnis aber die Enthaltsamkeit, in der Enthaltsamkeit aber das Ausharren, in dem Ausharren aber die Gottseligkeit, in der Gottseligkeit aber die Bruderliebe, in der Bruderliebe aber die Liebe. […]

Diese Dinge sollen in uns sein und „reichlich vorhanden” (2. Pet 1,8). Wir sollen sie nicht anlegen, wie man einen Mantel anzieht, sondern sie sollen in der Kraft des Heiligen Geistes in uns hervorgebracht werden, sodass sie ein wesentlicher Bestandteil von uns werden. Der Apostel Petrus wünschte wirklich, dass die Eigenschaften des wunderbaren Lebens Christi in diesen Gläubigen zum Vorschein kämen. Wachstum ist also eine Sache des Charakters. Wenn wir wachsen, werden wir mehr und mehr in die Gleichförmigkeit mit Christus umgestaltet.

Wächst du?

Frage dich: Ist diese Art des Wachstums bei mir zu sehen? Liegt meinen christlichen Aktivitäten und meiner zunehmenden Bibelkenntnis eine stabile Entwicklung eines christlichen Charakters zugrunde? Und dann beantworte diese Frage aufrichtig und mit großer Sorgfalt.

Doch dabei müssen wir uns einer Gefahr bewusst sein. Es ist zwar nichts hilfreicher als ehrliches Selbstgericht vor Gott, aber es ist auch nichts schädlicher als diese notwendige Selbstprüfung zur ständigen Beschäftigung mit sich selbst werden zu lassen. Hüte dich davor, dass sich deine Gedanken krankhaft um dich selbst drehen.

Stellen wir uns drei Kinder vor, die auf dem Grundstück ihres Vaters drei schön abgegrenzte Gärten haben. Wie unterschiedlich sehen sie aus! In dem einen wächst und gedeiht das Unkraut und die Blumen sind wenig und schwach. Weit und breit sind weder Schaufel, noch Harke, noch Gießkanne zu sehen. Im zweiten ist alles ordentlich, das Unkraut ist gejätet und die Blumen sind erstklassig und gesund. Der dritte trägt die Spuren vieler Arbeit. Es herrscht penible Ordnung und doch sind die Blumen entweder welk oder tot. Wie leicht kann man von dem Zustand des Gartens auf den Charakter des Kindes schließen. Und wenn der nachlässige Laissez-faire-Stil des ersten zu bedauern ist, dann ist die fieberhafte Mühe des dritten, mit der er ständig eine Pflanze nach der anderen herauszieht, um zu sehen, wie sich die Wurzeln entwickeln, praktisch genauso verheerend.

Vermeide beide Extreme. Möge der gute Herr dich vor jener nachlässigen und bequemen Religiosität bewahren, die es aus lauter Angst, in ihrer Ruhe gestört zu werden, nie zulassen wird, dass du dir die Frage stellst: Wachse ich wirklich in der Gnade? Möge Er dich auch vor der krankhaften Beschäftigung mit dir selbst bewahren, die diese Frage immer und immer wieder aufwirft und in dem Bemühen, eine Antwort darauf zu finden, ständig alles in deinem armen Herzen mit den Wurzeln ausreißt.

Die Lösung liegt dazwischen. Begegne dieser Frage mit dem Herzen in dem Sonnenschein der Liebe des Herrn Jesus. Und wenn es dich zu dem Schluss bringt, dass dein Wachstum nur gering ist, dann lass es dir zum Ansporn sein, mehr von Christus kennen zu lernen.

Worin wachsen wir?

Es ist wichtig, daran zu denken, dass wir als Gläubige in der Gnade (oder Gunst) Gottes stehen (vgl. Röm 5,2). Deshalb wird uns durch den Apostel Petrus gesagt, dass wir in der Gnade wachsen sollen.

Gnade ist der Boden, in den der Gläubige gepflanzt ist, nicht die Welt, obwohl man fast den Eindruck haben könnte, wenn man sich das Leben mancher Christen ansieht. Obwohl alle Gläubigen in der Gnade stehen, umgeben sich doch viele mit einer weltlichen Atmosphäre, die allen Fortschritt zum Erliegen bringt. Es ist sehr einfach der Welt in abstrakter Weise zu entsagen, während man in vielen Einzelheiten ihren Vergnügungen frönt.

Dazu ein Beispiel. Vor einiger Zeit fand eine Gebetsstunde statt. Es wurde mit beachtlicher Inbrunst gebetet. Ein Mann begann sein Gebet mit lauter und ernster Stimme: „Herr, bewahre uns vor der Welt!“ „Amen! Amen!” ertönte es einstimmig aus allen Ecken des Gebäudes. Dann, nach einer kurzen Pause: „Herr, bewahre uns vor dem Tabak!“ Totenstille! Es schien fast, als wäre die Zusammenkunft damit beendet.

Du magst es nicht gutheißen, in dieser Weise zu beten, aber es zeigt doch, wie leicht man abstrakt dafür beten kann, vor der Welt bewahrt zu bleiben, während man sie im Konkreten in Ehren hält. Salomos Weinberge wurden von den „kleinen Füchsen“ abgefressen und verdorben (Hld 2,15). Es gab viele davon, und weil sie so klein waren, schenkte man ihnen kaum Beachtung.

Es gibt allerdings auch viele Christen, die darunter leiden, in einer gesetzlichen Atmosphäre zu leben. Sie leben und wirken, lesen und beten, dienen und loben, alles nach Vorschrift. Man kann nicht erwarten zu wachsen, wenn man von Gusseisen umhüllt ist.

Wie herrlich ist die Freiheit, die die Gnade uns gibt. Ich meine Freiheit, nicht Zügellosigkeit. Denn die Heil bringende Gnade belehrt uns auch, dass „wir, die Gottlosigkeit und die weltlichen Lüste verleugnend, besonnen und gerecht und gottselig leben in dem jetzigen Zeitlauf“ (Tit 2,12).

Wir wollen in der Gnade tiefe Wurzeln schlagen. Wir wollen uns in ihren Strahlen sonnen. Welch eine demütigende Wirkung hat doch das Bewusstsein, dass die vollkommene Gunst Gottes wegen Christus auf uns ruht, trotz allem, was in uns selbst zu finden ist, und dass nichts uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die – nicht in uns selbst, sondern – „in Christus Jesus ist“ (Röm 8,39).

Wie wachsen wir?

In der letzten Zeit wird in der Öffentlichkeit viel über die schlechte körperliche Konstitution tausender Schüler gesprochen. Da stellt sich ganz praktisch die Frage: Was ist zu tun? Kann man dieses Problem lösen, indem man ihnen viele Aufgaben und Übungen auferlegt? Nein, sie haben nicht genügend Kraft und Ausdauer dafür. Sollen wir Gesundheitsunterricht einführen, wo die Schüler lernen, wie der menschliche Körper wächst, wie Zellen und Gewebe entstehen, welche verschiedenen Nahrungsmittel es gibt und wie der Verdauungsvorgang funktioniert? Sechs Jahre Unterricht würden nicht das bewirken können, was sechs Monate gute Nahrung bewirken können – nahrhaftes Essen mit geeigneten Nahrungsmitteln, viermal am Tag und sieben Tage die Woche!

Wenn du wachsen möchtest, musst du also gute geistliche Nahrung wählen. Gute Nahrung, denk daran! Nicht Romane, nicht triviale Literatur, auch nicht irgendeinen anderen weltlichen Unsinn. Und verdaue gut. Nimm dir Zeit zum Nachsinnen und bewege die Dinge in deinen Gedanken. Wenn der Ochse wiederkäut, liegt er normalerweise. Genauso wird auch geistliche Verdauung durch ein bisschen Ruhe und im Gebet gebeugte Knie begünstigt.

Die Nahrung des Christen ist – mit einem Wort – Christus,  „wachsend durch die Erkenntnis Gottes“ (Kol 1,10). Und weil Gott uns in Christus offenbart ist, sagt Petrus: „Wachst aber in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus.“

Es ist gut, etwas über Ihn zu wissen, und alles, was uns in dieser Richtung hilft, ist nützlich. Doch das Wichtigste ist, den Herrn Jesus Christus selbst zu kennen, und diese heilige Vertrautheit zu genießen, die nur durch ein tägliches Leben und Wandeln in Seiner Gegenwart erreicht werden kann.

Dann werden wir Stück für Stück seine vielfältigen Herrlichkeiten entdecken und die verschiedenartigen Beziehungen, in denen Er zu uns steht, mehr und mehr wertschätzen.